Fit, jung und dynamisch bis ins hohe Alter mit Power-Walking, Hormonkuren und gesunder Ernährung? Vieles von dem, was Sport-Gurus und Fernsehmagazine über den Segen der Fitneß behaupten, gehört ins Reich der Irrtümer und Halbwahrheiten. Die Autoren konfrontieren die Legenden um Sport, Körperkult und Gesundheitswahn mit der Realität und warnen vor Bewegungsterror und Wellness-Hysterie. Ein wohltuendes Plädoyer für einen pfleglichen Umgang mit dem eigenen Körper, das immun macht gegen die vollmundigen und meist kostspieligen Versprechen der Gesundheitsindustrie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.200410 000 Schritte täglich wären gut
Nicht immer ist Sport die beste Antwort auf Kekskonsum oder Stress / Führungskräfte setzen sich unter Leistungsdruck / Von Sybille Wilhelm
Einmal im Jahr sind alle gleich: Nämlich dann, wenn mit den Festtagen eine der schwersten Prüfungen im Jahr ansteht. Wer in der kalten Jahreszeit den leckeren Versuchungen nicht widerstehen kann, wird mit Hüftgold & Co. bestraft. Und zwar unabhängig von seiner beruflichen Position: Schließlich essen auch Chefs in dieser Zeit zuviel und bewegen sich zuwenig.
Statistisch gesehen, sind die deutschen Führungskräfte jedoch im Durchschnitt sportlich deutlich aktiver als die Allgemeinbevölkerung. Einer Befragung der Institut für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung (IAS) zufolge treibt jeder zweite Manager mehr als zwei Stunden Sport in der Woche und senkt damit unter anderem das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Als beliebteste Sportart gaben die Manager dabei Joggen an, gefolgt von Radfahren.
Doch nicht immer ist Sport gesund. Während die meisten Führungskräfte Sport als probates Mittel zum Stressabbau verstehen, setzen sich einige damit schon wieder unter Leistungsdruck: "Wir holen beim Frankfurter Eurocity-Marathon regelmäßig eine Reihe von jungen Männern ins Notarztzelt, die völlig überdreht sind", schildert der Allgemeinmediziner Rainer Spichalsky von der Praxis Dr. Spichalsky & Partner aus Friedberg seine Erfahrungen mit zu ehrgeizigen Sportlern. "Das dauert Stunden, bis sie wieder einen normalen Puls haben. Unsere Behandlungsplätze sind dann wirklich ausgelastet."
Das Immunsystem antwortet mit einer Depression
Zwar ist Joggen eine grundsätzlich effektive Sportart - wenn sie denn mit Bedacht und nicht auf Biegen und Brechen ausgeübt wird. Denn der Deutsche bewegt sich bekanntermaßen zuwenig: 3000 Schritte täglich sind es, 7000 sollten es mindestens sein, und 10 000 wären gut. "Aber Schritt kommt von Schreiten, nicht von Rennen. Und die meisten Manager haben dafür keine Zeit", beobachtet Spichalsky. Die Folge: "Statt anderthalb Stunden spazierenzugehen, joggen sie eine halbe Stunde. Dabei übertrainieren sie sich oft und machen alles nur noch schlimmer." Denn wann immer man eine Stufe auf der Trainingstreppe überspringen will, geht dies nach Meinung des Arztes schief.
Wer nach den Festtagen also vor lauter schlechtem Gewissen all das an Bewegung nachholen will, was er über Jahre versäumt hat, tut des Guten zuviel und dreht es sogar ins Gegenteil. Denn wer beispielsweise am Limit der Pulsfrequenz trainiert und den Verbrauch von Mineralstoffen und Spurenelemente nicht kontrolliert, riskiert, daß der Körper durch den Sport erst richtig gestresst ist: "Das Immunsystem antwortet in so einem Fall nicht selten mit einer Depression." Bei einer auch nur geringen Abweichung des morgendlichen Ruhepulses - etwa durch eine Erkältung oder einen Kater - rät der Mediziner zudem, es langsam angehen zu lassen: "Dann ist Joggen nicht erlaubt, sondern nur Gehen. Aber leider hören die meisten Läufer ja nicht auf ihren Körper."
Wunsch nach einer Silhouette längst verflossener Jugendtage
Eine andere Klientel neigt im übrigen auch dazu, es nach den Feiertagen zu übertreiben, um die Kaloriensünden auszugleichen: junge Frauen. In dem "Lexikon der Fitness-Irrtümer" führen die Autoren am Beispiel Joggen aus, daß Frauen dreimal häufiger als Männer unter den schmerzhaften Haarrissen in den Knochen leiden, die nicht selten in Ermüdungsbrüchen enden. Demnach sind die morschen Knochen kein neues Phänomen, sondern wurden zunächst bei Rekruten beobachtet, die lange Fußmärsche hinter sich hatten. Heute sind die Ermüdungsbrüche jedoch eine Zivilisationskrankheit, weil sich so viele Menschen diesem Drill freiwillig unterziehen. "Sie sind beispielsweise ein Kennzeichen der sogenannten athletischen Triade, einem typischen Krankheitsbild bei jungen Frauen, die versuchen, mit Kalorienzählen und Rennen ihr Gewicht zu kontrollieren", heißt es.
Und noch etwas wird die Weihnachtssünder aufatmen lassen: In dem Lexikon wird auch mit dem Vorurteil aufgeräumt, daß Sport grundsätzlich schlank macht. Obwohl die Idee ja durchaus besticht: "Nachdem viele Diätprogramme samt und sonders gescheitert sind, empfehlen die Experten nun eben mehr körperliche Aktivität", warnen die Autoren des etwas anderen Fitness-Ratgebers. "Der Tip mit dem Sport kommt an, vor allem auf dem Markt der Frauen-, Gesundheits- und Fitnessliteratur. Denn je dicker die Kundschaft durch die Diätempfehlungen im Laufe der Jahre wurde, um so übermächtiger wird der Wunsch nach einer Körpersilhouette aus längst verflossenen Jugendtagen." Die schlechte Nachricht: Der Körper reagiert auf den Energieverbrauch beim Sport genauso wie auf die Kalorienknapserei bei einer Diät. Er will nämlich so bleiben, wie er ist. Und der neu motivierte Sportler hat angesichts der übermächtigen Bestandswahrung seines Körpers schnell einfach nur mehr Appetit - und die Pfunde schnell wieder auf den Rippen.
Auch die Kombination von Sport und Diät bringt wohl nichts: "Rein mathematisch betrachtet, ist es nicht gerade überzeugend, zwei nutzlose Methoden miteinander zu kombinieren." Wissenschaftlichen Studien zufolge macht es demnach keinen signifikanten Unterschied, ob man eine Abspeckdiät und zusätzlich Ausdauer- oder Krafttraining macht: Zwar nimmt man durch die Diät ab, aber dank des Jo-Jo-Effekts hat man schnell sogar ein paar mehr Pfunde als vorher auf den Hüften. Denn der auf Steinzeit programmierte Körper beugt schlicht der nächsten Hungersnot oder Mißernte vor: "Er ahnt ja nicht, daß sein Verstand bei der Gesundheitsberatung war."
Um den Jo-Jo-Effekt nach einer Diät zu vermeiden, raten die Autoren daher zu einer anderen Methode: Einer Studie zufolge hatten nach einer Diät diejenigen Frauen ein Jahr später ihr Gewicht noch gehalten, die, statt dreimal in der Woche ins Fitnessstudio zu gehen, ein bißchen mehr Bewegung in ihren Alltag brachten. Sie hatten ihren Aktivitätsgrad an fünf Tagen der Woche um rund 30 Minuten gesteigert, etwa durch Treppensteigen, statt den Aufzug zu nutzen, Gehen, statt Auto zu fahren oder Geschirr von der Hand, statt in der Maschine zu spülen. Besonders viele Kalorien schrubbt man sich demnach im übrigen mit Wäschewaschen von Hand wie zu Großmutters Zeiten ab: Neben dem satten Kalorienverbrauch hat der Weihnachtsschlemmerei-Geschädigte dabei, zumindest statistisch gesehen, die besseren Chancen, schlanker zu werden und zu bleiben, als wenn er ins Fitnessstudio geht oder dem Lauftreff der Krankenkasse beitritt. "Allerdings kann es sein, daß Sie am Abend ziemlich alt aussehen, nach einer anständigen Portion Bratkartoffeln mit Eiern und Speck gieren und jene Zeitgenossen beneiden, die weiterhin die Wohltaten der modernen Zivilisation nutzen und so mehr vom Leben haben."
Udo Pollmer, Susanne Warmuth, Gunter Frank: "Lexikon der Fitness-Irrtümer. Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten von Aerobic bis Zerrung". Eichborn Verlag, 2003, 22,90 Euro.
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Nicht immer ist Sport die beste Antwort auf Kekskonsum oder Stress / Führungskräfte setzen sich unter Leistungsdruck / Von Sybille Wilhelm
Einmal im Jahr sind alle gleich: Nämlich dann, wenn mit den Festtagen eine der schwersten Prüfungen im Jahr ansteht. Wer in der kalten Jahreszeit den leckeren Versuchungen nicht widerstehen kann, wird mit Hüftgold & Co. bestraft. Und zwar unabhängig von seiner beruflichen Position: Schließlich essen auch Chefs in dieser Zeit zuviel und bewegen sich zuwenig.
Statistisch gesehen, sind die deutschen Führungskräfte jedoch im Durchschnitt sportlich deutlich aktiver als die Allgemeinbevölkerung. Einer Befragung der Institut für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung (IAS) zufolge treibt jeder zweite Manager mehr als zwei Stunden Sport in der Woche und senkt damit unter anderem das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Als beliebteste Sportart gaben die Manager dabei Joggen an, gefolgt von Radfahren.
Doch nicht immer ist Sport gesund. Während die meisten Führungskräfte Sport als probates Mittel zum Stressabbau verstehen, setzen sich einige damit schon wieder unter Leistungsdruck: "Wir holen beim Frankfurter Eurocity-Marathon regelmäßig eine Reihe von jungen Männern ins Notarztzelt, die völlig überdreht sind", schildert der Allgemeinmediziner Rainer Spichalsky von der Praxis Dr. Spichalsky & Partner aus Friedberg seine Erfahrungen mit zu ehrgeizigen Sportlern. "Das dauert Stunden, bis sie wieder einen normalen Puls haben. Unsere Behandlungsplätze sind dann wirklich ausgelastet."
Das Immunsystem antwortet mit einer Depression
Zwar ist Joggen eine grundsätzlich effektive Sportart - wenn sie denn mit Bedacht und nicht auf Biegen und Brechen ausgeübt wird. Denn der Deutsche bewegt sich bekanntermaßen zuwenig: 3000 Schritte täglich sind es, 7000 sollten es mindestens sein, und 10 000 wären gut. "Aber Schritt kommt von Schreiten, nicht von Rennen. Und die meisten Manager haben dafür keine Zeit", beobachtet Spichalsky. Die Folge: "Statt anderthalb Stunden spazierenzugehen, joggen sie eine halbe Stunde. Dabei übertrainieren sie sich oft und machen alles nur noch schlimmer." Denn wann immer man eine Stufe auf der Trainingstreppe überspringen will, geht dies nach Meinung des Arztes schief.
Wer nach den Festtagen also vor lauter schlechtem Gewissen all das an Bewegung nachholen will, was er über Jahre versäumt hat, tut des Guten zuviel und dreht es sogar ins Gegenteil. Denn wer beispielsweise am Limit der Pulsfrequenz trainiert und den Verbrauch von Mineralstoffen und Spurenelemente nicht kontrolliert, riskiert, daß der Körper durch den Sport erst richtig gestresst ist: "Das Immunsystem antwortet in so einem Fall nicht selten mit einer Depression." Bei einer auch nur geringen Abweichung des morgendlichen Ruhepulses - etwa durch eine Erkältung oder einen Kater - rät der Mediziner zudem, es langsam angehen zu lassen: "Dann ist Joggen nicht erlaubt, sondern nur Gehen. Aber leider hören die meisten Läufer ja nicht auf ihren Körper."
Wunsch nach einer Silhouette längst verflossener Jugendtage
Eine andere Klientel neigt im übrigen auch dazu, es nach den Feiertagen zu übertreiben, um die Kaloriensünden auszugleichen: junge Frauen. In dem "Lexikon der Fitness-Irrtümer" führen die Autoren am Beispiel Joggen aus, daß Frauen dreimal häufiger als Männer unter den schmerzhaften Haarrissen in den Knochen leiden, die nicht selten in Ermüdungsbrüchen enden. Demnach sind die morschen Knochen kein neues Phänomen, sondern wurden zunächst bei Rekruten beobachtet, die lange Fußmärsche hinter sich hatten. Heute sind die Ermüdungsbrüche jedoch eine Zivilisationskrankheit, weil sich so viele Menschen diesem Drill freiwillig unterziehen. "Sie sind beispielsweise ein Kennzeichen der sogenannten athletischen Triade, einem typischen Krankheitsbild bei jungen Frauen, die versuchen, mit Kalorienzählen und Rennen ihr Gewicht zu kontrollieren", heißt es.
Und noch etwas wird die Weihnachtssünder aufatmen lassen: In dem Lexikon wird auch mit dem Vorurteil aufgeräumt, daß Sport grundsätzlich schlank macht. Obwohl die Idee ja durchaus besticht: "Nachdem viele Diätprogramme samt und sonders gescheitert sind, empfehlen die Experten nun eben mehr körperliche Aktivität", warnen die Autoren des etwas anderen Fitness-Ratgebers. "Der Tip mit dem Sport kommt an, vor allem auf dem Markt der Frauen-, Gesundheits- und Fitnessliteratur. Denn je dicker die Kundschaft durch die Diätempfehlungen im Laufe der Jahre wurde, um so übermächtiger wird der Wunsch nach einer Körpersilhouette aus längst verflossenen Jugendtagen." Die schlechte Nachricht: Der Körper reagiert auf den Energieverbrauch beim Sport genauso wie auf die Kalorienknapserei bei einer Diät. Er will nämlich so bleiben, wie er ist. Und der neu motivierte Sportler hat angesichts der übermächtigen Bestandswahrung seines Körpers schnell einfach nur mehr Appetit - und die Pfunde schnell wieder auf den Rippen.
Auch die Kombination von Sport und Diät bringt wohl nichts: "Rein mathematisch betrachtet, ist es nicht gerade überzeugend, zwei nutzlose Methoden miteinander zu kombinieren." Wissenschaftlichen Studien zufolge macht es demnach keinen signifikanten Unterschied, ob man eine Abspeckdiät und zusätzlich Ausdauer- oder Krafttraining macht: Zwar nimmt man durch die Diät ab, aber dank des Jo-Jo-Effekts hat man schnell sogar ein paar mehr Pfunde als vorher auf den Hüften. Denn der auf Steinzeit programmierte Körper beugt schlicht der nächsten Hungersnot oder Mißernte vor: "Er ahnt ja nicht, daß sein Verstand bei der Gesundheitsberatung war."
Um den Jo-Jo-Effekt nach einer Diät zu vermeiden, raten die Autoren daher zu einer anderen Methode: Einer Studie zufolge hatten nach einer Diät diejenigen Frauen ein Jahr später ihr Gewicht noch gehalten, die, statt dreimal in der Woche ins Fitnessstudio zu gehen, ein bißchen mehr Bewegung in ihren Alltag brachten. Sie hatten ihren Aktivitätsgrad an fünf Tagen der Woche um rund 30 Minuten gesteigert, etwa durch Treppensteigen, statt den Aufzug zu nutzen, Gehen, statt Auto zu fahren oder Geschirr von der Hand, statt in der Maschine zu spülen. Besonders viele Kalorien schrubbt man sich demnach im übrigen mit Wäschewaschen von Hand wie zu Großmutters Zeiten ab: Neben dem satten Kalorienverbrauch hat der Weihnachtsschlemmerei-Geschädigte dabei, zumindest statistisch gesehen, die besseren Chancen, schlanker zu werden und zu bleiben, als wenn er ins Fitnessstudio geht oder dem Lauftreff der Krankenkasse beitritt. "Allerdings kann es sein, daß Sie am Abend ziemlich alt aussehen, nach einer anständigen Portion Bratkartoffeln mit Eiern und Speck gieren und jene Zeitgenossen beneiden, die weiterhin die Wohltaten der modernen Zivilisation nutzen und so mehr vom Leben haben."
Udo Pollmer, Susanne Warmuth, Gunter Frank: "Lexikon der Fitness-Irrtümer. Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten von Aerobic bis Zerrung". Eichborn Verlag, 2003, 22,90 Euro.
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