Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2000Qual der Wahl
Konfessionskundliche und sektenkundliche Nachschlagewerke
Hans Gasper, Joachim Müller, Friederike Valentin: Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen. Fakten, Hintergründe, Klärungen. Aktualisierte Ausgabe. Herder Verlag, Freiburg 2000. 1256 Seiten, 38,- Mark.
Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, Freikirchen, Sondergemeinschaften, Sekten, synkretistische Neureligionen und Bewegungen, esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen, missionierende Religionen des Ostens, Neureligionen, kommerzielle Anbieter von Lebensbewältigungshilfen und Psycho-Organisationen. 5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, herausgegeben von Horst Reller, Hans Krech und Matthias Kleiminger. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000. 1111 Seiten, 168,- Mark. Auch als CD-ROM.
Helmut Obst: Apostel und Propheten der Neuzeit. Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000. 627 Seiten, gebunden 78,- Mark, broschiert 58,- Mark.
Drei wichtige konfessions- beziehungsweise "sekten"-kundliche Nachschlagewerke liegen in aktualisierten Auflagen vor und können verglichen werden. Das von Valentin/Müller/Gasper herausgegebene "Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen" bietet griffige Erstinformationen über die immer diffuser werdende Szene der Religionen und Kulte. Interessant sind die Artikel zu Stichworten wie "Eschatologie", "Initiation" oder "Schuld" - jeweils im Kontext unterschiedlicher Religionsgemeinschaften. Entgegen der Ankündigung ist die neueste Auflage jedoch nicht durchgängig aktualisiert, was man dem Artikel "Freikirchen" anmerkt: Hier wird Berlin immer noch als geteilte Stadt wahrgenommen!
Komplett überarbeitet wurde das "Handbuch Religiöse Gemeinschaften". Es bietet den besten Überblick über die religiöse und weltanschauliche Szene. Wie verwirrend diese ist, zeigt die etwas mühselige Aufzählung im Titel des Handbuchs: Dargestellt werden nicht nur traditionelle religiöse Gemeinschaften (sogenannte "Sekten" wie die "Johannische Kirche", "Fiat Lux" oder das "Universelle Leben") und neue Religionen (wie "Falun Gong" und "Soka Gakkai"), sondern auch kommerzielle Anbieter von Lebensbewältigungshilfen und Psycho-Organisationen (wie "Scientology" oder "Landmark Education").
Wer sich als Journalist, Lehrer oder Pfarrer über eine Gemeinschaft informieren will, der findet konzentrierte Darstellungen und Handlungsempfehlungen. So wird nach einem einheitlichen Schema gefragt, ob man aus kirchlicher Sicht - die Autoren sind Sekten- und Weltanschauungsexperten der Evangelischen Kirche - der jeweiligen Gruppe Räume überlassen kann, ob Taufpatenschaften möglich sind, wie interreligiöse Trauungen möglich sind. Eine engagierte Beurteilung schließt die Darstellungen ab. Kritisch bleibt anzumerken, daß die Gliederung eine vergleichsweise starre Struktur bietet: So wird zwischen "Sondergemeinschaften", "Sekten" und "synkretistischen Neureligionen und Bewegungen" klar getrennt, was nicht immer überzeugt. So finden sich die "Zeugen Jehovas" mit der "Christengemeinschaft" in der Rubrik "Sekten". Kann man zwei derart unterschiedliche Gemeinschaften "in einen Topf" werfen? Auch dürften die Anthroposophen nicht glücklich sein, daß sie mit dem Stichwort "Satanismus" in die Abteilung "Esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen" geraten sind. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Hier sind die Herausgeber einem Schubkastendenken erlegen, das der Vielgesichtigkeit und dem Facettenreichtum nicht gerecht wird.
Ebenfalls überarbeitet ist Helmut Obsts Standardwerk über "Apostel und Propheten der Neuzeit". Die letzte Auflage ging 1989/90 in den Wirren der "Wende" unter. Vorher war das Buch für die DDR sehr wichtig gewesen: Thematisierte es doch erstmals das Leben kleinerer Religionsgemeinschaften, die in der DDR eine unscheinbare Existenz ohne jede Öffentlichkeit führten.
Den "DDR-Hintergrund" merkt man der Publikation auch heute noch an. Obst wendet sich den Gemeinschaften mit großer Freundlichkeit und Geduld zu, vermeidet apologetische Spitzen und beschreibt liebevoll ihre Gründergestalten. So finden sich ausführliche Darstellungen zahlreicher "Apostel" des 19. Jahrhunderts, von Joseph Smith (1805 bis 1844, Gründer der "Mormonen"), von Ellen Gould White (1827 bis 1915, geistige "Mutter" der "Siebenten-Tags-Adventisten") und der Gründergestalten der "Zeugen Jehovas". Die Stärke dieser Publikation ist auch ihre Schwäche: Wer sich informieren will, warum es im Umfeld der "Mormonen" immer wieder Konflikte gibt, warum viele Aussteiger über ihre Zeit bei den "Zeugen Jehovas" bittere Lebensberichte schreiben, der findet darauf bei Obst kaum Antworten. Wie der Untertitel sagt, interessiert sich Obst für die Gründergestalten kleinerer Religionsgemeinschaften.
ANDREAS FINCKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Konfessionskundliche und sektenkundliche Nachschlagewerke
Hans Gasper, Joachim Müller, Friederike Valentin: Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen. Fakten, Hintergründe, Klärungen. Aktualisierte Ausgabe. Herder Verlag, Freiburg 2000. 1256 Seiten, 38,- Mark.
Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, Freikirchen, Sondergemeinschaften, Sekten, synkretistische Neureligionen und Bewegungen, esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen, missionierende Religionen des Ostens, Neureligionen, kommerzielle Anbieter von Lebensbewältigungshilfen und Psycho-Organisationen. 5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, herausgegeben von Horst Reller, Hans Krech und Matthias Kleiminger. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000. 1111 Seiten, 168,- Mark. Auch als CD-ROM.
Helmut Obst: Apostel und Propheten der Neuzeit. Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000. 627 Seiten, gebunden 78,- Mark, broschiert 58,- Mark.
Drei wichtige konfessions- beziehungsweise "sekten"-kundliche Nachschlagewerke liegen in aktualisierten Auflagen vor und können verglichen werden. Das von Valentin/Müller/Gasper herausgegebene "Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen" bietet griffige Erstinformationen über die immer diffuser werdende Szene der Religionen und Kulte. Interessant sind die Artikel zu Stichworten wie "Eschatologie", "Initiation" oder "Schuld" - jeweils im Kontext unterschiedlicher Religionsgemeinschaften. Entgegen der Ankündigung ist die neueste Auflage jedoch nicht durchgängig aktualisiert, was man dem Artikel "Freikirchen" anmerkt: Hier wird Berlin immer noch als geteilte Stadt wahrgenommen!
Komplett überarbeitet wurde das "Handbuch Religiöse Gemeinschaften". Es bietet den besten Überblick über die religiöse und weltanschauliche Szene. Wie verwirrend diese ist, zeigt die etwas mühselige Aufzählung im Titel des Handbuchs: Dargestellt werden nicht nur traditionelle religiöse Gemeinschaften (sogenannte "Sekten" wie die "Johannische Kirche", "Fiat Lux" oder das "Universelle Leben") und neue Religionen (wie "Falun Gong" und "Soka Gakkai"), sondern auch kommerzielle Anbieter von Lebensbewältigungshilfen und Psycho-Organisationen (wie "Scientology" oder "Landmark Education").
Wer sich als Journalist, Lehrer oder Pfarrer über eine Gemeinschaft informieren will, der findet konzentrierte Darstellungen und Handlungsempfehlungen. So wird nach einem einheitlichen Schema gefragt, ob man aus kirchlicher Sicht - die Autoren sind Sekten- und Weltanschauungsexperten der Evangelischen Kirche - der jeweiligen Gruppe Räume überlassen kann, ob Taufpatenschaften möglich sind, wie interreligiöse Trauungen möglich sind. Eine engagierte Beurteilung schließt die Darstellungen ab. Kritisch bleibt anzumerken, daß die Gliederung eine vergleichsweise starre Struktur bietet: So wird zwischen "Sondergemeinschaften", "Sekten" und "synkretistischen Neureligionen und Bewegungen" klar getrennt, was nicht immer überzeugt. So finden sich die "Zeugen Jehovas" mit der "Christengemeinschaft" in der Rubrik "Sekten". Kann man zwei derart unterschiedliche Gemeinschaften "in einen Topf" werfen? Auch dürften die Anthroposophen nicht glücklich sein, daß sie mit dem Stichwort "Satanismus" in die Abteilung "Esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen" geraten sind. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Hier sind die Herausgeber einem Schubkastendenken erlegen, das der Vielgesichtigkeit und dem Facettenreichtum nicht gerecht wird.
Ebenfalls überarbeitet ist Helmut Obsts Standardwerk über "Apostel und Propheten der Neuzeit". Die letzte Auflage ging 1989/90 in den Wirren der "Wende" unter. Vorher war das Buch für die DDR sehr wichtig gewesen: Thematisierte es doch erstmals das Leben kleinerer Religionsgemeinschaften, die in der DDR eine unscheinbare Existenz ohne jede Öffentlichkeit führten.
Den "DDR-Hintergrund" merkt man der Publikation auch heute noch an. Obst wendet sich den Gemeinschaften mit großer Freundlichkeit und Geduld zu, vermeidet apologetische Spitzen und beschreibt liebevoll ihre Gründergestalten. So finden sich ausführliche Darstellungen zahlreicher "Apostel" des 19. Jahrhunderts, von Joseph Smith (1805 bis 1844, Gründer der "Mormonen"), von Ellen Gould White (1827 bis 1915, geistige "Mutter" der "Siebenten-Tags-Adventisten") und der Gründergestalten der "Zeugen Jehovas". Die Stärke dieser Publikation ist auch ihre Schwäche: Wer sich informieren will, warum es im Umfeld der "Mormonen" immer wieder Konflikte gibt, warum viele Aussteiger über ihre Zeit bei den "Zeugen Jehovas" bittere Lebensberichte schreiben, der findet darauf bei Obst kaum Antworten. Wie der Untertitel sagt, interessiert sich Obst für die Gründergestalten kleinerer Religionsgemeinschaften.
ANDREAS FINCKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Fincke hat sich drei, in aktualisierten Neuauflagen vorliegende Nachschlagewerke zum Thema Religionen bzw. Sekten angesehen und kommt zu dem Ergebnis: sie "können verglichen werden." Es folgt konsequenterweise eine vergleichende Mehrfachbesprechung.
1) Gasper/Mü
1) Gasper/Mü
"Ein umfassender Einblick in Fakten und Hintergründe der religiösen "Szene". Ein wichtiger Begleiter" (Die Welt)