Im Lexikon der Sprachen beackern renommierte international anerkannte Wissenschafter und Wissenschaftlerinnen ein weites Feld der europäischen Sprachvielfalt und führen Sie in die Sprachen, deren Struktur und Geschichte ein. Versäumen Sie nicht bei der Babylonischen Sprachentwirrung teilzuhaben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2002Der Wohllaut von Osteuropas Idiomen
Am Rande einer europäischen Konferenz, die im Juni 1991 in Prag tagte, wurde der damalige französische Kulturminister Jack Lang dabei ertappt, wie er einem Diplomaten seines Landes die Frage stellte, ob er "tschechoslowakisch" gelernt habe. Bis zur sprachlichen Vereinheitlichung hat es der Tschechoslowakismus aber denn doch nicht gebracht. Sehr wohl aber konnte Anfang der neunziger Jahre bei Tschechen und Slowaken noch ein "passiver Bilinguismus" konstatiert werden (die Sprecher verstanden die jeweils andere Sprache, ohne sie aktiv verwenden zu können), der nun im Schwinden begriffen ist. Die Auflösung des gemeinsamen Staates führte zum Verlust gemeinsamer Massenmedien und schließlich zu einer drastischen Reduktion der Kommunikationsgelegenheiten zwischen den beiden Sprachgruppen. Das Mißverständnis des französischen Kulturministers verriet eine Sehnsucht nach der Erhaltung des Status quo, die von den Völkern im Osten und Südosten Europas enttäuscht wurde. Im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts setzten sie eine umfassende Neuordnung des gesamten Ostens Europas durch, auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und nicht zuletzt sprachlichem Gebiet. Die auf zwanzig Bände projektierte "Wieser Enzyklopädie des Europäischen Ostens", deren Band 10 nun als erster vorliegt (Milos Okuka, Gerald Krenn : "Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens". Wieser Verlag, Klagenfurt 2002. 1032 S., geb., Subskriptionspreis 99,- [Euro], sonst 145,- [Euro]), setzt sich das ambitionierte Ziel, am vorläufigen Ende dieses historischen Prozesses eine wissenschaftliche, enzyklopädisch-lexikalische Gesamtbeschreibung der gegenwärtig einundzwanzig mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder vorzunehmen. Das Projekt ist einzigartig, denn das vor genau hundert Jahren abgeschlossene und vierundzwanzig Bände umfassende "Kronprinzenwerk" Rudolfs von Habsburg hatte sich auf "Die Beschreibung der österreich-ungarischen Monarchie in Wort und Bild" beschränkt. Das "Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens" enthält dagegen Stichwörter zu 114 Sprachen, die von 57 Sprachwissenschaftlern jeweils nach Sprecher und Sprachgebiet, Sprachstruktur, Schrift und Orthographie, kulturellem Überbau und Sprachpolitik dargestellt werden. Dabei wird "Sprache" der Einleitung des Herausgebers Okuka zufolge nicht nur linguistisch definiert, sondern kann sich als Entität "unter Umständen sogar vorrangig auf außerlinguistische Gegebenheiten wie Volk, Nation, Staat" beziehen. Sprachpolitische Regelwut ist ein untrügliches Kennzeichen von nation building und zugleich der bevorzugte Zeitvertreib fast aller autoritären und nationalistischen Regime. Die Regierung Meciar zum Beispiel verordnete mit einem Gesetz den Gebrauch der slowakischen Amtssprache auch im privaten Geschäftsverkehr. Wer seine Bierstube "Pub" nannte, riskierte eine saftige Geldstrafe. Klassischer Fall der Dominanz außerlinguistischer Determinierung ist die Sprachgemeinschaft im ehemaligen Jugoslawien. Die Sprache der Serben, Kroaten, muslimischen Bosnier und Montenegriner ist "sprachgenetisch eindeutig und unumstritten eine Sprache", schreibt Okuka. Im Lexikon ist sie allerdings gleich zehnmal vertreten. Etwa unter dem Stichwort des Slawenoserbischen, das zwischen 1760 und 1850 von den Serben der Habsburgermonarchie gesprochen wurde und der serbischen Sprachreform des Vuk Karadzic wich. Die Wiener Schriftsprachen-Vereinbarung projektierte dann 1850 das Serbokroatische, das bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts lexikalisch und grammatisch kodifiziert wurde. Im Königreich Jugoslawien erfaßte der Unitarismus auch die Slowenen (Serbokroatoslowenisch). Abgesehen von einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkrieges durch das sprachpolitisch hochaktive Ustascha-Regime in Kroatien hatte das Serbokroatische bis zur Auflösung Jugoslawiens Bestand. Eine Rekroatisierung setzte erst in den sechziger und frühen siebziger Jahren wieder ein. Sprachpolitische Kontroversen begleiteten die Agonie des jugoslawischen Staates dann bis an sein blutiges Ende. Das Lexikon erfaßt aber auch bis ins Kuriose hinein fast schon untergegangene Sprachen mit wenigen Hunderten Sprechern und verfolgt noch die geringsten Spuren, die mißlungene historische Festlegungen und unzulängliche Verschriftungen auf den Sprachkarten Ost- und Südosteuropas hinterlassen haben. Wer sich näher für den Osten Europas interessiert, wird an diesem detailreichen und übersichtlichen Lexikon seine Freude haben.
KARL-PETER SCHWARZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Rande einer europäischen Konferenz, die im Juni 1991 in Prag tagte, wurde der damalige französische Kulturminister Jack Lang dabei ertappt, wie er einem Diplomaten seines Landes die Frage stellte, ob er "tschechoslowakisch" gelernt habe. Bis zur sprachlichen Vereinheitlichung hat es der Tschechoslowakismus aber denn doch nicht gebracht. Sehr wohl aber konnte Anfang der neunziger Jahre bei Tschechen und Slowaken noch ein "passiver Bilinguismus" konstatiert werden (die Sprecher verstanden die jeweils andere Sprache, ohne sie aktiv verwenden zu können), der nun im Schwinden begriffen ist. Die Auflösung des gemeinsamen Staates führte zum Verlust gemeinsamer Massenmedien und schließlich zu einer drastischen Reduktion der Kommunikationsgelegenheiten zwischen den beiden Sprachgruppen. Das Mißverständnis des französischen Kulturministers verriet eine Sehnsucht nach der Erhaltung des Status quo, die von den Völkern im Osten und Südosten Europas enttäuscht wurde. Im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts setzten sie eine umfassende Neuordnung des gesamten Ostens Europas durch, auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und nicht zuletzt sprachlichem Gebiet. Die auf zwanzig Bände projektierte "Wieser Enzyklopädie des Europäischen Ostens", deren Band 10 nun als erster vorliegt (Milos Okuka, Gerald Krenn : "Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens". Wieser Verlag, Klagenfurt 2002. 1032 S., geb., Subskriptionspreis 99,- [Euro], sonst 145,- [Euro]), setzt sich das ambitionierte Ziel, am vorläufigen Ende dieses historischen Prozesses eine wissenschaftliche, enzyklopädisch-lexikalische Gesamtbeschreibung der gegenwärtig einundzwanzig mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder vorzunehmen. Das Projekt ist einzigartig, denn das vor genau hundert Jahren abgeschlossene und vierundzwanzig Bände umfassende "Kronprinzenwerk" Rudolfs von Habsburg hatte sich auf "Die Beschreibung der österreich-ungarischen Monarchie in Wort und Bild" beschränkt. Das "Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens" enthält dagegen Stichwörter zu 114 Sprachen, die von 57 Sprachwissenschaftlern jeweils nach Sprecher und Sprachgebiet, Sprachstruktur, Schrift und Orthographie, kulturellem Überbau und Sprachpolitik dargestellt werden. Dabei wird "Sprache" der Einleitung des Herausgebers Okuka zufolge nicht nur linguistisch definiert, sondern kann sich als Entität "unter Umständen sogar vorrangig auf außerlinguistische Gegebenheiten wie Volk, Nation, Staat" beziehen. Sprachpolitische Regelwut ist ein untrügliches Kennzeichen von nation building und zugleich der bevorzugte Zeitvertreib fast aller autoritären und nationalistischen Regime. Die Regierung Meciar zum Beispiel verordnete mit einem Gesetz den Gebrauch der slowakischen Amtssprache auch im privaten Geschäftsverkehr. Wer seine Bierstube "Pub" nannte, riskierte eine saftige Geldstrafe. Klassischer Fall der Dominanz außerlinguistischer Determinierung ist die Sprachgemeinschaft im ehemaligen Jugoslawien. Die Sprache der Serben, Kroaten, muslimischen Bosnier und Montenegriner ist "sprachgenetisch eindeutig und unumstritten eine Sprache", schreibt Okuka. Im Lexikon ist sie allerdings gleich zehnmal vertreten. Etwa unter dem Stichwort des Slawenoserbischen, das zwischen 1760 und 1850 von den Serben der Habsburgermonarchie gesprochen wurde und der serbischen Sprachreform des Vuk Karadzic wich. Die Wiener Schriftsprachen-Vereinbarung projektierte dann 1850 das Serbokroatische, das bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts lexikalisch und grammatisch kodifiziert wurde. Im Königreich Jugoslawien erfaßte der Unitarismus auch die Slowenen (Serbokroatoslowenisch). Abgesehen von einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkrieges durch das sprachpolitisch hochaktive Ustascha-Regime in Kroatien hatte das Serbokroatische bis zur Auflösung Jugoslawiens Bestand. Eine Rekroatisierung setzte erst in den sechziger und frühen siebziger Jahren wieder ein. Sprachpolitische Kontroversen begleiteten die Agonie des jugoslawischen Staates dann bis an sein blutiges Ende. Das Lexikon erfaßt aber auch bis ins Kuriose hinein fast schon untergegangene Sprachen mit wenigen Hunderten Sprechern und verfolgt noch die geringsten Spuren, die mißlungene historische Festlegungen und unzulängliche Verschriftungen auf den Sprachkarten Ost- und Südosteuropas hinterlassen haben. Wer sich näher für den Osten Europas interessiert, wird an diesem detailreichen und übersichtlichen Lexikon seine Freude haben.
KARL-PETER SCHWARZ
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Karl-Peter Schwarz würdigt das Lexikon als ein "einzigartiges Projekt". Es hat sich zur Aufgabe gemacht, alle Sprachen Osteuropas zu erfassen und sowohl linguistische wie kulturelle und politische Besonderheiten aufzunehmen, fasst der Rezensent zusammen. Dabei werden, wie Schwarz beeindruckt feststellt, auch Sprachen, die nur noch von sehr wenigen Menschen gesprochen werden, bedacht. Er preist das Lexikon für seinen Detailreichtum und seine Übersichtlichkeit, und er stellt lobend fest, dass, wer sich für Osteuropa interessiert, seine "Freude" daran haben wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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