Produktdetails
- Reclam Bibliothek
- Verlag: Reclam, Leipzig
- Abmessung: 185mm
- Gewicht: 200g
- ISBN-13: 9783379016520
- ISBN-10: 3379016527
- Artikelnr.: 24124064
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.1999Quo vadis, Johnny?
Up, up and away, Pegasus: Ein Lexikon wunderbarer Fahrzeuge
Wenn das Leben leer und bedeutungslos erscheint, dann möchte man aufbrechen zu Liebe, Lust und Abenteuer. Wer auf unserem Planeten hauptsächlich öde Orte vorfindet, braucht phantastische Fortbewegungsmittel, die ihn in stimulierendere Gegenden befördern. Hartmut Kasper hat mit einem zwanzigköpfigen Autorenkollektiv Beschreibungen wunderbarer Fahrzeuge zusammengetragen.
Um der Banalität des Alltags zu entkommen, genügt bereits der Autoskooter, jener "elektrisch betriebene Zweisitzer, der auf Jahrmärkten in spielerischer Weise die Dorfjugend mit den Freuden des Individualverkehrs vertraut macht". Andere Verkehrsmittel, wie das auf einem Hühnerbein laufende Haus der russischen Hexe Baba Jaga, stammen aus Märchen, Sagen und Legenden. Aus Film und Fernsehen kennt man den Aston Martin DB 5 des Geheimagenten 007 oder das Augenzwinkern, mit dem sich die bezaubernde Jeannie zu teleportieren vermag. Natürlich fehlen weder das Raumschiff Enterprise, noch der Raumkreuzer Orion, noch Donald Ducks rassiger Roadster mit dem Kennzeichen 313 in der Sammlung. Selbst an die beiden großen Lehrmeinungen des Buddhismus, das Kleine Fahrzeug und das Große Fahrzeug, wurde gedacht. Sogar die Elevation des preußischen Ikarus Wolf Biermann ("Dann flieg ich hoch - dann stürz ich ab") wird unter der Rubrik "Eisenflügel" erwähnt. Daß Walter Gropius den nie gebauten Dessauer Gleitbalkon ersann, dürfte nur einer Minderheit bekannt sein. Den kürzesten Eintrag findet man unter "Rosebud": "war der Schlitten."
Manche Verkehrsmittel werden recht feinsinnig analysiert. So wird unter "Geisterbahn" die diesseitige Kirchweihattraktion (Besichtigung zeitlich befristet und kostenpflichtig) mit der jenseitigen Hölle verglichen, die unendliche Verweildauer bei freiem Eintritt bietet. Auch die Wirtschaftlichkeitsanalyse des Zuges nach nirgendwo besticht durch Scharfsinn. Christian Anders sang bekanntlich: "Es fährt ein Zug nach nirgendwo mit mir allein als Passagier." Da ließ natürlich die Streckenstillegung nicht lange auf sich warten. Hingegen werden wir über jenen Johnny, der das knallrote Gummiboot besitzt, im unklaren gelassen; wenig fundierte Behauptungen, es handele sich um einen zwanghaft veranlagten Gummifetischisten, können nicht überzeugen.
Einige Fortbewegungsmittel wurden von den Autoren der drohenden Vergessenheit entrissen, unter ihnen Jimmy, das Gummipferd des Gauchos Julio, dessen Abenteuer zwischen 1953 und 1977 in der Illustrierten "Stern" veröffentlicht wurden. Die Aeroplane von Brescia sind von Vakuumkugeln getragene Luftschiffe, die der Jesuit Francesco Lana di Terzi (1631 bis 1687) entwarf. Franz Kafka schrieb für die Zeitung "Bohemia" den ersten deutschsprachigen Bericht über diese kafkaesken Flugmaschinen. Der OMW 2000 war ein Auto mit von außen verstellbarem Innenspiegel, von dem Otto Waalkes berichtete, als er noch lustig war. Eine Spezialität der DDR war das "unterrichtsplanmäßige sowjetische Raumschiff", das im Zeichenunterricht der siebten Klasse den Schülern den "Wagemut, die Kühnheit sowjetischer Menschen, die Romantik und Poesie der eroberten Umwelt" bildhaft nahebringen sollte.
Das Beispiel der Raumfahrt zeigt aber auch, was uns mit unseren modernen Verkehrsmitteln verloren geht. Während Jules Vernes Phileas Fogg im phantastischen Roman die Welt in achtzig Tagen umrundet und dabei die indische Schönheit Aouda rettet, brauchen heutige Astronauten dafür nur wenig mehr als achtzig Minuten und könnten sogar auf sämtlichen Kontinenten zwischenlanden, um ortsübliche Spezialitäten an Bord zu nehmen. Nur Indische Prinzessinnen retten sie nicht mehr.
Besonders verblüffend ist die Beschreibung der Barmen-Elberfelder Schwebebahn von 1845, deren zwei Waggons von den telekinetisch hochbegabten Brüdern Bauer im Zustand der Levitation gehalten wurden. Nach einer Kollision der beiden Waggons sei der Betrieb eingestellt und erst 1901 im Rahmen der Denkmalpflege wiederaufgenommen worden. Leider sind die nachgebauten Fahrzeuge nie wieder geschwebt.
Dem Anspruch, ein Lexikon zu sein, kann der kleine Paperback-Band nicht gerecht werden, denn dafür ist er einfach zu unvollständig. Vermißt werden unter anderem das eifersüchtige rote Coupé "Christine" aus Stephen Kings gleichnamigem Klassiker, die Superpillen, mit deren Hilfe sich Stanley Beamish in die Lüfte erhob, oder die Zukunftsfahrzeuge, die man in zahlreichen Visionen der fünfziger Jahre durch das damals ferne Jahr 2000 eilen sah.
Für erwachsen gewordene Träumer mag das Büchlein ein Quell glückseliger Erinnerungen an schwärmerische Kindertage sein, den anderen dient es vielleicht als Ermutigung, neue Wege zu beschreiten, denn der Weg ist das Ziel.
HARTMUT HÄNSEL
Hartmut Kasper (Hrsg.): "Lexikon der wunderbaren Fahrzeuge". Reclam Verlag, Leipzig 1999. 221 Seiten, 18 Abb., br., 16,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Up, up and away, Pegasus: Ein Lexikon wunderbarer Fahrzeuge
Wenn das Leben leer und bedeutungslos erscheint, dann möchte man aufbrechen zu Liebe, Lust und Abenteuer. Wer auf unserem Planeten hauptsächlich öde Orte vorfindet, braucht phantastische Fortbewegungsmittel, die ihn in stimulierendere Gegenden befördern. Hartmut Kasper hat mit einem zwanzigköpfigen Autorenkollektiv Beschreibungen wunderbarer Fahrzeuge zusammengetragen.
Um der Banalität des Alltags zu entkommen, genügt bereits der Autoskooter, jener "elektrisch betriebene Zweisitzer, der auf Jahrmärkten in spielerischer Weise die Dorfjugend mit den Freuden des Individualverkehrs vertraut macht". Andere Verkehrsmittel, wie das auf einem Hühnerbein laufende Haus der russischen Hexe Baba Jaga, stammen aus Märchen, Sagen und Legenden. Aus Film und Fernsehen kennt man den Aston Martin DB 5 des Geheimagenten 007 oder das Augenzwinkern, mit dem sich die bezaubernde Jeannie zu teleportieren vermag. Natürlich fehlen weder das Raumschiff Enterprise, noch der Raumkreuzer Orion, noch Donald Ducks rassiger Roadster mit dem Kennzeichen 313 in der Sammlung. Selbst an die beiden großen Lehrmeinungen des Buddhismus, das Kleine Fahrzeug und das Große Fahrzeug, wurde gedacht. Sogar die Elevation des preußischen Ikarus Wolf Biermann ("Dann flieg ich hoch - dann stürz ich ab") wird unter der Rubrik "Eisenflügel" erwähnt. Daß Walter Gropius den nie gebauten Dessauer Gleitbalkon ersann, dürfte nur einer Minderheit bekannt sein. Den kürzesten Eintrag findet man unter "Rosebud": "war der Schlitten."
Manche Verkehrsmittel werden recht feinsinnig analysiert. So wird unter "Geisterbahn" die diesseitige Kirchweihattraktion (Besichtigung zeitlich befristet und kostenpflichtig) mit der jenseitigen Hölle verglichen, die unendliche Verweildauer bei freiem Eintritt bietet. Auch die Wirtschaftlichkeitsanalyse des Zuges nach nirgendwo besticht durch Scharfsinn. Christian Anders sang bekanntlich: "Es fährt ein Zug nach nirgendwo mit mir allein als Passagier." Da ließ natürlich die Streckenstillegung nicht lange auf sich warten. Hingegen werden wir über jenen Johnny, der das knallrote Gummiboot besitzt, im unklaren gelassen; wenig fundierte Behauptungen, es handele sich um einen zwanghaft veranlagten Gummifetischisten, können nicht überzeugen.
Einige Fortbewegungsmittel wurden von den Autoren der drohenden Vergessenheit entrissen, unter ihnen Jimmy, das Gummipferd des Gauchos Julio, dessen Abenteuer zwischen 1953 und 1977 in der Illustrierten "Stern" veröffentlicht wurden. Die Aeroplane von Brescia sind von Vakuumkugeln getragene Luftschiffe, die der Jesuit Francesco Lana di Terzi (1631 bis 1687) entwarf. Franz Kafka schrieb für die Zeitung "Bohemia" den ersten deutschsprachigen Bericht über diese kafkaesken Flugmaschinen. Der OMW 2000 war ein Auto mit von außen verstellbarem Innenspiegel, von dem Otto Waalkes berichtete, als er noch lustig war. Eine Spezialität der DDR war das "unterrichtsplanmäßige sowjetische Raumschiff", das im Zeichenunterricht der siebten Klasse den Schülern den "Wagemut, die Kühnheit sowjetischer Menschen, die Romantik und Poesie der eroberten Umwelt" bildhaft nahebringen sollte.
Das Beispiel der Raumfahrt zeigt aber auch, was uns mit unseren modernen Verkehrsmitteln verloren geht. Während Jules Vernes Phileas Fogg im phantastischen Roman die Welt in achtzig Tagen umrundet und dabei die indische Schönheit Aouda rettet, brauchen heutige Astronauten dafür nur wenig mehr als achtzig Minuten und könnten sogar auf sämtlichen Kontinenten zwischenlanden, um ortsübliche Spezialitäten an Bord zu nehmen. Nur Indische Prinzessinnen retten sie nicht mehr.
Besonders verblüffend ist die Beschreibung der Barmen-Elberfelder Schwebebahn von 1845, deren zwei Waggons von den telekinetisch hochbegabten Brüdern Bauer im Zustand der Levitation gehalten wurden. Nach einer Kollision der beiden Waggons sei der Betrieb eingestellt und erst 1901 im Rahmen der Denkmalpflege wiederaufgenommen worden. Leider sind die nachgebauten Fahrzeuge nie wieder geschwebt.
Dem Anspruch, ein Lexikon zu sein, kann der kleine Paperback-Band nicht gerecht werden, denn dafür ist er einfach zu unvollständig. Vermißt werden unter anderem das eifersüchtige rote Coupé "Christine" aus Stephen Kings gleichnamigem Klassiker, die Superpillen, mit deren Hilfe sich Stanley Beamish in die Lüfte erhob, oder die Zukunftsfahrzeuge, die man in zahlreichen Visionen der fünfziger Jahre durch das damals ferne Jahr 2000 eilen sah.
Für erwachsen gewordene Träumer mag das Büchlein ein Quell glückseliger Erinnerungen an schwärmerische Kindertage sein, den anderen dient es vielleicht als Ermutigung, neue Wege zu beschreiten, denn der Weg ist das Ziel.
HARTMUT HÄNSEL
Hartmut Kasper (Hrsg.): "Lexikon der wunderbaren Fahrzeuge". Reclam Verlag, Leipzig 1999. 221 Seiten, 18 Abb., br., 16,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main