Mit dem Lexikon zur Geschichte Südosteuropas liegt ein Nachschlagewerk vor, das sich ebenso an ein breiter interessiertes wie an ein Fachpublikum wendet und zugleich einen Leistungsausweis der deutschsprachigen und internationalen Südosteuropahistorie versucht. In 544 Stichwörtern informieren die 62 Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Ungarn und den USA knapp und informativ über Raumbegriffe, Völker, Staaten, Dynastien und zentrale Termini zur Geschichte Südosteuropas, betrachtet von Byzanz bis zur Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich bzw. von den heutigen Staaten zwischen Slowenien, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und der Moldau bis Griechenland. Die behandelte Zeit reicht vom Frühmittelalter bis in die Gegenwart. Zahlreiche Querverweise und ein aktuelles Literaturverzeichnis zu den Stichwörtern erleichtern die Benützung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2005Entwirrend
SÜDOSTEUROPA. Ein verdienstvolles Nachschlagewerk: Die verworrenen historischen, ethnischen und nationalen Verästelungen dürften so manchem das Interesse an diesem zerklüfteten Teil Europas vergällt haben. Allein die Völker, Dynastien und Glaubensgemeinschaften: Wer sind, was waren Aromunen, Aseniden, Awaren? Wo leben die Bunjevacen? Warum raubten die Klephten? Das vom Südost-Institut in München vorgelegte Lexikon erhebt den Anspruch, derlei Fragen nicht nur Spezialisten, sondern auch interessierten Laien zu beantworten - und es hält den Anspruch. Das Buch ist ein Nachschlagewerk, doch sind viele Beiträge bei aller Wissenschaftlichkeit so ansprechend geschrieben und redigiert, daß man sich leicht festlesen kann darin. Sie umfassen eine Zeitspanne vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart - und sind nicht nur Raumbegriffen und politischen Ideen (Jugoslawismus, Panslawismus) gewidmet, sondern auch der Wirkung, die historische Ereignisse und Abläufe von weltweiter Bedeutung auf Südosteuropa hatten, etwa die Reformation, die europäischen Revolutionen oder der Kalte Krieg. Erklärt werden zudem türkische Begriffe aus der osmanischen Zeit, die zum Teil in die auf dem Balkan gesprochenen Sprachen Eingang gefunden haben. Es finden sich Abschnitte über Aufstieg und Fall von Völkern, Städten, Staaten, über Aufkommen und Verschwinden von Sprachen, Religionen, Weltanschauungen. Die Wandlung von Allianzen und Kräfteverhältnissen werden skizziert, auch die wichtigen Schlachten und Kriege. Man findet die Geschichte des Buchdrucks, der Alphabetisierung, der Universitäten, der Einflüsse der Großmächte, der Wirkungen von Industrialisierung oder des Parlamentarismus in der Region erläutert. Hilfreich sind auch historische Abrisse der Parteienlandschaften und die Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Südosteuropas - etwa zu Familienstrukturen, Blutrache, Knabenlese, Bodenreformen und Zünften. Weil manche Autoren ihre Beiträge offenbar nicht oder jedenfalls nicht fristgerecht ablieferten, fehlen einige Beiträge, so zur Geschichte Belgrads. Auch zur jugoslawischen Partisanenbewegung existiert kein eigener Eintrag. Das schmälert den Wert dieses Buches aber nur unwesentlich. Das Gemeinschaftswerk soll Orientierung ermöglichen, indem es den südöstlichen Teil von Europa entwirrt und ihn als Geschichtsregion bekannt macht. Das ist gelungen. (Edgar Hösch/Karl Nehring/Holm Sundhaussen : Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Redaktion: Konrad Clewing. Böhlau Verlag, Wien 2004. 776 Seiten, 34,90 [Euro].)
tens.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
SÜDOSTEUROPA. Ein verdienstvolles Nachschlagewerk: Die verworrenen historischen, ethnischen und nationalen Verästelungen dürften so manchem das Interesse an diesem zerklüfteten Teil Europas vergällt haben. Allein die Völker, Dynastien und Glaubensgemeinschaften: Wer sind, was waren Aromunen, Aseniden, Awaren? Wo leben die Bunjevacen? Warum raubten die Klephten? Das vom Südost-Institut in München vorgelegte Lexikon erhebt den Anspruch, derlei Fragen nicht nur Spezialisten, sondern auch interessierten Laien zu beantworten - und es hält den Anspruch. Das Buch ist ein Nachschlagewerk, doch sind viele Beiträge bei aller Wissenschaftlichkeit so ansprechend geschrieben und redigiert, daß man sich leicht festlesen kann darin. Sie umfassen eine Zeitspanne vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart - und sind nicht nur Raumbegriffen und politischen Ideen (Jugoslawismus, Panslawismus) gewidmet, sondern auch der Wirkung, die historische Ereignisse und Abläufe von weltweiter Bedeutung auf Südosteuropa hatten, etwa die Reformation, die europäischen Revolutionen oder der Kalte Krieg. Erklärt werden zudem türkische Begriffe aus der osmanischen Zeit, die zum Teil in die auf dem Balkan gesprochenen Sprachen Eingang gefunden haben. Es finden sich Abschnitte über Aufstieg und Fall von Völkern, Städten, Staaten, über Aufkommen und Verschwinden von Sprachen, Religionen, Weltanschauungen. Die Wandlung von Allianzen und Kräfteverhältnissen werden skizziert, auch die wichtigen Schlachten und Kriege. Man findet die Geschichte des Buchdrucks, der Alphabetisierung, der Universitäten, der Einflüsse der Großmächte, der Wirkungen von Industrialisierung oder des Parlamentarismus in der Region erläutert. Hilfreich sind auch historische Abrisse der Parteienlandschaften und die Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Südosteuropas - etwa zu Familienstrukturen, Blutrache, Knabenlese, Bodenreformen und Zünften. Weil manche Autoren ihre Beiträge offenbar nicht oder jedenfalls nicht fristgerecht ablieferten, fehlen einige Beiträge, so zur Geschichte Belgrads. Auch zur jugoslawischen Partisanenbewegung existiert kein eigener Eintrag. Das schmälert den Wert dieses Buches aber nur unwesentlich. Das Gemeinschaftswerk soll Orientierung ermöglichen, indem es den südöstlichen Teil von Europa entwirrt und ihn als Geschichtsregion bekannt macht. Das ist gelungen. (Edgar Hösch/Karl Nehring/Holm Sundhaussen : Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Redaktion: Konrad Clewing. Böhlau Verlag, Wien 2004. 776 Seiten, 34,90 [Euro].)
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Endlich beginnt die Forschung, Südosteuropa als eigenen Kulturraum zu propagieren, freut sich Oliver Jens Schmitt und verweist darauf, dass die Region in der Öffentlichkeit nach wie vor nur als Krisenraum wahrgenommen wird, obwohl es sich doch um eine der "ältesten Geschichtslandschaften des alten Kontinents" handelt. Es wurde außerdem höchste Zeit, stellt Schmitt fest, Südosteuropa aus der osteuropäischen Geschichtsforschung herauszulösen, die von der russischen Geschichte dominiert sei, und zum Verständnis der aktuellen Konflikte den Blick auf historische Tiefenstrukturen zu richten. Genau das leistet seines Erachtens das neue "Lexikon zur Geschichte Südosteuropas", herausgegeben vom Münchner Südost-Institut, das in 544 Artikeln Staaten, Völker, Schlüsselbegriffe und geografische Termini Südosteuropas abhandelt, wobei das neue Nachschlagewerk, versichert der Rezensent, über den engeren Balkanraum hinausgeht und auch Rumänien, Ungarn und die Slowakei einbezieht. Die Beiträge entsprechen dem jüngsten Forschungsstand, verspricht Schmitt, politisch und ethnisch heikle Fragen werden mit wohltuender Distanz abgehandelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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