"Definierbar", so Friedrich Nietzsche, sei nur, "was keine Geschichte hat." Das Problem einer verbindlichen Definition von Liberalismus ist selbst das Ergebnis eines komplexen historischen Prozesses, in dem aus antiken Ursprüngen, aus liberalis und liberalitas, und aus vorpolitischen Bedeutungen schließlich der moderne Begriff Liberalismus entstand. Aber innerhalb des Umbruchs der altständischen Lebenswelt seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts bündelten sich in der Geschichte des neuartigen Deutungsmusters Liberalismus ganz unterschiedliche Erfahrungen und Erwartungen der Zeitgenossen. Eine europäisch komparative Untersuchung der historischen Semantik und die Rekonstruktion der zeitgenössischen Debatten über Gehalt und Strategie von Liberalismus vermitteln Einsichten in die Wahrnehmung vergangener Gegenwart, ohne die sich politisches Denken und Handeln in der Schwellenepoche des 19. Jahrhunderts nicht nachvollziehen lassen. Aus der quellennahen und systematischen Gegenüberstellung der Ursprünge und Wandlungen von libéralisme, Liberalismus, liberalismo und liberalism in Frankreich, Deutschland, Italien und England ergibt sich die Vielgestaltigkeit des Phänomens: Mit dem historisch-semantischen Vierländervergleich trägt die Arbeit über begriffsgeschichtliche Unterscheidungsmerkmale zu einer Typologie epochenspezifischer Liberalismen im europäischen Kontext bei.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nicht weniger als eine Pionierstudie stellt dieser Band für unseren Rezensenten dar. Ein Buch über den Liberalismus, so Eckart Conze, das Maßstäbe setzt für jede weitere Beschäftigung mit dem Thema. Als Ausgangspunkt der "magistralen Studie" sieht Conze den Wunsch des Autors, Dieter Langeswiesches Wort von den Liberalen, die die Welt verändern wollten, zu differenzieren: "Liberale wollten zu je unterschiedlichen Zeiten eine je unterschiedliche Welt verändern." Von hier aus entwickelt der Autor seine vergleichende Untersuchung der historischen Semantik von Liberalismus im 19. Jahrhundert und seine Vorstellung eines homogenen Liberalismus. In der komparatistischen Perspektive der Arbeit erkennt Conze die Chance, "semantische Sonderwege" zu identifizieren: Wie in Frankreich aus dem Oppositionsbegriff "liberal" ein Zentralbegriff der Juli-Monarchie wurde, wie der Begriff im Deutschland der Metternich-Ära wiederum vom antirevolutionären zum Oppositionsbegriff sich wandelte, und wie Liberalismus in England für ein politische Kultur der Kontinuität stehen konnte. Dass der Autor "diese politische Diskursanalyse" zurückzubinden versteht an die sozialisatorische Frage nach den Trägergruppen des Diskurses, ist für den Rezensenten ein weiteres Plus der Untersuchung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Daß dieses Werk als Doktorarbeit daherkommt, ist eigentlich ein Namensmißbrauch, sofern man nach dem Gesellenstück noch Freiraum erkennen will für eine Steigerung. Leonhard ist mit seinem Erstlingsbuch ein grundlegendes Werke zum europäischen Liberalismus im 18. und 19. Jahrhundert und zugleich zur Methodik der historischen Semantik gelungen. Wer sich mit einem dieser beiden Themenfelder künftig beschäftigen will, muß dieses Werk Seite für Seite, und davon gibt es viele, sorgfältig studieren." Dieter Langewiesche in: Neue Politische Literatur 47/3 (2002) "Diese [die künftige Forschung] wird indes an der Pionierstudie von Leonhard nicht vorbei kommen, die Maßstäbe gesetzt hat für jede weitere Beschäftigung mit dem Thema." Eckart Conze, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.06.2002 "Zukünftige Forschungen zur Begriffs- und modernen Ideengeschichte sowie zum Liberalismus werden daher in dieser Arbeit die Maßstäbe für jede weitere Beschäftigung mit sprachlicher Erfassung und Verarbeitung von Geschichte finden." (Christian Müller, H-Soz-u-Kult, März 2003)