Im Gegensatz zum "Worldshaker", bei dem sich die Handlung der Geschichte auf das Geschehen an Bord konzentrierte und Col und Riff Dreh- und Angelpunkt für alle Handlungsstränge waren, beschreitet Richard Harland mit dem "Liberator" neue Wege. Statt mit dem Liberator in ruhigen Gewässern zu shippern
- soweit das mit dem Geist der Revolution an Bord möglich ist, kippt die Revolution und die…mehrIm Gegensatz zum "Worldshaker", bei dem sich die Handlung der Geschichte auf das Geschehen an Bord konzentrierte und Col und Riff Dreh- und Angelpunkt für alle Handlungsstränge waren, beschreitet Richard Harland mit dem "Liberator" neue Wege. Statt mit dem Liberator in ruhigen Gewässern zu shippern - soweit das mit dem Geist der Revolution an Bord möglich ist, kippt die Revolution und die Missstände breiten sich weit über die Bordgrenzen aus und greifen sogar auf Kohlestationen und die Staatsfahrzeuge der anderen Nationen über. Das Geschehen erlangt durch den größeren Handlungsradius mehr Facetten und ist insgesamt actionreicher. Trotzdem leiden darunter Richards Harlands Charakterstudien nicht, die mich im ersten Band so fasziniert haben. Zwar besteht die feste Bindung zwischen Col und Riff nicht mehr in dem Maße, wie es in "Worldshaker" der Fall war, aber das ist ein stilistisches Mittel, um die Zweifel von Col und Riff darzustellen, ob die Liebe zwischen zwei Gesellschaftsschichten überhaupt eine Chance hat, oder ob sie von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Der Autor hat mich bereits im "Worldshaker" mit der Entwicklung einiger Charaktere überrascht, aber sein Pulver damit noch lange nicht verschossen. In "Liberator" kommen einige Charaktere zum Zuge, die im Vorgängerband noch nicht in diesem Maße eine Rolle gespielt hatten, einige überraschen mit Entwicklungen, die man ihnen auf Grund ihrer Rolle im ersten Band nicht zugetraut hätte. Doch über allem steht der Charakter von Lye, die trotz ihrer kalten und radikalen Seite fasziniert. Der Leser erlebt die Entstehung einer Diktatur von Beginn an mit, jugendgerecht umgesetzt und ohne das Kind beim Namen zu nennen. Die Figur der Lye und das Machtregime an Bord des Liberator lassen viel Spielraum zum Nachdenken und Weiterspinnen, das Geschehen kommt zwischenzeitlich immer wieder kurz zur Ruhe, bevor Richard Harland weitere Fäden spinnt und verstrickt und den Leser wieder und wieder aufs Neue überrascht, wenn er sich gerade in ruhigeren Fahrtwassern wähnte. Lye ist unsympathisch und sie ist eine Egoistin, aber es ist tatsächlich fesselnd zu lesen wie es eine Außenseiterin schafft an die Macht zu gelangen, nicht, weil sie etwas Besonderes kann, sondern weil sie sich gut verkaufen kann und die Massen durch ihre Reden und ihr Auftreten auf ihre Seite zieht. Sie übt funktionale Empathie aus, um die Massen auf ihre Seite zu ziehen. Richard Harland zeichnet einige Charaktere sehr überspitzt, so ist der Charakter des Lehrers Mr. Gibber schon nahezu absurd, aber für mich unterstreicht das noch den Wahnsinn, der einer Diktatur innewohnt und die Absurdität der ganzen Situation an sich.
Auch wenn die zarte Liebesgeschichte zwischen Col und Riff darüber ins Hintertreffen geraten ist, so ist - gerade für die weiblichen Leser – doch noch für einen gewissen Herzschmerzfaktor gesorgt und in meinen Augen ist Richard Harland die Balance sehr gut gelungen zwischen dem sozialkritischen Stoff und den emotionalen Bindungen, die nicht nur zwischen Col und Riff, sondern auch zwischen anderen Personen an Bord be- beziehungsweise entstehen.
Das Ende dieser bemerkenswerten Dilogie würde durchaus noch Stoff für eine equivalente Fortsetzung bieten, doch irgendwie gefällt mir der Gedanke, genau an der Stelle Col und Riff zu verlassen, an der Richard Harland seine Leser von Bord schickt und mir ihre Zukunft selbst weiterzuspinnen.
Mit "Worldshaker" und "Liberator" hat Richard Harland einen Zweiteiler über ein zeitlos brisantes Thema verfasst, der trotz der jugendlichen Sprache auch erwachsene Leser zu fesseln vermag und noch lange, nachdem man die Bücher zugeklappt hat, nachwirkt.