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Die neuen Gedichte der Sprachschöpferin Marica Bodrozic: Zwischen Transzendenz, Erotik, irdischen Spiegelungen und verborgenen Bühnen der Weiblichkeit bewegen sich diese Texte, als könnten sie dabei immerwährend den Satz Peter Altenbergs verlebendigen: Bewege dich, so wirst du schön. Hier ist diese Bewegung kein leeres Versprechen und auch die Sätze werden zu berührbaren Körpern.

Produktbeschreibung
Die neuen Gedichte der Sprachschöpferin Marica Bodrozic: Zwischen Transzendenz, Erotik, irdischen Spiegelungen und verborgenen Bühnen der Weiblichkeit bewegen sich diese Texte, als könnten sie dabei immerwährend den Satz Peter Altenbergs verlebendigen: Bewege dich, so wirst du schön. Hier ist diese Bewegung kein leeres Versprechen und auch die Sätze werden zu berührbaren Körpern.
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Autorenporträt
Marica Bodrozic: geboren 1973 in Dalmatien, heutiges Kroatien, lebt seit 1983 in Deutschland. Sie studierte Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik in Frankfurt am Main. Es folgten langjährige Aufenthalte in Paris und Zürich. Für ihre literarischen Arbeiten erhielt sie zahlreiche Stipendien und Preise. Marica Bodrozic lebt als freie Schriftstellerin in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2008

Das lyrische Ich ist bloß erfunden

Diese Brückenbauerin von Mostar arbeitet mit haltbarem Material: Die Lyrikerin Marica Bodrozic besingt ihre dalmatinische Heimat und den Balkan-Krieg.

Sie behauptet: "Die Schnittpunkte der Wahrnehmung haben alle großen Lyriker zum Gedicht geführt." Die 1973 in Kroatien geborene Marica Bodrozic schreibt dies in der Zeitschrift "Bellatriste" und gibt ihrem zweiten Gedichtband den Titel "Lichtorgeln" - ein Wort, das die Synästhesie selbst in sich trägt. Synästhetische Wahrnehmung gibt es seit der Antike, als Vermischung verschiedener Sinnesbereiche findet sie ihren Ausdruck in der Trope. Insbesondere die romantische Literatur nutzte diese Stilfigur zur Umsetzung einer gattungsübergreifenden Poetisierung der Welt. "Alle Sinne sind am Ende ein Sinn. Ein Sinn führt wie eine Welt allmählich zu allen Welten", sagt Novalis; und in Brentanos "Abendständchen" heißt es "Blickt zu mir der Töne Licht".

Doch Marica Bodrozic wird weder ein neoromantisches Konzept der Gegenwartslyrik einläuten wollen noch auf Effektgeräte der siebziger Jahre anspielen, die in Diskotheken Musik nach Lautstärke und Rhythmus in Lichteffekte umsetzten und ebenfalls als Lichtorgeln bezeichnet werden. Vielmehr kreist die Lyrikerin mit ihrem Titel um den Moment der Inspiration: "Ich kann nur Gedichte schreiben, wenn meine Wahrnehmung mich dazu drängt." Formal lehnt sie ihre Gedichte zwar an die von Schlegel geforderte Gattungsmischung an, indem sie Lyrik und Prosa zum Poem vereint. Doch inhaltlich löst sie die Idee der Synästhesie vom romantischen Ideal der Universalpoesie.

Ihre Gedichte versuchen nicht, die Sinnesverschmelzung sprachlich abzubilden. Vielmehr geht diese ihnen als Moment der Inspiration voraus und bildet den Ausgangspunkt des poetischen Sprechens. Das Gedicht selbst bleibt im Imaginierten verhaftet, kann und muss diese Distanz zum Erlebten jedoch zum Thema erheben: "VOR MEINEM FENSTER waren Lichtorgeln aufgestellt worden, das Baugerüst hatte man abgenommen. An den Orgeln hingen viele Menschen, wie auf einem überfüllten Schiff / in den zwanziger Jahren / nach New York. Arme waren zu sehen, Ohren, Füße, mit und ohne Schuhe, ganz viele Augen, eine Augenwoge. Schließlich war durch den Betrieb an den Lichtorgeln der ganze Himmel verdeckt, ich sah nicht einmal mehr die Bäume von gegenüber, selbst die Wipfel schienen etwas von mir Erdachtes zu sein." Die Dichte der synästhetischen Wahrnehmung wird nur in ihren sinnlichen Einzelheiten sprachlich darstellbar. So kann ein Gesamtbild entstehen, das mehr ist als die Summe seiner fassbaren Momente. Die Orgel ist dabei als kirchliches Instrument ein Symbol für die Versinnlichung der Transzendenz.

Thematisch kehren die Gedichte immer wieder zurück in die Heimat Dalmatien. Die zurückgelassene Kindheit wird aufgerufen, die Muttersprache und auch der Krieg in Bosnien und Hercegovina. Mit Stari most, dem Wahrzeichen der Stadt Mostar, findet dieser Einschnitt sein Bild. Die Alte Brücke überspannt den Fluss Neretva und wurde 1993 im Krieg zerstört. "Hastig lasst ihr uns wirken, die Brücke in Mostar, sommers, ich werde mich kennen, wenn sie neu ist, wenn sie neu da steht (und die Schulzeit meiner Tante und Mutter wieder begehbar wird) / und mich trägt, über die Sätze und das Wasser der Menschen, wie sie mich trägt, und am Ufer der Dortigen, gehend, werde ich zu den anderen Dortigen schauen, werde gehen / sehen, dass alles Dort ist, das Hier und das Dort, da die Brücke wieder da ist und Mutter und Tante und ich, beweisbar geworden."

Die Sprache macht sich dabei immer wieder selbst zum Thema, fragt nach ihren Möglichkeiten und ihrem Scheitern, wenn es darum geht, reale Risse zu überspannen und Abgründe gangbar zu machen. "Verlasse dich nicht auf das lyrische Ich. Es ist erfunden. Aber: natürlich, nur dort ist es zuhause. Quer zwischen meinen sechs Leben liegt eine hingedachte Brücke. Die Welt zeigt sich als Zwischenwelt. Die Flöte spielt von Mitte zu Mitte. Die hingedachte Brücke geht immer. Geht. In einer anderen Luft spazieren."

Der Dichter jedoch muss, um poetische Brücken bauen zu können, die Kluft kennen und sich den Tiefen aussetzen. Die Sprache als eine Vielzahl von Inseln, die, von Wasser umschlossen, für Dichter wie Leser nur schwimmend erreichbar sind, ist ein von Sokrates bekanntes Bild, das sich selbst bei Kafka findet. Im Sprach-Fluss spiegelt sich das doppelte Verhältnis zur Sprache, der wir aktiv und passiv zugleich begegnen, da wir uns in ihr bewegen und sie uns ihrerseits trägt.

Wenn Marica Bodrozic die Einheit der Synästhesie in Sprache vereinzelt, gewissermaßen in Einzelteile zerlegt, dann entstehen jene unvermeidlichen Wortinseln, die nur das Wagnis, ins Unheimliche des Dazwischen einzutauchen, miteinander verbinden kann: "Ich wäre / ich bin / am liebsten eine // geborene // Erfinderin. // Was MUSS neu sein?: Der Himmel, der Buchstabe. Die Verbindung zwischen der sagenbenetzten Zunge und den geviertelten Kindheiten, zwischen den Tanten und ihren sommers wasserträumenden Hunden. // Alles muss neu sein, der Hunger, die Tassen, die Werkstätten, die Manifeste müssen wir abschaffen, die Kirschen in Berlin dürfen bleiben, auch die Obstdiebe an den blauen Verandatüren, die darf niemand anrühren: ICH LIEBE OBSTDIEBE. Die Dichter müssen alle schwimmen lernen!"

NADJA WÜNSCHE

Marica Bodrozic: "Lichtorgeln". Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg, Wien 2008, 110 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sokratische Wortinseln, zwischen denen die Rezensentin herumschwimmt. Allerdings lässt sich Nadja Wünsche das liquide Dazwischen sehr gerne von dieser Dichterin passierbar machen. Wünsche konstatiert die Gattungsmischung in diesem Band zwischen Lyrik und Prosa und die Synästhesie als Ausgangspunkt des poetischen Sprechens von Marica Bodrozic. Dass Bodrozic ihre Texte im Imaginären belässt und die ursprünglich synästhetische Wahrnehmung sprachlich ins Einzelne auflöst, scheint Wünsche zu beruhigen. Keine Neoromantik also, erkennt Wünsche, sondern eine Sprache, die sich selbst befragt, noch wenn sie Themen, wie die Kindheit der Autorin in Dalmatien oder den Bosnien-Krieg umkreist.

© Perlentaucher Medien GmbH