Lidie sperrt sich von Kindheit an gegen die traditionelle Frauenrolle. Das ist in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, in denen sie in Illinois heranwächst, mehr als ungewöhnlich. Als 20jährige entflieht sie ihrem stickigen Zuhause und tut sich mit Thomas, einem jungen Mann, zusammen, der auf dem Weg nach Kansas ist. Zusammen beginnen sie, ein Stück Land zu bestellen. Beide sind sie Gegner der Sklavenhaltung. Eines Tages wird Thomas von Südstaatenfreischärlern erschossen. Lidie macht sich auf, ihn zu rächen...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.1999Versunken im Tratsch von Kansas
Jane Smiley schickt ihre Heldin durch bewegte Geschichte
Dieser Roman, der neunte der amerikanischen Schriftstellerin Jane Smiley, verheißt im Originaltitel "Die durchaus wahren Reisen und Abenteuer der Lidie Newton". In eine solche Verpackung passt mannigfache Ware, der deutsche Verlag hätte dabei bleiben sollen. Er jedoch machte daraus "Die wahre Geschichte eines abenteuerlichen Frauenlebens". Der Unterschied scheint gering, ist es aber nicht, denn nun erwartet der geneigte Leser eine Seelenstreichellektüre für den Feierabend. Die bekommt er nicht. Gewiss, Heldin Lidie absolviert eine Menge Frauenschicksal: Sie flüchtet aus dem Gezänk ihrer zahllosen Schwestern in die Ehe mit dem netten Thomas Newton, folgt dem Ehemann bereitwillig in unbekannte Fernen, wird brutal zur Witwe gemacht, verliert ihr ungeborenes Kind. Das sollte reichen, reicht jedoch nicht, denn die Autorin war weniger auf feminines Leiden aus als auf die Geschichte ihres Vaterlandes, der Vereinigten Staaten: Ihre Lidie ist ihr vor allem Zeugin gewesener Zeiten.
Die Romanhandlung spielt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, Schauplätze sind Lidies Heimat Illinois, Missouri und das Territorium Kansas, damals noch kein Staat. In die Prärien des Siedlerlandes Kansas zieht es Thomas Newton, den Gentleman aus Massachusetts, und Lidie müht sich redlich, seine Träume von einem wundervollen Farmerdasein mitzuträumen. Das muss ihr umso schwerer fallen, als dieses noch kaum erschlossene Gebiet weder klimatisch noch hinsichtlich existenzieller Erfolgschancen dem entspricht, was seine Propagandisten verkündet haben. Es nimmt wunder, dass Lidie niemals rebelliert, weder gegen jämmerliche Unterkünfte noch gegen unzureichende Nahrung, weder gegen die Schinderei auf den Feldern noch gegen Ungeziefer und Krankheiten. Sie verabscheut wohl dergleichen, aber sie klagt nicht, da hat Jane Smiley vorgesorgt. Die Autorin konzipierte ihre Heldin als verblüffend burschikose Abweichung von der Lady, wie das vorige Jahrhundert sie verstand. Man kann mit dieser Lidie schier alles machen und alles von ihr erwarten.
Infolgedessen taugt die Romanheldin hervorragend als Protokollantin der fatalen Ereignisse, um die es hauptsächlich geht. Wir befinden uns nämlich am Vorabend des amerikanischen Bürgerkriegs, der Streit um die Sklavenfrage zerreißt die Nation. Die Siedler in Kansas, meist aus Neuengland stammend, sind bekennende, oft genug auch praktizierende Abolitionisten, was im damaligen Washington kaum Unterstützung findet und die Nachbarn im Sklavenstaat Missouri vor Wut schäumen lässt. Es kommt zu lokalen Scharmützeln, öfter noch zu individuellen Übergriffen; bei einer dieser Mordaktionen wird Thomas Newton erschossen.
Für uns Europäer, die wir mit diesem Stück Historie nicht intim sind, könnte die Schilderung jener Ereignisse recht interessant sein, wäre es nicht so mühselig, sich hindurchzuarbeiten. Da Jane Smiley alles der Beobachtungsgabe ihrer Hauptfigur überlässt, übernimmt sie auch Lidies Begriffsvermögen und das Maß ihrer Fähigkeit, Zusammenhänge zu erfassen und einleuchtend zu schildern. Die junge Mrs. Newton aber ertrinkt schier in der Fülle dessen, was sich zuträgt, und kann absolut keinen Überblick gewinnen. Sie serviert uns die unzähligen Details jedes einzelnen Tages allzu lückenlos und peinigend ausführlich. Hinter dem Dickicht aus Kansasund Missouri-Tratsch verschwindet oftmals ihre persönliche Geschichte, wozu noch beiträgt, dass die zwei Erzählstränge nicht nach Gebühr miteinander verflochten sind. Vielmehr lässt sich jeweils einer ohne den anderen denken, und dabei kommt nicht das "abenteuerliche Frauenleben" besser weg, sondern, trotz der allzu großen Detailfreudigkeit, das Bild vom frühen Amerika.
Was bleibt noch zu erwähnen? Lidies Bemühen, die Mörder ihres Mannes aufzuspüren und zu töten. Das misslingt, und ebenso wenig Erfolg ist ihr beschieden, als sie, mehr zufällig denn aus abolitionistischem Drang, eine Negersklavin aus Missouri in die Freiheit des Nordens zu entführen versucht. Glücklicherweise kommt sie am Ende nicht an den Galgen, sondern heim nach Quincy, Illinois. Dies allerdings in beklagenswerter Verfassung, abgerissen, mittellos, rundherum gescheitert. Doch Lidie verzagt nicht, und wir müssen das auch nicht tun. Schon wölkt am Geschichtshorizont der Kanonenrauch des großen Krieges, der vieles in die Reihe bringen wird. Vielleicht nicht Lidie Newtons private Misere, gewiss aber das Moraldebakel der Vereinigten Staaten. Und da der Roman, seinem Titel zum Trotz, vornehmlich davon handelt, können auch wir uns mit dem Zukunftsblick auf Mr. Lincoln trösten.
SABINE BRANDT.
Jane Smiley: "Lidie Newton oder Die wahre Geschichte eines abenteuerlichen Frauenlebens". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Ohl und Hans Sartorius. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 638 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jane Smiley schickt ihre Heldin durch bewegte Geschichte
Dieser Roman, der neunte der amerikanischen Schriftstellerin Jane Smiley, verheißt im Originaltitel "Die durchaus wahren Reisen und Abenteuer der Lidie Newton". In eine solche Verpackung passt mannigfache Ware, der deutsche Verlag hätte dabei bleiben sollen. Er jedoch machte daraus "Die wahre Geschichte eines abenteuerlichen Frauenlebens". Der Unterschied scheint gering, ist es aber nicht, denn nun erwartet der geneigte Leser eine Seelenstreichellektüre für den Feierabend. Die bekommt er nicht. Gewiss, Heldin Lidie absolviert eine Menge Frauenschicksal: Sie flüchtet aus dem Gezänk ihrer zahllosen Schwestern in die Ehe mit dem netten Thomas Newton, folgt dem Ehemann bereitwillig in unbekannte Fernen, wird brutal zur Witwe gemacht, verliert ihr ungeborenes Kind. Das sollte reichen, reicht jedoch nicht, denn die Autorin war weniger auf feminines Leiden aus als auf die Geschichte ihres Vaterlandes, der Vereinigten Staaten: Ihre Lidie ist ihr vor allem Zeugin gewesener Zeiten.
Die Romanhandlung spielt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, Schauplätze sind Lidies Heimat Illinois, Missouri und das Territorium Kansas, damals noch kein Staat. In die Prärien des Siedlerlandes Kansas zieht es Thomas Newton, den Gentleman aus Massachusetts, und Lidie müht sich redlich, seine Träume von einem wundervollen Farmerdasein mitzuträumen. Das muss ihr umso schwerer fallen, als dieses noch kaum erschlossene Gebiet weder klimatisch noch hinsichtlich existenzieller Erfolgschancen dem entspricht, was seine Propagandisten verkündet haben. Es nimmt wunder, dass Lidie niemals rebelliert, weder gegen jämmerliche Unterkünfte noch gegen unzureichende Nahrung, weder gegen die Schinderei auf den Feldern noch gegen Ungeziefer und Krankheiten. Sie verabscheut wohl dergleichen, aber sie klagt nicht, da hat Jane Smiley vorgesorgt. Die Autorin konzipierte ihre Heldin als verblüffend burschikose Abweichung von der Lady, wie das vorige Jahrhundert sie verstand. Man kann mit dieser Lidie schier alles machen und alles von ihr erwarten.
Infolgedessen taugt die Romanheldin hervorragend als Protokollantin der fatalen Ereignisse, um die es hauptsächlich geht. Wir befinden uns nämlich am Vorabend des amerikanischen Bürgerkriegs, der Streit um die Sklavenfrage zerreißt die Nation. Die Siedler in Kansas, meist aus Neuengland stammend, sind bekennende, oft genug auch praktizierende Abolitionisten, was im damaligen Washington kaum Unterstützung findet und die Nachbarn im Sklavenstaat Missouri vor Wut schäumen lässt. Es kommt zu lokalen Scharmützeln, öfter noch zu individuellen Übergriffen; bei einer dieser Mordaktionen wird Thomas Newton erschossen.
Für uns Europäer, die wir mit diesem Stück Historie nicht intim sind, könnte die Schilderung jener Ereignisse recht interessant sein, wäre es nicht so mühselig, sich hindurchzuarbeiten. Da Jane Smiley alles der Beobachtungsgabe ihrer Hauptfigur überlässt, übernimmt sie auch Lidies Begriffsvermögen und das Maß ihrer Fähigkeit, Zusammenhänge zu erfassen und einleuchtend zu schildern. Die junge Mrs. Newton aber ertrinkt schier in der Fülle dessen, was sich zuträgt, und kann absolut keinen Überblick gewinnen. Sie serviert uns die unzähligen Details jedes einzelnen Tages allzu lückenlos und peinigend ausführlich. Hinter dem Dickicht aus Kansasund Missouri-Tratsch verschwindet oftmals ihre persönliche Geschichte, wozu noch beiträgt, dass die zwei Erzählstränge nicht nach Gebühr miteinander verflochten sind. Vielmehr lässt sich jeweils einer ohne den anderen denken, und dabei kommt nicht das "abenteuerliche Frauenleben" besser weg, sondern, trotz der allzu großen Detailfreudigkeit, das Bild vom frühen Amerika.
Was bleibt noch zu erwähnen? Lidies Bemühen, die Mörder ihres Mannes aufzuspüren und zu töten. Das misslingt, und ebenso wenig Erfolg ist ihr beschieden, als sie, mehr zufällig denn aus abolitionistischem Drang, eine Negersklavin aus Missouri in die Freiheit des Nordens zu entführen versucht. Glücklicherweise kommt sie am Ende nicht an den Galgen, sondern heim nach Quincy, Illinois. Dies allerdings in beklagenswerter Verfassung, abgerissen, mittellos, rundherum gescheitert. Doch Lidie verzagt nicht, und wir müssen das auch nicht tun. Schon wölkt am Geschichtshorizont der Kanonenrauch des großen Krieges, der vieles in die Reihe bringen wird. Vielleicht nicht Lidie Newtons private Misere, gewiss aber das Moraldebakel der Vereinigten Staaten. Und da der Roman, seinem Titel zum Trotz, vornehmlich davon handelt, können auch wir uns mit dem Zukunftsblick auf Mr. Lincoln trösten.
SABINE BRANDT.
Jane Smiley: "Lidie Newton oder Die wahre Geschichte eines abenteuerlichen Frauenlebens". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Ohl und Hans Sartorius. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 638 S., geb., 48,- DM.
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