Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Die Rache des Lippenstifts
Absehbares Verfallsdatum: Lauter Lehrstücke über die Eifersucht
Manchmal geht es ziemlich flapsig zu – etwa bei Alexa Hennig von Lange, zuweilen ein wenig gedrechselt – besonders bei Alissa Walser oder Jenny Erpenbeck, und bei Simone Buchholz sogar mörderisch – aber stets geht um die Eifersucht, also um jene Variante der Leidenschaft, die nach einem hinreichend bekannten Diktum „mit Eifer sucht, was Leiden schafft”.
Die Damenriege der jungen deutschen Literatur tritt an, um der pubertierenden Leserschaft ein bisschen Lebenshilfe zu verpassen, eine Jugendbuchreihe schlägt das alles in himmelblaue Pappe mit blutroten Kitschemblemen Marke „Achtung Ironie!” ein, und am Ende – wer hätte das gedacht? wie konnte das passieren? – hält man einen Beleg dafür in der Hand, dass das böse Wort vom „Fräuleinwunder” vielleicht doch nicht so falsch gewählt worden ist.
Es steht nämlich zu befürchten, dass in diesem Fall zusammenwächst, was zusammen gehört: bekannte Namen und konfektionierte Belanglosigkeiten, ein Hauch von Jargon und ein wenig Bäumchen-wechsel-Dich, herbeizitierte Szenetreffs und weichgespülte Girlie-Philosophie – überzuckert mit Liebesleid und gerührten Einsichten: „Wir haben uns nie mehr gesehen seitdem. Berlin ist groß.”
Und Gott ist gnädig, möchte man hinzufügen – aber seien wir fair und nehmen mal methodisch und gewissenhaft an, es sei nichts als Rollenprosa, wenn Tanja Dückers eine Siebzehnjährige über Misstrauen und deprimierende One-Night- Stands berichten lässt, oder wenn Silvia Szymanski in die Niederungen der Siebzigerjahre abtaucht, als die Jungs viel zu dichte Bärte trugen und in den Wohngemeinschaften der Orgonakkumulator von Wilhelm Reich nachgebaut wurde.
Aber warum klingen trotz so viel frei flottierender pubertärer und postpubertärer Begierden die meisten Texte so, als habe eine altjüngferliche Tante ihrer Nichte beim Aufsatz geholfen – und dabei nur anbiedernde Lehrstücke hervorgebracht? Über das zeitgemäße Spektrum von Beziehungsvarianten, über fremd- und selbstverschuldete emotionale Gemengelagen, über die Unfähigkeit zufrieden zu sein ...
Alles wird in dieser Anthologie der Reihe nach durchbuchstabiert und fein säuberlich sortiert. „Girl’s talk” eben – ziemlich schick, politisch korrekt und einigermaßen steril. Verfallsdatum absehbar. Gehört ab sofort in jeder Disco auf die Damentoilette. „There are some things you can’t cover up with lipstick and powder ...” hat Elvis Costello schon geahnt, als die Zielgruppe dieser Anthologie noch gar nicht geboren war.
MICHAEL SCHMITT
UWE-MICHAEL GUTZSCHAHN (Hg.): Liebe bis aufs Blut. Geschichten über die Eifersucht. Carl Hanser Verlag, München 2001. 144 Seiten, 19,99 Mark.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Absehbares Verfallsdatum: Lauter Lehrstücke über die Eifersucht
Manchmal geht es ziemlich flapsig zu – etwa bei Alexa Hennig von Lange, zuweilen ein wenig gedrechselt – besonders bei Alissa Walser oder Jenny Erpenbeck, und bei Simone Buchholz sogar mörderisch – aber stets geht um die Eifersucht, also um jene Variante der Leidenschaft, die nach einem hinreichend bekannten Diktum „mit Eifer sucht, was Leiden schafft”.
Die Damenriege der jungen deutschen Literatur tritt an, um der pubertierenden Leserschaft ein bisschen Lebenshilfe zu verpassen, eine Jugendbuchreihe schlägt das alles in himmelblaue Pappe mit blutroten Kitschemblemen Marke „Achtung Ironie!” ein, und am Ende – wer hätte das gedacht? wie konnte das passieren? – hält man einen Beleg dafür in der Hand, dass das böse Wort vom „Fräuleinwunder” vielleicht doch nicht so falsch gewählt worden ist.
Es steht nämlich zu befürchten, dass in diesem Fall zusammenwächst, was zusammen gehört: bekannte Namen und konfektionierte Belanglosigkeiten, ein Hauch von Jargon und ein wenig Bäumchen-wechsel-Dich, herbeizitierte Szenetreffs und weichgespülte Girlie-Philosophie – überzuckert mit Liebesleid und gerührten Einsichten: „Wir haben uns nie mehr gesehen seitdem. Berlin ist groß.”
Und Gott ist gnädig, möchte man hinzufügen – aber seien wir fair und nehmen mal methodisch und gewissenhaft an, es sei nichts als Rollenprosa, wenn Tanja Dückers eine Siebzehnjährige über Misstrauen und deprimierende One-Night- Stands berichten lässt, oder wenn Silvia Szymanski in die Niederungen der Siebzigerjahre abtaucht, als die Jungs viel zu dichte Bärte trugen und in den Wohngemeinschaften der Orgonakkumulator von Wilhelm Reich nachgebaut wurde.
Aber warum klingen trotz so viel frei flottierender pubertärer und postpubertärer Begierden die meisten Texte so, als habe eine altjüngferliche Tante ihrer Nichte beim Aufsatz geholfen – und dabei nur anbiedernde Lehrstücke hervorgebracht? Über das zeitgemäße Spektrum von Beziehungsvarianten, über fremd- und selbstverschuldete emotionale Gemengelagen, über die Unfähigkeit zufrieden zu sein ...
Alles wird in dieser Anthologie der Reihe nach durchbuchstabiert und fein säuberlich sortiert. „Girl’s talk” eben – ziemlich schick, politisch korrekt und einigermaßen steril. Verfallsdatum absehbar. Gehört ab sofort in jeder Disco auf die Damentoilette. „There are some things you can’t cover up with lipstick and powder ...” hat Elvis Costello schon geahnt, als die Zielgruppe dieser Anthologie noch gar nicht geboren war.
MICHAEL SCHMITT
UWE-MICHAEL GUTZSCHAHN (Hg.): Liebe bis aufs Blut. Geschichten über die Eifersucht. Carl Hanser Verlag, München 2001. 144 Seiten, 19,99 Mark.
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