Ganz harmlos mit einer Postkarte beginnt die Briefromanze zwischen der jungen Delphine und dem Maler Jean Luc Foreur. Aus der Faszination wächst Erwartung und bald hat sich die intensive Briefbeziehung für beide zur unerwarteten Obsession entwickelt, die ein überraschendes Ende findet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2000Mehlige Adamsäpfel
Was spricht eigentlich gegen einen schwärmerischen Briefroman? Nicht viel, schon gar nicht die Form. Der Brief bietet dem mitteilsamen Individuum einen Ort der Selbsterfahrung. Sie sind heute so angenehm abseitig wie die Schwärmerei selbst. Denn im Laufe der Zeit drängten Neurotiker und Psychopathen den Schwärmer beiseite. Die dänische Autorin Iselin C. Hermann hat nun einen Roman geschrieben, in dem auf postalischem Wege eine Obsession zwischen dem Maler Jean Luc und seiner jungen Bewunderin Delphine entbrennt, Brief für Brief, von Kopenhagen nach Paris und von Paris nach Kopenhagen. Einander zunächst völlig unbekannt, versetzen die Schilderungen von Jean Lucs malerischer Kindheit und Gegenwart Delphine in einen sorgsam beschriebenen Gefühlsüberschwang, der den angebeteten Mann wiederum fasziniert, auch wenn er immer wieder klug von den Gefahren der Illusion zu sprechen weiß. Das lässt zunächst hoffen. Aber der Wechsel schwärmender Briefe will nicht recht glücken. Denn die Phantasie, Liebling empfindsamer Seelen, führt nicht nur die Feder, sondern die Korrespondenz schon bald auf ästhetische Abwege. Es stimmt bereits skeptisch, wenn Delphine touristisch gut erschlossene Orte mit den Körperregionen ihres Geliebten vergleicht. "Ich sehne mich danach, meine Hand Deinen Hals entlanggleiten zu lassen, an meinem Zeigefinger zu lecken und eine feuchte Spur Dein Schlüsselbein entlang zum Adamsapfel zu zeichnen . . . Aber ich sehne mich auch nach der Karlsbrücke in Prag. Am liebsten würde ich mit Dir Hand in Hand hinüber zum Hradschin gehen . . . Dein Adamsapfel und die Karlsbrücke: zwei Orte auf der Welt, an die zu reisen ich mich sehne." Das ist für passionierte Reisebegleiter wohl nachvollziehbar, zumal die hier verbildlichte Sehnsucht ein würdiger Gegenstand ist. Sie steht für das Ungenügen an der Realität, der sich Delphine immer mehr entzieht, je mehr sie ihre innerseelischen und andere Regungen entzücken. Ihnen allein gibt sie sich hin. Bis auf die Karlsbrücke kann der Leser folgen, dann aber wird er durch unzumutbare Gefühls-Versifikationen zurückgestoßen: "Mein Geliebter / Mein Leib und meine Liebe / meine Sehnsucht und mein Schmerz / mein Geheimnis und Gebieter" - da möchte man sagen: So geht es nicht, weder im zwanzigsten Jahrhundert noch zu einer anderen Zeit.
Zuletzt ist Delphine von all der Sehnsucht mürbe. Sie will ihre Träume zur Wirklichkeit machen und drängt auf ein Treffen mit Jean Luc: "Dein Unterarm oder Café Brasileira. Dein Adamsapfel oder die Karlsbrücke. . . Eine namenlose Brücke in Venedig oder Deine Brustwarze. Keiner dieser Orte wird mehr wie früher sein - nach unserem Treffen." Der Wunsch nach einer Zusammenkunft der Liebenden hat für sie unabsehbare Folgen. Für die Leser ist allerdings keine Gefahr zu gewärtigen. Es wird sich nach beendigter Lektüre dieses Romanerstlings kaum einer entschließen, sich zu erschießen.
SANDRA KERSCHBAUMER
Iselin C. Hermann: "Liebe Delphine . . . Lieber Jean Luc". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 176 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was spricht eigentlich gegen einen schwärmerischen Briefroman? Nicht viel, schon gar nicht die Form. Der Brief bietet dem mitteilsamen Individuum einen Ort der Selbsterfahrung. Sie sind heute so angenehm abseitig wie die Schwärmerei selbst. Denn im Laufe der Zeit drängten Neurotiker und Psychopathen den Schwärmer beiseite. Die dänische Autorin Iselin C. Hermann hat nun einen Roman geschrieben, in dem auf postalischem Wege eine Obsession zwischen dem Maler Jean Luc und seiner jungen Bewunderin Delphine entbrennt, Brief für Brief, von Kopenhagen nach Paris und von Paris nach Kopenhagen. Einander zunächst völlig unbekannt, versetzen die Schilderungen von Jean Lucs malerischer Kindheit und Gegenwart Delphine in einen sorgsam beschriebenen Gefühlsüberschwang, der den angebeteten Mann wiederum fasziniert, auch wenn er immer wieder klug von den Gefahren der Illusion zu sprechen weiß. Das lässt zunächst hoffen. Aber der Wechsel schwärmender Briefe will nicht recht glücken. Denn die Phantasie, Liebling empfindsamer Seelen, führt nicht nur die Feder, sondern die Korrespondenz schon bald auf ästhetische Abwege. Es stimmt bereits skeptisch, wenn Delphine touristisch gut erschlossene Orte mit den Körperregionen ihres Geliebten vergleicht. "Ich sehne mich danach, meine Hand Deinen Hals entlanggleiten zu lassen, an meinem Zeigefinger zu lecken und eine feuchte Spur Dein Schlüsselbein entlang zum Adamsapfel zu zeichnen . . . Aber ich sehne mich auch nach der Karlsbrücke in Prag. Am liebsten würde ich mit Dir Hand in Hand hinüber zum Hradschin gehen . . . Dein Adamsapfel und die Karlsbrücke: zwei Orte auf der Welt, an die zu reisen ich mich sehne." Das ist für passionierte Reisebegleiter wohl nachvollziehbar, zumal die hier verbildlichte Sehnsucht ein würdiger Gegenstand ist. Sie steht für das Ungenügen an der Realität, der sich Delphine immer mehr entzieht, je mehr sie ihre innerseelischen und andere Regungen entzücken. Ihnen allein gibt sie sich hin. Bis auf die Karlsbrücke kann der Leser folgen, dann aber wird er durch unzumutbare Gefühls-Versifikationen zurückgestoßen: "Mein Geliebter / Mein Leib und meine Liebe / meine Sehnsucht und mein Schmerz / mein Geheimnis und Gebieter" - da möchte man sagen: So geht es nicht, weder im zwanzigsten Jahrhundert noch zu einer anderen Zeit.
Zuletzt ist Delphine von all der Sehnsucht mürbe. Sie will ihre Träume zur Wirklichkeit machen und drängt auf ein Treffen mit Jean Luc: "Dein Unterarm oder Café Brasileira. Dein Adamsapfel oder die Karlsbrücke. . . Eine namenlose Brücke in Venedig oder Deine Brustwarze. Keiner dieser Orte wird mehr wie früher sein - nach unserem Treffen." Der Wunsch nach einer Zusammenkunft der Liebenden hat für sie unabsehbare Folgen. Für die Leser ist allerdings keine Gefahr zu gewärtigen. Es wird sich nach beendigter Lektüre dieses Romanerstlings kaum einer entschließen, sich zu erschießen.
SANDRA KERSCHBAUMER
Iselin C. Hermann: "Liebe Delphine . . . Lieber Jean Luc". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 176 S., geb., 34,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sandra Kerschbaumer beginnt ihre Kritik mit einer Verteidigung des schwärmerischen Briefromans als Gattung; im Einzelfall, also bei dem hier besprochenen Buch, ist ihr das Schwärmerische dann aber doch nicht ganz geheuer. Spätestens wenn Delphine den ihr persönlich unbekannten Maler Jean-Luc brieflich anhimmelt: `Mein Geliebter, mein Leib und meine Liebe, meine Sehnsucht und mein Schmerz, mein Geheimnis und Gebieter`, wird es Kerschbaumer zu viel: "So geht es nicht", lehnt sie den Überschwang der Gefühle kategorisch ab. Sie verspürt dann auch gar nichts von der gefährlichen Wirkung, die der schwärmerische Briefroman ausüben kann: Der Roman animiere kaum, "sich zu erschießen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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