Wie konnte sich das Wort "Beziehungsarbeit" in unseren Alltag schleichen - wo ist nur die Lust geblieben? Warum wandelte sich das Heim in einen emotionalen Gulag? Wieso überhäufen sich Paare mit Einschränkungen persönlicher Freiheiten, sodass man versucht ist, die Genfer Konventionen auf den Plan zu rufen? Hatten wir nicht von Liebe gesprochen?
Laura Kipnis zeigt, wie gern wir uns selbst belügen, wenn es um Liebe geht. Hinter ihrer witzigen und bissigen Polemik aber steht ihr großer Wunsch: die Liebe aus der Zwangsjacke zu befreien. Ein erfrischendes
Plädoyer für den Mut zur Veränderung und ein Appell, das persönliche Lebens-Lustprinzip nicht aufzugeben.
Laura Kipnis zeigt, wie gern wir uns selbst belügen, wenn es um Liebe geht. Hinter ihrer witzigen und bissigen Polemik aber steht ihr großer Wunsch: die Liebe aus der Zwangsjacke zu befreien. Ein erfrischendes
Plädoyer für den Mut zur Veränderung und ein Appell, das persönliche Lebens-Lustprinzip nicht aufzugeben.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dieser "Abrechung" der ehelichen Liebesbeziehung von Laura Kipnis kann Eberhard Rathgeb nichts abgewinnen. Die amerikanische Autorin propagiert zur Verhinderung von Beziehungsfrust statt auf "Beziehungsarbeit" und Ehetherapie lächelnd auf den "Seitensprung", damit wieder frischer Wind in die erkaltete Lust kommt, referiert der Rezensent ohne Begeisterung. Zudem rät sie, und das erscheint Rathgeb in der heutigen Zeit bemerkenswert, zum "Kapital" von Karl Marx als Lektüre, um die Liebesbeziehung als "entfremdete Arbeit" zu entlarven. Der Rezensent gibt bei allen gutgemeinten Tipps der Autorin zu bedenken, dass es heute kaum einem Paar schwer fällt, sich von einer gescheiterten Ehe zu lösen, und dem Hinweis Kipnis', für Kinder sei es mitunter besser, wenn sich Eltern trennen, hält er entgegen, dass sich offenbar nur wenig Eltern durch Kinder von einer Trennung abhalten lassen. Rathgeb gesteht eine gewisse Ermüdung mit dem Buch ein, dem er bei allzu "saloppem Stil" auch "magere, mangelnde Konsequenz des Denkens" vorwirft, und er fragt sich, worauf Kipnis eigentlich hinaus will. Die Autorin verliert vor allem in der "soziologischen Durchschnittlichkeit" ihrer Argumente ihr eigentliches Thema, die Liebe, aus dem Blick, moniert der Rezensent, der die Ausführungen von Kipnis als "etwas kindisch" verurteilt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2004Mit einem Seitensprung rette sich aus der Beziehungsarbeit, wer kann
Die Ehe ist eine ernste Angelegenheit, über deren Untiefen sich nur Kindsköpfe hinwegzwinkern: Laura Kipnis rechnet etwas kindisch mit der Liebe der Erwachsenen ab
Wenn sich Jungs und Mädels zum ersten Mal verlieben - was dann? Dann wird geküßt und ins Bett gehüpft, und das wird eine Weile so gemacht. Schließlich ist das einem oder beiden zu langweilig, und deswegen ist irgendwann Schluß. Der Jüngling und das Mädchen gehen auseinander und eilen zu einem anderen Jüngling und einem anderen Mädchen, und die Chose rollt von neuem los. Wenn aber ein Mann und eine Frau sich verlieben - was dann? Dann wird geküßt und ins Bett gehüpft, und das wird eine Weile so gemacht. Schließlich ist das einem oder beiden zu langweilig, aber deswegen ist nicht Schluß, sondern die beiden beginnen an ihrer Beziehung zu arbeiten. Ja, zu arbeiten.
Laura Kipnis ist das aufgefallen: daß in Beziehungen von Erwachsenen gearbeitet wird, so wie die beiden Beziehungsarbeiter Tag für Tag ohne Murren zur Arbeit in den Büros einlaufen. Wenn die beiden mit ihrer Beziehungsarbeit nicht mehr zurechtkommen, dann werfen sie diese Arbeit nicht etwa hin und suchen sich einen neuen Mann oder eine neue Frau. Sie wandern zum Therapeuten, der die beiden darin bestärkt, an ihrer Beziehung und an sich selbst als Teil der Beziehung zu arbeiten. Laura Kipnis traut dem Einsatz der Therapeuten wenig zu: Der schlucke nur Geld, werfe aber keinen Beziehungsgewinn ab.
Warum gehen sie nicht wie in jungen Jahren auseinander und angeln sich einen anderen Partner? Sie kleben aneinander aus Ängstlichkeit und Gewohnheit. Ein Weg, an die frische Luft der Liebe zu kommen, das ist, sagt Kipnis und lacht: der Seitensprung. Da hocken die beiden Partner traurig und untätig auf der Bettkante der Treue und trauen sich nicht, das Bett zu wechseln, und wenn sie sich trauen, dann heimlich bei Nacht und Dunkelheit und im Büro, weil sie den anderen nicht verletzen wollen mit dem Geständnis: Ich langweile mich mit dir zu Tode, ich gehe.
Laura Kipnis ruft aufmunternd: Traut euch, springt aus dem Beziehungstief des Ehelochs. Denkt an euch und die verkümmerte Libido, anstatt Eheberatungsbücher zu lesen oder Überstunden zu schieben, weil es offenbar im Büro für euch Libidoversager immer noch spannender ist, als daheim vor dem Fenster der Aussichtslosigkeit zu stehen und abends mit Ach und Krach die Beziehungsgymnastik im Bett hinter sich zu bringen. Aber wer hat denn heute noch Probleme damit, die fragile Ehe hinzuschmeißen, wenn es nicht mehr klappt? Wenn Kinder euch abhalten, ade zu sagen, sagt Laura Kipnis, dann fragt euch erst einmal selbst, ob Kinder glücklich werden, wenn ihre Eltern nicht glücklich sind, und dann packt sie und stürmt auf die Wiese, wo die Liebe blüht. Aber türmen denn nicht immer mehr Beziehungspartner, ohne die Kinder zu fragen, was sie davon halten?
Das Leben zeigt uns nicht die Ehe, sondern nur verschiedene Ehen, schrieb Ellen Key, die vor einhundert Jahren das Jahrhundert des Kindes ausrief. Laura Kipnis aber rühmt den Befreiungsschlag, der Mann und Frau aus der Fron der Beziehungsarbeit hebelt, als einen revolutionären Akt, als modernes Rebellentum gegen den Zugriff einer auf Arbeit gebauten und von Arbeit durchwirkten Gesellschaft, die den Arbeitsbegriff perfide in die Liebe einführte und damit die schöne Liebe versaute und zum häßlichen Beziehungsproblem machte.
Läuten wieder die Glocken der Achtundsechziger im Schlamassel der kapitalistisch deformierten Triebstruktur? Laura Kipnis scheut nicht nur den Seitensprung nicht, sie scheut sich auch nicht, die Lektüre des "Kapitals" von Karl Marx - wir erwähnen es, denn es ist lange her, daß dieser Name und dieser Titel im Lande des lächelnden Konsumenten fielen - den Beziehungsarbeitern ans Herz zu legen: weil ja die Liebe zur entfremdeten Arbeit geworden sei.
Die Luft wird dünn. Während die befreiten nackten Popos all der Beziehungsschusseln, die sich in den Falschen und die Falsche verguckt haben und doch so lange an der Wahl des getäuschten Herzens festhielten, aus den Schlafzimmern hasten, bleiben wir zurück. Wir sind über dem Buch zusammengesunken zu einem Häuflein sozialem Triebstau. Wohin will es denn hinaus?
Ja, regt uns das Lob des Seitensprungs nicht auf? Wir erklären im Beziehungsheim: Macht endlich ehrlich kaputt, was euch kaputtmacht. Sehen wir nicht den Zusammenhang von Gesellschaft und Paar? Wir sehen Paare, die zu Wirtschaftsgemeinschaften degenerieren. Fehlt uns der Sinn für die Utopie der Liebe? Marcuse, Bloch, repressive Beziehung hier, Heimat der Lust dort? Auch mit dem Prinzip Hoffnung schafft man es zu zweit ins Rentenalter. Es liegt ja nicht am Thema, es liegt nicht nur an dem einen Gedanken, der Liebe, Arbeit und Gesellschaft zusammenschaltet. Es ist der vollmundige, saloppe Stil und also die magere, mangelnde Konsequenz des Denkens, die uns müde macht. Jeder Satz mit einem Hauch Sexappeal. Jede Seite mit Wiegen und Rauschen. Dabei stellt sich Laura Kipnis am Ende an die Seite des auf diese Weise höchst bedrängten "pfiffigen Georg Simmel" und bekennt sich zu einem Simmelschen "Flirt mit Ideen". Der Ernst der Liebe und der Ehe - weggezwinkert. Dabei hat Simmel die Intimität als das Charakteristikum einer Beziehung verstanden, in der "sich zwei Menschen wechselseitig als Einzige verstehen und ein exklusives Verhältnis unterhalten". Eine ernste Angelegenheit.
Laura Kipnis' Polemik gegen die erlahmte Liebe - die ja ein Lob der heißen Liebe sein soll, also keine Abrechnung mit der Liebe und dem Zusammenleben, sondern eine Abrechnung mit der kalten Beziehungsfalle und dem lustarmen Dahindämmern - verliert die Liebe und die Ehe auf der Straße der soziologischen Durchschnittlichkeit aus den Augen, wo beide zum Sozialfall verkümmern. Diese Methode hat ihren Stil. Die Ehe wird dünn und labberig wie ein Bettuch, mit dem die Autorin demonstrieren geht, ein Bettuch, auf dem nichts draufsteht, was dem einzelnen hilft.
Was soll aus all den Paaren in ihrem so sinistren Dasein werden? Mit ihren drückenden Wünschen, endlich einmal nach zehn, zwanzig langen Ehejahren der zu kurz gekommenen Lust wieder auf die Beine zu helfen? Nach Laura Kipnis sollen sie losziehen von einer Beziehung in die andere, wie alte Jünglinge und alte Mädchen auf der Reise, die meinen, wer in einem Hafen heute landet, der kann auch morgen wieder abfahren. Die Ehe, von der Autorin allgemein als ein Beziehungsdrang auf Treue und auf Verderb gesehen, habe als das Modell des modernen Zusammenseins ausgedient: Die Lust bricht die Ehe auf und schafft sich lockere Beziehungen.
Es wird aber vielleicht schlimmer kommen. Die Arbeit wird sich noch gründlicher in der Liebe breitmachen, sie wird ihren letzten moralischen Zusammenhalt verlieren und die Beziehung den Rest von Intimität. Bis es soweit ist, ein Hinweis für die Leser von Laura Kipnis' Buch, das über das tragische individuelle Schicksal die komische Chimäre einer sozialen Gleichung stellt - erwähnt sei, daß sie Arbeiten über Sexualität und Kulturwissenschaft veröffentlicht hat und als Medienwissenschaftlerin an der Northwestern University in Illinois arbeitet -, bis es soweit ist: mal ins Theater gehen und ein Stück von René Pollesch sehen.
EBERHARD RATHGEB
Laura Kipnis: "Liebe. Eine Abrechnung". Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacher und Thomas Wollermann. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004. 186 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Ehe ist eine ernste Angelegenheit, über deren Untiefen sich nur Kindsköpfe hinwegzwinkern: Laura Kipnis rechnet etwas kindisch mit der Liebe der Erwachsenen ab
Wenn sich Jungs und Mädels zum ersten Mal verlieben - was dann? Dann wird geküßt und ins Bett gehüpft, und das wird eine Weile so gemacht. Schließlich ist das einem oder beiden zu langweilig, und deswegen ist irgendwann Schluß. Der Jüngling und das Mädchen gehen auseinander und eilen zu einem anderen Jüngling und einem anderen Mädchen, und die Chose rollt von neuem los. Wenn aber ein Mann und eine Frau sich verlieben - was dann? Dann wird geküßt und ins Bett gehüpft, und das wird eine Weile so gemacht. Schließlich ist das einem oder beiden zu langweilig, aber deswegen ist nicht Schluß, sondern die beiden beginnen an ihrer Beziehung zu arbeiten. Ja, zu arbeiten.
Laura Kipnis ist das aufgefallen: daß in Beziehungen von Erwachsenen gearbeitet wird, so wie die beiden Beziehungsarbeiter Tag für Tag ohne Murren zur Arbeit in den Büros einlaufen. Wenn die beiden mit ihrer Beziehungsarbeit nicht mehr zurechtkommen, dann werfen sie diese Arbeit nicht etwa hin und suchen sich einen neuen Mann oder eine neue Frau. Sie wandern zum Therapeuten, der die beiden darin bestärkt, an ihrer Beziehung und an sich selbst als Teil der Beziehung zu arbeiten. Laura Kipnis traut dem Einsatz der Therapeuten wenig zu: Der schlucke nur Geld, werfe aber keinen Beziehungsgewinn ab.
Warum gehen sie nicht wie in jungen Jahren auseinander und angeln sich einen anderen Partner? Sie kleben aneinander aus Ängstlichkeit und Gewohnheit. Ein Weg, an die frische Luft der Liebe zu kommen, das ist, sagt Kipnis und lacht: der Seitensprung. Da hocken die beiden Partner traurig und untätig auf der Bettkante der Treue und trauen sich nicht, das Bett zu wechseln, und wenn sie sich trauen, dann heimlich bei Nacht und Dunkelheit und im Büro, weil sie den anderen nicht verletzen wollen mit dem Geständnis: Ich langweile mich mit dir zu Tode, ich gehe.
Laura Kipnis ruft aufmunternd: Traut euch, springt aus dem Beziehungstief des Ehelochs. Denkt an euch und die verkümmerte Libido, anstatt Eheberatungsbücher zu lesen oder Überstunden zu schieben, weil es offenbar im Büro für euch Libidoversager immer noch spannender ist, als daheim vor dem Fenster der Aussichtslosigkeit zu stehen und abends mit Ach und Krach die Beziehungsgymnastik im Bett hinter sich zu bringen. Aber wer hat denn heute noch Probleme damit, die fragile Ehe hinzuschmeißen, wenn es nicht mehr klappt? Wenn Kinder euch abhalten, ade zu sagen, sagt Laura Kipnis, dann fragt euch erst einmal selbst, ob Kinder glücklich werden, wenn ihre Eltern nicht glücklich sind, und dann packt sie und stürmt auf die Wiese, wo die Liebe blüht. Aber türmen denn nicht immer mehr Beziehungspartner, ohne die Kinder zu fragen, was sie davon halten?
Das Leben zeigt uns nicht die Ehe, sondern nur verschiedene Ehen, schrieb Ellen Key, die vor einhundert Jahren das Jahrhundert des Kindes ausrief. Laura Kipnis aber rühmt den Befreiungsschlag, der Mann und Frau aus der Fron der Beziehungsarbeit hebelt, als einen revolutionären Akt, als modernes Rebellentum gegen den Zugriff einer auf Arbeit gebauten und von Arbeit durchwirkten Gesellschaft, die den Arbeitsbegriff perfide in die Liebe einführte und damit die schöne Liebe versaute und zum häßlichen Beziehungsproblem machte.
Läuten wieder die Glocken der Achtundsechziger im Schlamassel der kapitalistisch deformierten Triebstruktur? Laura Kipnis scheut nicht nur den Seitensprung nicht, sie scheut sich auch nicht, die Lektüre des "Kapitals" von Karl Marx - wir erwähnen es, denn es ist lange her, daß dieser Name und dieser Titel im Lande des lächelnden Konsumenten fielen - den Beziehungsarbeitern ans Herz zu legen: weil ja die Liebe zur entfremdeten Arbeit geworden sei.
Die Luft wird dünn. Während die befreiten nackten Popos all der Beziehungsschusseln, die sich in den Falschen und die Falsche verguckt haben und doch so lange an der Wahl des getäuschten Herzens festhielten, aus den Schlafzimmern hasten, bleiben wir zurück. Wir sind über dem Buch zusammengesunken zu einem Häuflein sozialem Triebstau. Wohin will es denn hinaus?
Ja, regt uns das Lob des Seitensprungs nicht auf? Wir erklären im Beziehungsheim: Macht endlich ehrlich kaputt, was euch kaputtmacht. Sehen wir nicht den Zusammenhang von Gesellschaft und Paar? Wir sehen Paare, die zu Wirtschaftsgemeinschaften degenerieren. Fehlt uns der Sinn für die Utopie der Liebe? Marcuse, Bloch, repressive Beziehung hier, Heimat der Lust dort? Auch mit dem Prinzip Hoffnung schafft man es zu zweit ins Rentenalter. Es liegt ja nicht am Thema, es liegt nicht nur an dem einen Gedanken, der Liebe, Arbeit und Gesellschaft zusammenschaltet. Es ist der vollmundige, saloppe Stil und also die magere, mangelnde Konsequenz des Denkens, die uns müde macht. Jeder Satz mit einem Hauch Sexappeal. Jede Seite mit Wiegen und Rauschen. Dabei stellt sich Laura Kipnis am Ende an die Seite des auf diese Weise höchst bedrängten "pfiffigen Georg Simmel" und bekennt sich zu einem Simmelschen "Flirt mit Ideen". Der Ernst der Liebe und der Ehe - weggezwinkert. Dabei hat Simmel die Intimität als das Charakteristikum einer Beziehung verstanden, in der "sich zwei Menschen wechselseitig als Einzige verstehen und ein exklusives Verhältnis unterhalten". Eine ernste Angelegenheit.
Laura Kipnis' Polemik gegen die erlahmte Liebe - die ja ein Lob der heißen Liebe sein soll, also keine Abrechnung mit der Liebe und dem Zusammenleben, sondern eine Abrechnung mit der kalten Beziehungsfalle und dem lustarmen Dahindämmern - verliert die Liebe und die Ehe auf der Straße der soziologischen Durchschnittlichkeit aus den Augen, wo beide zum Sozialfall verkümmern. Diese Methode hat ihren Stil. Die Ehe wird dünn und labberig wie ein Bettuch, mit dem die Autorin demonstrieren geht, ein Bettuch, auf dem nichts draufsteht, was dem einzelnen hilft.
Was soll aus all den Paaren in ihrem so sinistren Dasein werden? Mit ihren drückenden Wünschen, endlich einmal nach zehn, zwanzig langen Ehejahren der zu kurz gekommenen Lust wieder auf die Beine zu helfen? Nach Laura Kipnis sollen sie losziehen von einer Beziehung in die andere, wie alte Jünglinge und alte Mädchen auf der Reise, die meinen, wer in einem Hafen heute landet, der kann auch morgen wieder abfahren. Die Ehe, von der Autorin allgemein als ein Beziehungsdrang auf Treue und auf Verderb gesehen, habe als das Modell des modernen Zusammenseins ausgedient: Die Lust bricht die Ehe auf und schafft sich lockere Beziehungen.
Es wird aber vielleicht schlimmer kommen. Die Arbeit wird sich noch gründlicher in der Liebe breitmachen, sie wird ihren letzten moralischen Zusammenhalt verlieren und die Beziehung den Rest von Intimität. Bis es soweit ist, ein Hinweis für die Leser von Laura Kipnis' Buch, das über das tragische individuelle Schicksal die komische Chimäre einer sozialen Gleichung stellt - erwähnt sei, daß sie Arbeiten über Sexualität und Kulturwissenschaft veröffentlicht hat und als Medienwissenschaftlerin an der Northwestern University in Illinois arbeitet -, bis es soweit ist: mal ins Theater gehen und ein Stück von René Pollesch sehen.
EBERHARD RATHGEB
Laura Kipnis: "Liebe. Eine Abrechnung". Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacher und Thomas Wollermann. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004. 186 S., geb., 19,90 [Euro].
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