Der Fanatismus ist älter als das Christentum, der Islam, das Judentum. Er liegt in der menschlichen Natur, sagt Amos Oz. Wer aber ist ein Fanatiker und wie kuriert man ihn? Und was ist mit dem Fanatismus, den wir manchmal in uns selbst verspüren?
In drei Essays sucht Amos Oz nach Antworten. Er schreibt aus existentieller Betroffenheit und richtet einen ganz persönlichen Blick auf die Fragen des Extremismus. Aufgewachsen in Jerusalem, zum Schriftsteller geworden im Kibbuz, wurde er im Laufe seines Lebens zum »Fachmann für vergleichende Fanatismusforschung«, auch weil er sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzte.
»Viele Lichter, nicht nur eins. Viele Meinungen, nicht nur eine.« Das größte Übel, so der 2018 verstorbene Autor, sei die Anmaßung, über das Leben der anderen bestimmen zu wollen. Der Fanatismus beginne dort, wo man ihn nicht erwarte: zu Hause. Von Amos Oz können wir lernen, wie es möglich ist, in einer gespaltenen, polarisierten Gesellschaft zu leben - ohne zu Fanatikern zu werden.
In drei Essays sucht Amos Oz nach Antworten. Er schreibt aus existentieller Betroffenheit und richtet einen ganz persönlichen Blick auf die Fragen des Extremismus. Aufgewachsen in Jerusalem, zum Schriftsteller geworden im Kibbuz, wurde er im Laufe seines Lebens zum »Fachmann für vergleichende Fanatismusforschung«, auch weil er sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzte.
»Viele Lichter, nicht nur eins. Viele Meinungen, nicht nur eine.« Das größte Übel, so der 2018 verstorbene Autor, sei die Anmaßung, über das Leben der anderen bestimmen zu wollen. Der Fanatismus beginne dort, wo man ihn nicht erwarte: zu Hause. Von Amos Oz können wir lernen, wie es möglich ist, in einer gespaltenen, polarisierten Gesellschaft zu leben - ohne zu Fanatikern zu werden.
»Was ist Fanatismus, wie kann man ihn heilen? Auf nur 140 Seiten versammelt Amos Oz in Liebe Fanatiker eine beeindruckende Fülle von Beispielen und möglichen Antworten, die aus einem umfassenden Quellenschatz schöpfen und auch tief mit seinen belletristischen Werken verbunden sind.« Tobias Krause Neue Zürcher Zeitung 20180905
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Einen kleinen Wegweiser in sein Denken habe Amos Oz hier vorgelegt, lobt ein wohlwollender Tobias Krause in seiner kurzen Kritik des schmalen Bandes. Behende und instruktiv lege Oz hier eine kleine Systematik des Fanatismus vor - den er vor allem in der nationalen und religiösen Ausprägung untersucht - und benenne auch die Gegenmittel: Witz, zum Beispiel, oder Empathie und die Anerkennung von Vielfalt. Auch für Israel komme Oz auf das Thema zurück und liefere eine weitere plausible Begründung für eine Zweistaatenlösung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2018Ein kleines Haus
Gleich zwei neue Bücher zeigen: Der Schriftsteller Amos Oz ist
auch als Essayist einer der klügsten Analytiker Israels
VON MEIKE FESSMANN
Elf Sprachen haben seine Eltern gesprochen, der aus Odessa kommende Vater alle mit russischem Akzent. Die Familie der Mutter stammte aus Polen. Amos Oz, 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren, wuchs als Einzelkind in einer kleinen Wohnung im Stadtteil Kerem Avraham auf, in dem vor allem Einwanderer aus Osteuropa lebten. Nach dem Selbstmord der Mutter im Jahr 1952 brach er mit dem Vater, einem Bibliothekar, der lieber Wissenschaftler geworden wäre. Alleine zog er in einen Kibbuz. Er wollte die Bücher und die Familiengeschichte hinter sich lassen, mit den eigenen Händen und dem Körper arbeiten. Den Nachnamen des Vaters, der auch der seines Großonkels, des Literaturwissenschaftlers Joseph Klausner, war, legte er ab. Er nannte sich von nun an Oz, was Kraft und Stärke bedeutet.
Amos Oz ist schließlich ziemlich genau das geworden, was sein Vater für ihn erträumt haben könnte: einer der bekanntesten Schriftsteller Israels, wenn nicht der bekannteste. Die Spannungen des Landes haben sich in seine Biografie übertragen. Es hat lange gedauert, bis er den Jerusalem-Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ schreiben konnte, in dem er erkundete, warum die große Liebe der Eltern so tragisch scheiterte. Das 2002 im hebräischen Original erschienene, in zahlreiche Sprachen übersetzte Opus magnum ist auch eine Geschichte Israels.
Nur wenige können so klug und zugleich pragmatisch über die Lage des Landes Auskunft geben, nur wenige mit vergleichbarer Wärme, aber auch mit der „Autorität eines ehemaligen Feldwebels der israelischen Armee“, die er ironisch ins Feld führt, wenn er seinen strategischen Sachverstand demonstrieren will. „Ich bin kein Pazifist“, sagt Amos Oz, der die Friedensbewegung „Peace Now“ mitgegründet hat. Die scheinbaren Widersprüche dieses Schriftstellers haben mit den Herausforderungen zu tun, vor die er gestellt ist. Wie erklärt man Israel? Und wie kann man es so erklären, dass man zur Befriedung beiträgt, ohne die realen Spannungen zu ignorieren?
Amos Oz hat von Anfang an politische Essays und Literatur parallel publiziert. Es sind für ihn zwei verschiedene Metiers, auch wenn sie sich auf den gleichen Stoff beziehen. Selten kann man dieses Spannungsverhältnis besser beobachten als mit den zwei Editionen, die der Suhrkamp Verlag soeben zeitgleich herausbringt, obwohl Jahrzehnte zwischen ihnen liegen. „Wo die Schakale heulen“ versammelt zum ersten Mal die frühen Erzählungen auf Deutsch, die 1965 in der hebräischen Originalausgabe („Arzot ha-Tan“) und 1976 und 1980 in einer überarbeiteten Fassung erschienen sind. Bis auf die letzte Geschichte, die den Mythos von Jiftach adaptiert, stammen neun der zehn Erzählungen aus den Jahren 1962 bis 1964. Man würde sie Jugendwerke nennen, wären Form und Sujets nicht von erstaunlicher Reife und Abgründigkeit. Kaum vorstellbar, dass sie ein Mann um die zwanzig geschrieben hat. Aber es war eben nicht irgendein junger Mann – schon damals war er der Schriftsteller Amos Oz.
Unter dem Titel „Liebe Fanatiker“ („Shalom lekana’im“) erscheint parallel dazu ein überaus erhellendes Bändchen mit „Drei Plädoyers“. Zwei sind erweiterte und aktualisierte Fassungen früherer Essays und Vorträge. Das dritte, „Träume, von denen sich Israel möglichst bald befreien sollte“, ist nach der Wahl Donald Trumps geschrieben, aber noch vor dessen gefährlicher Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels.
Als Jude unbedingt auf dem Tempelberg beten zu wollen, schreibt Amos Oz darin, sei ungefähr so, als wolle man als Fußgänger auf seinem Recht beharren, am Zebrasteifen Vorrang zu haben, obwohl man einen Lastwagen mit 100 km/h auf sich zurasen sieht. Man kann das machen, aber ratsam ist es nicht. Sein Plädoyer bittet inständig darum, ihn mitsamt seinen Kindern und Enkelkindern davon zu verschonen, sich mit 200 Millionen Arabern der islamischen Welt anzulegen. Schon lange plädiert er für eine Zweistaatenlösung. Er kann das so formulieren, dass es jedes Kind versteht: „Mein zionistischer Ansatz ist schon seit Jahren ganz einfach: Wir sind nicht allein in diesem Land. Wir sind nicht allein in Jerusalem. Das sage ich auch zu meinen palästinensischen Freunden. Ihr seid nicht allein in diesem Land. Es gibt keinen anderen Weg, als dieses kleine Haus in zwei noch kleinere Wohnungen aufzuteilen.“
Dass der Zionismus auch eine Jugendbewegung war, die Idealisten aus den verschiedensten Ländern anlockte, davon geben die Erzählungen einen Eindruck. Aber noch mehr von der zum Bersten gespannten Polarität, die der innere Antrieb dieses Schriftstellers zu sein scheint. Die meisten Erzählungen spielen in einer ländlichen, rund um einen Kibbuz angeordneten Welt. Auch wenn sie immer wieder so etwas wie einen hellen Lichtkreis um einen Schreibtisch entwerfen, irgendein älterer Mann sitzt dort und ordnet gerade schreibend die Welt, laufen die Fäden der Bedrohung quer durch alle Szenerien – hinaus in eine martialische Außenwelt, in der Schakale vor Trauer und Wut, vor Geilheit und Bosheit lachen, heulen, schreien, in der ein Wüstenwind bläst, der sich jederzeit zu lokalen Stürmen auswachsen kann, und in der eine Hitze brodelt, die alles niederwalzt. So wie die titelgebenden Schakale „sinnliche Ströme“ leiten, „die von Körper zu Körper springen“, reagiert in dieser Welt alles mit jedem. Die Geschichten sind durchpulst von Begehren und Begierden, die weder vor dem Unterschied zwischen Leblosem und Lebendem Halt machen, noch vor dem Inzest. Da lockt ein älterer Kibbuz-Bewohner, ein aus Bulgarien stammender ehemaliger Pferdezüchter, eine junge Frau in sein Junggesellenzimmer und deutet ganz nebenbei an, dass er vermutlich ihr Vater ist. Nach langem Hin und Her ist schließlich sie es, die vom Begehren mitgerissen wird. Mit dem Hinweis auf die blonde Farbe ihres Haars ruft sie aus: „wir dürfen es! Komm!“
Junge Männer lassen ihr Leben bei Vergeltungsaktionen, werden in Feindesland von Schakalen zerrissen oder geraten in den Mahlstrom der Gefühle ihrer niemals in Harmonie lebenden Eltern. Von schwebender Trauer ist die Erzählung „Der Weg des Windes“, in der wir gleich zu Anfang erfahren, dass der junge Fallschirmjäger, der zur Feier des Unabhängigkeitstags über dem Kibbuz der Eltern abspringt, den strahlenden Sonnentag nicht überleben wird. Damit die Mutter ihn mit ihrer sorgenden Liebe umfangen kann, öffnet er zusätzlich den Reservefallschirm, um aus der Menge der Kameraden herauszustechen. Doch der Ostwind trägt ihn davon, er verfängt sich in einer Hochspannungsleitung. Stundenlang hängt er dort bibbernd vor Angst, zum Schrecken und Amüsement der Umstehenden und unter den zornigen Rufen des Vaters, der ihm zuruft, er solle endlich sein Messer nehmen, die Schnüre durchschneiden und sich fallenlassen.
Konkret in der Dingwelt und den alltäglichen Verrichtungen, interessant in der Darstellung der verwickelten Generationen- und Sorgebeziehungen eines Kibbuz, hoch symbolisch in der Beschreibung einer feindlichen Umgebung und abgründig in den immer wieder ins Uferlose ausgreifenden und plötzlich abstürzenden Liebeswünschen, ist „Wo die Schakale heulen“ ein Erzählungsband von fremdartiger Schönheit und Grausamkeit.
Eine Stadt-Erzählung, sie spielt in Rechavia, der als „Kurort für Flüchtlinge“ titulierten, noblen Jerusalemer Gartensiedlung, dünstet eine Atmosphäre aus, die in ihrer Dichte und Genauigkeit zwischen Verheißung und Bedrohung schwankt. Kurz vor der Hochzeit wird ein junger Mann von seiner zukünftigen Schwiegermutter ohne Mantel in die Nacht gelockt. Auf verschlungenen Pfaden führt sie ihn über das Viertel hinaus, während sie ihn mit Familiengeheimnissen traktiert und zu einer Nähe nötigt, die ihm zuwider ist. „Schlafwandelnde Schakale irren durch die Täler. Aus der Tiefe des Nebels rufen sie ihre Brüder, die im Zwinger eingeschlossen sind. Das ist das Land der Albträume, und dahinter erstrecken sich vielleicht die Gärten, die noch kein Mensch gesehen hat, nach denen nur das Herz verlangt: Zuhause.“
Die aus Wien kommende Schwiegermutter mokiert sich über die hebräische Sprache, mit der sich Gefühle nicht differenziert genug ausdrücken ließen. Der Autor selbst sieht das anders. Und auch seine Übersetzerin, die ausgezeichnete Mirjam Pressler, die für beide Bücher zwei völlig verschiedene Register benötigte, wird das anders sehen. Amos Oz gehört zur ersten Generation, die mit Hebräisch aufgewachsen ist. Die Erneuerung der hebräischen Sprache in gerade mal drei, vier Generationen hält er für eine der größten Errungenschaften Israels, ebenso den Bau von Städten, Dörfern, genossenschaftlichen Siedlungen. Die verschiedenen Strömungen des halachischen Judentums erläutert er vor allem im Kontrast zu den säkularen Errungenschaften der jüdischen Kultur, zu denen er die moderne hebräische Literatur ebenso rechnet wie Streitlust, gemeinsame Familienessen und Demokratie.
Dass es „Fanatiker“ zu allen Zeiten und an allen Orten gibt, ist eine der Botschaften dieses ebenso klugen wie leicht zu lesenden Buches, dessen Beobachtungen weit über Israel hinausgehen. „Bei immer mehr Menschen ist das stärkste soziale Gefühl tiefe Abscheu“: knapper kann man rechte Strömungen auf den Straßen und Hass-Tiraden in sozialen Medien nicht beschreiben. Neugier und Fantasie, die Akzeptanz von Unterschieden und die unbedingte Bereitschaft zum Kompromiss – das sind die Tugenden, die Amos Oz den Fanatikern der Welt entgegenhält.
Amos Oz: Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 144 Seiten, 18 Euro.
Amos Oz: Wo die Schakale heulen. Erzählungen. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 320 Seiten, 22 Euro.
Ein älterer Mann sitzt
dort und ordnet gerade
schreibend die Welt
Die Erneuerung der hebräischen
Sprache ist eine der größten
Errungenschaften Israels
Ein Pazifist ist er nicht: der israelische Schriftsteller Amos Oz
Foto: imago/Leemage
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Gleich zwei neue Bücher zeigen: Der Schriftsteller Amos Oz ist
auch als Essayist einer der klügsten Analytiker Israels
VON MEIKE FESSMANN
Elf Sprachen haben seine Eltern gesprochen, der aus Odessa kommende Vater alle mit russischem Akzent. Die Familie der Mutter stammte aus Polen. Amos Oz, 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren, wuchs als Einzelkind in einer kleinen Wohnung im Stadtteil Kerem Avraham auf, in dem vor allem Einwanderer aus Osteuropa lebten. Nach dem Selbstmord der Mutter im Jahr 1952 brach er mit dem Vater, einem Bibliothekar, der lieber Wissenschaftler geworden wäre. Alleine zog er in einen Kibbuz. Er wollte die Bücher und die Familiengeschichte hinter sich lassen, mit den eigenen Händen und dem Körper arbeiten. Den Nachnamen des Vaters, der auch der seines Großonkels, des Literaturwissenschaftlers Joseph Klausner, war, legte er ab. Er nannte sich von nun an Oz, was Kraft und Stärke bedeutet.
Amos Oz ist schließlich ziemlich genau das geworden, was sein Vater für ihn erträumt haben könnte: einer der bekanntesten Schriftsteller Israels, wenn nicht der bekannteste. Die Spannungen des Landes haben sich in seine Biografie übertragen. Es hat lange gedauert, bis er den Jerusalem-Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ schreiben konnte, in dem er erkundete, warum die große Liebe der Eltern so tragisch scheiterte. Das 2002 im hebräischen Original erschienene, in zahlreiche Sprachen übersetzte Opus magnum ist auch eine Geschichte Israels.
Nur wenige können so klug und zugleich pragmatisch über die Lage des Landes Auskunft geben, nur wenige mit vergleichbarer Wärme, aber auch mit der „Autorität eines ehemaligen Feldwebels der israelischen Armee“, die er ironisch ins Feld führt, wenn er seinen strategischen Sachverstand demonstrieren will. „Ich bin kein Pazifist“, sagt Amos Oz, der die Friedensbewegung „Peace Now“ mitgegründet hat. Die scheinbaren Widersprüche dieses Schriftstellers haben mit den Herausforderungen zu tun, vor die er gestellt ist. Wie erklärt man Israel? Und wie kann man es so erklären, dass man zur Befriedung beiträgt, ohne die realen Spannungen zu ignorieren?
Amos Oz hat von Anfang an politische Essays und Literatur parallel publiziert. Es sind für ihn zwei verschiedene Metiers, auch wenn sie sich auf den gleichen Stoff beziehen. Selten kann man dieses Spannungsverhältnis besser beobachten als mit den zwei Editionen, die der Suhrkamp Verlag soeben zeitgleich herausbringt, obwohl Jahrzehnte zwischen ihnen liegen. „Wo die Schakale heulen“ versammelt zum ersten Mal die frühen Erzählungen auf Deutsch, die 1965 in der hebräischen Originalausgabe („Arzot ha-Tan“) und 1976 und 1980 in einer überarbeiteten Fassung erschienen sind. Bis auf die letzte Geschichte, die den Mythos von Jiftach adaptiert, stammen neun der zehn Erzählungen aus den Jahren 1962 bis 1964. Man würde sie Jugendwerke nennen, wären Form und Sujets nicht von erstaunlicher Reife und Abgründigkeit. Kaum vorstellbar, dass sie ein Mann um die zwanzig geschrieben hat. Aber es war eben nicht irgendein junger Mann – schon damals war er der Schriftsteller Amos Oz.
Unter dem Titel „Liebe Fanatiker“ („Shalom lekana’im“) erscheint parallel dazu ein überaus erhellendes Bändchen mit „Drei Plädoyers“. Zwei sind erweiterte und aktualisierte Fassungen früherer Essays und Vorträge. Das dritte, „Träume, von denen sich Israel möglichst bald befreien sollte“, ist nach der Wahl Donald Trumps geschrieben, aber noch vor dessen gefährlicher Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels.
Als Jude unbedingt auf dem Tempelberg beten zu wollen, schreibt Amos Oz darin, sei ungefähr so, als wolle man als Fußgänger auf seinem Recht beharren, am Zebrasteifen Vorrang zu haben, obwohl man einen Lastwagen mit 100 km/h auf sich zurasen sieht. Man kann das machen, aber ratsam ist es nicht. Sein Plädoyer bittet inständig darum, ihn mitsamt seinen Kindern und Enkelkindern davon zu verschonen, sich mit 200 Millionen Arabern der islamischen Welt anzulegen. Schon lange plädiert er für eine Zweistaatenlösung. Er kann das so formulieren, dass es jedes Kind versteht: „Mein zionistischer Ansatz ist schon seit Jahren ganz einfach: Wir sind nicht allein in diesem Land. Wir sind nicht allein in Jerusalem. Das sage ich auch zu meinen palästinensischen Freunden. Ihr seid nicht allein in diesem Land. Es gibt keinen anderen Weg, als dieses kleine Haus in zwei noch kleinere Wohnungen aufzuteilen.“
Dass der Zionismus auch eine Jugendbewegung war, die Idealisten aus den verschiedensten Ländern anlockte, davon geben die Erzählungen einen Eindruck. Aber noch mehr von der zum Bersten gespannten Polarität, die der innere Antrieb dieses Schriftstellers zu sein scheint. Die meisten Erzählungen spielen in einer ländlichen, rund um einen Kibbuz angeordneten Welt. Auch wenn sie immer wieder so etwas wie einen hellen Lichtkreis um einen Schreibtisch entwerfen, irgendein älterer Mann sitzt dort und ordnet gerade schreibend die Welt, laufen die Fäden der Bedrohung quer durch alle Szenerien – hinaus in eine martialische Außenwelt, in der Schakale vor Trauer und Wut, vor Geilheit und Bosheit lachen, heulen, schreien, in der ein Wüstenwind bläst, der sich jederzeit zu lokalen Stürmen auswachsen kann, und in der eine Hitze brodelt, die alles niederwalzt. So wie die titelgebenden Schakale „sinnliche Ströme“ leiten, „die von Körper zu Körper springen“, reagiert in dieser Welt alles mit jedem. Die Geschichten sind durchpulst von Begehren und Begierden, die weder vor dem Unterschied zwischen Leblosem und Lebendem Halt machen, noch vor dem Inzest. Da lockt ein älterer Kibbuz-Bewohner, ein aus Bulgarien stammender ehemaliger Pferdezüchter, eine junge Frau in sein Junggesellenzimmer und deutet ganz nebenbei an, dass er vermutlich ihr Vater ist. Nach langem Hin und Her ist schließlich sie es, die vom Begehren mitgerissen wird. Mit dem Hinweis auf die blonde Farbe ihres Haars ruft sie aus: „wir dürfen es! Komm!“
Junge Männer lassen ihr Leben bei Vergeltungsaktionen, werden in Feindesland von Schakalen zerrissen oder geraten in den Mahlstrom der Gefühle ihrer niemals in Harmonie lebenden Eltern. Von schwebender Trauer ist die Erzählung „Der Weg des Windes“, in der wir gleich zu Anfang erfahren, dass der junge Fallschirmjäger, der zur Feier des Unabhängigkeitstags über dem Kibbuz der Eltern abspringt, den strahlenden Sonnentag nicht überleben wird. Damit die Mutter ihn mit ihrer sorgenden Liebe umfangen kann, öffnet er zusätzlich den Reservefallschirm, um aus der Menge der Kameraden herauszustechen. Doch der Ostwind trägt ihn davon, er verfängt sich in einer Hochspannungsleitung. Stundenlang hängt er dort bibbernd vor Angst, zum Schrecken und Amüsement der Umstehenden und unter den zornigen Rufen des Vaters, der ihm zuruft, er solle endlich sein Messer nehmen, die Schnüre durchschneiden und sich fallenlassen.
Konkret in der Dingwelt und den alltäglichen Verrichtungen, interessant in der Darstellung der verwickelten Generationen- und Sorgebeziehungen eines Kibbuz, hoch symbolisch in der Beschreibung einer feindlichen Umgebung und abgründig in den immer wieder ins Uferlose ausgreifenden und plötzlich abstürzenden Liebeswünschen, ist „Wo die Schakale heulen“ ein Erzählungsband von fremdartiger Schönheit und Grausamkeit.
Eine Stadt-Erzählung, sie spielt in Rechavia, der als „Kurort für Flüchtlinge“ titulierten, noblen Jerusalemer Gartensiedlung, dünstet eine Atmosphäre aus, die in ihrer Dichte und Genauigkeit zwischen Verheißung und Bedrohung schwankt. Kurz vor der Hochzeit wird ein junger Mann von seiner zukünftigen Schwiegermutter ohne Mantel in die Nacht gelockt. Auf verschlungenen Pfaden führt sie ihn über das Viertel hinaus, während sie ihn mit Familiengeheimnissen traktiert und zu einer Nähe nötigt, die ihm zuwider ist. „Schlafwandelnde Schakale irren durch die Täler. Aus der Tiefe des Nebels rufen sie ihre Brüder, die im Zwinger eingeschlossen sind. Das ist das Land der Albträume, und dahinter erstrecken sich vielleicht die Gärten, die noch kein Mensch gesehen hat, nach denen nur das Herz verlangt: Zuhause.“
Die aus Wien kommende Schwiegermutter mokiert sich über die hebräische Sprache, mit der sich Gefühle nicht differenziert genug ausdrücken ließen. Der Autor selbst sieht das anders. Und auch seine Übersetzerin, die ausgezeichnete Mirjam Pressler, die für beide Bücher zwei völlig verschiedene Register benötigte, wird das anders sehen. Amos Oz gehört zur ersten Generation, die mit Hebräisch aufgewachsen ist. Die Erneuerung der hebräischen Sprache in gerade mal drei, vier Generationen hält er für eine der größten Errungenschaften Israels, ebenso den Bau von Städten, Dörfern, genossenschaftlichen Siedlungen. Die verschiedenen Strömungen des halachischen Judentums erläutert er vor allem im Kontrast zu den säkularen Errungenschaften der jüdischen Kultur, zu denen er die moderne hebräische Literatur ebenso rechnet wie Streitlust, gemeinsame Familienessen und Demokratie.
Dass es „Fanatiker“ zu allen Zeiten und an allen Orten gibt, ist eine der Botschaften dieses ebenso klugen wie leicht zu lesenden Buches, dessen Beobachtungen weit über Israel hinausgehen. „Bei immer mehr Menschen ist das stärkste soziale Gefühl tiefe Abscheu“: knapper kann man rechte Strömungen auf den Straßen und Hass-Tiraden in sozialen Medien nicht beschreiben. Neugier und Fantasie, die Akzeptanz von Unterschieden und die unbedingte Bereitschaft zum Kompromiss – das sind die Tugenden, die Amos Oz den Fanatikern der Welt entgegenhält.
Amos Oz: Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 144 Seiten, 18 Euro.
Amos Oz: Wo die Schakale heulen. Erzählungen. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 320 Seiten, 22 Euro.
Ein älterer Mann sitzt
dort und ordnet gerade
schreibend die Welt
Die Erneuerung der hebräischen
Sprache ist eine der größten
Errungenschaften Israels
Ein Pazifist ist er nicht: der israelische Schriftsteller Amos Oz
Foto: imago/Leemage
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