Die italienische Schriftstellerin Dacia Maraini erzählt eine Liebesgeschichte, schildert die Beziehungen zwischen dem jungen Geiger Edoardo und der reifen Schriftstellerin Vera. Entstanden ist ein sehr persönliches Buch. Schonungslos offen und ehrlich spricht eine Frau, über das, was sie bewegt: Liebe und Musik, Altern und Einsamkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.1998Familienalbum, leicht vergilbt
Hingetupft: Dacia Maraini schreibt an ein erfundenes Kind
Die sechsjährige Flavia verhält sich ausgesprochen artfremd. Sie tut nichts von alledem, was kleine Mädchen heutzutage gerne treiben. Sie tobt und albert nicht, sieht kein Fernsehen und trägt keine Baseballmützen verkehrtherum, sondern schmückt sich mit kirschroten Hütchen und tomatenroten Schuhen. Die italienische Schriftstellerin Dacia Maraini alias Vera hat dieses artige kleine Kunstprodukt erschaffen, um in Briefform weise sinnieren und daraus ein Büchlein machen zu können. Ihre milden Meditationen über die Flüchtigkeit der Liebe, die Spuren des Alters und die Kraft der Kunst kommen als durchaus angenehm zu lesende Kinderbriefe daher, und fast ist man geneigt, über die Unglaubwürdigkeit der kleinen Adressatin hinwegzusehen.
Vera gehört durch ihre Liebschaft mit Flavias Onkel, dem Geiger Eduardo, zeitweilig zu Flavias Familie und tupft Anekdotisches ins literarische Familienalbum, vergnügliche Episoden von der Ratte in der Toilette, den abstrusen Sammelleidenschaften des Großvaters, Eduardos Haarfetischismus. Krankheiten, Leiden und Ängste werden nicht ausgespart, auch sie gehören, taktvoll angedeutet, in die Familienchronik.
Daß Veras Liebe zu Eduardo nach neun Jahren schließlich zerbricht, beschreibt sie gramvoll und bildreich, und dies ist auch die Bruchstelle, an der ihre erbaulichen Altersweisheiten ins Stereotype abrutschen. Daß Liebe vergehen kann, darf erzählt, aber nicht beklagt werden, denn der Gefahr der Larmoyanz läßt sich sonst kaum entgehen. Das kleine Mädchen gerät der Schreiberin allmählich aus dem Blick. Ihr nostalgischer, zunehmend selbstbezogener Monolog erzeugt Unbehagen, weil dadurch die Lektüre zum Blick durchs Schlüsselloch wird: In ihrem Salon erspäht man eine einsame ältere Dame, die wehmütig im Familienalbum blättert. Dezent möchte man sich abwenden und sie sich selbst überlassen. ANNETTE PEHNT
Dacia Maraini: "Liebe Flavia". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Viktoria von Schirach. Piper Verlag, München 1998. 210 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hingetupft: Dacia Maraini schreibt an ein erfundenes Kind
Die sechsjährige Flavia verhält sich ausgesprochen artfremd. Sie tut nichts von alledem, was kleine Mädchen heutzutage gerne treiben. Sie tobt und albert nicht, sieht kein Fernsehen und trägt keine Baseballmützen verkehrtherum, sondern schmückt sich mit kirschroten Hütchen und tomatenroten Schuhen. Die italienische Schriftstellerin Dacia Maraini alias Vera hat dieses artige kleine Kunstprodukt erschaffen, um in Briefform weise sinnieren und daraus ein Büchlein machen zu können. Ihre milden Meditationen über die Flüchtigkeit der Liebe, die Spuren des Alters und die Kraft der Kunst kommen als durchaus angenehm zu lesende Kinderbriefe daher, und fast ist man geneigt, über die Unglaubwürdigkeit der kleinen Adressatin hinwegzusehen.
Vera gehört durch ihre Liebschaft mit Flavias Onkel, dem Geiger Eduardo, zeitweilig zu Flavias Familie und tupft Anekdotisches ins literarische Familienalbum, vergnügliche Episoden von der Ratte in der Toilette, den abstrusen Sammelleidenschaften des Großvaters, Eduardos Haarfetischismus. Krankheiten, Leiden und Ängste werden nicht ausgespart, auch sie gehören, taktvoll angedeutet, in die Familienchronik.
Daß Veras Liebe zu Eduardo nach neun Jahren schließlich zerbricht, beschreibt sie gramvoll und bildreich, und dies ist auch die Bruchstelle, an der ihre erbaulichen Altersweisheiten ins Stereotype abrutschen. Daß Liebe vergehen kann, darf erzählt, aber nicht beklagt werden, denn der Gefahr der Larmoyanz läßt sich sonst kaum entgehen. Das kleine Mädchen gerät der Schreiberin allmählich aus dem Blick. Ihr nostalgischer, zunehmend selbstbezogener Monolog erzeugt Unbehagen, weil dadurch die Lektüre zum Blick durchs Schlüsselloch wird: In ihrem Salon erspäht man eine einsame ältere Dame, die wehmütig im Familienalbum blättert. Dezent möchte man sich abwenden und sie sich selbst überlassen. ANNETTE PEHNT
Dacia Maraini: "Liebe Flavia". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Viktoria von Schirach. Piper Verlag, München 1998. 210 S., geb., 36,- DM.
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