Sie leben auf einer Farm in Irland, in den Sumpfgebieten von Louisiana oder in einem englischen Vorort und mit Verlust kennen sie sich aus: der Priester, der seine Geliebte mit einem anderen verheiraten muss; der Bruder, der seine Schwester nicht beschützen kann; der Förster, der einen Hund verschenkt, der ihm nicht gehört; das Mädchen, das sich von ihrem Jugendfreund schwängern lässt. Liebe und Nähe sind rar: Die Männer verstehen zwar etwas vom Land, von Moor und Vieh; ihre Frauen aber, die »Regen riechen können und das Gras wachsen hören«, bleiben ihnen eher fremd.
Claire Keegans meisterhaft komponierte Geschichten erzählen von vielfältigen Enttäuschungen, großer Einsamkeit und nie nachlassender Hoffnung. Auf kleinstem Raum entfaltet Keegan ganze Lebensdramen und lässt uns an dem Augenblick teilhaben, der vielleicht alles verändert.
Mit dieser Sonderausgabe, der die Erzählungen der Bände Wo das Wasser am tiefsten ist und Durch die blauen Felder vereint, lässt sich die großartige irische Autorin neu oder wieder entdecken und natürlich auch weiterempfehlen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Claire Keegans meisterhaft komponierte Geschichten erzählen von vielfältigen Enttäuschungen, großer Einsamkeit und nie nachlassender Hoffnung. Auf kleinstem Raum entfaltet Keegan ganze Lebensdramen und lässt uns an dem Augenblick teilhaben, der vielleicht alles verändert.
Mit dieser Sonderausgabe, der die Erzählungen der Bände Wo das Wasser am tiefsten ist und Durch die blauen Felder vereint, lässt sich die großartige irische Autorin neu oder wieder entdecken und natürlich auch weiterempfehlen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.04.2018Der Tod der
Hundewelpen
Karg, düster: Erzählungen der
irischen Autorin Claire Keegan
Grau ist der regenverhangene Himmel, grau liegen die einsamen Gehöfte im Nebel und Wind, grau und verdüstert wirkt das Gemüt ihrer Bewohner. Dieses Irland ist keine Idylle. Diese Menschen sind nicht arm, aber anständig. Armut, auch vor allem Armut an Bildung, kann roh und gemein machen. Ein unschönes Bild des ländlichen Irlands einer Gott sei Dank vergangenen Zeit steigt da empor.
Die Autorin Claire Keegan, 1968 geboren, wuchs selbst auf einer Farm im ländlichen Irland auf, in der Grafschaft Wicklow. In ihrem Kurzgeschichten-Band „Liebe im hohen Gras“, fühlen sich die Figuren wie in einer Falle. Nicht zuletzt in wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Aber sie streben nach Glück, ohne zu wissen, wie es aussieht. „Die meiste Zeit über stolperten die Menschen, ob verrückt oder vernünftig, im Finstern umher und tasteten mit ausgestreckten Händen nach etwas, von dem sie nicht einmal wussten, dass sie es wollten.“
Der Satz stammt aus einer der schönsten der insgesamt 23 Erzählungen, „Die Nacht der Quickenbäume“. Im Kontrast zu den meisten anderen Erzählungen gibt es darin ein Fünkchen Hoffnung. Zwei seltsame Käuze, ein Mann und eine Frau, finden für einen kurzen Moment menschlichen Glücks zueinander. Meist aber geht die Liebe schief, weil der Mann verheiratet ist oder, in einem Fall, Priester, und die Frauen, die an eine unbedingte Liebe glauben wollen, ziehen sich wie Nonnen von der Welt völlig zurück. Auch Cordelia in „Liebe im hohen Gras“ wird zur Einsiedlerin, aber ausgerechnet diese Titel-Erzählung erscheint etwas konstruiert.
Warum wirkt das karge Erzählen oft stärker als das weitschweifige? In „Brandwunden“ wird das verwahrloste Haus einer Familie zunächst bis ins Detail ausgemalt: ein Heer schwarzglänzender Kakerlaken, die aus den Ritzen in die Küche kriechen und der zentimeterdicke Staub, der sich nach einem Feuer in allen Ecken des Hauses niedergelassen hat. Brandwunden auf der Haut der beiden Kinder. Nach und nach erfahren wir, dass ihre eigene Mutter die Brandstifterin war. Warum sie das Verbrechen begangen hat, erfahren wir nicht. Die Erzählung wirkt wie ein düsteres, naturalistisch gemaltes Gemälde, das die Künstlerin aber absichtlich unfertig gelassen hat. In der ersten Geschichte, „Antarktis“, treffen sich eine verheiratete Frau und ein Mann zu einem Blind Date. Was verheißungsvoll und sinnenfroh beginnt, mündet in eine Katastrophe. Und wir erfahren nicht, ob die Frau sie überleben wird.
Die vielen offenen Enden lassen uns Leser düpiert zurück. Hey, Keegan, möchte man der Autorin zurufen, lass uns doch nicht im Ungewissen, Dein Job ist noch nicht getan! Literaturwissenschaftler haben für die dunklen Ecken einer Geschichte oder eines Romans den Begriff der Leerstelle geprägt, er zielt auf eine erprobte Methode, die manchmal vertrocknete Fantasie von uns Lesern anzufeuern.
Aber nicht nur die Erzählerstimmen, auch die Figuren selbst lassen manches in der Schwebe, gerade dann, wenn sie aus der Ich-Perspektive erzählen. Das junge, schon verwaiste Mädchen, das uns ihr Leben so rotzig wie empfindsam erzählt, verschweigt uns nicht, dass sie beim Bügeln das Polyesternachthemd ihrer großen Schwester versengt hat. Aber sie möchte lieber nicht darüber nachdenken, ob es vielleicht Absicht war. Die derbe Sprache der Schwestern untereinander steht in herbem Kontrast zu ihrem engen Verhältnis.
Gefühle können miteinander im Widerstreit liegen, auch wer liebt, kann dem anderen Böses antun. In der Erzählung „Das Abschiedsgeschenk“ schickt die Mutter ihre kleine Tochter ins Schlafzimmer ihres Mannes, der im Bett auf die Kleine wartet. Und als ominöses Vorzeichen des Verbrechens taucht die Mutter einen Wurf von Hundewelpen solange unter Wasser, bis ihr Gewinsel erstirbt. Während sie dies tut, lächelt sie ihre kleine Tochter an. Wenn sie die Geduld mit ihr verliert, droht sie manchmal, auch sie in einen Eimer zu stecken und zu ertränken.
Auch Worte, die nur gedankenlos dahingesagt werden, können in diesen Erzählungen Unheil anrichten, verletzen und verstören, errichten Mauern zwischen die in sich verkapselten Menschen. Claire Keegan zeigt sich mit „Liebe im hohen Gras“ als wortmächtige Autorin, die der Kraft der Sprache misstraut.
EVA SCHÄFERS
Claire Keegan: Liebe im hohen Gras. Gesammelte Erzählungen. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser und Inge Leipold. Steidl Verlag, Göttingen 2017. 416 Seiten, 24 Euro.
Hey, Keegan, möchte man der
Autorin zurufen, lass uns
doch nicht im Ungewissen!
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hundewelpen
Karg, düster: Erzählungen der
irischen Autorin Claire Keegan
Grau ist der regenverhangene Himmel, grau liegen die einsamen Gehöfte im Nebel und Wind, grau und verdüstert wirkt das Gemüt ihrer Bewohner. Dieses Irland ist keine Idylle. Diese Menschen sind nicht arm, aber anständig. Armut, auch vor allem Armut an Bildung, kann roh und gemein machen. Ein unschönes Bild des ländlichen Irlands einer Gott sei Dank vergangenen Zeit steigt da empor.
Die Autorin Claire Keegan, 1968 geboren, wuchs selbst auf einer Farm im ländlichen Irland auf, in der Grafschaft Wicklow. In ihrem Kurzgeschichten-Band „Liebe im hohen Gras“, fühlen sich die Figuren wie in einer Falle. Nicht zuletzt in wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Aber sie streben nach Glück, ohne zu wissen, wie es aussieht. „Die meiste Zeit über stolperten die Menschen, ob verrückt oder vernünftig, im Finstern umher und tasteten mit ausgestreckten Händen nach etwas, von dem sie nicht einmal wussten, dass sie es wollten.“
Der Satz stammt aus einer der schönsten der insgesamt 23 Erzählungen, „Die Nacht der Quickenbäume“. Im Kontrast zu den meisten anderen Erzählungen gibt es darin ein Fünkchen Hoffnung. Zwei seltsame Käuze, ein Mann und eine Frau, finden für einen kurzen Moment menschlichen Glücks zueinander. Meist aber geht die Liebe schief, weil der Mann verheiratet ist oder, in einem Fall, Priester, und die Frauen, die an eine unbedingte Liebe glauben wollen, ziehen sich wie Nonnen von der Welt völlig zurück. Auch Cordelia in „Liebe im hohen Gras“ wird zur Einsiedlerin, aber ausgerechnet diese Titel-Erzählung erscheint etwas konstruiert.
Warum wirkt das karge Erzählen oft stärker als das weitschweifige? In „Brandwunden“ wird das verwahrloste Haus einer Familie zunächst bis ins Detail ausgemalt: ein Heer schwarzglänzender Kakerlaken, die aus den Ritzen in die Küche kriechen und der zentimeterdicke Staub, der sich nach einem Feuer in allen Ecken des Hauses niedergelassen hat. Brandwunden auf der Haut der beiden Kinder. Nach und nach erfahren wir, dass ihre eigene Mutter die Brandstifterin war. Warum sie das Verbrechen begangen hat, erfahren wir nicht. Die Erzählung wirkt wie ein düsteres, naturalistisch gemaltes Gemälde, das die Künstlerin aber absichtlich unfertig gelassen hat. In der ersten Geschichte, „Antarktis“, treffen sich eine verheiratete Frau und ein Mann zu einem Blind Date. Was verheißungsvoll und sinnenfroh beginnt, mündet in eine Katastrophe. Und wir erfahren nicht, ob die Frau sie überleben wird.
Die vielen offenen Enden lassen uns Leser düpiert zurück. Hey, Keegan, möchte man der Autorin zurufen, lass uns doch nicht im Ungewissen, Dein Job ist noch nicht getan! Literaturwissenschaftler haben für die dunklen Ecken einer Geschichte oder eines Romans den Begriff der Leerstelle geprägt, er zielt auf eine erprobte Methode, die manchmal vertrocknete Fantasie von uns Lesern anzufeuern.
Aber nicht nur die Erzählerstimmen, auch die Figuren selbst lassen manches in der Schwebe, gerade dann, wenn sie aus der Ich-Perspektive erzählen. Das junge, schon verwaiste Mädchen, das uns ihr Leben so rotzig wie empfindsam erzählt, verschweigt uns nicht, dass sie beim Bügeln das Polyesternachthemd ihrer großen Schwester versengt hat. Aber sie möchte lieber nicht darüber nachdenken, ob es vielleicht Absicht war. Die derbe Sprache der Schwestern untereinander steht in herbem Kontrast zu ihrem engen Verhältnis.
Gefühle können miteinander im Widerstreit liegen, auch wer liebt, kann dem anderen Böses antun. In der Erzählung „Das Abschiedsgeschenk“ schickt die Mutter ihre kleine Tochter ins Schlafzimmer ihres Mannes, der im Bett auf die Kleine wartet. Und als ominöses Vorzeichen des Verbrechens taucht die Mutter einen Wurf von Hundewelpen solange unter Wasser, bis ihr Gewinsel erstirbt. Während sie dies tut, lächelt sie ihre kleine Tochter an. Wenn sie die Geduld mit ihr verliert, droht sie manchmal, auch sie in einen Eimer zu stecken und zu ertränken.
Auch Worte, die nur gedankenlos dahingesagt werden, können in diesen Erzählungen Unheil anrichten, verletzen und verstören, errichten Mauern zwischen die in sich verkapselten Menschen. Claire Keegan zeigt sich mit „Liebe im hohen Gras“ als wortmächtige Autorin, die der Kraft der Sprache misstraut.
EVA SCHÄFERS
Claire Keegan: Liebe im hohen Gras. Gesammelte Erzählungen. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser und Inge Leipold. Steidl Verlag, Göttingen 2017. 416 Seiten, 24 Euro.
Hey, Keegan, möchte man der
Autorin zurufen, lass uns
doch nicht im Ungewissen!
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de