»Lesen Sie bitte dieses Buch, es ist hinreißend. Ich habe so viel Neues erfahren, über die Liebe, die Kunst und das Grauen.« Ferdinand von Schirach
»Absolut mitreißend: Auf jeder Seite gibt es etwas Neues zu entdecken.« Daily Telegraph
In einem virtuosen Epochengemälde erweckt Florian Illies die dreißiger Jahre, dieses Jahrzehnt berstender politischer und kultureller Spannungen, zum Leben.
Als Jean-Paul Sartre mit Simone de Beauvoir im Kranzler-Eck in Berlin Käsekuchen isst, Henry Miller und Anaïs Nin wilde Nächte in Paris und »Stille Tage in Clichy« erleben, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway sich in New York in leidenschaftliche Affären stürzen, fliehen Bertolt Brecht und Helene Weigel wie Katia und Thomas Mann ins Exil. Genau das ist die Zeit, in der die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland ergreifen, Bücher verbrennen und die Gewalt gegen Juden beginnt.
1933 enden die »Goldenen Zwanziger« mit einer Vollbremsung. Florian Illies führt uns zurück in die Epoche einer singulären politischen Katastrophe, um von den größten Liebespaaren der Kulturgeschichte zu erzählen: In Berlin, Paris, im Tessin und an der Riviera stemmen sich die großen Helden der Zeit gegen den drohenden Untergang. Eine mitreißend erzählte Reise in die Vergangenheit, die sich wie ein Kommentar zu unserer verunsicherten Gegenwart liest: Liebe in Zeiten des Hasses.
»Eine Gesellschaftsgeschichte in Zweier- und Dreierbeziehungen. Indiskret, schonungslos und aufregend. Desillusionierend und anrührend zugleich. Ein Bravourstück.« Harald Jähner
»Absolut mitreißend: Auf jeder Seite gibt es etwas Neues zu entdecken.« Daily Telegraph
In einem virtuosen Epochengemälde erweckt Florian Illies die dreißiger Jahre, dieses Jahrzehnt berstender politischer und kultureller Spannungen, zum Leben.
Als Jean-Paul Sartre mit Simone de Beauvoir im Kranzler-Eck in Berlin Käsekuchen isst, Henry Miller und Anaïs Nin wilde Nächte in Paris und »Stille Tage in Clichy« erleben, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway sich in New York in leidenschaftliche Affären stürzen, fliehen Bertolt Brecht und Helene Weigel wie Katia und Thomas Mann ins Exil. Genau das ist die Zeit, in der die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland ergreifen, Bücher verbrennen und die Gewalt gegen Juden beginnt.
1933 enden die »Goldenen Zwanziger« mit einer Vollbremsung. Florian Illies führt uns zurück in die Epoche einer singulären politischen Katastrophe, um von den größten Liebespaaren der Kulturgeschichte zu erzählen: In Berlin, Paris, im Tessin und an der Riviera stemmen sich die großen Helden der Zeit gegen den drohenden Untergang. Eine mitreißend erzählte Reise in die Vergangenheit, die sich wie ein Kommentar zu unserer verunsicherten Gegenwart liest: Liebe in Zeiten des Hasses.
»Eine Gesellschaftsgeschichte in Zweier- und Dreierbeziehungen. Indiskret, schonungslos und aufregend. Desillusionierend und anrührend zugleich. Ein Bravourstück.« Harald Jähner
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jan Wiele hat gar nichts gegen das Anliegen von Florian Illies, mit seinem Buch über die Liebe in Zeiten des Hasses zwischen 1929 und 1939, Warmherzigkeit zu predigen. Allein die Form! Dass Illies sich eines allwissenden, einfühlenden, pathetischen Beschreibens bedient, um den Leser möglichst nah ans Geschehen heranzurücken, an die homosexuelle Liebe Klaus Manns, das erste Rendezvous zwischen Sartre und der Beauvoir, Wittgensteins Schweißausbrüche angesichts großer Gefühle oder die Atmosphäre in Benns Praxis für Geschlechtskrankheiten, leuchtet Wiele nicht ein. Liebe, ja, Kälte, ja doch! Aber Kitsch? Die an sich schöne Idee hinter dem Buch, ein Jahrzehnt in Schlaglichtern auf sein Liebesleben zu erfassen, bekommt dadurch laut Rezensent Kratzer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2021Mit Kitsch gegen die Kälte
Heiß mögen unsere Herzen sein: Florian Illies folgt berühmten Liebespaaren durch dunkle Zeiten und spart dabei nicht mit Pathos und Sentenzen.
Zunächst einmal: was für eine gute Idee. Das Jahrzehnt von 1929 bis 1939 zu beschreiben in Vignetten, die alle um Liebe kreisen (oder das, was angesichts der Neuen Sachlichkeit davon übrig geblieben sein soll), ermöglicht Florian Illies einen kurzweiligen und doch elementaren Zugriff auf die Kulturgeschichte.
Der Beginn mit dem Jahr 1929 und eine prominente Rolle für Alfred Döblin lassen darauf schließen, dass vielleicht auch die Form des Buches von Döblin und seinem um 1929 spielenden Roman "Berlin Alexanderplatz" inspiriert sein könnte, nämlich durch das Verfahren der Montage. Unvermittelt stehen bei Illies Schlaglichter nebeneinander, durch Sternchen getrennt. So springt man vom ersten Date zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir in Paris zu dem von Sophie Scholl und Fritz Hartnagel, dazwischen fällt man mit Picasso, Brecht und Benn zwischen viele unglücklichen Frauen, mit Zelda und Scott Fitzgerald in eine Ehekrise und in die Ménage-à-trois auf Ibiza zwischen dem Dadaisten Raoul Hausmann, seiner Ehefrau Hedwig Mankiewitz und seiner "Muse" Vera Broido. Es geht um die emanzipierte Liebe der "neuen Frau" in Berlin, die Erich Kästner ratlos macht und ihn den Roman "Fabian" schreiben lässt, es geht um homosexuelle Liebe bei Klaus Mann oder Christopher Isherwood, es geht um sadomasochistische Liebe zwischen dem Maler Rudolf Schlichter und seiner Frau Elfriede, genannt Speedy.
Aber es geht auch um die titelgebenden "Zeiten des Hasses", die Liebe angeblich zunehmend schwierig oder unmöglich machen. Illies destilliert aus Tagebüchern und Biographien, wie sich einige trotz grausamer Erfahrungen Liebeshoffnung bewahren, und er fragt, wie die Grausamen geliebt haben, darunter Hermann Göring und Julius Streicher. Teils gelingen mit diesem Kompositionsprinzip interessante Verdichtungen, etwa wenn er die Entstehung des Gemäldes "Die sieben Todsünden" von Otto Dix im Sommer 1933 engführt mit der Uraufführung von Bertolt Brechts gleichnamigem Theaterstück in Paris, um beider Kritik an den Sünden der Zeit sowie ihre eigene Sünden aufzuzeigen.
Ganz deutlich - und auch offen dargelegt im Literaturverzeichnis - orientiert sich Illies an Helmut Lethens Buch "Verhaltenslehren der Kälte": Sein Buch wirkt teilweise wie eine Neufassung mit den Mitteln des Bestsellerautors, der mit einem Rundumschlag gleich eine Liste von Trigger-Themen abräumt, inklusive Nationalsozialismus und Sex. Nach dem Ersten Weltkrieg sei es darum gegangen, sich zu panzern und Gefühle zu unterdrücken, referiert Illies, vom "Kältekult" ist die Rede, belegt mit Ernst Jüngers Wunsch nach einer "Literatur unter null", von Brechts Lob der Kälte und dem von George Grosz geforderten "Packeis-Charakter".
Aber auch darüber hinaus ordnet Illies dem Kälte-Narrativ alles unter. Der Blick des Fotografen August Sander ist "kalt", das Schaffen Leni Riefenstahls ebenso "eiskalt" wie der Martini in der Hand von Marlene Dietrich; auch Erich Kästner wird "immer kälter", Céline ist "das kälteste Herz" der französischen Literatur, und wenn Claus Graf Schenk von Stauffenberg, Jahre bevor er zum Widerständler wird, aus dem von Deutschland überfallenen Polen an seine Frau schreibt, dann tut auch er das "eiskalt". Wenn die Charaktere einmal keine Eiseskälte hergeben, dann weht eben kalter Wind oder es ist ein ungewöhnlich kalter Tag im Juni - alles um zu beweisen, dass "eine ganze Generation jene Kälte zur Maxime erhoben hat".
Die Ausstellung der Kälte ist zugleich ihre Anklage. In diesem Zusammenhang ist interessant, wie dieses Buch eigentlich erzählt ist. Sein Erzähler ist offenbar allwissend. Er weiß, wann Döblin "todunglücklich" war und Else Lasker-Schüler "kreidebleich", dass es in Gottfried Benns Praxis "nach Formaldehyd und nach Aussichtslosigkeit" roch. Er weiß immer, wer wann "Tränen in den Augen" hatte. Kurt Weill etwa, als Lotte Lenya ihn fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn sie mit ihrem Geliebten Otto Pasetti ein Kind bekäme. Und Simone de Beauvoir, als Sartre ihr demonstrierte, dass er doch kein Gefühlsmensch sei, "sondern eine Wüste".
Illies wählt die Form des personalen Erzählens, um eine Einfühlung in Figuren zu suggerieren, wie sie der erzählerische Realismus des neunzehnten Jahrhunderts kannte. Das ist in literarischen Biographien heute leider wieder üblich geworden, aber es bleibt fragwürdig und wirkt manchmal einfach lächerlich. Etwa in dieser Szene in einem Ruderboot auf dem Rhein mit Ludwig Wittgenstein und Marguerite Respinger: "Eigentlich eine Idylle. Aber nach ein zwei längeren Küssen schreckt Wittgenstein auf. Ihm bricht der Schweiß aus, wenn seine Hormone in Gang kommen. (. . .) Ludwig Wittgenstein, einer der klügsten Männer der Welt, versteht die selbige nicht mehr." Ähnlich geht es anscheinend Klaus Mann: Dieser "treibt haltlos durch die zwanziger Jahre. Er ist, obwohl erst 23 Jahre alt, also ganz am Anfang, oft schon ganz am Ende. Er will geliebt werden." Isherwood "denkt an nichts und weiß doch, dass gerade seine Zukunft beginnt". Etwas mehr anhimmeln könnte ihn Josephine Baker, "denkt sich Le Corbusier". Und Stalins Antrieb für seine Jahrhundertverbrechen? Hat natürlich auch nur einen Grund: "Die Demütigung, als die Josef Stalin den Selbstmord seiner Gattin empfindet, zerstört in ihm den letzten Rest Vertrauen in die Menschheit. Ab dem 9. November 1932 wittert er nur noch Verschwörer, die es zu vernichten gilt."
Moderne Erzähler, von denen Illies in seinem Buch ja einige aufführt, lehnten solcherlei psychologisierendes Erzählen ab, weil sie an seine Kausalitätsunterstellung nicht mehr glaubten. Warum also benutzt Illies eine vormoderne Form des Erzählens, um moderne Phänomene zu beschreiben? Die demonstrierte Einfühlung soll Nähe und Wärme erzeugen. Indem der Erzähler sich manchmal in "Wir"-Form äußert, bindet er die Leser in einen Solidarpakt: Hier stehen wir warmen, empathischen Menschen, dort die kalten, die wir nicht werden wollen. Dass fruchtet auch gelegentlich, wenn er etwa die Monstrosität Brechts und Benns in Liebesdingen ausstellt. Es wirkt aber auch ein bisschen billig und schematisch, wenn zum x-ten Male Thomas Manns scheinbar minimale Exilsorgen (Hitze in Bandol) genüsslich kontrastiert werden mit viel schlimmeren Schicksalen, etwa jenem des im KZ ermordeten Erich Mühsam.
Auch wenn er Anflüge von Ironie zeigt, schreibt Illies mit großem Pathos. Das zeigt sich auch in einzelnen Formulierungen: Der Himmel oder der Lago Maggiore können nicht einfach nur blau sein, es muss "tiefblau" sein oder "jähes Blau", kontrastierend mit einem "rosaroten Blütenmeer". Sogar Sinnsprüche stehen zwischen den Episoden, etwa: "Die Liebe wird, wie alle Utopien, immer größer, je länger man auf sie wartet." Und manchmal ist es der reine Kitsch, Hugo von Hofmannsthal etwa stirbt "an gebrochenem Herzen".
Der emotionalisierende Charakter des Buches wird noch verständlicher im Lichte eines flankierenden Texts, den Illies am vergangenen Donnerstag in der Wochenzeitung Die Zeit veröffentlicht hat. Es geht darin - wieder einmal - um die angebliche Ähnlichkeit der Gegenwart mit den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Illies sieht "uns" vor einem neuen Zeitalter des Hasses stehen und appelliert, Werte wie Groß- und Warmherzigkeit wiederzuentdecken. Gegen solch einen Appell ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden, nur was seine Buchform betrifft, sollte man - wie in der Liebe - wissen, worauf man sich einlässt. JAN WIELE
Florian Illies: "Liebe in Zeiten des Hasses". Chronik eines Gefühls 1929-1939.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 434 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heiß mögen unsere Herzen sein: Florian Illies folgt berühmten Liebespaaren durch dunkle Zeiten und spart dabei nicht mit Pathos und Sentenzen.
Zunächst einmal: was für eine gute Idee. Das Jahrzehnt von 1929 bis 1939 zu beschreiben in Vignetten, die alle um Liebe kreisen (oder das, was angesichts der Neuen Sachlichkeit davon übrig geblieben sein soll), ermöglicht Florian Illies einen kurzweiligen und doch elementaren Zugriff auf die Kulturgeschichte.
Der Beginn mit dem Jahr 1929 und eine prominente Rolle für Alfred Döblin lassen darauf schließen, dass vielleicht auch die Form des Buches von Döblin und seinem um 1929 spielenden Roman "Berlin Alexanderplatz" inspiriert sein könnte, nämlich durch das Verfahren der Montage. Unvermittelt stehen bei Illies Schlaglichter nebeneinander, durch Sternchen getrennt. So springt man vom ersten Date zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir in Paris zu dem von Sophie Scholl und Fritz Hartnagel, dazwischen fällt man mit Picasso, Brecht und Benn zwischen viele unglücklichen Frauen, mit Zelda und Scott Fitzgerald in eine Ehekrise und in die Ménage-à-trois auf Ibiza zwischen dem Dadaisten Raoul Hausmann, seiner Ehefrau Hedwig Mankiewitz und seiner "Muse" Vera Broido. Es geht um die emanzipierte Liebe der "neuen Frau" in Berlin, die Erich Kästner ratlos macht und ihn den Roman "Fabian" schreiben lässt, es geht um homosexuelle Liebe bei Klaus Mann oder Christopher Isherwood, es geht um sadomasochistische Liebe zwischen dem Maler Rudolf Schlichter und seiner Frau Elfriede, genannt Speedy.
Aber es geht auch um die titelgebenden "Zeiten des Hasses", die Liebe angeblich zunehmend schwierig oder unmöglich machen. Illies destilliert aus Tagebüchern und Biographien, wie sich einige trotz grausamer Erfahrungen Liebeshoffnung bewahren, und er fragt, wie die Grausamen geliebt haben, darunter Hermann Göring und Julius Streicher. Teils gelingen mit diesem Kompositionsprinzip interessante Verdichtungen, etwa wenn er die Entstehung des Gemäldes "Die sieben Todsünden" von Otto Dix im Sommer 1933 engführt mit der Uraufführung von Bertolt Brechts gleichnamigem Theaterstück in Paris, um beider Kritik an den Sünden der Zeit sowie ihre eigene Sünden aufzuzeigen.
Ganz deutlich - und auch offen dargelegt im Literaturverzeichnis - orientiert sich Illies an Helmut Lethens Buch "Verhaltenslehren der Kälte": Sein Buch wirkt teilweise wie eine Neufassung mit den Mitteln des Bestsellerautors, der mit einem Rundumschlag gleich eine Liste von Trigger-Themen abräumt, inklusive Nationalsozialismus und Sex. Nach dem Ersten Weltkrieg sei es darum gegangen, sich zu panzern und Gefühle zu unterdrücken, referiert Illies, vom "Kältekult" ist die Rede, belegt mit Ernst Jüngers Wunsch nach einer "Literatur unter null", von Brechts Lob der Kälte und dem von George Grosz geforderten "Packeis-Charakter".
Aber auch darüber hinaus ordnet Illies dem Kälte-Narrativ alles unter. Der Blick des Fotografen August Sander ist "kalt", das Schaffen Leni Riefenstahls ebenso "eiskalt" wie der Martini in der Hand von Marlene Dietrich; auch Erich Kästner wird "immer kälter", Céline ist "das kälteste Herz" der französischen Literatur, und wenn Claus Graf Schenk von Stauffenberg, Jahre bevor er zum Widerständler wird, aus dem von Deutschland überfallenen Polen an seine Frau schreibt, dann tut auch er das "eiskalt". Wenn die Charaktere einmal keine Eiseskälte hergeben, dann weht eben kalter Wind oder es ist ein ungewöhnlich kalter Tag im Juni - alles um zu beweisen, dass "eine ganze Generation jene Kälte zur Maxime erhoben hat".
Die Ausstellung der Kälte ist zugleich ihre Anklage. In diesem Zusammenhang ist interessant, wie dieses Buch eigentlich erzählt ist. Sein Erzähler ist offenbar allwissend. Er weiß, wann Döblin "todunglücklich" war und Else Lasker-Schüler "kreidebleich", dass es in Gottfried Benns Praxis "nach Formaldehyd und nach Aussichtslosigkeit" roch. Er weiß immer, wer wann "Tränen in den Augen" hatte. Kurt Weill etwa, als Lotte Lenya ihn fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn sie mit ihrem Geliebten Otto Pasetti ein Kind bekäme. Und Simone de Beauvoir, als Sartre ihr demonstrierte, dass er doch kein Gefühlsmensch sei, "sondern eine Wüste".
Illies wählt die Form des personalen Erzählens, um eine Einfühlung in Figuren zu suggerieren, wie sie der erzählerische Realismus des neunzehnten Jahrhunderts kannte. Das ist in literarischen Biographien heute leider wieder üblich geworden, aber es bleibt fragwürdig und wirkt manchmal einfach lächerlich. Etwa in dieser Szene in einem Ruderboot auf dem Rhein mit Ludwig Wittgenstein und Marguerite Respinger: "Eigentlich eine Idylle. Aber nach ein zwei längeren Küssen schreckt Wittgenstein auf. Ihm bricht der Schweiß aus, wenn seine Hormone in Gang kommen. (. . .) Ludwig Wittgenstein, einer der klügsten Männer der Welt, versteht die selbige nicht mehr." Ähnlich geht es anscheinend Klaus Mann: Dieser "treibt haltlos durch die zwanziger Jahre. Er ist, obwohl erst 23 Jahre alt, also ganz am Anfang, oft schon ganz am Ende. Er will geliebt werden." Isherwood "denkt an nichts und weiß doch, dass gerade seine Zukunft beginnt". Etwas mehr anhimmeln könnte ihn Josephine Baker, "denkt sich Le Corbusier". Und Stalins Antrieb für seine Jahrhundertverbrechen? Hat natürlich auch nur einen Grund: "Die Demütigung, als die Josef Stalin den Selbstmord seiner Gattin empfindet, zerstört in ihm den letzten Rest Vertrauen in die Menschheit. Ab dem 9. November 1932 wittert er nur noch Verschwörer, die es zu vernichten gilt."
Moderne Erzähler, von denen Illies in seinem Buch ja einige aufführt, lehnten solcherlei psychologisierendes Erzählen ab, weil sie an seine Kausalitätsunterstellung nicht mehr glaubten. Warum also benutzt Illies eine vormoderne Form des Erzählens, um moderne Phänomene zu beschreiben? Die demonstrierte Einfühlung soll Nähe und Wärme erzeugen. Indem der Erzähler sich manchmal in "Wir"-Form äußert, bindet er die Leser in einen Solidarpakt: Hier stehen wir warmen, empathischen Menschen, dort die kalten, die wir nicht werden wollen. Dass fruchtet auch gelegentlich, wenn er etwa die Monstrosität Brechts und Benns in Liebesdingen ausstellt. Es wirkt aber auch ein bisschen billig und schematisch, wenn zum x-ten Male Thomas Manns scheinbar minimale Exilsorgen (Hitze in Bandol) genüsslich kontrastiert werden mit viel schlimmeren Schicksalen, etwa jenem des im KZ ermordeten Erich Mühsam.
Auch wenn er Anflüge von Ironie zeigt, schreibt Illies mit großem Pathos. Das zeigt sich auch in einzelnen Formulierungen: Der Himmel oder der Lago Maggiore können nicht einfach nur blau sein, es muss "tiefblau" sein oder "jähes Blau", kontrastierend mit einem "rosaroten Blütenmeer". Sogar Sinnsprüche stehen zwischen den Episoden, etwa: "Die Liebe wird, wie alle Utopien, immer größer, je länger man auf sie wartet." Und manchmal ist es der reine Kitsch, Hugo von Hofmannsthal etwa stirbt "an gebrochenem Herzen".
Der emotionalisierende Charakter des Buches wird noch verständlicher im Lichte eines flankierenden Texts, den Illies am vergangenen Donnerstag in der Wochenzeitung Die Zeit veröffentlicht hat. Es geht darin - wieder einmal - um die angebliche Ähnlichkeit der Gegenwart mit den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Illies sieht "uns" vor einem neuen Zeitalter des Hasses stehen und appelliert, Werte wie Groß- und Warmherzigkeit wiederzuentdecken. Gegen solch einen Appell ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden, nur was seine Buchform betrifft, sollte man - wie in der Liebe - wissen, worauf man sich einlässt. JAN WIELE
Florian Illies: "Liebe in Zeiten des Hasses". Chronik eines Gefühls 1929-1939.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 434 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.10.2021Legenden der Leidenschaft
Florian Illies bilanziert furios, wie zwischen zwei Weltkriegen
die „Liebe in Zeiten des Hasses“ funktionierte. Von Elke Heidenreich
Die Liebe – letztlich auch nur eine chemische Formel: viel Dopamin, viel Oxytocin, „die Chemie zwischen uns stimmt“... Der Hass – da haben wir es nun gleich mal weniger mit Chemie als mit Psychologie und Philosophie zu tun.
Die Liebe in Zeiten des Hasses? Sie schüttet vermutlich noch mehr Hormone aus, ein „Jetzt erst recht“, ein Riesenleuchtgefühl gegen eine immer finsterer werdende Zeit. Was für eine Idee, ein Jahrzehnt wachsenden Hasses, ein Jahrzehnt zwischen zwei Weltkriegen, das Jahrzehnt aufkommender, auftrumpfender Nazis abzuklopfen auf das, was da an Liebe passiert. Und das ist eine ganze Menge. Eine geradezu unfassbare Menge sogar, und der Respekt vor der Recherche von Florian Illies für sein neues Buch sei hier deshalb zunächst angemerkt. Die Bewunderung dafür stellt sich dann ein, wenn man dieses Buch zuschlägt.
Bis dahin liest man sich schier atemlos von Leidenschaft zu Leidenschaft, von Irrtum zu Irrtum, Verzweiflung zu Verzweiflung, ja: von Liebe zu Liebe. Das alles tobt durch die Briefe, die Gespräche, die Seelen, die Betten. Wer liebt denn heute noch so? Tucholsky hat das schon gefragt, im Juni 1930 in einem Brief an seinen Verleger Ernst Rowohlt: „Wer liebt denn heute noch?“ Da liebte er selbst gerade tüchtig, denn da hat er auf einem Kostümfest (natürlich ohne seine Frau) Lisa Matthias kennengelernt, ebenfalls verheiratet, außerdem umworben von Peter Suhrkamp und Lion Feuchtwanger, alle wollen rasch mit ihr ins Bett, und sie klagt einer Freundin: „Es wird ein bisschen viel geliebt ohne wirkliche Liebe.“
Haben wir es in diesem Jahrzehnt, den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, in das der Hass Tropfen für Tropfen einsickert, dann doch eher mit Verzweiflung und Begehren zu tun als mit Liebe? Und ist das wichtig, was es ist? Ist wichtig, was wahr ist? Es gibt keine Wahrheit, schreibt Illies, es gibt nur Versionen.
Picasso malt noch Olga und liebt schon Marie-Thérèse; Heinrich Mann will raus aus der Ehe mit Mimi, hat eine Affäre mit Trude Hesterberg und landet dann bei Nelly Kröger; Walter Benjamin lässt sich nach langem Rosenkrieg von seiner Frau Dora scheiden, um Asja Lācis zu heiraten, die da aber schon wieder weg ist, war nicht so ernst gemeint – kommt ihm auch irgendwie gerade recht, da ist er wie Rilke, die Abwesenheit der Geliebten ist viel spannender als ihre Anwesenheit; die geheimnisvolle Gala heiratet Paul Éluard, dann verlässt sie ihn für den völlig verrückten Dalí, und Tilly Wedekind verliebt sich in Gottfried Benn, während ihre Tochter Pamela, auch schon mal verlobt mit Klaus Mann, gerade Carl Sternheim heiratet, und Klaus Mann schreibt dazu: „Dieses Heiraten ist ja wie eine Epidemie unter uns.“
Ja, der Ehering als Rettungsring... Erich Mühsam ist nach fünf Jahren Festungshaft unermüdlich als Sozialrevolutionär unterwegs und hält einen Vortrag zum Thema „Über die Freiheit in der Liebe“; er liebt seine Zenzl, die immer für alle kocht, die er mit heimbringt, aber er liebt sozusagen ihren Charakter – ins Bett geht er mit jungen Revolutionärinnen; Sartre und de Beauvoir leben ihn sowieso, ihren Pakt der freien Liebe, aber heimlich werden sie von Eifersucht zerfressen; Ludwig Wittgenstein versteht wirklich alles, nur die Liebe versteht er nicht, davor läuft er lieber weg; Josephine Baker hat eine Affäre mit George Simenon, Marlene Dietrich nicht zu knapp mit Erich Maria Remarque, und Marlene sagt 1924: „Wer würde schon riskieren, einen Mann aus Liebe zu heiraten? Ich nicht.“ Sie sagt es in einem Bühnenstück, aber sehr überzeugt und überzeugend.
Wir sind oft in Berlin in diesem Buch, Berlin ist wild, laut und sexualisiert in diesem Jahrzehnt, reihenweise verfallen Frauen dem Arzt mit den schweren Augen, Gottfried Benn. Alle tanzen auf dem Vulkan, und irgendwann sind alle in Südfrankreich oder Spanien oder ganz weg, und nicht jede Liebe aus dieser Zeit hat ihre Literarisierung überlebt – all denen setzt Florian Illies mit seiner zugleich gewitzten wie intelligenten Sprache ein Denkmal.
Verlorenheit, sagt er, erzeugt Dringlichkeit; zwischen einem schon überlebten und einem bereits zu ahnenden Krieg ist keine Zeit zu verlieren, und so fühlen die einen zu viel und die anderen zu wenig, nein, die fühlen ja auch, aber eben den Hass auf all das. Auf das Wilde, Freie, Ungebundene, auf das als unmoralisch Empfundene, es wird dunkler.
Selbst Adorno liebt. Dazu Illies: „Da kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch.“ Es wird, sagt Remarque, auch in der Liebe dunkler, wenn man die Geliebte zu oft beim Zähneputzen gesehen hat, das heißt: wenn zu viel Alltag war. Und das mag das Geheimnis dieses irrsinnigen Liebesreigens zwischen 1929 und 1939 sein: Es war ja schon fast kein Alltag mehr möglich, keine Normalität, kein Bleiben. Man atmete immer nur ein. Anaïs Nin, in ihre Dreieraffäre mit Henry Miller und dessen Frau June verstrickt, schreibt ins Tagebuch, dass „die Vertiefung des Chaos ein Kennzeichen unserer Epoche ist“.
Es gibt, schreibt Illies, immer so einen Kult um das Coole, das Kühle, das Herz ist doch bloß ein Muskel, heißt es mit kaltem Snobismus, wie beim Arzt: Machen Sie sich frei, aber gewähren Sie mir keine Einblicke. George Grosz rühmt sich, er habe einen „Packeis-Charakter“, Brecht versinkt in steifen Lederjacken hinter dicken Zigarren, Ernst Jünger fordert „eine Literatur unter null“, kalt, kalt, kalt. Seiner Frau Gretha, schreibt Illies, wird er „lebenslang die Untreue halten“. Sehr cool. Eine Männerangelegenheit? Nein, auch Frauen kühlen sich ab, Tamara de Lempicka ist die Malerin der glatten Emaillehaut, da ist nirgends ein Gefühl. Aber das alles ist nur Fassade, unter der es tobt, und wie Illies das herausarbeitet, mit leichter Hand, mit amüsiertem Blick, nie wertend, immer beobachtend, mittendrin, der stille Spaziergänger durch brennende Gefilde – das sucht seinesgleichen. Und wie er knapp zusammenfassen kann, was da eigentlich passiert! Er braucht nur einen Satz über Lee Miller, die bei Man Ray in Paris klingelt und seine Schülerin werden will: „Als sie am Gare du Nord in den Zug steigen, ist sie seine Schülerin, als sie im Abteil sitzen, wird sie sein Modell, als sie in Biarritz ankommen, ist sie seine Geliebte.“
„Wir müssen jetzt einmal kurz Luft holen“, schreibt der Autor.
Wir holen Luft, lesen weiter, bleiben neugierig, begeistert, hingerissen, werden unterhalten, werden klüger, suchen uns selbst, denken: Warum wird eigentlich heute nicht mehr so getanzt, genug Vulkane gibt es doch?
Illies sieht das große Ganze, er ordnet klug ein, aber er sieht auch das ganz Kleine, die Risse: „Es gibt manchmal diesen Moment, in dem ein Leben kippt.“
Es ist, als müssten die 30er-Jahre den Preis für die 20er zahlen. In Italien Mussolini, in Spanien Franco, in Deutschland Hitler, die Luft wird dünner. Man emigriert, man wird ausgebürgert, man flieht – aber: „Im Herzen nichts Neues.“
Was für ein Bilderbogen, wie viel Liebe, Hass, Politik, Verwirrung. Und Remarque, von seiner Liebe zu Marlene inspiriert, schreibt in sein Tagebuch: „Wir haben alle so wenig Wärme für uns selbst in unseren Herzen – wir Kinder verwirrter Zeiten – so wenig Glauben an uns – viel zu viel Tapferkeit und viel zu wenig Hoffnung. Dumme kleine Soldaten des Lebens, Kinder verwirrter Zeiten mit einem Traum, manchmal nachts.“
Elke Heidenreich, geboren 1943, ist Literaturkritikerin und Autorin. Zuletzt erschienen von ihr „Hier geht’s lang: Mit Büchern von Frauen durchs Leben“ (2021) und „Männer in Kamelhaarmänteln: Kurze Geschichten über Kleider und Leute“ (2020).
Die Liebe tobt durch Briefe,
Gespräche, Seelen, die Betten.
Wer liebt denn heute noch so?
Es gibt, schreibt Illies,
den Kult um das Coole, das
Herz sei ja nur ein Muskel
„Wer würde schon riskieren, einen Mann aus Liebe zu heiraten? Ich nicht“, sagte
Marlene Dietrich einst. So hatte sie eine Affäre mit Erich Maria Remarque. Salvador Dalí hingegen heiratete Gala Éluard (unten). FotoS: London Express, picture-alliance / dpa, Süddeutsche Zeitung Photo
Liebe in Zeiten des
Hasses: Chronik eines Gefühls 1929–1939.
Sachbuch. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021.
432 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Florian Illies bilanziert furios, wie zwischen zwei Weltkriegen
die „Liebe in Zeiten des Hasses“ funktionierte. Von Elke Heidenreich
Die Liebe – letztlich auch nur eine chemische Formel: viel Dopamin, viel Oxytocin, „die Chemie zwischen uns stimmt“... Der Hass – da haben wir es nun gleich mal weniger mit Chemie als mit Psychologie und Philosophie zu tun.
Die Liebe in Zeiten des Hasses? Sie schüttet vermutlich noch mehr Hormone aus, ein „Jetzt erst recht“, ein Riesenleuchtgefühl gegen eine immer finsterer werdende Zeit. Was für eine Idee, ein Jahrzehnt wachsenden Hasses, ein Jahrzehnt zwischen zwei Weltkriegen, das Jahrzehnt aufkommender, auftrumpfender Nazis abzuklopfen auf das, was da an Liebe passiert. Und das ist eine ganze Menge. Eine geradezu unfassbare Menge sogar, und der Respekt vor der Recherche von Florian Illies für sein neues Buch sei hier deshalb zunächst angemerkt. Die Bewunderung dafür stellt sich dann ein, wenn man dieses Buch zuschlägt.
Bis dahin liest man sich schier atemlos von Leidenschaft zu Leidenschaft, von Irrtum zu Irrtum, Verzweiflung zu Verzweiflung, ja: von Liebe zu Liebe. Das alles tobt durch die Briefe, die Gespräche, die Seelen, die Betten. Wer liebt denn heute noch so? Tucholsky hat das schon gefragt, im Juni 1930 in einem Brief an seinen Verleger Ernst Rowohlt: „Wer liebt denn heute noch?“ Da liebte er selbst gerade tüchtig, denn da hat er auf einem Kostümfest (natürlich ohne seine Frau) Lisa Matthias kennengelernt, ebenfalls verheiratet, außerdem umworben von Peter Suhrkamp und Lion Feuchtwanger, alle wollen rasch mit ihr ins Bett, und sie klagt einer Freundin: „Es wird ein bisschen viel geliebt ohne wirkliche Liebe.“
Haben wir es in diesem Jahrzehnt, den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, in das der Hass Tropfen für Tropfen einsickert, dann doch eher mit Verzweiflung und Begehren zu tun als mit Liebe? Und ist das wichtig, was es ist? Ist wichtig, was wahr ist? Es gibt keine Wahrheit, schreibt Illies, es gibt nur Versionen.
Picasso malt noch Olga und liebt schon Marie-Thérèse; Heinrich Mann will raus aus der Ehe mit Mimi, hat eine Affäre mit Trude Hesterberg und landet dann bei Nelly Kröger; Walter Benjamin lässt sich nach langem Rosenkrieg von seiner Frau Dora scheiden, um Asja Lācis zu heiraten, die da aber schon wieder weg ist, war nicht so ernst gemeint – kommt ihm auch irgendwie gerade recht, da ist er wie Rilke, die Abwesenheit der Geliebten ist viel spannender als ihre Anwesenheit; die geheimnisvolle Gala heiratet Paul Éluard, dann verlässt sie ihn für den völlig verrückten Dalí, und Tilly Wedekind verliebt sich in Gottfried Benn, während ihre Tochter Pamela, auch schon mal verlobt mit Klaus Mann, gerade Carl Sternheim heiratet, und Klaus Mann schreibt dazu: „Dieses Heiraten ist ja wie eine Epidemie unter uns.“
Ja, der Ehering als Rettungsring... Erich Mühsam ist nach fünf Jahren Festungshaft unermüdlich als Sozialrevolutionär unterwegs und hält einen Vortrag zum Thema „Über die Freiheit in der Liebe“; er liebt seine Zenzl, die immer für alle kocht, die er mit heimbringt, aber er liebt sozusagen ihren Charakter – ins Bett geht er mit jungen Revolutionärinnen; Sartre und de Beauvoir leben ihn sowieso, ihren Pakt der freien Liebe, aber heimlich werden sie von Eifersucht zerfressen; Ludwig Wittgenstein versteht wirklich alles, nur die Liebe versteht er nicht, davor läuft er lieber weg; Josephine Baker hat eine Affäre mit George Simenon, Marlene Dietrich nicht zu knapp mit Erich Maria Remarque, und Marlene sagt 1924: „Wer würde schon riskieren, einen Mann aus Liebe zu heiraten? Ich nicht.“ Sie sagt es in einem Bühnenstück, aber sehr überzeugt und überzeugend.
Wir sind oft in Berlin in diesem Buch, Berlin ist wild, laut und sexualisiert in diesem Jahrzehnt, reihenweise verfallen Frauen dem Arzt mit den schweren Augen, Gottfried Benn. Alle tanzen auf dem Vulkan, und irgendwann sind alle in Südfrankreich oder Spanien oder ganz weg, und nicht jede Liebe aus dieser Zeit hat ihre Literarisierung überlebt – all denen setzt Florian Illies mit seiner zugleich gewitzten wie intelligenten Sprache ein Denkmal.
Verlorenheit, sagt er, erzeugt Dringlichkeit; zwischen einem schon überlebten und einem bereits zu ahnenden Krieg ist keine Zeit zu verlieren, und so fühlen die einen zu viel und die anderen zu wenig, nein, die fühlen ja auch, aber eben den Hass auf all das. Auf das Wilde, Freie, Ungebundene, auf das als unmoralisch Empfundene, es wird dunkler.
Selbst Adorno liebt. Dazu Illies: „Da kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch.“ Es wird, sagt Remarque, auch in der Liebe dunkler, wenn man die Geliebte zu oft beim Zähneputzen gesehen hat, das heißt: wenn zu viel Alltag war. Und das mag das Geheimnis dieses irrsinnigen Liebesreigens zwischen 1929 und 1939 sein: Es war ja schon fast kein Alltag mehr möglich, keine Normalität, kein Bleiben. Man atmete immer nur ein. Anaïs Nin, in ihre Dreieraffäre mit Henry Miller und dessen Frau June verstrickt, schreibt ins Tagebuch, dass „die Vertiefung des Chaos ein Kennzeichen unserer Epoche ist“.
Es gibt, schreibt Illies, immer so einen Kult um das Coole, das Kühle, das Herz ist doch bloß ein Muskel, heißt es mit kaltem Snobismus, wie beim Arzt: Machen Sie sich frei, aber gewähren Sie mir keine Einblicke. George Grosz rühmt sich, er habe einen „Packeis-Charakter“, Brecht versinkt in steifen Lederjacken hinter dicken Zigarren, Ernst Jünger fordert „eine Literatur unter null“, kalt, kalt, kalt. Seiner Frau Gretha, schreibt Illies, wird er „lebenslang die Untreue halten“. Sehr cool. Eine Männerangelegenheit? Nein, auch Frauen kühlen sich ab, Tamara de Lempicka ist die Malerin der glatten Emaillehaut, da ist nirgends ein Gefühl. Aber das alles ist nur Fassade, unter der es tobt, und wie Illies das herausarbeitet, mit leichter Hand, mit amüsiertem Blick, nie wertend, immer beobachtend, mittendrin, der stille Spaziergänger durch brennende Gefilde – das sucht seinesgleichen. Und wie er knapp zusammenfassen kann, was da eigentlich passiert! Er braucht nur einen Satz über Lee Miller, die bei Man Ray in Paris klingelt und seine Schülerin werden will: „Als sie am Gare du Nord in den Zug steigen, ist sie seine Schülerin, als sie im Abteil sitzen, wird sie sein Modell, als sie in Biarritz ankommen, ist sie seine Geliebte.“
„Wir müssen jetzt einmal kurz Luft holen“, schreibt der Autor.
Wir holen Luft, lesen weiter, bleiben neugierig, begeistert, hingerissen, werden unterhalten, werden klüger, suchen uns selbst, denken: Warum wird eigentlich heute nicht mehr so getanzt, genug Vulkane gibt es doch?
Illies sieht das große Ganze, er ordnet klug ein, aber er sieht auch das ganz Kleine, die Risse: „Es gibt manchmal diesen Moment, in dem ein Leben kippt.“
Es ist, als müssten die 30er-Jahre den Preis für die 20er zahlen. In Italien Mussolini, in Spanien Franco, in Deutschland Hitler, die Luft wird dünner. Man emigriert, man wird ausgebürgert, man flieht – aber: „Im Herzen nichts Neues.“
Was für ein Bilderbogen, wie viel Liebe, Hass, Politik, Verwirrung. Und Remarque, von seiner Liebe zu Marlene inspiriert, schreibt in sein Tagebuch: „Wir haben alle so wenig Wärme für uns selbst in unseren Herzen – wir Kinder verwirrter Zeiten – so wenig Glauben an uns – viel zu viel Tapferkeit und viel zu wenig Hoffnung. Dumme kleine Soldaten des Lebens, Kinder verwirrter Zeiten mit einem Traum, manchmal nachts.“
Elke Heidenreich, geboren 1943, ist Literaturkritikerin und Autorin. Zuletzt erschienen von ihr „Hier geht’s lang: Mit Büchern von Frauen durchs Leben“ (2021) und „Männer in Kamelhaarmänteln: Kurze Geschichten über Kleider und Leute“ (2020).
Die Liebe tobt durch Briefe,
Gespräche, Seelen, die Betten.
Wer liebt denn heute noch so?
Es gibt, schreibt Illies,
den Kult um das Coole, das
Herz sei ja nur ein Muskel
„Wer würde schon riskieren, einen Mann aus Liebe zu heiraten? Ich nicht“, sagte
Marlene Dietrich einst. So hatte sie eine Affäre mit Erich Maria Remarque. Salvador Dalí hingegen heiratete Gala Éluard (unten). FotoS: London Express, picture-alliance / dpa, Süddeutsche Zeitung Photo
Liebe in Zeiten des
Hasses: Chronik eines Gefühls 1929–1939.
Sachbuch. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021.
432 Seiten, 24 Euro.
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Schöner kann Geschichte kaum vermittelt werden! Julia Loibl Elle 20220314