Eine Geschichte von Sehnsucht, Aufbruch und Vergeblichkeit zwischen Berlin und Nicaragua
Die 80er Jahre: Paul verlässt sein Berliner Studentendasein und den Traum der großen Liebe zu Beate, um sich in Nicaragua für den Aufbau einer besseren Gesellschaft einzusetzen. Als er zurückkehrt, fällt die Berliner Mauer. Die Welt verändert sich grundsätzlich, aber ganz anders, als zuvor gedacht. Kann man noch an die Revolution und an die Liebe glauben?
In den Lesekreisen und aktivistischen Zirkeln wird über die Revolution nachgedacht. Als er Beate trifft, entdeckt er die Liebe und muss erkennen, wie schnell sie einem entgleiten kann. Wie viele aus seiner Generation geht er nach Nicaragua, wo er hofft, sich nützlich machen zu können und Beate zu vergessen. In der Profanität des Revolutionsalltags zwischen Betonmischer und Hängematte deutet sich die Vergeblichkeit des politischen Kampfes an. Wäre da nicht die entschlossene Sigrid, deren Wesen ebenso rätselhaft ist, wie ihr plötzliches Verschwinden.
»Liebe und Revolution« ist ein Epochen- und Generationenroman, der mitreißend erzählt, dass das Politische stets auch privat ist.
Die 80er Jahre: Paul verlässt sein Berliner Studentendasein und den Traum der großen Liebe zu Beate, um sich in Nicaragua für den Aufbau einer besseren Gesellschaft einzusetzen. Als er zurückkehrt, fällt die Berliner Mauer. Die Welt verändert sich grundsätzlich, aber ganz anders, als zuvor gedacht. Kann man noch an die Revolution und an die Liebe glauben?
In den Lesekreisen und aktivistischen Zirkeln wird über die Revolution nachgedacht. Als er Beate trifft, entdeckt er die Liebe und muss erkennen, wie schnell sie einem entgleiten kann. Wie viele aus seiner Generation geht er nach Nicaragua, wo er hofft, sich nützlich machen zu können und Beate zu vergessen. In der Profanität des Revolutionsalltags zwischen Betonmischer und Hängematte deutet sich die Vergeblichkeit des politischen Kampfes an. Wäre da nicht die entschlossene Sigrid, deren Wesen ebenso rätselhaft ist, wie ihr plötzliches Verschwinden.
»Liebe und Revolution« ist ein Epochen- und Generationenroman, der mitreißend erzählt, dass das Politische stets auch privat ist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ganz rund ist Jörg Magenaus Roman nicht geworden, meint Rezensent Wolfgang Schneider. Das erste fiktionale Buch des Literaturkritikers spielt in den Achtzigerjahren, zunächst in einem linken Berliner Lesekreis, später in Nicaragua, wohin es einen besonders eifrig Friedensbewegten, treibt, erzählt der Kritiker. Diese Hauptfigur, Paul, macht in Mittelamerika nicht die Erfahrungen, die er zu machen hoffte und kehrt schließlich reumütig nach Berlin zurück. Schneider lobt die Nicaraguapassagen und findet, dass Magenau auch die linke Szene der Zeit gut trifft; weniger Freude hat er an einer Rahmenhandlung, die den Fall der Berliner Mauer und insgesamt etwas zu viel Bedeutungsproduktion ins Spiel bringt. Weniger wäre mehr gewesen, so das Fazit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2023Der Frieder und die Gewaltfrage
Wer von Westberlin ins sozialistische Nicaragua geht, hat gute Karten bei den Genossen: Jörg Magenaus Roman "Liebe und Revolution" folgt dem Weg eines Idealisten.
Der Titel klingt nach den tiefsten Siebziger- oder Achtzigerjahren. Aber es handelt sich bei "Liebe und Revolution" keineswegs um eine vergriffene Lesefrucht der Edition Suhrkamp, sondern um den ersten Roman des 1961 geborenen Literaturkritikers Jörg Magenau, der sich mit Biographien über Martin Walser, Christa Wolf und die Brüder Jünger einen Namen gemacht hat.
Die Geschichte spielt aber tatsächlich Mitte der Achtzigerjahre, und sie handelt unter anderem von einem Westberliner Lesekreis, der unermüdlich über die "Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss debattiert - ein Werk, das inzwischen als schwer verkäufliche Ware in den Antiquariaten liegt.
So wie bei Weiss die Engagierten in den Spanischen Bürgerkrieg ziehen, meldet sich Magenaus Hauptfigur Paul zum freiwilligen Einsatz in Nicaragua. Den Studenten motiviert allerdings nicht so sehr die Sehnsucht nach der Revolution, sondern der Prestigegewinn, der in seinen Kreisen, die zu den legendären "Kapital"-Vorlesungen von Wolfgang Fritz Haug wie zum Gottesdienst gehen, mit einem solchen Vorhaben verbunden ist: "Der Erfolg dieser Mitteilung war umwerfend, als würde schon der Vorsatz ihn auf eine Stufe mit Che Guevara stellen. Das Revolutionsabenteuer war gleichbedeutend mit einer erotischen Aufladung."
Wer damals selbst in einer linken Studentenstadt gelebt hat, wird die Beschreibung jenes Milieus, das seine sozialistischen Hoffnungen von Osteuropa nach Mittelamerika verlagert hatte, als sehr authentisch empfinden. Der wird den Sound der Argumente wiedererkennen, wenn Gestalten wie "der Frieder" über die "Gewaltfrage" reden. Und womöglich wieder den Duft des in "Roten Buchläden" und anderen Fachgeschäften (aber nicht bei Eduscho) erhältlichen Nicaragua-Kaffees in der Nase haben.
Ursprünglich kommt Paul aus Lippstadt. Seine Eltern betreiben dort eine Wäscherei. In Westberlin aber gehört die kleinbürgerliche Herkunft nicht mehr zur Identität; hier zählt allein die "Protestbiographie". Die Mauer wird als Schutzwall gegen "Wessiland" begriffen. Es sei den Zugezogenen darum gegangen, ihrem "persönlichen Jüterborg" zu entkommen, heißt es mehrfach im Roman - etwas schief, nicht nur weil die Stadt Jüterbog heißt, sondern auch weil sie nicht zu "Wessiland" gehörte.
Natürlich liegt es dem friedfertigen Paul fern, in Nicaragua eine Waffe in die Hand zu nehmen. Vielmehr baut er gemeinsam mit einer Brigade internationaler Helfer eine neue Werkstatthalle für eine Textilkooperative. Es ist ein Projekt, dem (man ahnt es früh) eine große Vergeblichkeit anhaftet. Dafür begeistert sich Paul für die tropische Landschaft, sieht in einer magischen Pazifiknacht Schildkröten bei der Eiablage zu (bis ein menschlicher Eierdieb heranschleicht) und schließt Freundschaften mit den vom revolutionären Alltag allerdings ziemlich geschafften Menschen des Landes. Mit feiner Ironie werden die überaus beengten Wohnverhältnisse bei seiner Gastfamilie und die hoffnungslos überfüllten Überlandbusse beschrieben. Überhaupt sieht das tägliche Leben mit seinem Phlegma nicht sehr revolutionär aus: "Wenn er abends durch die Straßen ging, sah er überall in den offenen Häusern die Menschen vor ihren brüllenden Fernsehgeräten sitzen und leise wippen. Ohne TV und Schaukelstuhl war Nicaragua nicht denkbar. Wenn die Kinder zu laut wurden, riefen die Eltern sie nicht etwa zur Ordnung, sondern drehten einfach den Fernseher noch lauter." Traumatisch ist das Erlebnis eines Contra-Überfalls. Pauls Freundin Sigrid wird von den Guerillas verschleppt und bleibt verschwunden. Er kehrt zurück nach Berlin - als der vom Zweifel angekränkelte Intellektuelle, der nun einsieht, dass es ihm bei seinem Nicaragua-Abenteuer vor allem darum ging, seinem eigenen Leben mehr Bedeutsamkeit zu verleihen.
Die Bedeutsamkeit wird allerdings zum Problem des Romans. Magenau wählt die Nacht des Berliner Mauerfalls als bedeutungsträchtige Kulisse der Rahmenhandlung, gönnt Paul zudem mitten in der Menge der Jubilierenden die bedeutungsträchtige Wiederbegegnung mit seiner vor Jahren in Portbou aus den Augen verlorenen Geliebten Beate, die ihm ihrerseits sehr Bedeutungsträchtiges zu eröffnen hat: "Ich war schwanger. Als du nach Nicaragua gegangen bist." Mitten im historischen Tumult bekennt sie, dass sie Pauls Kind abgetrieben habe. Im Gegenzug erzählt ihr Paul seine Nicaragua-Erlebnisse. Diese Konstruktion hat etwas sehr Forciertes, Ausgeklügeltes.
Zudem sind die Bilder der Maueröffnung so geläufig, dass der Romanheld als Wahrnehmender hier beinahe überflüssig ist. Ihm bleibt nur das Reflektieren und Kommentieren. Ein junger Intellektueller erwischt einen historischen Augenblick, um währenddessen schon ausgiebig über historische Augenblicke an und für sich zu grübeln. Da kommt dem Erzähler Magenau immer wieder der Journalist Magenau in die Quere. Paul ist ja schon sehr klug, der Autor (oder Erzähler) ist heute aber noch viel klüger, und so beugt er sich immer wieder über Pauls Schulter, räsoniert von einer zukünftigen Warte aus und attestiert seinem Helden dann gönnerhaft: "Doch so weit konnte Paul nicht sehen und nicht denken."
Natürlich ist es stimmig, das linke Engagement in einen Desillusionierungszusammenhang mit der Zäsur von 1989 zu bringen. Originell ist es nicht. Es wäre besser gewesen, Magenau hätte die Komplexität und die Bedeutsamkeit etwas reduziert, auf die Rahmenhandlung verzichtet und die starken Nicaragua-Kapitel (mitsamt der Präliminarien in den Berliner Lesekreisen und der Sprachreise nach Spanien) zu einem kürzeren Roman verarbeitet. WOLFGANG SCHNEIDER
Jörg Magenau: "Liebe und Revolution". Roman.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023. 304 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer von Westberlin ins sozialistische Nicaragua geht, hat gute Karten bei den Genossen: Jörg Magenaus Roman "Liebe und Revolution" folgt dem Weg eines Idealisten.
Der Titel klingt nach den tiefsten Siebziger- oder Achtzigerjahren. Aber es handelt sich bei "Liebe und Revolution" keineswegs um eine vergriffene Lesefrucht der Edition Suhrkamp, sondern um den ersten Roman des 1961 geborenen Literaturkritikers Jörg Magenau, der sich mit Biographien über Martin Walser, Christa Wolf und die Brüder Jünger einen Namen gemacht hat.
Die Geschichte spielt aber tatsächlich Mitte der Achtzigerjahre, und sie handelt unter anderem von einem Westberliner Lesekreis, der unermüdlich über die "Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss debattiert - ein Werk, das inzwischen als schwer verkäufliche Ware in den Antiquariaten liegt.
So wie bei Weiss die Engagierten in den Spanischen Bürgerkrieg ziehen, meldet sich Magenaus Hauptfigur Paul zum freiwilligen Einsatz in Nicaragua. Den Studenten motiviert allerdings nicht so sehr die Sehnsucht nach der Revolution, sondern der Prestigegewinn, der in seinen Kreisen, die zu den legendären "Kapital"-Vorlesungen von Wolfgang Fritz Haug wie zum Gottesdienst gehen, mit einem solchen Vorhaben verbunden ist: "Der Erfolg dieser Mitteilung war umwerfend, als würde schon der Vorsatz ihn auf eine Stufe mit Che Guevara stellen. Das Revolutionsabenteuer war gleichbedeutend mit einer erotischen Aufladung."
Wer damals selbst in einer linken Studentenstadt gelebt hat, wird die Beschreibung jenes Milieus, das seine sozialistischen Hoffnungen von Osteuropa nach Mittelamerika verlagert hatte, als sehr authentisch empfinden. Der wird den Sound der Argumente wiedererkennen, wenn Gestalten wie "der Frieder" über die "Gewaltfrage" reden. Und womöglich wieder den Duft des in "Roten Buchläden" und anderen Fachgeschäften (aber nicht bei Eduscho) erhältlichen Nicaragua-Kaffees in der Nase haben.
Ursprünglich kommt Paul aus Lippstadt. Seine Eltern betreiben dort eine Wäscherei. In Westberlin aber gehört die kleinbürgerliche Herkunft nicht mehr zur Identität; hier zählt allein die "Protestbiographie". Die Mauer wird als Schutzwall gegen "Wessiland" begriffen. Es sei den Zugezogenen darum gegangen, ihrem "persönlichen Jüterborg" zu entkommen, heißt es mehrfach im Roman - etwas schief, nicht nur weil die Stadt Jüterbog heißt, sondern auch weil sie nicht zu "Wessiland" gehörte.
Natürlich liegt es dem friedfertigen Paul fern, in Nicaragua eine Waffe in die Hand zu nehmen. Vielmehr baut er gemeinsam mit einer Brigade internationaler Helfer eine neue Werkstatthalle für eine Textilkooperative. Es ist ein Projekt, dem (man ahnt es früh) eine große Vergeblichkeit anhaftet. Dafür begeistert sich Paul für die tropische Landschaft, sieht in einer magischen Pazifiknacht Schildkröten bei der Eiablage zu (bis ein menschlicher Eierdieb heranschleicht) und schließt Freundschaften mit den vom revolutionären Alltag allerdings ziemlich geschafften Menschen des Landes. Mit feiner Ironie werden die überaus beengten Wohnverhältnisse bei seiner Gastfamilie und die hoffnungslos überfüllten Überlandbusse beschrieben. Überhaupt sieht das tägliche Leben mit seinem Phlegma nicht sehr revolutionär aus: "Wenn er abends durch die Straßen ging, sah er überall in den offenen Häusern die Menschen vor ihren brüllenden Fernsehgeräten sitzen und leise wippen. Ohne TV und Schaukelstuhl war Nicaragua nicht denkbar. Wenn die Kinder zu laut wurden, riefen die Eltern sie nicht etwa zur Ordnung, sondern drehten einfach den Fernseher noch lauter." Traumatisch ist das Erlebnis eines Contra-Überfalls. Pauls Freundin Sigrid wird von den Guerillas verschleppt und bleibt verschwunden. Er kehrt zurück nach Berlin - als der vom Zweifel angekränkelte Intellektuelle, der nun einsieht, dass es ihm bei seinem Nicaragua-Abenteuer vor allem darum ging, seinem eigenen Leben mehr Bedeutsamkeit zu verleihen.
Die Bedeutsamkeit wird allerdings zum Problem des Romans. Magenau wählt die Nacht des Berliner Mauerfalls als bedeutungsträchtige Kulisse der Rahmenhandlung, gönnt Paul zudem mitten in der Menge der Jubilierenden die bedeutungsträchtige Wiederbegegnung mit seiner vor Jahren in Portbou aus den Augen verlorenen Geliebten Beate, die ihm ihrerseits sehr Bedeutungsträchtiges zu eröffnen hat: "Ich war schwanger. Als du nach Nicaragua gegangen bist." Mitten im historischen Tumult bekennt sie, dass sie Pauls Kind abgetrieben habe. Im Gegenzug erzählt ihr Paul seine Nicaragua-Erlebnisse. Diese Konstruktion hat etwas sehr Forciertes, Ausgeklügeltes.
Zudem sind die Bilder der Maueröffnung so geläufig, dass der Romanheld als Wahrnehmender hier beinahe überflüssig ist. Ihm bleibt nur das Reflektieren und Kommentieren. Ein junger Intellektueller erwischt einen historischen Augenblick, um währenddessen schon ausgiebig über historische Augenblicke an und für sich zu grübeln. Da kommt dem Erzähler Magenau immer wieder der Journalist Magenau in die Quere. Paul ist ja schon sehr klug, der Autor (oder Erzähler) ist heute aber noch viel klüger, und so beugt er sich immer wieder über Pauls Schulter, räsoniert von einer zukünftigen Warte aus und attestiert seinem Helden dann gönnerhaft: "Doch so weit konnte Paul nicht sehen und nicht denken."
Natürlich ist es stimmig, das linke Engagement in einen Desillusionierungszusammenhang mit der Zäsur von 1989 zu bringen. Originell ist es nicht. Es wäre besser gewesen, Magenau hätte die Komplexität und die Bedeutsamkeit etwas reduziert, auf die Rahmenhandlung verzichtet und die starken Nicaragua-Kapitel (mitsamt der Präliminarien in den Berliner Lesekreisen und der Sprachreise nach Spanien) zu einem kürzeren Roman verarbeitet. WOLFGANG SCHNEIDER
Jörg Magenau: "Liebe und Revolution". Roman.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023. 304 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Magenau gelingt es überzeugend, die jeweiligen Stimmungen und Milieus in den zwei Ländern einzufangen, der nachdenkliche Paul wird zwar von ihm nicht in Schutz genommen, er bringt aber doch Verständnis für seine Schwächen auf. Der Roman ist sehr gut lesbar - die Engführung der zwei Erzählstränge funktioniert perfekt.« Helmut Schneider, vormagazin, 16. Mai 2024 Helmut Schneider Vormagazin 20240516