Bill Cosey ist tot. Um sein Erbe streiten sich die Frauen, in deren Leben Bill eine mehr oder weniger große Rolle gespielt hat, die ihn liebten, zum Teil regelrecht besessen von ihm waren. In den unterschiedlichsten aneinander gereihten Szenen schildert dieser Roman, was sich zwischen Cosey und "seinen Frauen" abgespielt hat. Und er erzählt uns, wie und warum Cosey starb.
umspannenden Geflecht aus Szenen erzählt "Liebe" von den Frauen, die von Bill Cosey besessen waren - oder es noch sind: May, Pfarrerstochter und ein bisschen etepetete. Christine, ihre Tochter, verstoßen in die Arme vieler Männer, doch nach Bills Tod zurückgekehrt in sein verlassenes Strandhotel. Heed, mit elf von Cosey zu seiner Frau gemacht und vor allen Gästen übers Knie gelegt, nun mit Christine unter einem Dach, vereint in Bosheit und Hass.
umspannenden Geflecht aus Szenen erzählt "Liebe" von den Frauen, die von Bill Cosey besessen waren - oder es noch sind: May, Pfarrerstochter und ein bisschen etepetete. Christine, ihre Tochter, verstoßen in die Arme vieler Männer, doch nach Bills Tod zurückgekehrt in sein verlassenes Strandhotel. Heed, mit elf von Cosey zu seiner Frau gemacht und vor allen Gästen übers Knie gelegt, nun mit Christine unter einem Dach, vereint in Bosheit und Hass.
Toni Morrisons neuer Roman über Liebe in Zeiten der Agonie / Von Tobias Döring
Ein abgegriffenerer Titel wäre schwerlich auszudenken. Welcher beliebige Roman ließe sich nicht mit diesem verheißungsvollen Wort ankündigen? Bei Toni Morrison jedoch, die solche knappen, eingängigen Titelchiffren schätzt, sollte man sich auf anderes gefaßt machen. Denn "Liebe" erzählt viel mehr von so gewaltigen Passionen, wie sie der Phantomschmerz aus früh zerstörtem Glück hervortreibt: von glühender, inniger und grimmer Feindseligkeit, die eben auch eine Art Seligkeit sein kann. Wem das Liebste erst genommen und dann zum Rivalen wird, dem bleibt als Ausdruck unverbrüchlicher Verbundenheit immer noch der Haß, wie es hier heißt, "so rein, so feierlich, daß er sich schön anfühlt, fast heilig". Nüchterner läßt sich Raserei kaum schildern: "Deshalb gedeihen die besten Feindschaften ja auch in den Familien. Dort finden sich die Zeit und die Gelegenheit, die geliebte Niedertracht mit Butter und Honig zu bestreichen." Und während man noch derart ungeheuerlichen Sätzen nachschmeckt, versteht man bald, warum dieser lebenskluge, lebenswunde Roman nicht anders als "Liebe" heißen kann.
Eine Familiengeschichte also, angesiedelt in einem kleinen Küstenort im amerikanischen Süden. Jahrzehntelang dreht sich dort alles Leben um Bill Cosey, einen schwarzen Patriarchen, Geschäfts- und Lebemann, der ein elegantes Strandhotel mit Seebad führt und so der aufstrebenden schwarzen Mittelschicht genau das mondäne Gesellschaftsvergnügen bietet, von dem sie ansonsten ausgeschlossen bleibt. Herrscher über einen Hofstaat aus Musikern, Köchin, Kellnern sowie Zimmermädchen, verspricht er den illustren Gästen mit seinem Wahlspruch "die schönstmögliche schöne Zeit". Doch früh schon fallen tiefe Schatten in das Reich dieses Sonnenkönigs, als erst die Frau und dann der Sohn sterben. Zwar bleiben ihm Enkelin und Schwiegertochter wie auch noch weitere Geliebte; Glück und Zeiten aber haben sich gewendet. Nicht anders als in einer antiken Tragödie kommt das Unheil schließlich in der Unordnung der Generationen zum Ausbruch: Cosey heiratet die beste Freundin seiner Enkelin. Als Elfjährige nötigt er sie ihren Eltern ab. Die Familienbande haben sich verwirrt und fesseln alle Überlebenden fortan in um so engere, fatalere Verbindungen.
In dieses klebrige Geflecht dringen wir als Leser allerdings erst ganz allmählich vor. Mit immer neuen Annäherungen aus Erinnertem, Verdrängtem und Geahntem präsentieren die Erzählstimmen nie mehr als Fetzen der Familienchronik, die wir erst nach und nach zusammenflicken können. In immer obsessiveren Bewegungen umkreist der Roman so sein kalt glühendes Zentrum und gibt erst ganz zum Ende preis, woraus die Hauptfiguren ihre Energie gewinnen. Doch was alles bei dieser Fährtenlese im Gedächtnislabyrinth wie beiläufig zur Sprache kommt, ist so reichhaltig und so erstaunlich, daß man fast wünscht, noch lange nicht an dieses Ende zu gelangen.
Trotz der erzählerischen Opulenz setzt die Autorin klug auf strenge Eingrenzung von Personal und Schauplatz, damit auch der Versuchsaufbau tatsächlich überschaubar bleibt. Wenn die Handlung einsetzt, ist Cosey schon über zwei Jahrzehnte tot und treibt doch als Phantom die Nachwelt um. Familie, Fremde, Freunde, Nachbarn spüren seiner Wirkung nach; selbst die Stimme der verstorbenen Köchin meldet sich - wie oft bei Morrison - mit ihrer heimlichen und überlegenen Sicht auf die Geschehnisse zu Wort. Das zentrale Interesse aber richtet sich auf zwei alternde Frauen: Untote auch sie, allein gelassen von der Welt, verkrallen sie sich hassend ineinander und heften sich wie Kletten an die Jüngeren, um sie sich zu Verbündeten zu machen. Alle Gegenwart wird ihnen machtvoll vom Vergangenen überspült, ganz wie ein Sandstrand, dem die Wellen unerbittlich ihre eigene Musterung aufprägen. Hier ist dieser Roman ganz bei sich, mehr Kammerspiel als epische Familiensaga, dessen suggestive Kraft in der Beschränkung wächst.
Die eigentlich wirksamen Protagonisten allerdings sind alte Häuser, allen voran das verfallene Strandhotel, das weniger als Bühne denn als Zeuge der Geschichte in Erscheinung tritt, da in ihm die Aufklärung der langjährigen Wirren gesucht wird. Der Erbschaftsstreit, um den es vordergründig geht, dient nur als Chiffre für historische Erblasten, die das einstige Seebad zum Verlierer seiner eigenen Erfolgskarriere gemacht haben. Mit der Tristesse und Würde einer abgelebten Schönheit mahnt dieses Gehäuse jetzt an die dahingegangene Lebenslust und stand doch einst für alle Hoffnungen auf einen schwarzen Aufbruch in die Mittelstandsgesellschaft. Der Roman verfolgt, wie just die Wirksamkeit der Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren zum Niedergang solcher Etablissements führen mußte, die zu Zeiten der Segregation Ersatzräume bereitstellten. So bricht er große historische Entwicklungen - auch Weltkrieg, McCarthy-Ära oder Vietnam kommen zur Sprache - subtil auf die Lokalgeschichte runter und spürt ihnen im Ortsgedächtnis nach. Coseys Hotel ist nur Hohlform einer großen Sehnsucht, die ihre Erfüllung überlebt hat.
Gewiß setzt die Autorin mit ihrem achten Buch auf Bewährtes. Der Chor der Stimmen, die motivische Verflechtung, die registerreiche, bildersüchtige und doch stets körperhafte Sprache sind von ihren früheren Werken bereits vielfach erprobt worden. Doch die gelassene Souveränität, mit der all das hier in eine weitgespannte, nie weitschweifige Komposition eingeht, ist alles andere als nur routiniert. Dabei beginnt hier alles scheinbar so vertraut: "Unser Wetter ist meistens mild, mit einem besonderen Licht", lesen wir eingangs. "Fahle Vormittage lösen sich auf in weiße Mittagsstunden, und gegen drei werden die Farben so heftig, daß man Angst bekommen kann. Wellen in Jade und Saphir bekämpfen einander und schlagen genügend Schaum, um Bettlaken darin zu waschen."
Wie hier die einfache Beobachtung sich erst ins Poetische steigert und dann unvermittelt ins alltägliche, fast banale Bild des Wäschewaschens kippt, so hält die gesamte Erzählung bis zuletzt unerwartet Wendungen bereit. Daß uns dies durchweg so in Bann zieht, ist allerdings erheblich auch der Leistung des Übersetzers Thomas Piltz zu danken. Sie zeichnet sich nicht nur durch Detailgenauigkeit und Diskretion aus bei der schwierigen Vermittlung einer fremden Lebenswelt; der schiere Reichtum ihrer Sprache bietet selbst Lesern, die das Original kennen, ein ganz eigenes Vergnügen.
Dies ist um so wichtiger, als bei Morrison die Sprache eine feinädrige Haut bildet, die sich über unverwundene Erinnerungen spannt. An einer Stelle beispielsweise wird geschildert, wie Coseys alte Witwe sich nicht mehr baden lassen will, weil sie fürchtet, so ihr "Hautgedächtnis" zu verlieren. Erst sehr viel später dringt der Roman doch noch in tiefere Schichten dieser Körpererinnerung vor. Und mit jeder Häutung des Gedächtnisses begreifen wir: Seit langem hat uns niemand Stärkeres erzählt über die Liebe in den Zeiten der Agonie.
Toni Morrison: "Liebe". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Komplex, polyphon, faszinierend - Maike Albath sieht Toni Morrison in ihrem neuesten Roman auf der Höhe ihres gewaltigen literarischen Vermögens. Im "schillernden Geschichtengewebe" von "Liebe" sind afroamerikanische Geschichte, das Thema der "archaischen Kraft des Hasses" und die Frage nach der "Entstehung von Macht und Gewalt" virtuos miteinander verflochten, befindet die Rezensentin. Mittelpunkt der Imagination der Figuren - "erotisches Zentrum und Ursprung allen Hasses" - ist der lange verstorbene Patriarch Bill Cosey, der zur Zeit der Rassentrennung eine schwarze Stadt zur vollen Blüte separatistisch- bürgerlicher Ideale führte. Er wurde von Frauen überlebt, seiner Köchin, seiner Enkelin und seiner Witwe, allesamt hochbetagt, die Jahrzehnte später noch immer um sein Vermächtnis kreisen - bis eine junge Frau "das chronifizierte Gefüge ins Wanken" bringt und die Erzählung auf den Kurs zum Zentrum des Geheimnisses von Coseys Tod bringt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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