"Lady Chatterley" ist der berühmteste Roman von D.H. Lawrence, "Liebende Frauen" sein vielschichtigster. Beide Bücher haben nicht nur der Ruf von anrüchigen Skandalwerken gemeinsam, sondern auch das hochaktuelle Lebensthema des Autors: die Suche nach einem neuen, von Konventionen befreiten Dasein, die Suche nach einer zeitgemäßen Moral.
Geschrieben 1916, unter heftigen Protesten veröffentlicht 1920, entwirft "Liebende Frauen" eine leidenschaftliche, poetische und zugleich skeptische Vision einer modernen Gesellschaft und ihrer Werte. Rupert Birkin ist ein klassischer Lawrence-Held: Ernüchtert von den überkommenen Moralvorstellungen und ihrer lebensfeindlichen Tendenz, beschließt er, sein eigenes Leben auf menschen- und lustfreundlichere Prinzipien zu gründen.
Mit der ihm eigenen erzählerischen Intensität und symbolischen Dichte zeichnet der Autor ein faszinierendes Porträt der englischen Gesellschaft um 1914. Nirgendwo ist Lawrence die Ergründung komplexer psychologischer Motivationen eindringlicher und überzeugender gelungen wie in diesem visionären Gesellschaftsroman, der hier in einer deutschen Neuübersetzung vorgelegt wird.
Geschrieben 1916, unter heftigen Protesten veröffentlicht 1920, entwirft "Liebende Frauen" eine leidenschaftliche, poetische und zugleich skeptische Vision einer modernen Gesellschaft und ihrer Werte. Rupert Birkin ist ein klassischer Lawrence-Held: Ernüchtert von den überkommenen Moralvorstellungen und ihrer lebensfeindlichen Tendenz, beschließt er, sein eigenes Leben auf menschen- und lustfreundlichere Prinzipien zu gründen.
Mit der ihm eigenen erzählerischen Intensität und symbolischen Dichte zeichnet der Autor ein faszinierendes Porträt der englischen Gesellschaft um 1914. Nirgendwo ist Lawrence die Ergründung komplexer psychologischer Motivationen eindringlicher und überzeugender gelungen wie in diesem visionären Gesellschaftsroman, der hier in einer deutschen Neuübersetzung vorgelegt wird.
Codename Bismarck: D. H. Lawrence in neuer Übersetzung
Der englische Erzähler D. H. Lawrence, für dessen Werke bei Erscheinen sich die Sittenpolizei ebenso zu interessieren pflegte wie die Literaturkritik und dessen "Lady Chatterley" noch in den sechziger Jahren die englische Gerichtsbarkeit erregte, ist vor allem durch die Rückhaltlosigkeit bekannt geworden, mit der er sexuelle Phantasien und Ekstasen der von ihm erfundenen Figuren feiert. Dabei sind es jedoch weniger die Liebesakte als vielmehr kleine, unscheinbare Szenen, die ihm viel passionierter und nachhaltig irritierender geraten. Beispielsweise jene Zeichenstunde im Hause einer Industriellenfamilie in der mittelenglischen Provinz, bei der zu künstlerischen Übungszwecken das Haustier, ein schwarzweißgeschecktes Kaninchen, gezeichnet werden soll.
Anlaß und Thema scheinen harmlos genug und kaum über den Rahmen einer gängigen Gesellschaftsszene hinauszuweisen, und doch entfesselt Lawrence unvermittelt ein wahres Pandämonium, wenn er schildert, wie das Kaninchen aus dem Stall geholt wird: "Das langgestreckte, dämonenhafte Tier schlug erneut aus, es streckte sich in der Luft, als würde es fliegen, sah ein wenig wie ein Drache aus, dann zog es sich wieder zusammen, unfaßbar kraftvoll und spannungsgeladen. Der Körper des Mannes, der sich diesen Anstrengungen entgegenstemmte, vibrierte heftig. Dann überkam ihn plötzlich eine mächtige, rasende Wut. Blitzschnell holte er aus und stieß mit seiner freien Hand wie ein Falke auf den Hals des Kaninchens hinab. Im selben Augenblick ertönte der unheimliche, abscheuliche Schrei eines Kaninchens in Todesangst. Es krümmte sich gewaltig, riß ihm in einem letzten Zucken die Handgelenke auf und seine Ärmel, sein Bauch blitzte weiß auf im Wirbel der Pfoten, und dann hatte Gerald es herumgeschwungen und hielt es ganz fest unter seinem Arm. Es kauerte sich in Lauerstellung zusammen. Geralds Gesicht strahlte in einem Lächeln auf." Das Haustier übrigens heißt "Bismarck", und wer diesen Kampf verfolgt, ahnt gleich, daß der Kaninchenbezwinger bald auch die Kunstlehrerin fest und lächelnd in die Arme nehmen wird.
Die Szene stammt aus "Liebende Frauen" von 1920, seinem wichtigsten und wohl kompromißlosesten Roman, der jetzt in neuer deutscher Übersetzung vorliegt. Vordergründig erzählt er aus dem Leben zweier Schwestern, die, Mitte Zwanzig, ihre ersten Liebesabenteuer und beruflichen Erfolge bereits hinter sich haben; nun suchen sie neue Orientierung jenseits der rigiden Konvention von Anstand und bürgerlicher Ehe, wie sie die verknöcherte edwardianische Gesellschaft aufrechthält, und ringen um Erfüllung ihrer unbestimmten Sehnsucht nach sinnhafter Existenz. Im Grunde aber bietet der Roman ein Bestiarium und öffnet, kaum daß die gesellschaftliche Fassade aufbricht, eine Arena für das ungeheure Treiben einer ganzen Heerschar tierischer Kreaturen. Außer dem Kaninchen treffen wir Hochlandrinder und Küchenschaben, eine wilde graue Katze, einen Wolf und eine fuchsrote Araberstute, weiterhin Seelöwen, Wasserratten, Geier, Hunde, Möwen und Schakale, ferner eine Fledermaus, Maden, Fliegen, Flöhe sowie allerhand Ungeziefer. Gewiß, manche treten nicht wirklich in Erscheinung, sondern werden zur Charakterisierung der Figuren und ihrer Vorstellungswelt in sprachlichen Bildern heraufbeschworen. Bei Lawrence aber, wo hinter jeder Alltagsszene ein dämonischer Abgrund lauert, gilt diese Unterscheidung wenig. In diesem Roman jedenfalls scheint alle Wirklichkeit schlechthin nur um der inneren Erregung willen dazusein, die sie in den Figuren freisetzt.
Zwei Frauen, zwei Männer, immer auf dem Sprung, beständig in der Krise: Umgeben von einer kleinen Schar prägnanter Randfiguren, suchen, jagen, finden, lieben und bekriegen sie einander in einer grandiosen Manege der Passionen, deren stürmischer Entwicklung man teils atemlos, teils tief befremdet folgt. Die karge Handlung spielt in der Bergwerkslandschaft der Midlands sowie in den Künstlerclubs von Bloomsbury und ist durchsetzt von Diskussionen, in denen zumeist der Held seine monströse Welterrettungsphilosophie predigt. Das Geschehen wird nur episodisch präsentiert, denn an realistischer Erzählbreite, wie sie die großen Viktorianer pflegten, hatte Lawrence kein Interesse. Ihm galt nur die Unbedingtheit, zum Wesentlichen eines neuen Lebens jenseits der Zivilmoral und Maschinengläubigkeit der Epoche vorzustoßen, als Maßstab seiner Kunst. Der Roman entstand in den Jahren des Weltkriegs, und dessen Schrecken sitzt den Hauptfiguren, auch wenn sie in einer schemenhaften Vorkriegswelt agieren, spürbar in den Knochen.
"Dies Irae" sollte der Roman einst heißen, wie man im aufschlußreichen Nachwort von Dieter Mehl erfährt. Auch unter dem neuen, versöhnlicheren Titel bleibt der tiefe Orgelpunkt der Anklage präsent und wird nur selten von komischen oder skurrilen Zwischenspielen übertönt. In der sprachlich erneuerten Gestalt, in der wir dem Text jetzt wiederbegegnen, klingt er im Spektrum seiner Klangfarben bereichert und deutlich nuancierter als in der alten Übersetzung von 1927. Zwar riskiert Petra-Susanne Räbel manchmal einen zu saloppen Tonfall (etwa wenn aus dem "Burschen" ein "Typ" wird), und manchmal muß der rebellische Held sich leider in reinstem Verlautbarungsdeutsch ("Davon muß man ausgehen") äußern. Doch insgesamt folgt sie mit bewundernswerter Konsequenz der gewundenen Syntax der düsteren und prosodisch rhythmisierten Erzählstimme und scheut auch nicht vor deren insistierenden Wortwiederholungen zurück, die in der alten Fassung gern elegant eingeebnet wurden. Überdies orchestriert Räbel die vielstimmigen großen Dialogszenen mit bemerkenswertem Gespür für die sozialen Distanz- und Intimitätssignale, die darin gesetzt werden.
Dies gilt besonders für den letzten Teil des Romans, das lange, unerbittliche Finale, das in den winterlichen Alpen spielt. Vor Englands Enge auf der Flucht, bereisen die vier Hauptfiguren den Kontinent und finden sich schließlich in einem abgelegenen Berghotel wieder, wo sie auf eine gemischte Gruppe deutscher Bildungsbürger und erholungsuchender Künstler treffen. Vom Oberkellner in diese illustre, leicht dekadent gezeichnete Gesellschaft eingeführt, verbringen sie dort ihre Tage mit Schneespaziergängen, ausgedehnten Mahlzeiten, karnevalesken Darbietungen sowie erhitzten Gesprächen über die Aufgabe der Kunst oder das Rettende der Liebe und verstricken sich dabei in fatale Machtkämpfe und Verbindungen. In dieser so beklemmenden wie bizarren Szenenfolge, mit der "Liebende Frauen" unvermittelt endet, treibt Lawrence uns noch einmal durch die gesamte Menagerie der Moderne - und entwirft nebenbei einen rustikalen Prototyp des "Zauberbergs" von Thomas Mann, den er im übrigen herzlich verachtete.
Mann hingegen schätzte das Werk des jüngeren Zeitgenossen, wenn auch mit Vorbehalten gegen dessen Feier des Irrationalen. Wie er brieflich von einer Ägypten-Reise schrieb, las er auf der Nilfahrt Lawrence' kritische Studien zur Psychoanalyse; ihm sei die Art, wie Lawrence damit schalte, "momentweise" unangenehm, dennoch finde er den Autor "amüsant, zivil und ganz legitim". Der Brief datiert vom 1. März 1930. Einen Tag später sollte D. H. Lawrence, noch nicht fünfundvierzigjährig, an seinem lebenslangen Lungenleiden sterben.
TOBIAS DÖRING.
D. H. Lawrence: "Liebende Frauen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Petra-Susanne Räbel. Nachwort von Dieter Mehl. Manesse Verlag, Zürich 2002. 864 S., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wenn die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz einen Roman rezensiert. Darf die Interpunktion. Schon mal etwas eigenwillig. Sein. Streeruwitz wirft zunächst einmal die Frage auf, warum man sich ("und vor allem frau") mit D.H. Lawrences Roman "Liebende Frauen", diesen nun fast hundert Jahre alten Text, beschäftigen sollte. Wegen der Wirkung dieses Textes, findet Streeruwitz. Denn: "Das Grundrezept der ursprünglichen Wirkungsabsicht des Textes ist pure Jahrhundertwende 1900." Sie sei weiterhin wirksam und angewandt. Die Auslassung der Machtfrage in der Geschlechterpolitik, die Ablehnung der Psychoanalyse bringe schließlich immer einen männlichen Menschen hervor. So auch bei Lawrence, für den Männer höhere Wesen seien und Frauen nur als Wesen fungierten, so Streeruwitz, "deren Körper in Ergänzung zu diesem höheren Wesen auftreten, weil sie für dieses Wesen ganz einfach notwendig sind." Die Frauen bei Lawrence können sich nach Streeruwitz die Welt nur dann zugänglich machen, wenn sie sich dem Männlichen nur genügend anpassen. Als Gegenstand von "Liebende Frauen" betrachtet sie den Prozess einer solchen Anpassung. Eine Anpassung, die Streeruwitz dann auch bei zwei prominenten Frauen, Angela Merkel und Verona Feldbusch, analysiert, während sie zu Lawrence' Roman abschließend bemerkt: "Frauen gibt es keine in diesem Buch. Das Weibliche muss durch die Bezeichnung hergestellt werden. Wie gesagt. Von außen. 'The sisters were women'."
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