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Am 23. Januar 1965 notierte Ninon Hesse,»... wie durch eine laufende Brieffolge nicht so sehr ein Bild des Schreibers entsteht, als ein Bild des Empfängers«. Das gilt auch für ihre eigenen, bisher unveröffentlichten Briefe an Hermann Hesse. Die wie ein Tagebuch zu lesende Brieffolge beginnt 1910 mit einem Schreiben der 14 jährigen Gymnasiastin aus Czernowitz an den Verfasser des »Peter Camenzind« - 20 Jahre später wurde sie seine Frau.
Die Briefe schildern den abenteuerlichen Weg, den die in Wien Medizin, Kunst und Archäologie studierende und seit 1918 mit dem bekannten Karikaturist B.F.
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Produktbeschreibung
Am 23. Januar 1965 notierte Ninon Hesse,»... wie durch eine laufende Brieffolge nicht so sehr ein Bild des Schreibers entsteht, als ein Bild des Empfängers«. Das gilt auch für ihre eigenen, bisher unveröffentlichten Briefe an Hermann Hesse. Die wie ein Tagebuch zu lesende Brieffolge beginnt 1910 mit einem Schreiben der 14 jährigen Gymnasiastin aus Czernowitz an den Verfasser des »Peter Camenzind« - 20 Jahre später wurde sie seine Frau.

Die Briefe schildern den abenteuerlichen Weg, den die in Wien Medizin, Kunst und Archäologie studierende und seit 1918 mit dem bekannten Karikaturist B.F. Dolbin verheiratete junge Frau einschlug. 1927 brach sie alle Brücken hinter sich ab, verkaufte ihr Elternhaus, löste ihren Wiener Hausstand auf und beschloß, den Dichter des Steppenwolf aus einer lebensbedrohenden Krise zu retten.

Die Auswahl der Herausgeberin stellt nicht nur eine spannungsreiche Liebesbeziehung dar, sondern vermittelt auch die Lebensgeschichte dieser hochgebildeten Frau, der es glückte, Eigenständigkeit und Hingabe zu verbinden und Hesse die Ausgewogenheit seines Spätwerks zu ermöglichen.
Autorenporträt
Kleine, GiselaGisela Kleine promovierte nach einem Studium der Germanistik, Philosophie und Publizistik bei Benno von Wiese mit der Dissertation "Das Problem der Wirklichkeit bei Hermann Hesse" an der Universität Münster; Korreferent war Joachim Ritter, dessen Collegium philosophicum sie angehörte. Da ihre Doktorarbeit Hesse gefiel, wurde sie von ihm nach Montagnola eingeladen, lernte dort auch Ninon Hesse, die dritte Frau des Dichters, kennen und führte danach mit beiden einen Briefwechsel.Ihre Erfahrungen als Chefredakteurin der Monatsschrift " Der leitende Angestellte" bildete die Grundlage für Publikationen in allen Medien und für literatur- und medienwissenschaftliche Lehraufträge, u.a. an den Universitäten Dortmund, Bochum und der Fernuniversität Hagen. Familienpflichten bedingten eine berufliche Zäsur, die sie für ein Studium der Archäologie und Kunstgeschichte an der Universität Bochum nutzte. Ihre Ehebiographie über Ninon und Hermann Hesse, die Archäologin

und den Dichter, eröffnete, wie viele Kritiker hervorhoben, ein neues literarisches Genre, es war die erste der heute so beliebten Paar- oder Doppelbiographien. Für ihre "Frauenforschung" - Grundlage der von ihr verfassten Biographien - erhielt sie einen Literaturpreis der Stadt München, wo sie als freie Autorin lebt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2000

Gorgonen auf Morgenlandfahrt
Ehe auf Distanz: Ninon Hesses Briefe an Hermann Hesse

Mit einem merkwürdigen Gerichtsurteil wird am 26. April 1927 die zweite, relativ kurze Ehe Hermann Hesses mit der Sängerin Ruth Wenger in Basel geschieden. Seine Bücher "Kurgast" und "Nürnberger Reise", in denen er sich als Eremiten, Sonderling und schlaflosen Psychopathen darstelle, hätten die Unzumutbarkeit eines Zusammenlebens mit ihm bewiesen. Abgesehen von der windigen Beweiskraft literarischer Fiktionen war die Ehe mit dem übersensiblen und hypochondrischen, von Magen-, Darm- und Schlafstörungen geplagten und wegen seiner Depressionen psychoanalytischer Behandlung bedürftigen Dichter tatsächlich ein Kreuz. Immerhin rettete Hesse seinen so oft am Abgrund stehenden kranken Leib bis ins 86. Lebensjahr hinein. Und als die zweite Ehefrau ihn verließ, hielt sich die "Krankenschwester" schon bereit. Sie sollte viereinhalb Jahre später seine dritte Frau werden: Ninon Hesse.

Ninon Auslaender, 1895 als Tochter eines bekannten Strafverteidigers in der damals noch österreichischen Bukowina geboren, wuchs in Czernowitz auf, jenem Zentrum deutsch-jüdischer Kultur, das sich mit Autoren wie Alfred Margul-Sperber, Paul Celan, Rose Scherzer-Auslaender und anderen als wichtiger Blutspender der deutschen Literatur nach 1945 bewähren sollte. An Dichteridolen von Hölderlin über Heine, Rilke und Thomas Mann bis zu Karl Kraus war bei den Czernowitzer Gymnasiastinnen und Gymnasiasten kein Mangel. Ninon Auslaender aber kam zu ihrem literarischen Erweckungserlebnis durch den Sohn eines pietistischen Missionspfarrers - schon mit vierzehn Jahren schrieb sie, aufgerührt durch den Roman "Peter Camenzind", ihren ersten Brief an Hermann Hesse. Dieser Brief war das Anfangsglied einer Kette, die Ninon und Hesse immer fester aneinander binden sollte.

Die über mehr als fünf Jahrzehnte reichende Folge der Briefe Ninons an Hesse liegt jetzt in einer Auswahl (mit etwa einem Drittel des Gesamtumfangs) vor. Die Sachkenntnis der Herausgeberin Gisela Kleine, schon in ihrer Doppelbiografie "Zwischen Welt und Zaubergarten - Ninon und Hermann Hesse" belegt, kommt jetzt den Erläuterungen zugute. Abweichend vom bisherigen Regelfall, verbannt die Herausgeberin die Kommentare nicht in den Anhang, sondern schließt sie unmittelbar an die Briefe an. Den anfänglichen Eindruck wissenschaftlicher Fußnotentypografie vergisst man rasch und ist dankbar, vom lästigen Vor- und Zurückschlagen befreit zu sein. Über Rückbezüge auf Briefe Hesses wird der Leser informiert, notfalls kann er sich in der vierbändigen Ausgabe der Gesammelten Briefe Hesses von Ursula und Volker Michels vergewissern.

Aus der anfänglichen jungmädchenhaften Schwärmerei wird bei Ninon, die ihr Medizinstudium in Wien und dann auch das Studium der Kunstgeschichte abbricht, nach den ersten Begegnungen mit Hesse und seit der ersten gemeinsamen Nacht im März 1926 eine fast mystische Verschmelzung von sinnlicher und religiöser Bindung. "Als Dein Kopf in meinem Schoss lag, war mir, als halte ich den Gekreuzigten." Zunächst wagt sie seinen Namen nicht zu nennen, "wie die Juden das Wort Jehova nicht sagen dürfen". "Könnte ich mich dir reichen, wie die heilige Veronika Christus das Schweisstuch reicht." Solchem Hang zur Verzückung entspricht ihre bedingungslose Bereitschaft zum Dienen - "Selbstopfer" und "Götzendienst" nennt es der Künstler Fred Dolbin, als er noch ihr Ehemann ist. Der Religionswissenschaftler Karl Kerényi fand bei ihr später eine religiöse Sorge um Hesses Leben. Doch verliert sich in ihren Briefen dann der sakrale Ton.

Ja, nimmt man die Briefsammlung als Ganzes, so erscheint Ninon im Vergleich zu Hesse als die urbanere Persönlichkeit. Hesses Reise nach Indien im Jahre 1911 und seine Arbeit für die deutsche Kriegsgefangenenfürsorge in der Schweiz während des Ersten Weltkriegs sind Aktivitäten, die er sich später, nach seiner Übersiedlung nach Montagnola im Tessin, versagt, um das Leben eines Einsiedlers oder eines Patienten im Kurort zu führen. Eine Italien-Reise mit der Lebensgefährtin Ninon bricht er schon in Norditalien ab, die "Hochzeitsreise" nach Rom macht die Ehefrau Ninon von Anfang an allein.

Die Ehe ist ein Zusammenleben auf Distanz; man wohnt in getrennten Räumen, spricht miteinander nur auf Wunsch des Dichters, der von Schmerzen heimgesucht wird, mit seinen Stoffen ringt und gegen Störungen allergisch ist. Unter den Briefen befinden sich auch so genannte "Hausbriefe". Das sind Botschaften, die man an vereinbarter Stelle ablegt, um einander das Allernötigste mitzuteilen. Kristallisationspunkte des Ehelebens sind die Stunden, in denen Ninon dem sehschwachen Hesse vorliest.

Hinter den Briefen der Geliebten und dann Ehefrau aus Wien, Berlin, Paris oder London zeigen sich die Umrisse einer großen Weltoffenheit und geistigen Neugier. Eine leidenschaftliche Musik- und Opernliebhaberin wird sichtbar, eine kritische Beobachterin des Theaterlebens. Wie auf Auswüchse des "Regietheaters" unserer Tage gemünzt liest sich der Bericht vom 13. Mai 1930 aus Berlin: "Es gibt nur eine Schauspieler-Schaustellung, . . . das Stück stört nur, . . . die Worte, die sie sprechen, sind vom Regisseur, nicht vom Autor." Fast ein Ressentiment möchte man bei ihren Seitenhieben gegen den Starregisseur Max Reinhardt vermuten. Sie nennt Reinhardts Schloss Leopoldskron bei Salzburg die Residenz eines "Tapezierers", seinen Film nach Shakespeares "Sommernachtstraum", den sie 1935 in London sieht, gar einen "entsetzlichen Kitsch". "Entzückt" dagegen hört sie in der Londoner Pension eine Dame ihre "liebsten Songs aus der Dreigroschenoper" singen.

Unter den französischen Theaterautoren ist Molière ihr Favorit. Der Neufund eines griechischen Lustspiels von Menander, "Dyskolos", animiert sie zu einem Essay für die Zeitschrift "Antike und Abendland" (1961), in dem sie es mit Molières "Misanthrope" vergleicht und Menschenscheu von Menschenfeindlichkeit abgrenzt. Sich in antike Dichtung und Kunst zu vertiefen wird die Passion der letzten Lebensjahrzehnte. Hinter ihren vielen Reisen durch Griechenland steckt als Antrieb ein hartnäckiger Forscherdrang, auch wenn sie selbst sich als Dilettantin zwischen Philologen und Archäologen sieht. Das Interesse an der Genealogie der Götter bringt sie in Kontakt mit Karl Kerényi; von vielen Eranos-Tagungen berichtet sie Hesse. Für ihre wissenschaftliche Arbeit hat sie den Titel "Gorgonen in Heratempeln" vorgesehen.

Ungeschwächt bleibt ihre Bewunderung für Hesses Gedichte und seine Romane, für den "Steppenwolf", "Narziß und Goldmund", "Die Morgenlandfahrt", "Das Glasperlenspiel". Dass Hesse des Nobelpreises würdig sei (den er 1946 erhielt), stand für sie nie in Frage. Aber sie nabelt sich doch als Individuum von der Überperson des Dichters ab. Obgleich sie ihren anfänglichen eigenen dichterischen Ambitionen entsagt, bleiben kleine poetische Inseln über ihre Briefprosa verstreut. Den Titel der Briefsammlung hat die Herausgeberin der Anrede Ninons an Hesse in einigen der frühen Briefe entlehnt. Als eine andere Art von Tagebuch wollte die Herausgeberin die Briefe präsentieren. Tatsächlich sind vor allem die vielen Briefe aus Griechenland verkappte Reisetagebücher, kunsthistorische Notizensammlungen - und deshalb auch Zeugnisse der offensiven Selbstbehauptung. Denn Hesse mochte, wie Ninon schon 1926 erkannte, "die Kunsthistoriker . . . alle nicht".

WALTER HINCK

Ninon Hesse: "Lieber, lieber Vogel. Briefe an Hermann Hesse". Herausgegeben von Gisela Kleine. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 620 S., geb., 64,- DM.

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