Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.1995JOCHEN HIEBER, Redakteur dieser Zeitung, hat etwa zweihundert Briefe von neunzig Schriftstellern, Kritikern und Verlegern an Marcel Reich-Ranicki ausgewählt, kommentiert und in einem Band versammelt. Schmeichel- und Jubelschreiben wird man hier nicht finden. Ziel des Bandes war es vielmehr, Reich-Ranicki als streitbaren Kritiker und Redakteur im Zentrum von Debatten, Kontroversen und Polemiken unseres literarischen Lebens zu zeigen. Zu den Briefschreibern zählen nahezu alle Autoren, die die deutschsprachige Nachkriegsliteratur entscheidend prägten: Alfred Andersch etwa, Jurek Becker, Wolf Biermann, Heinrich Böll, Hilde Domin, Max Frisch, Franz Fühmann, Günter Grass, Wolfgang Hildesheimer, Ernst Jandl, Sarah Kirsch, Wolfgang Koeppen, Siegfried Lenz, Golo Mann, Hans Erich Nossack, Hans Werner Richter, Peter Rühmkorf, Martin Walser oder Peter Weiss. Das Ensemble der Briefe aus fast vier Jahrzehnten spiegelt das Panorama der publizistischen Interessen und Leidenschaften des Adressaten wider: Die Korrespondenzpartner antworten auf einzelne Kritiken, reagieren polemisch auf seine Polemik, nutzen die Gelegenheit auch zu poetologischen Bemerkungen und privaten Bekenntnissen. Daraus ergibt sich so etwas wie der reale Roman über erfundene Wirklichkeiten, nicht zuletzt auch ein Porträt des Kritikers Reich-Ranicki, bestehend aus lauter subjektiven Außenansichten. ("Lieber Marcel. Briefe an Reich-Ranicki". Hrsg. von Jochen Hieber. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995. 414 Seiten,
geb., 48,- DM.) F.A.Z.
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