Toni und Alex kennen sich nicht und sind doch auf verhängnisvolle Weise miteinander verbunden. Toni leidet unter dem Verlust ihres kleinen Bruders, für dessen Tod sie sich verantwortlich macht. Alex führt ein Doppelleben und trägt an einer Schuld, über die er nie gesprochen hat. 24 Stunden bewegen sich die beiden aufeinander zu, bis sich ihre Wege trotz skurriler Begegnungen und komischer Zwischenfälle schließlich kreuzen.Marion Brasch erzählt diese Geschichte vom Leben und Überleben in einem klaren, aufmüpfigen und warmen Ton und mit großem Gespür für die Augenblicke, die über Glück oder Unglück entscheiden.
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Die durchgeknalltesten Fügungen hält halt das Leben bereit - und Glücksfälle wie der kleine Roman 'Lieber woanders' [...] Selber lesen. Welt am Sonntag 201903
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2019Werden Sie gern von einem Buch gesiezt?
Leben als Gleichung: Marion Braschs Roman "Lieber woanders"
"So ist das Leben." Diese Weisheit eines Anonymus hat Marion Brasch ihrem neuen Roman vorangestellt. Davor gibt es noch ein Zitat von Paul Auster, in dem er sich fragt, ob Zufall und Schicksal nichts anderes als praktische Illustrationen der Wahrscheinlichkeitsrechnung seien. Damit wären die zwei Hypothesen dieses Romans über das Leben, "so, wie es ist", ausgerollt wie ein Hefeteig, der noch einen Moment lang gehen will. Nämlich einerseits, dass das Leben gar nicht zu erklären ist und man es deswegen auch gar nicht erst versuchen sollte. Und andererseits, wenn man es doch tut, dann bitte mathematisch. "Lieber woanders" ist dementsprechend ein Roman, der uns das Leben so vorführt, wie es ist, und zwar auf Basis einer Gleichung, die von der Erzählerin aufgestellt und auf das Leben angewendet wird.
In dieser Gleichung werden zwei junge Menschen innerhalb von vierundzwanzig Stunden aufeinander zubewegt. Ein bisschen wie Labormäuse mit manipuliertem Gencode. Das wissen jetzt aber nur Sie und ich. Denn für die Figuren ist das, was sie erleben, ja ihr Schicksal, für uns dagegen nur ein kompositorischer Streich, mit dem Marion Brasch ein literarisches Metadrama inszeniert, das wiederum den Leser zu einer Empfindung à la "So ist das Leben!" verführen soll.
Die jungen Leute in diesem Roman heißen Alex und Toni. Toni lebt in einem Wohnwagen irgendwo im Brandenburgischen und ist kurz davor, einen Buchvertrag als Zeichnerin zu unterzeichnen. Und zwar in Berlin. Alex wiederum ist Roadie, das heißt, er macht für eine Band den Auf- und Abbau bei Konzerten. Alex hat eine kleine Tochter, eine Frau und seit sieben Jahren eine Geliebte. Dass er Konflikten mit reichlich Aussitzvermögen aus dem Weg geht, wissen wir aus Alex' kompliziertem Doppelleben bereits. Auch, dass er mal einen ziemlich schlimmen Autounfall gebaut haben muss. Bald verstehen wir aber noch mehr über ihn: Alex hat ein dunkles Geheimnis. Und das macht ihn zu einer Art Zombie.
Toni wiederum ist eine ruppig-romantische Einzelgängerin. Sie hatte mal einen kleinen Bruder, den sie liebevoll betreut hat, wenn die Mutter gerade mal wieder auf Tabletten war, weil sie die Trennung vom Vater nicht verwinden konnte. Toni, so erfahren wir nach und nach, hat ein dickes Trauma, weil es diesen Bruder in ihrem Leben nicht mehr zu geben scheint. Nun will die Erzählerin, dass Alex und Toni über einen Schuld-Trauma-Komplex miteinander verbunden sind. Und ihr Wille geschehe! Wie die Dinge genau zusammenhängen, das enthüllt der Roman Schritt für Schritt. Die Erzählerin wendet sich dafür in kursivierten Passagen demiurgisch an ihre Leser: "Möglicherweise finden Toni und Alex in dieser Nacht noch ein wenig Schlaf. Und was machen wir inzwischen?"
Das ist eine gute Frage. Wir werden uns der Konstruiertheit einer jeden Geschichte bewusst. Und dann lesen wir weiter, weil wir endlich wissen wollen, was nun der Clou dieser Story ist. Aber unter uns Metaschwestern: Entweder man erzählt eine Geschichte, oder man erzählt sie nicht. Man will dabei nicht ständig konspirativ mit "Sie" angesprochen werden und mit der Erzählerin in einem morschen Boot darauf warten, dass wieder ein bisschen Bewegung in die Sache kommt. Das Problem mit einer solch offensiven Versuchsanordnung ist nämlich, dass sie nicht kühn wirkt, sondern wie eine verschämte Entschuldigung. Eine Entschuldigung für unsere nicht abzustellende Erklärsucht - im Leben wie im Roman.
Dabei zeigt "Lieber woanders" selbst ganz gut, dass es eben nicht damit getan ist zu sagen: "So ist das Leben." Figuren wollen motiviert werden, Handlungen vorangetrieben, Schicksale als Folge rückwärtsgewandter Erklärbarkeit erzählbar gemacht. Die Geschichte von Alex und Toni ist nicht unwahrscheinlicher als jede andere Geschichte. Dazu braucht es aber keinen koketten Erzähler. Und keine Parabeln, die diesen ansonsten eher leichtfüßig geschriebenen Roman mit kosmischer Energie aufladen sollen.
Je nach Perspektive kann man Marion Braschs Buch charmant finden, so wie einen etwas rührseligen Jugendroman. Man kann ihn als belletristisches Werk jedoch auch zurückweisen. Vor allem, wenn am Ende das Schicksal von der Autorin noch einmal so vorausberechnet wird, dass man zwar nicht mehr sagen kann "So ist das Leben!", aber immerhin "So geht karmische Gerechtigkeit". Wir wollen nicht spoilern, aber ein Schuss wird fallen und damit auch die Würfel der Erzählerin. "Und was machen wir inzwischen?"
KATHARINA TEUTSCH
Marion Brasch: "Lieber woanders". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2019. 160 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leben als Gleichung: Marion Braschs Roman "Lieber woanders"
"So ist das Leben." Diese Weisheit eines Anonymus hat Marion Brasch ihrem neuen Roman vorangestellt. Davor gibt es noch ein Zitat von Paul Auster, in dem er sich fragt, ob Zufall und Schicksal nichts anderes als praktische Illustrationen der Wahrscheinlichkeitsrechnung seien. Damit wären die zwei Hypothesen dieses Romans über das Leben, "so, wie es ist", ausgerollt wie ein Hefeteig, der noch einen Moment lang gehen will. Nämlich einerseits, dass das Leben gar nicht zu erklären ist und man es deswegen auch gar nicht erst versuchen sollte. Und andererseits, wenn man es doch tut, dann bitte mathematisch. "Lieber woanders" ist dementsprechend ein Roman, der uns das Leben so vorführt, wie es ist, und zwar auf Basis einer Gleichung, die von der Erzählerin aufgestellt und auf das Leben angewendet wird.
In dieser Gleichung werden zwei junge Menschen innerhalb von vierundzwanzig Stunden aufeinander zubewegt. Ein bisschen wie Labormäuse mit manipuliertem Gencode. Das wissen jetzt aber nur Sie und ich. Denn für die Figuren ist das, was sie erleben, ja ihr Schicksal, für uns dagegen nur ein kompositorischer Streich, mit dem Marion Brasch ein literarisches Metadrama inszeniert, das wiederum den Leser zu einer Empfindung à la "So ist das Leben!" verführen soll.
Die jungen Leute in diesem Roman heißen Alex und Toni. Toni lebt in einem Wohnwagen irgendwo im Brandenburgischen und ist kurz davor, einen Buchvertrag als Zeichnerin zu unterzeichnen. Und zwar in Berlin. Alex wiederum ist Roadie, das heißt, er macht für eine Band den Auf- und Abbau bei Konzerten. Alex hat eine kleine Tochter, eine Frau und seit sieben Jahren eine Geliebte. Dass er Konflikten mit reichlich Aussitzvermögen aus dem Weg geht, wissen wir aus Alex' kompliziertem Doppelleben bereits. Auch, dass er mal einen ziemlich schlimmen Autounfall gebaut haben muss. Bald verstehen wir aber noch mehr über ihn: Alex hat ein dunkles Geheimnis. Und das macht ihn zu einer Art Zombie.
Toni wiederum ist eine ruppig-romantische Einzelgängerin. Sie hatte mal einen kleinen Bruder, den sie liebevoll betreut hat, wenn die Mutter gerade mal wieder auf Tabletten war, weil sie die Trennung vom Vater nicht verwinden konnte. Toni, so erfahren wir nach und nach, hat ein dickes Trauma, weil es diesen Bruder in ihrem Leben nicht mehr zu geben scheint. Nun will die Erzählerin, dass Alex und Toni über einen Schuld-Trauma-Komplex miteinander verbunden sind. Und ihr Wille geschehe! Wie die Dinge genau zusammenhängen, das enthüllt der Roman Schritt für Schritt. Die Erzählerin wendet sich dafür in kursivierten Passagen demiurgisch an ihre Leser: "Möglicherweise finden Toni und Alex in dieser Nacht noch ein wenig Schlaf. Und was machen wir inzwischen?"
Das ist eine gute Frage. Wir werden uns der Konstruiertheit einer jeden Geschichte bewusst. Und dann lesen wir weiter, weil wir endlich wissen wollen, was nun der Clou dieser Story ist. Aber unter uns Metaschwestern: Entweder man erzählt eine Geschichte, oder man erzählt sie nicht. Man will dabei nicht ständig konspirativ mit "Sie" angesprochen werden und mit der Erzählerin in einem morschen Boot darauf warten, dass wieder ein bisschen Bewegung in die Sache kommt. Das Problem mit einer solch offensiven Versuchsanordnung ist nämlich, dass sie nicht kühn wirkt, sondern wie eine verschämte Entschuldigung. Eine Entschuldigung für unsere nicht abzustellende Erklärsucht - im Leben wie im Roman.
Dabei zeigt "Lieber woanders" selbst ganz gut, dass es eben nicht damit getan ist zu sagen: "So ist das Leben." Figuren wollen motiviert werden, Handlungen vorangetrieben, Schicksale als Folge rückwärtsgewandter Erklärbarkeit erzählbar gemacht. Die Geschichte von Alex und Toni ist nicht unwahrscheinlicher als jede andere Geschichte. Dazu braucht es aber keinen koketten Erzähler. Und keine Parabeln, die diesen ansonsten eher leichtfüßig geschriebenen Roman mit kosmischer Energie aufladen sollen.
Je nach Perspektive kann man Marion Braschs Buch charmant finden, so wie einen etwas rührseligen Jugendroman. Man kann ihn als belletristisches Werk jedoch auch zurückweisen. Vor allem, wenn am Ende das Schicksal von der Autorin noch einmal so vorausberechnet wird, dass man zwar nicht mehr sagen kann "So ist das Leben!", aber immerhin "So geht karmische Gerechtigkeit". Wir wollen nicht spoilern, aber ein Schuss wird fallen und damit auch die Würfel der Erzählerin. "Und was machen wir inzwischen?"
KATHARINA TEUTSCH
Marion Brasch: "Lieber woanders". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2019. 160 S., geb., 20,- [Euro].
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