Wer im 20. Jahrhundert noch Briefe schreiben könne, verfüge über archaische Fähigkeiten, denn eigentlich lassen sich keine Briefe mehr schreiben, bemerkt Adorno und zielt dabei auf den neuzeitlichen Typus des Privatbriefes, als dessen intimste Spielart gemeinhin der Liebesbrief gilt. Die Liebeskorrespondenzen Arthur Schnitzlers fügen sich dem von Adorno beschriebenen Spannungsfeld ein und bezeugen in eigentümlicher Weise eine Schwellenzeit. Sie vermessen gleichsam das Spektrum, in dem sich die briefliche Liebesrede um 1900 bewegt, pendelnd zwischen der Wiederholung eines immer schon geführten Liebesdiskurses und dem Rückzug auf die Materialität des Schreibens und der Schrift. So versucht der Briefwechsel mit Olga Waissnix das Briefkonzept des 18. Jahrhunderts zu erproben. Im Bestreben, sich in ihrer Eigentümlichkeit zu entwerfen, an ein Du zu adressieren und in den Briefen einen imaginären Raum der Begegnung zu erschreiben, plündern die Briefschreibenden die Vorratskammern des klassisch-romantischen Liebesdiskurses nach gängigen Mustern, Bildern und Konzepten. Im Vergleich dazu liest sich der Briefwechsel zwischen Schnitzler und Marie Reinhard als Versuch, noch unter Medienbedingungen einen Briefverkehr zwischen Liebenden einzurichten.