Es ist die große Liebe, doch keine auf den ersten Blick. Erst nach und nach verliebt sich Anja in den Maler Andra . Und dann wird, was zwischen den beiden geschieht, zur einzigen, alles umfassenden Erfahrung. Aber Andra ist verheiratet, hat eine Familie und meint, eine Entscheidung treffen zu müssen. Und das, obwohl Anja diese nie von ihm gefordert hat. Wie in konzentrischen Kreisen bohrt sich Sandra Hoffmanns Text in die Empfindungen der Liebenden hinein. Eindringlich, emphatisch, auch komisch erzählt der Roman von einer verheißungsvollen Liebe und deren Ende.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008Sturm auf die Ehefestung
Was tun, wenn man sein ganzes Leben auf eine Karte setzen muss und diese dann nicht sticht? Ein spannender Liebesroman der Tübinger Autorin Sandra Hoffmann.
Dreiecksgeschichten, nichts als Dreiecksgeschichten! Bis zum Überdruss sind wir damit versorgt! Und doch ist es immer wieder erstaunlich, wie viele Variationen dieses einfache Grundmodell zulässt. Im vorliegenden Fall haben wir eine Frau, die, der Liebe ihres Lebens verfallen, in eine Ehe einbricht, Herz und Sinne des Mannes ganz und gar für sich gewonnen zu haben glaubt, aber erleben muss, dass die Ehe standhält, dass sie, die liebende Frau, letztendlich doch draußen in der Kälte bleibt, allein und verlassen, während ihr Liebhaber und Geliebter im Warmen sitzt, in seiner Ehe.
Das Elend der Liebenden ist unbeschreiblich. Die achtunddreißig Tage und Nächte, die sie, in einem Zeitraum von zwei Jahren, mit ihrem Liebsten zubringen konnte, holt sie in der Erinnerung mit schmerzender Genauigkeit und schmelzender Süßigkeit zurück, poliert jede Einzelheit und stellt sie in der Schauvitrine ihres Gedächtnisses aus.
Das Medium dieser autistischen Erinnerung ist das Einzige, das die konsequente Erzähltechnik dieses Romans zur Verfügung stellt. Der suggestive Sog der Rückschau schlägt alles in seinen Bann. Es gibt keine Außenwelt mehr, keine neutrale Urteilskraft, keine andere Stimme, nur die Melodie einer verlorenen Liebe, die der Resonanzkörper ist, über dem die Welt jede beliebige Saite anschlagen kann, und es tönt immer nach dieser Liebe. Eine Unterhaltung über den Airbus A380 wird zu einem Dialog über die Liebe und der Blick auf eine Katze, die sich putzt, zu einem Monolog über die Einsamkeit.
Die Spannung, mit der man diese dicht geschriebene Erzählung liest, rührt zu einem guten Teil daher, dass man über die Ehefrau nichts erfährt. Sie hat nicht einmal einen Namen. Anja, die Liebende, lernen wir aus ihrem Erinnerungsfilm genau kennen, Andras, den Geliebten, schon weniger genau, nur aus ihrer Optik, nicht aus seiner. Über die dritte beteiligte Person aber erfahren wir wahrhaftig kein Wort. Das ist stark. Und sie ist stark. Durch sie ist der Roman wie eine Festung, die zwei Jahre lang belagert wird, bis der Feind, seelisch gebrochen, abzieht. Während des Trommelfeuers der glühenden Liebespfeile bleibt es drinnen lautlos.
Die Ehe bewährt eine stumme Kraft, während von draußen die Sirenenklänge heranbranden - ausdrucksstarke Liebespoesie, wie sie innerhalb der Festung noch niemals zu vernehmen war und doch ohnmächtig ist gegen das feste Mauerwerk einer prosaischen Familie, die schon drei Jahrzehnte besteht. Der Roman ist um dieses Schweigen der Ehe herumgeschrieben, das in ihm liegt wie das Auge des Sturms.
Aber zu triumphieren gibt es da nichts, für keinen Beteiligten. Andras mag es noch am besten gehabt haben, muss aber Herz und Sinne neu justieren. Von den Blessuren seiner Ehefrau erfahren wir nichts, obgleich es auch für sie um Leben und Tod gegangen sein muss. Das wäre ein Roman für sich. Die so bitter enttäuschte Anja aber ist in jedem Fall eine tragische Figur. Nach verschiedenen Beziehungen, die sie für Liebe gehalten hat, erfährt sie etwa vierzigjährig erstmals des Liebesgottes volle Kraft, fühlt sich wie neu erfunden und kann gar nicht anders, als ihr ganzes Leben auf diese eine Karte zu verwetten. Und dann sticht diese Karte nicht!
Zwar lässt Sandra Hoffmann ihre Anja noch bei einer Psychotherapeutin vorsprechen, die ihr kühl bedeutet, dass Andras sich entschieden habe und dass sie wütend sein solle statt verständnisvoll und nachträumend, aber was helfen die klugen Lehren, wenn es so weh tut und alles noch zuckt bei der kleinsten Berührung und wenn die Bereitschaft zum Verrat noch nicht da ist, weil die Liebe noch da ist und wie ein Napalmfeuer ist, das nicht ausgetreten werden kann. Die Tränen stürzen Anjuscha aus den Augen wie im August ein Sternschnuppenregen vom Himmel. "Mein Stelzchen", sagte Andras zu ihr, wenn er zärtlich war. Nun aber, am 442. Tag nach Andras, ist sie eine Trauerbachstelze, und sein Herz dient wieder ausschließlich als Pumpe.
HERMANN KURZKE
Sandra Hoffmann: "Liebesgut". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2008. 189 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was tun, wenn man sein ganzes Leben auf eine Karte setzen muss und diese dann nicht sticht? Ein spannender Liebesroman der Tübinger Autorin Sandra Hoffmann.
Dreiecksgeschichten, nichts als Dreiecksgeschichten! Bis zum Überdruss sind wir damit versorgt! Und doch ist es immer wieder erstaunlich, wie viele Variationen dieses einfache Grundmodell zulässt. Im vorliegenden Fall haben wir eine Frau, die, der Liebe ihres Lebens verfallen, in eine Ehe einbricht, Herz und Sinne des Mannes ganz und gar für sich gewonnen zu haben glaubt, aber erleben muss, dass die Ehe standhält, dass sie, die liebende Frau, letztendlich doch draußen in der Kälte bleibt, allein und verlassen, während ihr Liebhaber und Geliebter im Warmen sitzt, in seiner Ehe.
Das Elend der Liebenden ist unbeschreiblich. Die achtunddreißig Tage und Nächte, die sie, in einem Zeitraum von zwei Jahren, mit ihrem Liebsten zubringen konnte, holt sie in der Erinnerung mit schmerzender Genauigkeit und schmelzender Süßigkeit zurück, poliert jede Einzelheit und stellt sie in der Schauvitrine ihres Gedächtnisses aus.
Das Medium dieser autistischen Erinnerung ist das Einzige, das die konsequente Erzähltechnik dieses Romans zur Verfügung stellt. Der suggestive Sog der Rückschau schlägt alles in seinen Bann. Es gibt keine Außenwelt mehr, keine neutrale Urteilskraft, keine andere Stimme, nur die Melodie einer verlorenen Liebe, die der Resonanzkörper ist, über dem die Welt jede beliebige Saite anschlagen kann, und es tönt immer nach dieser Liebe. Eine Unterhaltung über den Airbus A380 wird zu einem Dialog über die Liebe und der Blick auf eine Katze, die sich putzt, zu einem Monolog über die Einsamkeit.
Die Spannung, mit der man diese dicht geschriebene Erzählung liest, rührt zu einem guten Teil daher, dass man über die Ehefrau nichts erfährt. Sie hat nicht einmal einen Namen. Anja, die Liebende, lernen wir aus ihrem Erinnerungsfilm genau kennen, Andras, den Geliebten, schon weniger genau, nur aus ihrer Optik, nicht aus seiner. Über die dritte beteiligte Person aber erfahren wir wahrhaftig kein Wort. Das ist stark. Und sie ist stark. Durch sie ist der Roman wie eine Festung, die zwei Jahre lang belagert wird, bis der Feind, seelisch gebrochen, abzieht. Während des Trommelfeuers der glühenden Liebespfeile bleibt es drinnen lautlos.
Die Ehe bewährt eine stumme Kraft, während von draußen die Sirenenklänge heranbranden - ausdrucksstarke Liebespoesie, wie sie innerhalb der Festung noch niemals zu vernehmen war und doch ohnmächtig ist gegen das feste Mauerwerk einer prosaischen Familie, die schon drei Jahrzehnte besteht. Der Roman ist um dieses Schweigen der Ehe herumgeschrieben, das in ihm liegt wie das Auge des Sturms.
Aber zu triumphieren gibt es da nichts, für keinen Beteiligten. Andras mag es noch am besten gehabt haben, muss aber Herz und Sinne neu justieren. Von den Blessuren seiner Ehefrau erfahren wir nichts, obgleich es auch für sie um Leben und Tod gegangen sein muss. Das wäre ein Roman für sich. Die so bitter enttäuschte Anja aber ist in jedem Fall eine tragische Figur. Nach verschiedenen Beziehungen, die sie für Liebe gehalten hat, erfährt sie etwa vierzigjährig erstmals des Liebesgottes volle Kraft, fühlt sich wie neu erfunden und kann gar nicht anders, als ihr ganzes Leben auf diese eine Karte zu verwetten. Und dann sticht diese Karte nicht!
Zwar lässt Sandra Hoffmann ihre Anja noch bei einer Psychotherapeutin vorsprechen, die ihr kühl bedeutet, dass Andras sich entschieden habe und dass sie wütend sein solle statt verständnisvoll und nachträumend, aber was helfen die klugen Lehren, wenn es so weh tut und alles noch zuckt bei der kleinsten Berührung und wenn die Bereitschaft zum Verrat noch nicht da ist, weil die Liebe noch da ist und wie ein Napalmfeuer ist, das nicht ausgetreten werden kann. Die Tränen stürzen Anjuscha aus den Augen wie im August ein Sternschnuppenregen vom Himmel. "Mein Stelzchen", sagte Andras zu ihr, wenn er zärtlich war. Nun aber, am 442. Tag nach Andras, ist sie eine Trauerbachstelze, und sein Herz dient wieder ausschließlich als Pumpe.
HERMANN KURZKE
Sandra Hoffmann: "Liebesgut". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2008. 189 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jörg Magenau ist gehörig genervt von diesem unspannenden, unironischen Liebeskatzenjammer, den Sandra Hoffmann verfasst hat und klagt, dass die Analytikerin, die von der leidenden Hauptfigur nach dem Ende einer Affäre aufgesucht wird "immerhin dafür bezahlt" werde, "sich das alles anzuhören". Die Protagonisten bewegen sich nach Meinung des Rezensenten in einem "luftleeren Raum", die heraufbeschworene Liebesgeschichte bleibt unwirklich, zudem sei die "Prosa von seltener Humorlosigkeit". Dass es dem Erzählten an Dynamik fehlt, versucht die Autorin durch einen "Stilwillen zu kompensieren, der alles noch viel schlimmer macht". Lediglich den Titel des Buchs empfindet Magenau als passend. "Zwischen Diebesgut und Liebesglut changierend, transportiert er die Liebe als ein Frachtgut, das geborgen werden muss.
© Perlentaucher Medien GmbH
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