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Der Schriftsteller Giles de'Ath sieht zufällig in einem Trivialfilm einen jungen Darsteller, der ihn völlig gefangen nimmt. Giles, von einer teenagerhaften Schwärmerei ergriffen, steigert sich so in die Sache hinein, dass er den Entschluss fasst, nach Amerika zu reisen - zu seinem Idol ...

Produktbeschreibung
Der Schriftsteller Giles de'Ath sieht zufällig in einem Trivialfilm einen jungen Darsteller, der ihn völlig gefangen nimmt. Giles, von einer teenagerhaften Schwärmerei ergriffen, steigert sich so in die Sache hinein, dass er den Entschluss fasst, nach Amerika zu reisen - zu seinem Idol ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Ein paar Seerosen, immerhin
Wieso uns Gilbert Adair diesmal nicht überrascht hat / Von Michael Maar

Hase und Nachtigall - wo die eine so früh zu trappsen beginnt, weiß man vom andern bald, wo er langlaufen wird. Der jüngste Roman Gilbert Adairs, "Liebestod auf Long Island", beginnt damit, daß ein alternder, berühmter, in seiner Arbeit stockender Schriftsteller einen Spaziergang macht, auf dem er den Anhauch von etwas Fremdem erfährt. Im zweiten Kapitel wird mit der Vorgeschichte des verwitweten Helden die Liste der Werke nachgereicht, die ihn auf den Höhepunkt des Ruhms geführt haben. Scheiternde Flucht im dritten Kapitel - der in den Bann Gezogene bäumt sich gegen sein Schicksal auf und will den Ort verlassen, an den es ihn verschlagen hat, kein Strandhotel, sondern ein altes Kino, was aber erblickt er in diesem Moment? Einen bezaubernden Knaben, den Jugendstar Ronnie, dem er in den nächsten Kapiteln rapide verfällt. Erschlafft sinkt er im Sessel zurück und überläßt sich dem Verheißungsvoll-Ungeheuren, erfährt neue Anregung zu schriftstellerischem Schaffen, verfaßt, weil es ein Adagietto nicht sein kann, ein Adagio, träumt einen bedeutungsvollen Traum, nach dem der Rest des Widerstands dahin ist, und hat einen letzten Friseurbesuch, bevor er die "unausweichlichen, unersetzlichen, die abgedroschenen und heiligen Worte" spricht, "unmöglich hier, absurd, verworfen, lächerlich und heilig doch", wie es in der Quellschrift heißt, bevor also mit der Liebeserklärung des entwürdigten Literaten an den göttlich banalen Knaben die Geschichte ihr Ende findet, die vom Titelkopf bis zu den Zehen den "Tod in Venedig" Manns parodiert.

In dessen Sinne parodiert allerdings, im Sinne der respektvollen Auflösung, der die Vorlage nicht nur lächerlich, sondern auch heilig ist, so wie es die unmögliche Liebeserklärung war. Nichts anderes ist auch Adairs Roman, binnenliterarisch betrachtet, eine unmögliche Liebeserklärung, vorgetragen von dem Jungen an den Alten, der ebenfalls behauptet hatte, ein heimlicher Parodist zu sein, dem es aber doch ernst war mit der Handlung um das homoerotische Gefühlserlebnis. Viel ehrwürdig Überliefertes, viel Platon und Mythologie hatte er aufbieten müssen, um damit unter die Leute gehen zu können; nun zählt sein eigenes Werk zum ehrwürdig Überlieferten, und es ist der Jüngere, der sich an ihm festhalten kann.

Auch er kommt von einem Thema nicht los, und das ist das Thema der Obsession. "The Holy Innocents", Adairs ältester und noch unübersetzter Roman, erzählt von einem jungen Cinéasten im Paris der Mai-Unruhen, der in eine folie à trois verstrickt wird und in einem Hörselberg endet, aus dem erst die gewaltsamen Demonstrationen ihn retten. Es gibt eine außerordentliche Frauenfigur in diesem Pariser Sündenberg, aber was im Herz der Finsternis glüht, enthüllt sich am Ende als der mann-männliche Akt. Wie beim "Liebestod auf Long Island" hat es etwas Entnervendes, mit wieviel Pomp und Andeutungsgewese der Schleier vor diesem Geheimnis weggezogen wird. Das ist das Problem mit den Obsessionen: Sie sind langweilig, die wenigen Fälle ausgenommen, in denen ein Ausnahmewerk die Regel widerlegt. Ein zweites, technisches Problem gibt es mit ihnen. Wenn sie wirken sollen, müssen sie auf Dämonenpfoten heranschleichen und ihr Opfer langsam von innen aushöhlen.

Das schnelle Umkippen glaubt man nicht, ein Grund dafür auch, daß das humoristische Gegenstück zum "Tod in Venedig" nicht die Novelle bleiben konnte, als die es geplant war. Viel Raum ist nötig, damit der Leser im Lauf der Jahreszeiten wie Hans Castorp umgedreht werden kann, so daß er selbst der Zeit verlustig geht. In seinem frühen Roman nimmt Adair sich noch die Geduld, die Obsession heranschleichen zu lassen. Der jüngste Held aber fällt schon um, wenn er nur angepustet wird. Das ist kein fairer Kampf, und wenn der Verfall so absehbar ist wie die einzelnen Stufen, über die er führt, droht auch beim Leser jenes Erlahmen des motus animi continuus, das Gustav Aschenbach in die Bredouille bringt.

Daß er es anders kann, beweist Adair in seinem vorletzten Buch "Der Tod des Autors". Auch in diesem Roman, der sich am Leben Paul de Mans entlangphantasiert, versetzt er sich in die Rolle des vor Aufdeckung zitternden Erfolgsschriftstellers, der ein dunkles Geheimnis zu hüten hat. Das Geheimnis ist hier ein politisch-moralisches: antisemitische Artikel, die der Professor in der Vichy-Zeit geschrieben hat und deren Entdeckung sein Leben zerstören würde. Eine der Pointen dieses Meta-Krimis liegt darin, daß die ganze Theoriebildung des Meisterdenkers nur ein üppiger Wedel ist, mit dem die Giftfliegen dieser Vergangenheit verscheucht werden sollen; eine andere darin, daß ihm diese Theorie gerade dadurch zum Verhängnis wird, daß sie ein Schüler wörtlich nimmt.

Verglichen mit dem "Tod des Autors" ist der "Liebestod auf Long Island" pointenarm. Es ist die eine Fallhöhe, aus der sich aller Witz speist - Tadzio als amerikanischer Jugendstar in "Hotpants College II", gesehen von einem britischen Literaten, der ebensoviel wie von Manns Nobilitierten von Nabokovs arrogantem Humbert geerbt hat; natürlich weltfremd dabei - der Künstler mit zwei linken Händen, der nicht weiß, daß ein Videogerät nur funktioniert, wenn auch ein Fernseher angeschlossen ist.

Aber noch dieses Motiv ist, anders als der Videorecorder, der Ronnies chef d'oeuvre "Bremsspuren" nicht ganz alleine ausstrahlen kann, an das Romanprogramm angeschlossen. Die Frage, die es variiert, ist die nach der Interpersonalität und der großen Einsamkeit. Ist es möglich, seinem Gehäuse zu entkommen, und wenn ja, wie? Gibt es irgendein Licht, das uns über den Rücken fällt? Es ist viel Platonismus auch in diesem Buch; selbst die Forster-Adaption "Zimmer mit Aussicht", mit der das Unheil seinen Ausgang nimmt, ein Film, dessen Titel Adair vielsagend verschweigt, spielt noch auf den Höhlenmythos an. Höhle hin und her - zur Frage des literarischen Rangs ist damit freilich noch nichts gesagt. Adair könnte so sorgfältig konstruieren wie er wollte, und doch nur ein Kunsthandwerker sein.

Daß er ein bißchen mehr ist als das, mehr als nur geistvoll und elegant, zeigt sich an manchen am Rande blühenden Details, Seerosen auf dem allzu durchsichtigen Gewässer der Haupthandlung - Grübeleien des Erzählers über vagabundierende Metaphern, die ihr Objekt noch nicht gefunden hätten, wie die 3,98-Mark-Preise, die den täglichen plumpen Betrug am Käufer signalisieren und doch für etwas Größeres stehen, nur für was? - Details, die einem Autor einfallen, der noch nicht erschöpft ist, der sein bestes Buch noch nicht geschrieben hat und der nur in seinen Stoffen freier werden muß, um uns noch zu überraschen.

Gilbert Adair: "Liebestod auf Long Island". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Schlachter. Edition Epoca, Zürich 1998., 176 S., geb. 38.- DM.

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Tod in Venedig Süddeutsche Zeitung