Seit ihrem ersten Erscheinen 1952 sind Wolfgang Hildesheimer Lieblose Legenden fast schon legendär geworden - und wahr geblieben.
"Diese Erzählungen haben bei aller Ironie, aller bezaubernden parodistischen Spiegelfechterei, allem Sinn fürs offenbar Groteske, fürs Satirische jenen unbedingten geistigen Charme, jene Grazie, jene musische Heiterkeit, die sie bis zu legitimem Dichtungen machen." Karl Krolow
"Seit ihrem ersten Erscheinen vor zehn Jahren sind die Lieblosen Legenden fast schon legendär geworden - und vielleicht auch die Welt, auf die ihre Lieblosigkeit gemünzt war. Aber die Liebe wie ihr Gegenteil klammern sich an ihren Gegenstand: so halten Hildesheimers Geschichten das Bild einer Welt fest, die es noch verdient, mit dem verwunderten Blick des Kindes und zugleich mit dem bösen des Satirikers angesehen zu werden; sie errötet unter diesen Blicken, aber das steht ihr."
"Diese Erzählungen haben bei aller Ironie, aller bezaubernden parodistischen Spiegelfechterei, allem Sinn fürs offenbar Groteske, fürs Satirische jenen unbedingten geistigen Charme, jene Grazie, jene musische Heiterkeit, die sie bis zu legitimem Dichtungen machen." Karl Krolow
"Seit ihrem ersten Erscheinen vor zehn Jahren sind die Lieblosen Legenden fast schon legendär geworden - und vielleicht auch die Welt, auf die ihre Lieblosigkeit gemünzt war. Aber die Liebe wie ihr Gegenteil klammern sich an ihren Gegenstand: so halten Hildesheimers Geschichten das Bild einer Welt fest, die es noch verdient, mit dem verwunderten Blick des Kindes und zugleich mit dem bösen des Satirikers angesehen zu werden; sie errötet unter diesen Blicken, aber das steht ihr."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2023Mit der Eleganz der Nachtigall
Gespiegelter Künstler: Wolfgang Hildesheimers Miniaturensammlung "Lieblose Legenden" erscheint neu in
hinreißend liebevoller Aufmachung.
Diesem Moment, wenn in unseren von Kallax, Ektorp, Billy und ihren Geschwistern ästhetisch zerrütteten Lebenswelten der Blick plötzlich an einem vollendet geschwungenen, lächelnd die Zeiten überdauernden Vollholzmöbel im Midcentury-Stil hängenbleibt, diesem erlösenden Moment kommt es gleich, wenn einem zwischen all den sorglos vollgedruckten Gegenwartstexten plötzlich ein Werk des großen Stilisten (und Malers) Wolfgang Hildesheimer in die Hände fällt. Wenn es sich dann noch um seine ästhetisch ebenso wie erzählerisch vollendeten, lächelnd die Zeiten überdauernden satirischen Kurzgeschichten handelt, die als "Lieblose Legenden" erstmals im Jahr 1952 erschienen sind - und fortgesetzt wurden -, ist die Freude umso größer. Mit einer an Jorge Luis Borges heranreichenden Komik der Selbstreflexion nehmen diese schlackenlosen Texte das prekäre Terrain zwischen Geschmack und Stil in den Blick, handeln von den Zumutungen des Schreibens, Malens und Musizierens im Angesicht der ewigen Antithese von Kunst und Leben.
Immer wieder geistert der fiktive Sekundärdichter Hubertus von Golch durch die Geschichten (der Erzähler will etwa die Biographie dieses Biographen von Biographen liefern), bis Golch schließlich - samt der gesamten traditionellen Kunst - in den Fluten vor Venedig versinkt. Ein anderes Mal wird ein Hund zum Kritiker der Gedichte seines Herrchens und konstatiert kühl: "Mist!" Das ist zwar richtig, aber die "frühere Herzlichkeit" des Verhältnisses ist hin: "Seltsamerweise ist es schwer, sich mit der Kritikfähigkeit eines Hundes abzufinden." Dann wieder verklagt ein Literat, der unter Pseudonym der schärfste Kritiker der eigenen Werke ist, sich selbst wegen Verleumdung. Sogar Mobiliar kommt in den Blick, freilich ist es in diesem Fall der spießige Gründerzeitgeschmack ("aus geflammtem Nußholz"), der zur Bürde wird. Kaum hat sich der Erzähler, eigentlich ein Liebhaber der Abstraktion, zweier geschenkter schwülstiger Landschaftsgemälde nicht erwehrt, überschwemmen bald - Stil ist Kampf - wuchtige Geschmacklosigkeiten seine gesamte Wohnung.
Legenden sind das in der Tat, unbedingt zu lesende, heiter verspielte und erstaunlich antimoralische Märtyrer-Geschichten, die mitunter blutig ausgehen (wie nah die dunklen Jahre noch waren, wusste der jüdische Remigrant Hildesheimer). So wird ein Redner der "Sozial-liberalen Front ehemals politisch Beleidigter" vom "Kampftrupp" einer gleichlautenden und daher "Ketzerei" witternden Partei totgeschlagen. Letztlich geht es ums Ganze, um die Wahrheit. Gezeigt aber wird immer wieder deren Unmöglichkeit, weil die Absurdität des Lebens so viel mächtiger ist, ein schwarzes Loch, das alles Bemühen einsaugt.
Nur eine Dimension dieser grandiosen Satirensammlung, die materielle, wirkte bislang, nun ja, etwas lieblos. Dem hat der ruhmreiche Leipziger Verlag Faber & Faber nun Abhilfe geschaffen mit einer von Thomas Walther gestalteten, schlichtweg traumhaften Ausgabe in der renommierten Reihe der Graphischen Bücher. Perfekt ergänzt werden die pointierten Miniaturen darin von zahlreichen Linolschnitten Christoph Ruckhäberles (darunter vier Originallinolschnitte), die sich mit viel Witz an die selbstbewusste Eleganz der Illustrationskunst der Fünfziger- und Sechzigerjahre anlehnen. Der klare Strich spiegelt die schnörkellose Modernität von Hildesheimers Erzählkunst, die hier aus jedem Satz spricht, etwa aus diesem Einstieg: "Ich habe mich aus Überzeugung in eine Nachtigall verwandelt." Warum und wie das genau geschieht, ist dann derart phantastisch, allegorisch und hellsichtig, dass darin alle Rückzüge, Fluchten und Verdrängungen einer sich selbst überdrüssigen Menschheit sichtbar werden, aber zugleich der fröhlich-freundliche Witz erhalten bleibt - in Wort und (jetzt auch) Bild. OLIVER JUNGEN
Wolfgang Hildesheimer: "Lieblose Legenden".
Kurzgeschichten.
Mit 30 Reproduktionen nach Linolschnitten und 4 Originallinolschnitten von Christoph Ruckhäberle. Faber & Faber Verlag, Leipzig 2023. 144 S., geb., 90,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gespiegelter Künstler: Wolfgang Hildesheimers Miniaturensammlung "Lieblose Legenden" erscheint neu in
hinreißend liebevoller Aufmachung.
Diesem Moment, wenn in unseren von Kallax, Ektorp, Billy und ihren Geschwistern ästhetisch zerrütteten Lebenswelten der Blick plötzlich an einem vollendet geschwungenen, lächelnd die Zeiten überdauernden Vollholzmöbel im Midcentury-Stil hängenbleibt, diesem erlösenden Moment kommt es gleich, wenn einem zwischen all den sorglos vollgedruckten Gegenwartstexten plötzlich ein Werk des großen Stilisten (und Malers) Wolfgang Hildesheimer in die Hände fällt. Wenn es sich dann noch um seine ästhetisch ebenso wie erzählerisch vollendeten, lächelnd die Zeiten überdauernden satirischen Kurzgeschichten handelt, die als "Lieblose Legenden" erstmals im Jahr 1952 erschienen sind - und fortgesetzt wurden -, ist die Freude umso größer. Mit einer an Jorge Luis Borges heranreichenden Komik der Selbstreflexion nehmen diese schlackenlosen Texte das prekäre Terrain zwischen Geschmack und Stil in den Blick, handeln von den Zumutungen des Schreibens, Malens und Musizierens im Angesicht der ewigen Antithese von Kunst und Leben.
Immer wieder geistert der fiktive Sekundärdichter Hubertus von Golch durch die Geschichten (der Erzähler will etwa die Biographie dieses Biographen von Biographen liefern), bis Golch schließlich - samt der gesamten traditionellen Kunst - in den Fluten vor Venedig versinkt. Ein anderes Mal wird ein Hund zum Kritiker der Gedichte seines Herrchens und konstatiert kühl: "Mist!" Das ist zwar richtig, aber die "frühere Herzlichkeit" des Verhältnisses ist hin: "Seltsamerweise ist es schwer, sich mit der Kritikfähigkeit eines Hundes abzufinden." Dann wieder verklagt ein Literat, der unter Pseudonym der schärfste Kritiker der eigenen Werke ist, sich selbst wegen Verleumdung. Sogar Mobiliar kommt in den Blick, freilich ist es in diesem Fall der spießige Gründerzeitgeschmack ("aus geflammtem Nußholz"), der zur Bürde wird. Kaum hat sich der Erzähler, eigentlich ein Liebhaber der Abstraktion, zweier geschenkter schwülstiger Landschaftsgemälde nicht erwehrt, überschwemmen bald - Stil ist Kampf - wuchtige Geschmacklosigkeiten seine gesamte Wohnung.
Legenden sind das in der Tat, unbedingt zu lesende, heiter verspielte und erstaunlich antimoralische Märtyrer-Geschichten, die mitunter blutig ausgehen (wie nah die dunklen Jahre noch waren, wusste der jüdische Remigrant Hildesheimer). So wird ein Redner der "Sozial-liberalen Front ehemals politisch Beleidigter" vom "Kampftrupp" einer gleichlautenden und daher "Ketzerei" witternden Partei totgeschlagen. Letztlich geht es ums Ganze, um die Wahrheit. Gezeigt aber wird immer wieder deren Unmöglichkeit, weil die Absurdität des Lebens so viel mächtiger ist, ein schwarzes Loch, das alles Bemühen einsaugt.
Nur eine Dimension dieser grandiosen Satirensammlung, die materielle, wirkte bislang, nun ja, etwas lieblos. Dem hat der ruhmreiche Leipziger Verlag Faber & Faber nun Abhilfe geschaffen mit einer von Thomas Walther gestalteten, schlichtweg traumhaften Ausgabe in der renommierten Reihe der Graphischen Bücher. Perfekt ergänzt werden die pointierten Miniaturen darin von zahlreichen Linolschnitten Christoph Ruckhäberles (darunter vier Originallinolschnitte), die sich mit viel Witz an die selbstbewusste Eleganz der Illustrationskunst der Fünfziger- und Sechzigerjahre anlehnen. Der klare Strich spiegelt die schnörkellose Modernität von Hildesheimers Erzählkunst, die hier aus jedem Satz spricht, etwa aus diesem Einstieg: "Ich habe mich aus Überzeugung in eine Nachtigall verwandelt." Warum und wie das genau geschieht, ist dann derart phantastisch, allegorisch und hellsichtig, dass darin alle Rückzüge, Fluchten und Verdrängungen einer sich selbst überdrüssigen Menschheit sichtbar werden, aber zugleich der fröhlich-freundliche Witz erhalten bleibt - in Wort und (jetzt auch) Bild. OLIVER JUNGEN
Wolfgang Hildesheimer: "Lieblose Legenden".
Kurzgeschichten.
Mit 30 Reproduktionen nach Linolschnitten und 4 Originallinolschnitten von Christoph Ruckhäberle. Faber & Faber Verlag, Leipzig 2023. 144 S., geb., 90,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main