'Übrigens melde ich, daß ich hier beim Orchester sehr beliebt bin das ist mir noch nie passiert. Es ist aber so doch angenehmer als in Pest, dto beim Chor! Die Soloisten sind sehr geteilt. Die Majorität haßt mich die Minorität, zu denen übrigens gerade die hervorragenden gehören, ist auf meiner Seite', schreibt Gustav Mahler (1860-1911) am 22. November 1891 aus Hamburg an seine Schwester Justi. Nach dem frühen Tod der Eltern war der aufstrebende Dirigent mit Anfang Dreißig das Oberhaupt einer fünfköpfigen Familie. Nicht nur materiell sorgte er für die Geschwister Alois, Otto, Emma und Justine. Justine, die Mahler am nächsten stand und mit ihm die Verantwortung für die Geschwister teilte, ist die Empfängerin der meisten der 500 bisher unveröffentlichten Familienbriefe aus der Zeit zwischen 1876 und 1910. Sie stammen aus dem Nachlaß ihres Sohnes Alfred Rosé und bilden das Herzstück der Mahler-Rosé Collection der University of Western Ontario. ----Der Leser begegnet Gustav Mahler, von dem es keine autobiographischen Schriften gibt, privat. Er kann den genialen Musiker im Alltag beobachten, seine frühen beruflichen Probleme und Erfolge teilen, seine Rastlosigkeit und seine künstlerische Ungeduld spüren. Gustav Mahler erweist sich in diesen manchmal recht knappen Mitteilungen als pragmatisch und zugleich höchst sensibel. Großes Einfühlungsvermögen, kluge Beobachtung seiner Mitmenschen und kreative Unruhe teilen sich in diesen Briefen an Justi mit, die ein ganz eigenes Licht auf den Charakter dieser Ausnahmepersönlichkeit werfen. Der Autor schildert seine Begegnungen mit Johannes Brahms, Richard Strauss und Hans von Bülow. Mahler vermittelt dabei die absolute Sicherheit seiner musikalischen Begabung und das Wissen um seine Bedeutung als Künstler in aller Deutlichkeit.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jens Malte Fischer stellt zwar fest, dass der Band mit Briefen von Gustav Mahler an seine Familie kein völlig neues Licht auf die Biografie des Komponisten wirft, doch lobt er ihn als erhellende Ergänzung zu den bereits vorliegenden Briefbänden. Die Familienbriefe, die zum großen Teil aus Mitteilungen an die Schwester Justine bestehen, geben Einblick in die finanzielle Abhängigkeit der Geschwister vom als Operndirektor in Hamburg als einziger ernsthaft Geld erwirtschaftenden Mahler. Fischer erfüllt es nicht mit wenig Mitleid, wie der ohnehin schon völlig überlastete Komponist sich auch noch in der Sorge um seine Schwestern und Brüder aufrieb. Als erschütternd dagegen hat er Mahlers Reaktion auf die Schwierigkeiten seines Bruders Otto empfunden, dessen drohender Selbstmord in den Briefen in fatalistischer Manier antizipiert wird. Großes Lob spendet der Rezensent sowohl dem Herausgeber Stephen McClatchie als auch Helmut Brenner, der den Band mit akribisch recherchiertem Kommentar und einem sehr interessanten Anhang über Mahlers Finanzen vervollständigt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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