In der Textilwerkstatt der Eltern lernt Louise alles über Blüten, Tiere, Farben und Gewebe. Sie erfährt, dass Purpurrot von Schnecken stammt, Gelb von Pflanzen, schwarze Wolle vom Schaf, alles Leben aber aus dem Fluss. Als ihre Mutter stirbt, beschließt Louise, Naturwissenschaftlerin zu werden. Doch das Blau, die Farbe des Flusses aus Kindertagen, "zwickt ihr Herz". Wird Louise die Fäden der Erinnerung wieder aufnehmen - und zu etwas ganz Besonderem spinnen?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016Ein Mädchen näht die Welt neu
Louise Bourgeois hob den Unterschied zwischen Handwerk und Kunst auf. Das Bilderbuch "Lied für Louise" dankt ihr sehr schön dafür.
Von Dietmar Dath
Ein Bilderbuch über das Leben und Schaffen einer Künstlerin, die Bilder und Skulpturen schuf, deren Wirkung auf die Kunstgeschichte den Unterschied zwischen Handwerk und Kunst neu bestimmt hat - ist das eine gute Idee? Darf so ein Buch eigene Zeichnungen an die Stelle der Werke der Künstlerin setzen, um die es geht, visuelle Nacherzählungen sozusagen?
Wer einen Pop-Song über die Beatles schreiben oder einen Film über Alfred Hitchcock dreht, muss achtgeben, dass das Ergebnis gegenüber dem, was da besungen oder filmisch ausgeleuchtet wird, nicht zur Anmaßung oder Ranschmeißerei missrät. Den strengen Maßstab setzt in solchen Fällen der Gegenstand.
Das Bilderbuch "Lied für Louise" über "das bunte Leben des Louise Bourgeois", mit dem der Untertitel winkt wie mit einem kecken Fähnchen, nimmt es mit einer Titelheldin auf, die auch gezeichnet und gemalt hat, darüber hinaus aber mit Textilien und Metall, mit Nadel, Faden und Garn den Fundus der Mittel, die man in der Moderne für geeignet hielt, etwas namens Kunst zu erzeugen, entscheidend erweitert hat.
Die Kindheits- und Werkstattlandschaften, die uns die Illustratorin zeigt, ihre Materialtafeln und Musterkoffer-Schaustücke gehen, das hat sie sehr klug eingerichtet, nirgends einfach nahtlos in die Proben der Kunst von Louise Bourgeois über, die der Band ausschnittsweise darbietet, sondern zeigen im Gegenteil sehr bewusst gerade die Nähte zwischen den verschiedenen Bild- und Erzählebenen, die hier von Belang sind: Leben und Werk, Gegenständlichkeit und Abstraktion, Traum und Gestaltung.
Auch der sparsame, aber beredte Text von Amy Novesky kennt solche Nähte; sie werden ebenfalls nicht verborgen, sondern offen angezeigt vom unscheinbaren Wörtchen "wie": Ein Fluss schlängelt sich "wie ein loser Wollfaden" durchs Land, die Nadel der Mutter geht bei der Handarbeit "wie die Wellen" des Wassers auf und ab, und die Mathematik, der sich Louise Bourgeois in jungen Jahren eine Weil lang verschreiben wollte, bietet leider "wie das Leben" keine absolute Sicherheit.
Von einem Mädchen, das sehr alt wurde, ohne seine Blickbeweglichkeit zu verlieren, von der Beziehung dieser Person zur eigenen Mutter und allem, was vor ihr da war, aber auch davon, was von ihr selbst bleibt, handelt der Band auf knapp vierzig Seiten, die aber nicht rasch durchgeblättert werden wollen, sondern einander oft so spiegeln, wechselseitig bestätigen oder ergänzen, dass man immer wieder eingeladen ist, vorwärts und rückwärts zu sehen, zu lesen, zu denken - also Vergleiche anzustellen, wie sie das Wörtchen "wie" ermöglicht und fordert.
Der schönste Erkenntnisgewinn bei diesem "wie" ist, dass die bildhafte Zusammenschau, die Vergleiche immer meinen, eben nicht, wie Kunst- oder Literaturwissenschaften manchmal behaupten, Artefakte der sprachlichen oder künstlerischen Mittel sind, mit denen wir Menschen dem Leben zu Leibe rücken, sondern Tatsachen dieses Lebens selbst, in dem Dinge oft ohne jede Metaphorik ganz von selbst "wie" andere Dinge sind - die Kunst fängt das nur ein und bewahrt es auf, für Mädchen und Jungen, die mittels Kunst erwachsen werden dürfen, ohne es vergessen zu müssen.
Amy Novesky, Isabelle Arsenault: "Lied für Louise".
Verlag Seemann Henschel, Leipzig 2016. 40 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Louise Bourgeois hob den Unterschied zwischen Handwerk und Kunst auf. Das Bilderbuch "Lied für Louise" dankt ihr sehr schön dafür.
Von Dietmar Dath
Ein Bilderbuch über das Leben und Schaffen einer Künstlerin, die Bilder und Skulpturen schuf, deren Wirkung auf die Kunstgeschichte den Unterschied zwischen Handwerk und Kunst neu bestimmt hat - ist das eine gute Idee? Darf so ein Buch eigene Zeichnungen an die Stelle der Werke der Künstlerin setzen, um die es geht, visuelle Nacherzählungen sozusagen?
Wer einen Pop-Song über die Beatles schreiben oder einen Film über Alfred Hitchcock dreht, muss achtgeben, dass das Ergebnis gegenüber dem, was da besungen oder filmisch ausgeleuchtet wird, nicht zur Anmaßung oder Ranschmeißerei missrät. Den strengen Maßstab setzt in solchen Fällen der Gegenstand.
Das Bilderbuch "Lied für Louise" über "das bunte Leben des Louise Bourgeois", mit dem der Untertitel winkt wie mit einem kecken Fähnchen, nimmt es mit einer Titelheldin auf, die auch gezeichnet und gemalt hat, darüber hinaus aber mit Textilien und Metall, mit Nadel, Faden und Garn den Fundus der Mittel, die man in der Moderne für geeignet hielt, etwas namens Kunst zu erzeugen, entscheidend erweitert hat.
Die Kindheits- und Werkstattlandschaften, die uns die Illustratorin zeigt, ihre Materialtafeln und Musterkoffer-Schaustücke gehen, das hat sie sehr klug eingerichtet, nirgends einfach nahtlos in die Proben der Kunst von Louise Bourgeois über, die der Band ausschnittsweise darbietet, sondern zeigen im Gegenteil sehr bewusst gerade die Nähte zwischen den verschiedenen Bild- und Erzählebenen, die hier von Belang sind: Leben und Werk, Gegenständlichkeit und Abstraktion, Traum und Gestaltung.
Auch der sparsame, aber beredte Text von Amy Novesky kennt solche Nähte; sie werden ebenfalls nicht verborgen, sondern offen angezeigt vom unscheinbaren Wörtchen "wie": Ein Fluss schlängelt sich "wie ein loser Wollfaden" durchs Land, die Nadel der Mutter geht bei der Handarbeit "wie die Wellen" des Wassers auf und ab, und die Mathematik, der sich Louise Bourgeois in jungen Jahren eine Weil lang verschreiben wollte, bietet leider "wie das Leben" keine absolute Sicherheit.
Von einem Mädchen, das sehr alt wurde, ohne seine Blickbeweglichkeit zu verlieren, von der Beziehung dieser Person zur eigenen Mutter und allem, was vor ihr da war, aber auch davon, was von ihr selbst bleibt, handelt der Band auf knapp vierzig Seiten, die aber nicht rasch durchgeblättert werden wollen, sondern einander oft so spiegeln, wechselseitig bestätigen oder ergänzen, dass man immer wieder eingeladen ist, vorwärts und rückwärts zu sehen, zu lesen, zu denken - also Vergleiche anzustellen, wie sie das Wörtchen "wie" ermöglicht und fordert.
Der schönste Erkenntnisgewinn bei diesem "wie" ist, dass die bildhafte Zusammenschau, die Vergleiche immer meinen, eben nicht, wie Kunst- oder Literaturwissenschaften manchmal behaupten, Artefakte der sprachlichen oder künstlerischen Mittel sind, mit denen wir Menschen dem Leben zu Leibe rücken, sondern Tatsachen dieses Lebens selbst, in dem Dinge oft ohne jede Metaphorik ganz von selbst "wie" andere Dinge sind - die Kunst fängt das nur ein und bewahrt es auf, für Mädchen und Jungen, die mittels Kunst erwachsen werden dürfen, ohne es vergessen zu müssen.
Amy Novesky, Isabelle Arsenault: "Lied für Louise".
Verlag Seemann Henschel, Leipzig 2016. 40 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Dietmar Dath erfährt, dass die Dinge sich auch ohne Metaphorik ähneln in Amy Noveskys und Isabelle Arsenaults Kinderbuch über die Künstlerin Louise Bourgeois. Der Gefahr, Bourgeois' Kunst zu replizieren, entgehen die Autorinnen laut Dath, indem sie Nähte setzen zwischen den erzählenden Passagen, die Kindheit und Arbeitsmaterialien der Künstlerin zeigen, und ihren Arbeiten selbst, zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, Traum und Gestaltung. Für Dath ein Buch, das Zeit fordert, vorwärts und rückwärts geblättert sein will und den Leser zum Denken anregen möchte, etwa über das Wörtchen "wie" und seine Funktion.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ich glaube, dass es tatsächlich kaum ein schöneres Buch geben kann, um Kinder an so etwas wie Kunst und Kreativität heranzuführen." Buzzaldrins Bücher