Wie die digitale Selbstvermessung unsere Gesellschaft verändert ...
Stefan Selke zeichnet in seinem Buch "Lifelogging" ein spannendes Bild des Gesellschaftsphänomens der digitalen Selbstvermessung, das er aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, unter anderem aus der Sicht der Psychologie,
der Politik und sogar, wenn auch nur kurz, der Literatur.
So vielfältig wie die…mehrWie die digitale Selbstvermessung unsere Gesellschaft verändert ...
Stefan Selke zeichnet in seinem Buch "Lifelogging" ein spannendes Bild des Gesellschaftsphänomens der digitalen Selbstvermessung, das er aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, unter anderem aus der Sicht der Psychologie, der Politik und sogar, wenn auch nur kurz, der Literatur.
So vielfältig wie die Anwendungsmöglichkeiten sind auch die Motivationen, die sich hinter diesem Phänomen verbergen - von dem Wunsch nach einer besseren Gesundheit durch Aufzeichnung von Gesundheitsdaten, über Eltern, die jederzeit den Aufenthaltsort ihres Kindes wissen möchten, bis hin zur Leistungssteigerung bei der Arbeit. Sowohl die Selbstüberwachung als auch die Nutzung zur Überwachung anderer birgt Chancen wie die Nutzung der Daten als Beweismittel für Schwächere, aber auch zahlreiche Risiken, angefangen bei der Selbstproblematisierung bis hin zur Kontrollgesellschaft, in der die persönliche Freiheit und somit die individuelle Entwicklungsmöglichkeit immer weiter eingeschränkt werden.
Aufgrund der Fülle an Informationen konnte ich dieses Buch nur langsam und abschnittsweise lesen, dafür aber mit sehr viel Genuss, denn der Autor hat einen sehr angenehmen Schreibstil. Überrascht war ich von meiner Reaktion auf das Buch. Bevor ich es in die Hand nahm, sah ich mich als typische Lifelogging-Verweigerin und ging davon aus, durch die Lektüre einen Einblick in ein mir bisher völlig unverständliches Phänomen erhalten zu können. In meinem Leben spielt Kreativität eine wichtige Rolle – der „buchhalterische Blick“ des Lifelogging, wie Selke ihn nennt, kann Kreativität weder messen noch einfangen, sondern droht eher, sie durch kalte Daten und Fakten zu verschrecken. Außerdem finde ich, dass es viel zu viele schwerwiegende Probleme in dieser Welt gibt, als dass man es sich leisten könnte, seine Gedanken ständig um sich selbst kreisen zu lassen - ganz zu schweigen von der Missbrauchsmöglichkeit der Datensammlungen durch kriminell agierende Geheimdienste und andere Schurken.
Durch dieses Buch wurde mir aber nicht nur klar, weshalb meine instinktive Abneigung gegen Lifelogging so stark ausgeprägt ist, sondern sehr zu meiner Überraschung auch, dass ich dennoch durchaus ausgeprägte Lifelogging-Tendenzen aufweise. Das fängt schon damit an, dass ich meine Reaktion auf dieses Buch so genau beobachtete, analysierte und hier beschreibe. Ich fühlte mich viel öfter persönlich betroffen und angesprochen, als ich erwartet hatte. Stefan Selke bezeichnet Lifelogging auch als „Prothese des menschlichen Gehirns“ - hier finde ich mich als Bookcrosserin wieder. Denn mir ist es schon öfters passiert, dass ich an ein Buch zurückdachte und mir dann den von mir verfassten Eintrag in dem virtuellen Bookcrossing-Reisetagebuch („Journal-Eintrag“) wieder ansah, um mich zu erinnern, was ich damals nach der Lektüre zu dem Buch geschrieben hatte. Auch von einer anderen Bookcrosserin habe ich schon gehört, dass sie Bookcrossing neben dem Hauptzweck, mit ausgesetzten reisenden Büchern anderen Menschen eine Freude zu bereiten, gerne als ihr virtuelles Gedächtnis nutzt. Außerdem wird das Interesse, dass die Krankenkassen an Lifelogging zeigen, wohl ein Thema sein, mit dem sich viele von uns früher oder später auseinandersetzen müssen.
Lifelogging hat viele Gesichter und nicht alle sind harmlos, darum ist es ein wichtiges Thema und dies ein wichtiges Buch, dessen Lektüre ich jedem ans Herz legen möchte!