2025: Bahnbrechende Technologien haben die Raumfahrt revolutioniert. In einem atemlosen Wettlauf fördern Amerikaner und Chinesen auf dem Mond Helium-3, ein Element, das sämtliche Energieprobleme der Welt zu lösen verspricht. Zur selben Zeit soll Detektiv Owen Jericho in Shanghai die untergetauchte Dissidentin Yoyo ausfindig machen. Was nach Routine klingt, entwickelt sich zu einer albtraumhaften Jagd, denn die ebenso schöne wie anstrengende Chinesin ist im Besitz streng gehüteter Geheimnisse und ihres Lebens nicht mehr sicher. Die Spur führt rund um den Erdball - und zum Mond, wo eine Gruppe Weltraumtouristen eine bedrohliche Entdeckung macht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2009Sex auf dem Mond
Selten war so viel Zukunft: 1300 Seiten hat Frank Schätzings neuer Thriller "Limit", der unsere Welt im Jahr 2025 beschwört. Die Macht liegt in den Händen internationaler Konzerne, der Kampf um die Ressorcen ist noch härter geworden. Und ein einsamer Mann jagt einen Superverbrecher.
Die Welt ist nicht genug, und die Zukunft hat längst begonnen. Wenn Politik, Wirtschaft und Wissenschaft trotzdem so hartnäckig aufs Hier und Jetzt fixiert sind, dann muss halt ein Roman kommen, der ein paar kraftvolle Fluchtlinien ins Morgen zieht. Und weil man vom Mond aus womöglich die Welt mit ihren schwelenden Krisen, knappen Ressourcen und schlummernden Möglichkeiten schärfer sieht, ist der natürliche Satellit der Erde zentraler Schauplatz in Frank Schätzings neuem Roman "Limit"; er ist zugleich der Kampfplatz, auf dem sich die geopolitischen Machtverhältnisse reproduzieren, weil im Jahr 2025 der Abbau von Helium-3 die Lösung der irdischen Energieversorgung verspricht. Es geht hier also um alles, ums große Ganze - und das ist keine schlechte Startrampe für ein Weltraumepos.
Nach seinem Erderwärmungsthriller "Der Schwarm" (2004), von dem mehr als 900 000 Hardcoverexemplare verkauft wurden, liegt die Latte für Schätzing ja auch ziemlich hoch. Die einzige Konkurrenz für den 52-Jährigen ist der Erfolg seines Vorgängerbuchs, denn im deutschen Sprachraum kann es mit seiner Imaginationskraft und Rechercheintensität keiner aufnehmen, was auch die 320 000 Vorbestellungen für "Limit" zeigen.
Globalisierung im All.
Und deshalb muss man natürlich nicht nur fragen, worum es geht in "Limit", sondern auch: Hält auch diesmal die Spannung auf der Marathondistanz von 1300 Seiten? Und ist die Welt von morgen, wie Schätzing sie sieht, auch zwingend? An Schauwerten fehlt es zunächst mal nicht. Die Orte der Handlung reichten mühelos für zwei Bond-Filme: der Mond, eine private Raumstation im Orbit; Schanghai, Calgary, Berlin und Dallas; London, Venedig, Äquatorialguinea und Vancouver. Und bei ein paar Dutzend handelnder Personen ist das Register am Ende unentbehrlich, auch weil, vom Prolog abgesehen, die Handlung in weniger als drei Wochen, zwischen dem 19. Mai und dem 8. Juni 2025, komprimiert ist.
Er schreibe, was er gerne im Kino sähe, hat Schätzing mal gesagt; dass er auch gerne Filme sieht, ist dem neuen Roman anzumerken, der großzügig mit Zitaten operiert, teils offen, teils verborgener für die Freunde des Genres. Da er keine Drehbücher schreibt, muss Schätzing sich allerdings nicht fragen, was das alles kosten würde; selbst eine drastisch verschlankte Verfilmung von "Limit" triebe jedes Hollywood-Studio in den Ruin, allein schon der Spezialeffekte und des Produktionsdesigns wegen.
Ein Roman dagegen kann alles in einem sein. Er kann eine Detektivgeschichte erzählen, die Ansätze einer Liebesgeschichte enthält; einen politischen Thriller über die Energieversorgung, ein Science-Fiction-Szenario mit historischen Exkursen und voller opulenter Actionsequenzen. Und weil Schätzing all diese Elemente nach einem intelligenten Bauplan verknüpft hat, weil seine Zukunftspanoramen detailgenau und von einer atemberaubenden Anschaulichkeit sind, wirkt die Welt des Jahres 2025 fremd und vertraut zugleich. David Bowie tritt kurz auf, er ist achtzig und bei guter Gesundheit; es wird auch noch immer geraucht, im "Borchardt" werden weiterhin Schnitzel serviert, und Sex gibt es ebenfalls noch, selbst auf dem Mond, wo das nicht ganz so einfach ist, da die Schwerkraft dort nur ein Sechstel des irdischen Werts beträgt. Die Menschen erinnern sich an Quentin Tarantino, sogar an Frank Sinatra. Das Pergamonmuseum steht noch und ist Kulisse für eine Verfolgungsjagd. Und es hat etwas Tröstliches, dass die Finanzkrise 2012 zu Ende ging und rückblickend wie eine kleinere Störung erscheint.
Die Erdbevölkerung allerdings ist auf zehn Milliarden angewachsen, der Individualverkehr steht, zumindest in Schanghai, kurz vorm Kollaps. Der Kampf um knappe Ressourcen hat die Jahre nach 2009 geprägt, die Welt steht im Zeichen des Dualismus der Supermächte China und Amerika, der 2024 zur "Mondkrise" geführt hat. Der Abbau von Helium-3 auf dem Mond hat einen "Paradigmenwechsel in der Energieversorgung" ausgelöst, Öl- und Gaskonzerne sind im Sinkflug, ohne dass die fossilen Energien schon erschöpft wären. Russland ist deshalb zur Mittelmacht abgesunken, die Golfstaaten sind verarmt. Der Kurs der Globalisierung hat jedoch auch zu einer Privatisierung der Politik und zur Verselbständigung der Wirtschaft geführt: Mächtige transnationale Konzerne haben Aufgaben der öffentlichen Hand wie Wasserversorgung, Gesundheitssystem und Bildung übernommen.
Das ist das politische Koordinatensystem, in das Schätzing seine Geschichte einschreibt - es ist erschreckend plausibel und deshalb tragfähig für einen komplizierten Plot; man fragt sich nur kurz, auf welchem Schrotthaufen denn die Achse des Bösen gelandet ist, und erfährt: Korea ist wiedervereinigt, die Kim-Sippe entmachtet, und was heute pauschal als islamische Welt bezeichnet wird, ist nach dem Ende des Ölzeitalters kein nennenswerter Machtfaktor mehr.
"Limit" ist ein Buch der langen, freischwebenden erzählerischen Bögen, die den Alltag in der Zukunft mit dem explosiven politischen und wirtschaftlichen Kräftefeld verbinden. Zu Beginn versammelt sich eine Gruppe von Superreichen, Schönen und Prominenten auf einer Insel, 500 Kilometer westlich von Ecuador, um den Weltraumfahrstuhl des Multimilliardärs Julian Orley zu besteigen. Das Personal reicht vom russischen Stahlmogul, der sich auch Bayern München einverleibt hat, über den indischen Lebensmitteltycoon bis zur mächtigen amerikanischen Anchorwoman und zum Hollywoodstar, der durch die Verkörperung des alten Heftromanhelden Perry Rhodan berühmt geworden ist. Der Brite Orley, der auf dem Mond Helium-3 fördern lässt, der mit Amerika kooperiert und sich von China umwerben lässt, betreibt im Orbit, 35 786 Kilometer über der Erde, exakt an dem Punkt, an dem Schwer- und Zentrifugalkraft einander neutralisieren, eine private Weltraumstation. Sein Imperium und seine Familie regiert er mit dem Gestus eines gealterten Rockstars. Seine Tochter Lynn hat er ein Renommierprojekt bauen lassen, das Mondhotel "Gaia", dessen Architektur eine sitzende Frau nachbildet. Es ist das Ziel der reichen "Reisegruppe Mond", deren Mitglieder durch das exklusive Event zu Investitionen animiert werden sollen.
Holographie im Alltag.
Der zweite Protagonist des Romans ist ein später Nachfahre der Schwarzen Serie. Der Detektiv Owen Jericho, ein melancholischer Enddreißiger, den eine unglückliche Liebesgeschichte von London nach China verschlagen hat, erhält den Auftrag, eine schöne und kapriziöse Frau zu suchen. Yoyo ist eine Dissidentin, und sie ist in ein Komplott geraten, welches selbst die Krakenarme der chinesischen Staatsmacht harmlos erscheinen lässt. Jericho lebt in einer Welt, die technologisch von der Holographie beherrscht wird, er lebt in einem Land, in dem zwar noch immer die Partei regiert - aber so, als wäre auch der Kommunismus ganz einfach privatisiert worden. Da erleichtert es einen schon fast, dass Jerichos Gegenspieler ein hyperintelligenter psychopathischer Killer alter Schule ist und dass sich auch mit Airbikes und Solarautos eine seitenlange Verfolgungsjagd choreographieren lässt, deren Verlauf und Resultat tarantinoreif sind: "Heiße Suppe, Cola und Kaffee, Blut, Hirnmasse, Wan Tans und Knochensplitter."
Schätzing nimmt sich viel Zeit, die beiden Handlungsebenen zu verknüpfen, und meistens stimmt dabei das Timing. Wie viel zu welchem Zeitpunkt ans Licht kommt, das ist klug dosiert, und es bleibt auch angemessen lange im Dunkeln, zumindest im Halbschatten, wie die Dinge zusammenhängen und wer die Drahtzieher sind. Aus Schanghai führen die Spuren nach Berlin, in die Oranienburger Straße, von dort zu einer konspirativen Organisation mit dem sprechenden Namen "Hydra" und schließlich ins All: Die Gefahr, dass auf dem Mond eine oder zwei Atombomben gezündet werden könnten, löst ein klassisches Rennen gegen die Uhr aus. Man hat dabei nie den Eindruck, dass Schätzing die vielen Fäden der Geschichte aus der Hand glitten; doch nicht jeder Um- und Seitenweg der Geschichte, nicht jeder Exkurs - ob nun über die Geschichte Äquatorialguineas oder über lang anhaltende familiäre Traumata der chinesischen Kulturrevolution - funktioniert am Ende als Spannungskatalysator. Die "Architektur der Konspiration", wie der Killer Kenny Xin das nennt, hat bisweilen dann doch ein paar Schnörkel, Ornamente und Anbauten zu viel, und wenn das auch eher trivial klingt, muss man es doch aussprechen: 1300 Seiten lassen unterwegs selbst Leser kurzatmig werden, die sich durch die Labyrinthe eines Thomas Pynchon gekämpft haben (bei dem allerdings niemand mit einer tiefgefrorenen Antilopenkeule niedergestreckt wird).
Es hilft auch nicht unbedingt, dass Schätzings Prosa gelegentlich ein wenig überambitioniert wirkt. Das "Brackwasser der Sorge", die "Zitrone der Entrüstung", das "in Schweiß und Blut getauchte Dasein" und etliche Stilblüten mehr hätte es nicht gebraucht; auch ein Satz wie "Und mit einem Mal passte alles zusammen" klingt nach mehr als 1200 Seiten eher matt. Dass der Showdown unspektakulärer ausfällt, als man erwartet, hat auch damit zu tun, dass die Repräsentanten des Bösen nicht ganz die passende Kragenweite haben; und es liegt natürlich daran, dass die Wirkung eines drohenden Weltuntergangs wie im "Schwarm" schwer zu überbieten ist. Das Untergangsszenario funktionierte wie ein Magnet, auf den noch der kleinste Handlungsspan sich ausrichten musste; in der Versuchsanordnung von "Limit" bleiben einige Späne einfach liegen.
Aber es bleibt eben auch die Frage, die im Titel liegt und die dem Roman seine Wucht und Faszination verleiht: Wo liegt das Limit? Wann ist es überschritten? Der Ausbeutung des Planeten Erde, so kann man Schätzing lesen, folgt die seines natürlichen Satelliten. Das ist die extraterrestrische Fortsetzung der Globalisierung, und ihre Dynamik lässt ziemlich wenig Hoffnung - die Lösung der Energieversorgung schafft bloß neue Probleme und reaktiviert alte Machtkämpfe. Für den naiven Rettungsoptimismus, der so oft durch die Science-Fiction-Szenarien in Kino und Literatur spukt, ist Schätzings Sicht auf die Welt zu analytisch und seine Phantasie zu abgründig. Der Mond wird am Ende zwar nicht zu Mondgestein pulverisiert, aber man kann bei einem musikbegeisterten Autor wie Schätzing schon mal kurz an Bob Dylan denken, der vor vielen Jahren sang: "Oh, man has invented his doom, / First step was touching the moon".
PETER KÖRTE.
Frank Schätzing: "Limit". Roman. Kiepenheuer & Witsch, 1320 Seiten, 26 Euro. Erscheint morgen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selten war so viel Zukunft: 1300 Seiten hat Frank Schätzings neuer Thriller "Limit", der unsere Welt im Jahr 2025 beschwört. Die Macht liegt in den Händen internationaler Konzerne, der Kampf um die Ressorcen ist noch härter geworden. Und ein einsamer Mann jagt einen Superverbrecher.
Die Welt ist nicht genug, und die Zukunft hat längst begonnen. Wenn Politik, Wirtschaft und Wissenschaft trotzdem so hartnäckig aufs Hier und Jetzt fixiert sind, dann muss halt ein Roman kommen, der ein paar kraftvolle Fluchtlinien ins Morgen zieht. Und weil man vom Mond aus womöglich die Welt mit ihren schwelenden Krisen, knappen Ressourcen und schlummernden Möglichkeiten schärfer sieht, ist der natürliche Satellit der Erde zentraler Schauplatz in Frank Schätzings neuem Roman "Limit"; er ist zugleich der Kampfplatz, auf dem sich die geopolitischen Machtverhältnisse reproduzieren, weil im Jahr 2025 der Abbau von Helium-3 die Lösung der irdischen Energieversorgung verspricht. Es geht hier also um alles, ums große Ganze - und das ist keine schlechte Startrampe für ein Weltraumepos.
Nach seinem Erderwärmungsthriller "Der Schwarm" (2004), von dem mehr als 900 000 Hardcoverexemplare verkauft wurden, liegt die Latte für Schätzing ja auch ziemlich hoch. Die einzige Konkurrenz für den 52-Jährigen ist der Erfolg seines Vorgängerbuchs, denn im deutschen Sprachraum kann es mit seiner Imaginationskraft und Rechercheintensität keiner aufnehmen, was auch die 320 000 Vorbestellungen für "Limit" zeigen.
Globalisierung im All.
Und deshalb muss man natürlich nicht nur fragen, worum es geht in "Limit", sondern auch: Hält auch diesmal die Spannung auf der Marathondistanz von 1300 Seiten? Und ist die Welt von morgen, wie Schätzing sie sieht, auch zwingend? An Schauwerten fehlt es zunächst mal nicht. Die Orte der Handlung reichten mühelos für zwei Bond-Filme: der Mond, eine private Raumstation im Orbit; Schanghai, Calgary, Berlin und Dallas; London, Venedig, Äquatorialguinea und Vancouver. Und bei ein paar Dutzend handelnder Personen ist das Register am Ende unentbehrlich, auch weil, vom Prolog abgesehen, die Handlung in weniger als drei Wochen, zwischen dem 19. Mai und dem 8. Juni 2025, komprimiert ist.
Er schreibe, was er gerne im Kino sähe, hat Schätzing mal gesagt; dass er auch gerne Filme sieht, ist dem neuen Roman anzumerken, der großzügig mit Zitaten operiert, teils offen, teils verborgener für die Freunde des Genres. Da er keine Drehbücher schreibt, muss Schätzing sich allerdings nicht fragen, was das alles kosten würde; selbst eine drastisch verschlankte Verfilmung von "Limit" triebe jedes Hollywood-Studio in den Ruin, allein schon der Spezialeffekte und des Produktionsdesigns wegen.
Ein Roman dagegen kann alles in einem sein. Er kann eine Detektivgeschichte erzählen, die Ansätze einer Liebesgeschichte enthält; einen politischen Thriller über die Energieversorgung, ein Science-Fiction-Szenario mit historischen Exkursen und voller opulenter Actionsequenzen. Und weil Schätzing all diese Elemente nach einem intelligenten Bauplan verknüpft hat, weil seine Zukunftspanoramen detailgenau und von einer atemberaubenden Anschaulichkeit sind, wirkt die Welt des Jahres 2025 fremd und vertraut zugleich. David Bowie tritt kurz auf, er ist achtzig und bei guter Gesundheit; es wird auch noch immer geraucht, im "Borchardt" werden weiterhin Schnitzel serviert, und Sex gibt es ebenfalls noch, selbst auf dem Mond, wo das nicht ganz so einfach ist, da die Schwerkraft dort nur ein Sechstel des irdischen Werts beträgt. Die Menschen erinnern sich an Quentin Tarantino, sogar an Frank Sinatra. Das Pergamonmuseum steht noch und ist Kulisse für eine Verfolgungsjagd. Und es hat etwas Tröstliches, dass die Finanzkrise 2012 zu Ende ging und rückblickend wie eine kleinere Störung erscheint.
Die Erdbevölkerung allerdings ist auf zehn Milliarden angewachsen, der Individualverkehr steht, zumindest in Schanghai, kurz vorm Kollaps. Der Kampf um knappe Ressourcen hat die Jahre nach 2009 geprägt, die Welt steht im Zeichen des Dualismus der Supermächte China und Amerika, der 2024 zur "Mondkrise" geführt hat. Der Abbau von Helium-3 auf dem Mond hat einen "Paradigmenwechsel in der Energieversorgung" ausgelöst, Öl- und Gaskonzerne sind im Sinkflug, ohne dass die fossilen Energien schon erschöpft wären. Russland ist deshalb zur Mittelmacht abgesunken, die Golfstaaten sind verarmt. Der Kurs der Globalisierung hat jedoch auch zu einer Privatisierung der Politik und zur Verselbständigung der Wirtschaft geführt: Mächtige transnationale Konzerne haben Aufgaben der öffentlichen Hand wie Wasserversorgung, Gesundheitssystem und Bildung übernommen.
Das ist das politische Koordinatensystem, in das Schätzing seine Geschichte einschreibt - es ist erschreckend plausibel und deshalb tragfähig für einen komplizierten Plot; man fragt sich nur kurz, auf welchem Schrotthaufen denn die Achse des Bösen gelandet ist, und erfährt: Korea ist wiedervereinigt, die Kim-Sippe entmachtet, und was heute pauschal als islamische Welt bezeichnet wird, ist nach dem Ende des Ölzeitalters kein nennenswerter Machtfaktor mehr.
"Limit" ist ein Buch der langen, freischwebenden erzählerischen Bögen, die den Alltag in der Zukunft mit dem explosiven politischen und wirtschaftlichen Kräftefeld verbinden. Zu Beginn versammelt sich eine Gruppe von Superreichen, Schönen und Prominenten auf einer Insel, 500 Kilometer westlich von Ecuador, um den Weltraumfahrstuhl des Multimilliardärs Julian Orley zu besteigen. Das Personal reicht vom russischen Stahlmogul, der sich auch Bayern München einverleibt hat, über den indischen Lebensmitteltycoon bis zur mächtigen amerikanischen Anchorwoman und zum Hollywoodstar, der durch die Verkörperung des alten Heftromanhelden Perry Rhodan berühmt geworden ist. Der Brite Orley, der auf dem Mond Helium-3 fördern lässt, der mit Amerika kooperiert und sich von China umwerben lässt, betreibt im Orbit, 35 786 Kilometer über der Erde, exakt an dem Punkt, an dem Schwer- und Zentrifugalkraft einander neutralisieren, eine private Weltraumstation. Sein Imperium und seine Familie regiert er mit dem Gestus eines gealterten Rockstars. Seine Tochter Lynn hat er ein Renommierprojekt bauen lassen, das Mondhotel "Gaia", dessen Architektur eine sitzende Frau nachbildet. Es ist das Ziel der reichen "Reisegruppe Mond", deren Mitglieder durch das exklusive Event zu Investitionen animiert werden sollen.
Holographie im Alltag.
Der zweite Protagonist des Romans ist ein später Nachfahre der Schwarzen Serie. Der Detektiv Owen Jericho, ein melancholischer Enddreißiger, den eine unglückliche Liebesgeschichte von London nach China verschlagen hat, erhält den Auftrag, eine schöne und kapriziöse Frau zu suchen. Yoyo ist eine Dissidentin, und sie ist in ein Komplott geraten, welches selbst die Krakenarme der chinesischen Staatsmacht harmlos erscheinen lässt. Jericho lebt in einer Welt, die technologisch von der Holographie beherrscht wird, er lebt in einem Land, in dem zwar noch immer die Partei regiert - aber so, als wäre auch der Kommunismus ganz einfach privatisiert worden. Da erleichtert es einen schon fast, dass Jerichos Gegenspieler ein hyperintelligenter psychopathischer Killer alter Schule ist und dass sich auch mit Airbikes und Solarautos eine seitenlange Verfolgungsjagd choreographieren lässt, deren Verlauf und Resultat tarantinoreif sind: "Heiße Suppe, Cola und Kaffee, Blut, Hirnmasse, Wan Tans und Knochensplitter."
Schätzing nimmt sich viel Zeit, die beiden Handlungsebenen zu verknüpfen, und meistens stimmt dabei das Timing. Wie viel zu welchem Zeitpunkt ans Licht kommt, das ist klug dosiert, und es bleibt auch angemessen lange im Dunkeln, zumindest im Halbschatten, wie die Dinge zusammenhängen und wer die Drahtzieher sind. Aus Schanghai führen die Spuren nach Berlin, in die Oranienburger Straße, von dort zu einer konspirativen Organisation mit dem sprechenden Namen "Hydra" und schließlich ins All: Die Gefahr, dass auf dem Mond eine oder zwei Atombomben gezündet werden könnten, löst ein klassisches Rennen gegen die Uhr aus. Man hat dabei nie den Eindruck, dass Schätzing die vielen Fäden der Geschichte aus der Hand glitten; doch nicht jeder Um- und Seitenweg der Geschichte, nicht jeder Exkurs - ob nun über die Geschichte Äquatorialguineas oder über lang anhaltende familiäre Traumata der chinesischen Kulturrevolution - funktioniert am Ende als Spannungskatalysator. Die "Architektur der Konspiration", wie der Killer Kenny Xin das nennt, hat bisweilen dann doch ein paar Schnörkel, Ornamente und Anbauten zu viel, und wenn das auch eher trivial klingt, muss man es doch aussprechen: 1300 Seiten lassen unterwegs selbst Leser kurzatmig werden, die sich durch die Labyrinthe eines Thomas Pynchon gekämpft haben (bei dem allerdings niemand mit einer tiefgefrorenen Antilopenkeule niedergestreckt wird).
Es hilft auch nicht unbedingt, dass Schätzings Prosa gelegentlich ein wenig überambitioniert wirkt. Das "Brackwasser der Sorge", die "Zitrone der Entrüstung", das "in Schweiß und Blut getauchte Dasein" und etliche Stilblüten mehr hätte es nicht gebraucht; auch ein Satz wie "Und mit einem Mal passte alles zusammen" klingt nach mehr als 1200 Seiten eher matt. Dass der Showdown unspektakulärer ausfällt, als man erwartet, hat auch damit zu tun, dass die Repräsentanten des Bösen nicht ganz die passende Kragenweite haben; und es liegt natürlich daran, dass die Wirkung eines drohenden Weltuntergangs wie im "Schwarm" schwer zu überbieten ist. Das Untergangsszenario funktionierte wie ein Magnet, auf den noch der kleinste Handlungsspan sich ausrichten musste; in der Versuchsanordnung von "Limit" bleiben einige Späne einfach liegen.
Aber es bleibt eben auch die Frage, die im Titel liegt und die dem Roman seine Wucht und Faszination verleiht: Wo liegt das Limit? Wann ist es überschritten? Der Ausbeutung des Planeten Erde, so kann man Schätzing lesen, folgt die seines natürlichen Satelliten. Das ist die extraterrestrische Fortsetzung der Globalisierung, und ihre Dynamik lässt ziemlich wenig Hoffnung - die Lösung der Energieversorgung schafft bloß neue Probleme und reaktiviert alte Machtkämpfe. Für den naiven Rettungsoptimismus, der so oft durch die Science-Fiction-Szenarien in Kino und Literatur spukt, ist Schätzings Sicht auf die Welt zu analytisch und seine Phantasie zu abgründig. Der Mond wird am Ende zwar nicht zu Mondgestein pulverisiert, aber man kann bei einem musikbegeisterten Autor wie Schätzing schon mal kurz an Bob Dylan denken, der vor vielen Jahren sang: "Oh, man has invented his doom, / First step was touching the moon".
PETER KÖRTE.
Frank Schätzing: "Limit". Roman. Kiepenheuer & Witsch, 1320 Seiten, 26 Euro. Erscheint morgen.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ein flaues Gefühl und die Frage, warum es diesmal nicht so fesselnd wie beim letzten Mal war, hinterlässt der neue Science-Fiction-Roman von Frank Schätzing bei Rezensent Mathias Greffrath. Gut, das Buch sei solide und mit suspense-steigernden Schnitten gebaut, es gebe hyperpräzise Bedienungsanleitungen für innovative Geräte und physikalisch korrekte Schwerelosigkeitsspäße. Sogar den 85-jährigen David Bowie treffe man auf dem halben Weg zum Mond, wo man im Jahr 2025 um die Energie der Zukunft kämpfe. Kann sein, versucht Greffrath sich an einer Analyse seines flauen Post-Schätzing-Gefühls, dass der Autor auch in diesem Buch mit seinem Fortschrittsoptimismis der neuesten Stimmung knapp voraus sei. Doch gerade vor diesem Hintergrund liest sich "Limit", wenn wir den Rezensenten richtig verstehen, dann doch eher wie "die ins Technoinfernale gesteigerte Aufklärung eines Falls von lunarer Werksabotage", während auf Erden alles beim Alten bleibe. Für einen Roman dieses Genres offensichtlich nicht genug.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2009All inklusive
Frank Schätzings neues Buch „Limit” erforscht den Mond und die Grenzen des Thrillers
Es ist eine Unart, vielleicht aber auch nur eine Torheit, spannungsvoll gemeinte Bücher in die Hand zu nehmen, hinten aufzublättern, um das Ende noch vor dem Anfang zu lesen. Man will wissen, wie es ausgeht – und weiß die Neugier nicht zu zügeln. Einen gibt es allerdings im deutschsprachigen Raum, bei dem dieses Vorgehen gerechtfertigt ist: Frank Schätzing.
An diesem Montag kommt Schätzings neues Buch „Limit” in den Handel (Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 1328 S., 26 Euro). Man war darauf gespannt nach dem Millionenerfolg „Der Schwarm” von 2004, der weltweit gelesen wurde, gerade vor den ersten Dreharbeiten in Hollywood steht und den 52-jährigen Kölner Thriller-Autor endgültig in die Crichton-Forsyth-Brown-Liga bugsiert hat. Wie bei diesen Autoren lohnt es sich auch bei Schätzing, die Bücher von hinten nach vorne zu lesen. Nicht deshalb, weil man auf diese Weise erfährt, ob die Erde gerade noch rechtzeitig gerettet und die Verschwörung aufgedeckt wird. Nicht, weil man beruhigenderweise ahnt, dass der angezettelte Dritte Weltkrieg wie ein Schweizer Kracher in der Pfütze endet: mit leisem Ffftttttt. Sondern weil bei Schätzing die Lektüre der Danksagungen von Interesse ist. Wie bei Forsyth oder Crichton erfährt man hier oder im Register, wie ernst der Autor seinen Gegenstand nimmt. Wie genau und umfassend er ihm nachspürt, um daraus eine überzeugende Geschichte zu destillieren. Die Destillation, die Lehre vom Niederschlag löslicher Stoffe, beschreibt die Tätigkeit guter Thriller-Autoren womöglich am besten. Es ist die Kunst des Abgewinnens und durchaus keine leichte Sache.
Im „Limit”-Fall bedankt sich der Autor bei ISS- und Mir-Astronauten, bei Physikern, Planetenforschern, Energiespezialisten, Weltraumrechtsanwälten oder Holographie-Entwicklern, bei Instituten für Intelligente Informationstechnologie, Stadtplanern, Sinologen oder Slumforschern. Genau das ist es, was Schätzing-Bücher lesenswert macht. Sie gründen nicht allein auf Phantasie und Spekulation, sondern auf jahrelanger Recherche. Sie nehmen das Wissen in Anspruch. Schätzing et al.: Das ist eigentlich ein Autoren-Kollektiv, und Schätzing selbst immer dann am besten, wenn er mit Hilfe der Experten, Bücher, Aufsätze und des Internets die Phänomene erzählen lässt – und sich auf den Suspense verlässt, der den Dingen zwischen Himmel und Erde naturgemäß innewohnt. Das ist das eine, was Schätzing auszeichnet. Das andere ist eine verblüffende Erzählweise: Schätzing erzählt wie ein Filmemacher. Im Grunde schreibt er überbordende Drehbücher ohne Drehbuchkalkül. Breitestwand ist sein Format.
Mit „Limit” gelingt ihm beides erneut, obwohl er sich diesmal im – allerdings recht nahe liegenden – Gegensatz zum Schwarm-Kino von der Erde und der Tiefsee abwendet, um den Himmel zu erforschen: „Limit” ist ein Versuch über die Grenzenlosigkeit (der menschlichen Gier wie der menschlichen Neugier) und der Grenzen (der natürlichen Ressourcen wie jener, sich global zu verständigen und den Ausgleich zu suchen). So nebenher testet Schätzing allerdings auch die Grenzen des Thriller-Genres aus: 1320 Seiten umfasst „Limit”. Bei einem solchen Volumen ist es für einen Thriller, dessen Gesetze Tempo beziehungsweise Page & Turn heißen, nicht selbstverständlich, am Ende mehr zu sein als ein Backstein der Recherche. Das Buch ist daher gelungen – auch wenn es womöglich etwas weniger Sog entwickelt als der „Schwarm”, in dem sich die Meere gegen den Menschen erheben. Die nur ein paar Kilometer tief hinabreichenden Ozeane scheinen erstaunlicherweise mehr Tiefe und Geheimnis zu besitzen als das All in all seiner Unergründlichkeit.
Zwei Handlungsstränge sind es, die Schätzing über einige hundert Seiten mit viel Behutsamkeit entwickelt. Angesichts des zahlreichen, nicht in jedem einzelnen Fall auch interessanten Personals in „Limit” erscheint solche Genauigkeit und Autorenfürsorge jedoch nicht immer angebracht – ein schlankeres Buch wäre also denkbar gewesen. Im ersten Handlungsstrang geht es um einen illustren Kreis, der sich – im klugerweise antifuturistisch, erkennbar gezeichneten Jahr 2025 – auf den Weg zu einem Mond-Hotel macht. Der Mond ist inzwischen beinahe so gut zu erreichen wie die Malediven. In diesem Kreis sind versammelt: ein gutaussehender Ex-Perry-Rhodan-Darsteller mit dunkler Neigung, ein russischer Stahlimperialist mit Hang zum Fußball, ein indischer Tomaten-Baron mit Hang zur Untertreibung, eine TV-Klatschkönigin mit Hang zu Männern wie Frauen, eine Milliardärsgattin mit Hang zur Flasche und einige mehr. Angeleitet werden sie von der mal eher manisch (Julian), mal eher depressiv (Lynn) wirkenden Familie Orley, die märchenhaft reich ist.
Julian Orley hat einen (tatsächlich schon zum Ende des 19. Jahrhunderts erstmals diskutierten) Mond-Fahrstuhl erbaut. Durch diesen wird nicht nur der Weltraumtourismus angekurbelt, sondern auch das Energieproblem der Erde gelöst: das Element Helium-3 gibt es dort (tatsächlich) in ungeheuren Mengen. Durch den Transport zur Erde könnte (tatsächlich) das Öl-und-Gas-Zeitalter abgelöst werden. Wie es im Buch heißt: „Die Steinzeit ist nicht am Mangel an Steinen zu Ende gegangen.” Das ist der vielleicht interessanteste Dreh in „Limit”: Nicht die Begrenzung der Energiereserven, sondern erst die Grenzenlosigkeit der Energiequellen und Fördermöglichkeiten bringt die Erde an den Rand der Katastrophe.
Denn der wiederaufgenommene Wettlauf zum Mond ist keiner allein der Ökonomen, sondern auch einer der Volkswirtschaften und der nationalen Ideale. An dieser Stelle koppelt Schätzing einen zweiten Handlungsstrang an die Mondfahrt-Party einiger kurioser Geld-Biographien: Der Cyber-Detektiv Owen Jericho und die naturgemäß sehr schöne Dissidentin Yuyun „Yoyo” Chen sind einem Komplott auf der Spur, das sich von Shanghai über Berlin bis nach Äquatorialguinea erstreckt – und dem Anspruch aller Bond-Filme nach herausragenden Settings gerecht wird. Die Erde tut vielleicht gar zu viel, um der Exotik des Mondes und seiner Kraterlandschaften etwas entgegenzusetzen.
Überzeugend: Schätzings konstruktives Talent. Unter den Autoren ist er der Ingenieur, ein Generalplaner, der genau weiß, wie komplexe, suggestiv aufgeladene Räume aus dem Grundriss von Figuren und Handlungen entwickelt werden; der weiß, wo ein Gang, wo Türen und Fenster sein müssen. Schätzing hat ein spektakuläres Haus entworfen, das standfest ist. Schlicht ist es jedoch nicht – und mancher Gang gerät zu lang.
Wie immer ist Schätzing witzig in der Sprache – wenn auch mit dem schon bekannten Hang zum Räkelhaften einerseits (sie „räkelt ihren Latina-Körper”) und zu verbaler Überanstrengung andererseits („Stimmt, da ziehen sich Parallelen”). Oder: „Norrington, dessen Ängste, seit er sich erinnern konnte, in rege Korrespondenz mit Magen und Darm zu treten pflegten . . .”.
Was Schätzing besonders gut gelingt, ist jedoch das Erzähl-Erklären. Ob die Gesetze der Energieförderung, die außenpolitischen Querelen zwischen USA und China oder Orbitmechanik: Selten schleicht sich das Gefühl des Volkshochschulkurses sein. Stattdessen gibt es Wissen, verpackt in meist passgenaue, glaubhafte Dialoge, von denen etwa Dan Brown ruhig lernen könnte. Im Übrigen bleibt sich Schätzing treu und schreibt auch immer über Schätzing. Etwa über den Weinkenner: In „Lautlos” taucht ein „magischer ’88er Pio Cesare” auf Seite 24 auf, im „Schwarm” begegnet man dem ersten Gewürztraminer („bevorzugter Jahrgang 1985”) auf Seite 30 – in „Limit” muss man sich bis zu Seite 85 gedulden: Dann aber tritt der „wunderbare Tignanello” auf. Sogar im All kommt Schätzing nicht ohne seine Genießer und Trunkenbolde aus. Meist rauschhaft liest sich jedoch das ganze Buch – am Ende ergeht es dem Leser wie dem zitierten Dean Martin: Ein Mann ist so lange nicht betrunken, wie er sich am Boden an etwas festhalten kann. Zum Beispiel an anregend gut recherchierten Fakten. Darauf versteht sich Schätzing wie nur wenige andere Autoren. GERHARD MATZIG
Überraschung: Die Welt leidet nicht am Ende der Ressourcen, sondern am Überfluss daran
Die Reise von der Erde – hier im Hintergrund zu sehen – zum Mond ist im Jahr 2025 per Fahrstuhl möglich. Foto: Nasa
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Frank Schätzings neues Buch „Limit” erforscht den Mond und die Grenzen des Thrillers
Es ist eine Unart, vielleicht aber auch nur eine Torheit, spannungsvoll gemeinte Bücher in die Hand zu nehmen, hinten aufzublättern, um das Ende noch vor dem Anfang zu lesen. Man will wissen, wie es ausgeht – und weiß die Neugier nicht zu zügeln. Einen gibt es allerdings im deutschsprachigen Raum, bei dem dieses Vorgehen gerechtfertigt ist: Frank Schätzing.
An diesem Montag kommt Schätzings neues Buch „Limit” in den Handel (Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 1328 S., 26 Euro). Man war darauf gespannt nach dem Millionenerfolg „Der Schwarm” von 2004, der weltweit gelesen wurde, gerade vor den ersten Dreharbeiten in Hollywood steht und den 52-jährigen Kölner Thriller-Autor endgültig in die Crichton-Forsyth-Brown-Liga bugsiert hat. Wie bei diesen Autoren lohnt es sich auch bei Schätzing, die Bücher von hinten nach vorne zu lesen. Nicht deshalb, weil man auf diese Weise erfährt, ob die Erde gerade noch rechtzeitig gerettet und die Verschwörung aufgedeckt wird. Nicht, weil man beruhigenderweise ahnt, dass der angezettelte Dritte Weltkrieg wie ein Schweizer Kracher in der Pfütze endet: mit leisem Ffftttttt. Sondern weil bei Schätzing die Lektüre der Danksagungen von Interesse ist. Wie bei Forsyth oder Crichton erfährt man hier oder im Register, wie ernst der Autor seinen Gegenstand nimmt. Wie genau und umfassend er ihm nachspürt, um daraus eine überzeugende Geschichte zu destillieren. Die Destillation, die Lehre vom Niederschlag löslicher Stoffe, beschreibt die Tätigkeit guter Thriller-Autoren womöglich am besten. Es ist die Kunst des Abgewinnens und durchaus keine leichte Sache.
Im „Limit”-Fall bedankt sich der Autor bei ISS- und Mir-Astronauten, bei Physikern, Planetenforschern, Energiespezialisten, Weltraumrechtsanwälten oder Holographie-Entwicklern, bei Instituten für Intelligente Informationstechnologie, Stadtplanern, Sinologen oder Slumforschern. Genau das ist es, was Schätzing-Bücher lesenswert macht. Sie gründen nicht allein auf Phantasie und Spekulation, sondern auf jahrelanger Recherche. Sie nehmen das Wissen in Anspruch. Schätzing et al.: Das ist eigentlich ein Autoren-Kollektiv, und Schätzing selbst immer dann am besten, wenn er mit Hilfe der Experten, Bücher, Aufsätze und des Internets die Phänomene erzählen lässt – und sich auf den Suspense verlässt, der den Dingen zwischen Himmel und Erde naturgemäß innewohnt. Das ist das eine, was Schätzing auszeichnet. Das andere ist eine verblüffende Erzählweise: Schätzing erzählt wie ein Filmemacher. Im Grunde schreibt er überbordende Drehbücher ohne Drehbuchkalkül. Breitestwand ist sein Format.
Mit „Limit” gelingt ihm beides erneut, obwohl er sich diesmal im – allerdings recht nahe liegenden – Gegensatz zum Schwarm-Kino von der Erde und der Tiefsee abwendet, um den Himmel zu erforschen: „Limit” ist ein Versuch über die Grenzenlosigkeit (der menschlichen Gier wie der menschlichen Neugier) und der Grenzen (der natürlichen Ressourcen wie jener, sich global zu verständigen und den Ausgleich zu suchen). So nebenher testet Schätzing allerdings auch die Grenzen des Thriller-Genres aus: 1320 Seiten umfasst „Limit”. Bei einem solchen Volumen ist es für einen Thriller, dessen Gesetze Tempo beziehungsweise Page & Turn heißen, nicht selbstverständlich, am Ende mehr zu sein als ein Backstein der Recherche. Das Buch ist daher gelungen – auch wenn es womöglich etwas weniger Sog entwickelt als der „Schwarm”, in dem sich die Meere gegen den Menschen erheben. Die nur ein paar Kilometer tief hinabreichenden Ozeane scheinen erstaunlicherweise mehr Tiefe und Geheimnis zu besitzen als das All in all seiner Unergründlichkeit.
Zwei Handlungsstränge sind es, die Schätzing über einige hundert Seiten mit viel Behutsamkeit entwickelt. Angesichts des zahlreichen, nicht in jedem einzelnen Fall auch interessanten Personals in „Limit” erscheint solche Genauigkeit und Autorenfürsorge jedoch nicht immer angebracht – ein schlankeres Buch wäre also denkbar gewesen. Im ersten Handlungsstrang geht es um einen illustren Kreis, der sich – im klugerweise antifuturistisch, erkennbar gezeichneten Jahr 2025 – auf den Weg zu einem Mond-Hotel macht. Der Mond ist inzwischen beinahe so gut zu erreichen wie die Malediven. In diesem Kreis sind versammelt: ein gutaussehender Ex-Perry-Rhodan-Darsteller mit dunkler Neigung, ein russischer Stahlimperialist mit Hang zum Fußball, ein indischer Tomaten-Baron mit Hang zur Untertreibung, eine TV-Klatschkönigin mit Hang zu Männern wie Frauen, eine Milliardärsgattin mit Hang zur Flasche und einige mehr. Angeleitet werden sie von der mal eher manisch (Julian), mal eher depressiv (Lynn) wirkenden Familie Orley, die märchenhaft reich ist.
Julian Orley hat einen (tatsächlich schon zum Ende des 19. Jahrhunderts erstmals diskutierten) Mond-Fahrstuhl erbaut. Durch diesen wird nicht nur der Weltraumtourismus angekurbelt, sondern auch das Energieproblem der Erde gelöst: das Element Helium-3 gibt es dort (tatsächlich) in ungeheuren Mengen. Durch den Transport zur Erde könnte (tatsächlich) das Öl-und-Gas-Zeitalter abgelöst werden. Wie es im Buch heißt: „Die Steinzeit ist nicht am Mangel an Steinen zu Ende gegangen.” Das ist der vielleicht interessanteste Dreh in „Limit”: Nicht die Begrenzung der Energiereserven, sondern erst die Grenzenlosigkeit der Energiequellen und Fördermöglichkeiten bringt die Erde an den Rand der Katastrophe.
Denn der wiederaufgenommene Wettlauf zum Mond ist keiner allein der Ökonomen, sondern auch einer der Volkswirtschaften und der nationalen Ideale. An dieser Stelle koppelt Schätzing einen zweiten Handlungsstrang an die Mondfahrt-Party einiger kurioser Geld-Biographien: Der Cyber-Detektiv Owen Jericho und die naturgemäß sehr schöne Dissidentin Yuyun „Yoyo” Chen sind einem Komplott auf der Spur, das sich von Shanghai über Berlin bis nach Äquatorialguinea erstreckt – und dem Anspruch aller Bond-Filme nach herausragenden Settings gerecht wird. Die Erde tut vielleicht gar zu viel, um der Exotik des Mondes und seiner Kraterlandschaften etwas entgegenzusetzen.
Überzeugend: Schätzings konstruktives Talent. Unter den Autoren ist er der Ingenieur, ein Generalplaner, der genau weiß, wie komplexe, suggestiv aufgeladene Räume aus dem Grundriss von Figuren und Handlungen entwickelt werden; der weiß, wo ein Gang, wo Türen und Fenster sein müssen. Schätzing hat ein spektakuläres Haus entworfen, das standfest ist. Schlicht ist es jedoch nicht – und mancher Gang gerät zu lang.
Wie immer ist Schätzing witzig in der Sprache – wenn auch mit dem schon bekannten Hang zum Räkelhaften einerseits (sie „räkelt ihren Latina-Körper”) und zu verbaler Überanstrengung andererseits („Stimmt, da ziehen sich Parallelen”). Oder: „Norrington, dessen Ängste, seit er sich erinnern konnte, in rege Korrespondenz mit Magen und Darm zu treten pflegten . . .”.
Was Schätzing besonders gut gelingt, ist jedoch das Erzähl-Erklären. Ob die Gesetze der Energieförderung, die außenpolitischen Querelen zwischen USA und China oder Orbitmechanik: Selten schleicht sich das Gefühl des Volkshochschulkurses sein. Stattdessen gibt es Wissen, verpackt in meist passgenaue, glaubhafte Dialoge, von denen etwa Dan Brown ruhig lernen könnte. Im Übrigen bleibt sich Schätzing treu und schreibt auch immer über Schätzing. Etwa über den Weinkenner: In „Lautlos” taucht ein „magischer ’88er Pio Cesare” auf Seite 24 auf, im „Schwarm” begegnet man dem ersten Gewürztraminer („bevorzugter Jahrgang 1985”) auf Seite 30 – in „Limit” muss man sich bis zu Seite 85 gedulden: Dann aber tritt der „wunderbare Tignanello” auf. Sogar im All kommt Schätzing nicht ohne seine Genießer und Trunkenbolde aus. Meist rauschhaft liest sich jedoch das ganze Buch – am Ende ergeht es dem Leser wie dem zitierten Dean Martin: Ein Mann ist so lange nicht betrunken, wie er sich am Boden an etwas festhalten kann. Zum Beispiel an anregend gut recherchierten Fakten. Darauf versteht sich Schätzing wie nur wenige andere Autoren. GERHARD MATZIG
Überraschung: Die Welt leidet nicht am Ende der Ressourcen, sondern am Überfluss daran
Die Reise von der Erde – hier im Hintergrund zu sehen – zum Mond ist im Jahr 2025 per Fahrstuhl möglich. Foto: Nasa
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»[...] ein unterhaltsames und verfilmungsträchtiges Buch, in dessen Subtext eine Parabel der Unterhaltungsindustrie aufscheint.« Hendrik Werner Die Welt