Neun Jahre nach seinem Lyrikband "ein tag auf dieser erde" legt Reiner Kunze neue Gedichte vor. Die originären Sprachbilder berühren durch ihre Einfachheit, Präzision und ein Äußerstes an Menschlichkeit. Unüberhörbar leise entwerfen die Gedichte Kindheitserinnerungen, sprechen über das Lieben und nähern sich dem Tod.
"›Fahrt mit Altem Meister‹ heißt in Reiner Kunzes neuem Gedichtband eine seiner poetischen Landschaften, wie er sie unnachahmbar mit wenigen Strichen zu malen versteht. Auch der Autor selbst zeigt in ›lindennacht‹ die reifste Meisterschaft: eine, die mit immer sparsameren, scheinbar immer kunstloseren Mitteln Kunst entstehen läßt - Kunst, auf die Jahrzehnte von Leben und Schreiben hingearbeitet haben müssen." Jakub Ekier, Warschau
»'fahrt mit altem meister' heißt in Reiner Kunzes neuem Gedichtband eine seiner poetischen Landschaften, wie er sie unnachahmbar mit wenigen Strichen zu malen versteht. Auch der Autor selbst zeigt in 'lindennacht' die reifste Meisterschaft: eine, die mit immer sparsameren, scheinbar immer kunstloseren Mitteln Kunst entstehen läßt. Jahrzehnte von Leben und Schreiben müssen auf diese Kunst hingearbeitet haben.« Jakub Ekier
"›Fahrt mit Altem Meister‹ heißt in Reiner Kunzes neuem Gedichtband eine seiner poetischen Landschaften, wie er sie unnachahmbar mit wenigen Strichen zu malen versteht. Auch der Autor selbst zeigt in ›lindennacht‹ die reifste Meisterschaft: eine, die mit immer sparsameren, scheinbar immer kunstloseren Mitteln Kunst entstehen läßt - Kunst, auf die Jahrzehnte von Leben und Schreiben hingearbeitet haben müssen." Jakub Ekier, Warschau
»'fahrt mit altem meister' heißt in Reiner Kunzes neuem Gedichtband eine seiner poetischen Landschaften, wie er sie unnachahmbar mit wenigen Strichen zu malen versteht. Auch der Autor selbst zeigt in 'lindennacht' die reifste Meisterschaft: eine, die mit immer sparsameren, scheinbar immer kunstloseren Mitteln Kunst entstehen läßt. Jahrzehnte von Leben und Schreiben müssen auf diese Kunst hingearbeitet haben.« Jakub Ekier
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2007Lindennacht
Reiner Kunze stellt seinen neuen Gedichtband vor
Johannes Bobrowski hat ihm den "Namen des Unhörbaren" gegeben: Holunder - so nannte der sarmatische Dichter 1963 den Verfolgten, "der reif geworden ist / und steht voll Blut". Er dachte dabei an seine jüdischen Nachbarn im einstigen Memelland, Litauen. Seit je galt der Holunder als Inbild der Lebenskraft. Nur am Vergessen der Nachgeborenen mochte die Holunderblüte in Bobrowskis gleichnamigem Gedicht sterben. Nun hat sich Reiner Kunze zum Holunder bekannt. "Am wesen der eiche jedoch / würde ich leiden, das mark des holunders / spür ich in mir", schreibt er in seiner "Variation über das Thema ,Philemon und Baucis'". Verneigt er sich hier vor Bobrowski? Stellt er sich an die Seite der Schwachen, Verfolgten, er, der selber im Jahr 1977 so von den DDR-Behörden drangsaliert wurde, dass er einen Antrag auf Ausbürgerung stellte, obwohl er doch niemals fortgehen wollte?
Der Holunder ist ein Baum der Grenze - zwischen Wald und Garten, Leben und Tod. Ein Grenzgänger ist Reiner Kunze. Ein bisschen "Waldgänger" auch, wenngleich ein kosmopolitischer, wie sein neuer Lyrikband belegt. Im Holzhausenschlösschen, das die Zuhörerscharen nicht fassen konnte, stellte er jetzt erstmals seine neuen Gedichte vor, die unter dem Titel "lindennacht" vor kurzem bei S. Fischer erschienen sind. In fünf Abteilungen versammelt das kleine blaue Buch Gedichte über den Makrokosmos, der sich im Mikrokosmos der Natur und des Alltags spiegelt, Verse über das "Zwischenland" Kunst, wie sie sich in Musik und Sprache verdichtet, über das Erleben finnischer Landschaft und koreanischer Kultur, über den Tod und über das Leid, das ihn übersteigt.
Die Leitworte, die ihnen vorangestellt sind, weisen den Dichter zudem als belesenen und einfühlsamen Kollegen aus. Doch der Gedichtband ist nicht nur ein Selbst-, sondern vor allem ein Liebesbekenntnis. Er ist nicht nach dem Holunder benannt, sondern nach der Linde, in die sich nach Ovids "Metamorphosen" Baucis verwandelt hat. Mit jeder Linde in Kunzes Gedichten ist immer auch seine Frau zwischen den Zeilen zugegen, die mährische Ärztin Elisabeth Littnerova, mit der er seit 46 Jahren verheiratet ist. Über das Bild der ehelichen Liebe hinaus weitet sich die Lindenkrone zu einem Blütenhimmel, zu dem der Blick des Menschen wie ein Kleiber emporsteigt, ins bienenumsummte "himmelgrün" des Tages oder in die sternenwimmelnde Nacht, um das Universum zu vermessen und sich neue Himmel zu erschließen, für die er gar nicht geschaffen ist: "Wollten wir das anderssein der welt / begreifen, müssten wir / andere sein / Wir menschen unter linden, die blühn, / und es ist nacht."
Von den hundert Seiten nehmen die Gedichte der ersten Abteilung fast die Hälfte ein: freie Rhythmen über den Bergmannsalltag der Kindheit im Erzgebirge, das Verwachsensein "auf leben und tod" über dem Donauhang südlich von Passau, wo der Dichter ein neues Zuhause fand, über die Angst vor dem leeren Schuh des anderen und den "tapferen Vorsatz", die zusammenbrechende Welt mit der Erinnerung an das erotische Zehenspiel von einst wiederaufzurichten. Spottverse auf die Rechtschreibreform und ironische Kommentare auf ästhetische Programme folgen im nächsten Teil, empathische, aber auch befremdete Annäherungen an Poeten und Passanten in Korea im dritten. Aber vor dem Grauen in den Goldlagern der sibirischen Kolyma schweigt er und lässt wieder einmal einen Autor zu Wort kommen, den niemand hören und lesen will: Warlam Schalamow in einer "Stele".
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Reiner Kunze stellt seinen neuen Gedichtband vor
Johannes Bobrowski hat ihm den "Namen des Unhörbaren" gegeben: Holunder - so nannte der sarmatische Dichter 1963 den Verfolgten, "der reif geworden ist / und steht voll Blut". Er dachte dabei an seine jüdischen Nachbarn im einstigen Memelland, Litauen. Seit je galt der Holunder als Inbild der Lebenskraft. Nur am Vergessen der Nachgeborenen mochte die Holunderblüte in Bobrowskis gleichnamigem Gedicht sterben. Nun hat sich Reiner Kunze zum Holunder bekannt. "Am wesen der eiche jedoch / würde ich leiden, das mark des holunders / spür ich in mir", schreibt er in seiner "Variation über das Thema ,Philemon und Baucis'". Verneigt er sich hier vor Bobrowski? Stellt er sich an die Seite der Schwachen, Verfolgten, er, der selber im Jahr 1977 so von den DDR-Behörden drangsaliert wurde, dass er einen Antrag auf Ausbürgerung stellte, obwohl er doch niemals fortgehen wollte?
Der Holunder ist ein Baum der Grenze - zwischen Wald und Garten, Leben und Tod. Ein Grenzgänger ist Reiner Kunze. Ein bisschen "Waldgänger" auch, wenngleich ein kosmopolitischer, wie sein neuer Lyrikband belegt. Im Holzhausenschlösschen, das die Zuhörerscharen nicht fassen konnte, stellte er jetzt erstmals seine neuen Gedichte vor, die unter dem Titel "lindennacht" vor kurzem bei S. Fischer erschienen sind. In fünf Abteilungen versammelt das kleine blaue Buch Gedichte über den Makrokosmos, der sich im Mikrokosmos der Natur und des Alltags spiegelt, Verse über das "Zwischenland" Kunst, wie sie sich in Musik und Sprache verdichtet, über das Erleben finnischer Landschaft und koreanischer Kultur, über den Tod und über das Leid, das ihn übersteigt.
Die Leitworte, die ihnen vorangestellt sind, weisen den Dichter zudem als belesenen und einfühlsamen Kollegen aus. Doch der Gedichtband ist nicht nur ein Selbst-, sondern vor allem ein Liebesbekenntnis. Er ist nicht nach dem Holunder benannt, sondern nach der Linde, in die sich nach Ovids "Metamorphosen" Baucis verwandelt hat. Mit jeder Linde in Kunzes Gedichten ist immer auch seine Frau zwischen den Zeilen zugegen, die mährische Ärztin Elisabeth Littnerova, mit der er seit 46 Jahren verheiratet ist. Über das Bild der ehelichen Liebe hinaus weitet sich die Lindenkrone zu einem Blütenhimmel, zu dem der Blick des Menschen wie ein Kleiber emporsteigt, ins bienenumsummte "himmelgrün" des Tages oder in die sternenwimmelnde Nacht, um das Universum zu vermessen und sich neue Himmel zu erschließen, für die er gar nicht geschaffen ist: "Wollten wir das anderssein der welt / begreifen, müssten wir / andere sein / Wir menschen unter linden, die blühn, / und es ist nacht."
Von den hundert Seiten nehmen die Gedichte der ersten Abteilung fast die Hälfte ein: freie Rhythmen über den Bergmannsalltag der Kindheit im Erzgebirge, das Verwachsensein "auf leben und tod" über dem Donauhang südlich von Passau, wo der Dichter ein neues Zuhause fand, über die Angst vor dem leeren Schuh des anderen und den "tapferen Vorsatz", die zusammenbrechende Welt mit der Erinnerung an das erotische Zehenspiel von einst wiederaufzurichten. Spottverse auf die Rechtschreibreform und ironische Kommentare auf ästhetische Programme folgen im nächsten Teil, empathische, aber auch befremdete Annäherungen an Poeten und Passanten in Korea im dritten. Aber vor dem Grauen in den Goldlagern der sibirischen Kolyma schweigt er und lässt wieder einmal einen Autor zu Wort kommen, den niemand hören und lesen will: Warlam Schalamow in einer "Stele".
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jörg Magenau ist im Großen und Ganzen ganz angetan von Rainer Kunzes in den Jahren 2005 und 2006 verfassten Gedichtsband und nennt ihn dessen "Alterswerk" - nicht nur, weil im letzten Kapitel einige Nachrufe auf Wegbegleiter zu finden sind. Zwar stört den Rezensenten der unterschwellige "Kulturkonservatismus" des Autors, der sich etwa in einem abschätzigen Gedicht über die Rechtschreibreform manifestiere. Doch alles in allem bleibt Kunze bei seinen Stärken und die bestehen für Magenau in verknappten Landschaftsbildern und Naturbeobachtungen. Die "Kunst der Reduktion" treibt Kunze mit diesem Werk weiter voran, trotzdem gelingt es ihm, mit seiner Lyrik "die Schönheit der Schöpfung" zu feiern, lobt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH