Viele Tausend Kölner benutzen jeden Tag die U-Bahn, doch auch sie werden erstaunt sein, wenn sie dieses Buch zur Hand nehmen. Plötzlich öffnet sich der Blick für ein halbes Jahrhundert Kölner Architekturgeschichte. Mehr noch: Den Stadtvätern war es wichtig, die Wartenden auf den Bahnsteigen mit Kunst zu konfrontieren, weshalb sie immer wieder Bilder und Installationen in Auftrag gaben. So entstanden im Lauf der Zeit höchst unterschiedlich gestaltete Stationen – eindrucksvolle, eigenwillige und vernachlässigte. Architekturkennerin Barbara Schock-Werner hat das Zustandekommen jeder einzelnen Haltestelle aufwendig recherchiert. Auf ihre unnachahmliche Weise beschreibt sie nicht nur, was sie sieht, sondern scheut auch vor klaren Bewertungen nicht zurück. Zusammen mit den brillanten Fotografien von Maurice Cox ist so ein äußerst überraschender Band entstanden, der einmal mehr beweist: Für die interessanten Dinge vor der eigenen Haustür ist man oft blind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2019Jetzt komm mal runter
Expedition in den U-Bahn-Schacht: Die ehemalige Dombaumeisterin und ein Fotograf erforschen Kölns Untergrund.
Von Freddy Langer
Wenn es darum geht, die Kacheln der Kölner U-Bahn-Stationen zu beschreiben, verzichtet Barbara Schock-Werner auf RAL-Kennziffern oder die Goethesche Farbenlehre und spricht kurzerhand von Krankenhausgrün und Uringelb. Andererseits kann sie ins Schwärmen geraten und bezeichnet in der Haltestelle Äußere Kanalstraße die schmalen Lichtbänder, die der Künstler Hans T. von Malotki dort um drei gewaltige Abwasserrohre gelegt hat, als "Armbänder aus Diamanten". Dass bei dem einen oder anderen Diamanten der Strom ausgefallen ist und die Lichterkette eher wirkt wie das lückenhafte Gebiss einer nepalesischen Bäuerin, gibt dem Vergleich eine traurige Note. Weshalb Barbara Schock-Werner verlangt, dass U-Bahn-Haltestellen nicht nur sorgfältig gestaltet, sondern auch sorgfältig gewartet werden. Schließlich seien sie "Orte für die Bürger", und die möchte man doch bitte ernst nehmen.
Dreizehn Jahre lang, von 1999 bis 2012, war Barbara Schock-Werner als Dombaumeisterin in Köln gewissermaßen zuständig für den Himmel auf Erden. Nun hat sie sich in den Untergrund begeben, um Haltestelle für Haltestelle eingehend zu betrachten - auch aus dem Blickwinkel der Architektin und Kunsthistorikerin, vor allem jedoch als Wahl-Kölnerin. Dass sie dabei den Finger in die eine oder andere Wunde legen würde, war zu erwarten. Das kennt man in Köln von ihrer regelmäßig in der Lokalpresse erscheinenden Kolumne zu Stadtbild und Stadtorganisation. Wie konnte man es zulassen, fragt sie, dass die fast zweihundert Meter lange Wand mit Siebdrucken des documenta-Teilnehmers Gerd Winner nahezu komplett mit Graffiti überzogen ist? Oder sie klagt über Werbetafeln und Reklamebildschirme, mit denen die Stadt hemmungslos die U-Bahnhöfe überzieht. Dabei könnte alles so schön sein.
Wie schön, das zeigt der Fotograf Maurice Cox, der für das gemeinsame Buch "Linienführung" die knapp vierzig unterirdischen Stationen spätnachts besuchte, wenn nach den letzten Fahrgästen die Putzkolonnen Boden wie Wände auf Hochglanz gebracht hatten. Es ist eine geisterhafte Welt, die er präsentiert. Menschenleer und fast aseptisch sauber. Lichtbänder glänzen wie Heiligenscheine. Kacheln strahlen, als seien sie von innen beleuchtet. Wo eine Birne ausgefallen war, schraubte Cox mit den Möglichkeiten des Photoshop eine neue ein und knipste sie an. Dort aber, wo die Stadt der Energiesparverordnung wegen an der Haltestation Piusstraße Birnen aus dem gewaltigen Kronleuchter von Arnhard Orend gedreht hat, zeigt er die leeren Fassungen. Und in welcher Perspektive! Aus sechzehn Aufnahmen ist das Bild zusammengesetzt, so dass der Blick ungehindert von der Raumdecke bis zu den Fußspitzen gleitet und in der Horizontalen fast einen Halbkreis erschließt. Noch die einfallslosesten Gestaltungen wirken auf diese Weise aufgeladen mit der Energie von Pop-Art, Op-Art, Minimal Art. Nur einmal widersetzt sich die Kunst dem Fotografen: am Heumarkt, für den sich der Architekt Ulrich Coersmeier ausdrücklich kein ästhetisches Beiwerk wünschte. Der Künstler Werner Reiterer fand die Lösung in einer Lautsprecherdurchsage, die per Zufallsprinzip einmal am Tag einen Geisterzug ankündigt - und unsichtbar, aber lautstark durch den Tunnel rauschen lässt.
"Linienführung - Die Kölner U-Bahn-Stationen" von Barbara Schock-Werner (Text) und Maurice Cox (Fotografien). Greven Verlag, Köln 2018. 192 Seiten, 195 Abbildungen, 40 Ausklappseiten. Gebunden, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Expedition in den U-Bahn-Schacht: Die ehemalige Dombaumeisterin und ein Fotograf erforschen Kölns Untergrund.
Von Freddy Langer
Wenn es darum geht, die Kacheln der Kölner U-Bahn-Stationen zu beschreiben, verzichtet Barbara Schock-Werner auf RAL-Kennziffern oder die Goethesche Farbenlehre und spricht kurzerhand von Krankenhausgrün und Uringelb. Andererseits kann sie ins Schwärmen geraten und bezeichnet in der Haltestelle Äußere Kanalstraße die schmalen Lichtbänder, die der Künstler Hans T. von Malotki dort um drei gewaltige Abwasserrohre gelegt hat, als "Armbänder aus Diamanten". Dass bei dem einen oder anderen Diamanten der Strom ausgefallen ist und die Lichterkette eher wirkt wie das lückenhafte Gebiss einer nepalesischen Bäuerin, gibt dem Vergleich eine traurige Note. Weshalb Barbara Schock-Werner verlangt, dass U-Bahn-Haltestellen nicht nur sorgfältig gestaltet, sondern auch sorgfältig gewartet werden. Schließlich seien sie "Orte für die Bürger", und die möchte man doch bitte ernst nehmen.
Dreizehn Jahre lang, von 1999 bis 2012, war Barbara Schock-Werner als Dombaumeisterin in Köln gewissermaßen zuständig für den Himmel auf Erden. Nun hat sie sich in den Untergrund begeben, um Haltestelle für Haltestelle eingehend zu betrachten - auch aus dem Blickwinkel der Architektin und Kunsthistorikerin, vor allem jedoch als Wahl-Kölnerin. Dass sie dabei den Finger in die eine oder andere Wunde legen würde, war zu erwarten. Das kennt man in Köln von ihrer regelmäßig in der Lokalpresse erscheinenden Kolumne zu Stadtbild und Stadtorganisation. Wie konnte man es zulassen, fragt sie, dass die fast zweihundert Meter lange Wand mit Siebdrucken des documenta-Teilnehmers Gerd Winner nahezu komplett mit Graffiti überzogen ist? Oder sie klagt über Werbetafeln und Reklamebildschirme, mit denen die Stadt hemmungslos die U-Bahnhöfe überzieht. Dabei könnte alles so schön sein.
Wie schön, das zeigt der Fotograf Maurice Cox, der für das gemeinsame Buch "Linienführung" die knapp vierzig unterirdischen Stationen spätnachts besuchte, wenn nach den letzten Fahrgästen die Putzkolonnen Boden wie Wände auf Hochglanz gebracht hatten. Es ist eine geisterhafte Welt, die er präsentiert. Menschenleer und fast aseptisch sauber. Lichtbänder glänzen wie Heiligenscheine. Kacheln strahlen, als seien sie von innen beleuchtet. Wo eine Birne ausgefallen war, schraubte Cox mit den Möglichkeiten des Photoshop eine neue ein und knipste sie an. Dort aber, wo die Stadt der Energiesparverordnung wegen an der Haltestation Piusstraße Birnen aus dem gewaltigen Kronleuchter von Arnhard Orend gedreht hat, zeigt er die leeren Fassungen. Und in welcher Perspektive! Aus sechzehn Aufnahmen ist das Bild zusammengesetzt, so dass der Blick ungehindert von der Raumdecke bis zu den Fußspitzen gleitet und in der Horizontalen fast einen Halbkreis erschließt. Noch die einfallslosesten Gestaltungen wirken auf diese Weise aufgeladen mit der Energie von Pop-Art, Op-Art, Minimal Art. Nur einmal widersetzt sich die Kunst dem Fotografen: am Heumarkt, für den sich der Architekt Ulrich Coersmeier ausdrücklich kein ästhetisches Beiwerk wünschte. Der Künstler Werner Reiterer fand die Lösung in einer Lautsprecherdurchsage, die per Zufallsprinzip einmal am Tag einen Geisterzug ankündigt - und unsichtbar, aber lautstark durch den Tunnel rauschen lässt.
"Linienführung - Die Kölner U-Bahn-Stationen" von Barbara Schock-Werner (Text) und Maurice Cox (Fotografien). Greven Verlag, Köln 2018. 192 Seiten, 195 Abbildungen, 40 Ausklappseiten. Gebunden, 35 Euro.
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