Schluss mit dem Eiertanz um die politische Mitte in Deutschland. Unser Land und die politischen Koordinaten sind in Bewegung. Aber was heißt das? Und was bedeutet dieser neue Genosse Trend für die älteste der deutschen Parteien: die SPD? Sigmar Gabriel, einer der wenigen Sozialdemokraten, »der Parteitage zum Tanzen bringen kann« (Der Spiegel), beschreibt sein ganz persönliches Verständnis von »links«, liefert eine glasklare politische Analyse und zeigt prägnant Auswege aus der gegenwärtigen Krise. Seine Idee von »links« ist der geglückte Versuch, die Widersprüche von Glo balisierung, Modernisierung und den damit zusammen-hängenden Fol gen menschenwürdig aufzulösen. Seine Schlüsselworte lauten dabei Emanzipation und Fortschritt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2008Weg von der Mitte – hin zur Mehrheit
Wie Bundesumweltminister Sigmar Gabriel linke Traditionen mit dem Kapitalismus verzahnen will
Sigmar Gabriel hat wie wenige andere das Image eines Politikers, dem es zuerst um sich und nur nebenbei um die Sache geht. Schnell wird dem Bundesumweltminister Karrierestreben attestiert, sowie er sich zu allgemeinen politischen Fragen äußert, eine Kanzlerkandidatur 2013 angeblich fest im Blick. Gabriel weiß das – und kennt auch seinen erklecklichen Anteil an diesem Bild. Mit seinem Buch unternimmt er den Versuch, diesen Eindruck einer gewissen Substanzlosigkeit zu korrigieren – in zweifacher Hinsicht. Zum einen wendet er sich gegen eine Betrachtungsweise von Politik, die nur persönliche Machtkämpfe und arithmetische Mehrheiten in den Vordergrund stellt. Zum anderen liefert er eine Fleißarbeit ab, die jedenfalls den Vorwurf der Oberflächlichkeit nicht verdient. Gabriel hat sein persönliches Grundsatzprogramm geschrieben, mit Hilfe enger Vertrauter, wie er einräumt.
Es ist ein äußerst faktenreicher, bisweilen auch ermüdender Text, angereichert mit wissenschaftlicher Theorie und historischem Exkurs. So sehr berauscht sich Gabriel bisweilen am Grundsätzlichen, so konkret, um nicht zu sagen: kleinteilig, wird er an anderen Stellen, dass das Buch deutlich zu lang geworden ist. Andererseits belegt manche lesenswerte Analyse der SPD, dass der 49-Jährige mit einigem Recht – wenn auch schon ziemlich lange – als Talent der Partei gilt.
Die Kernthese des Autors besagt, dass die Sozialdemokratie sich vom inhaltsleeren Begriff der politischen Mitte ab- und einer Politik der Mehrheit zuwenden sollte. Mit der Interessenlage breiter Bevölkerungsschichten sieht er linke Traditionen, insbesondere das Versprechen eines Aufstiegs durch Leistung, sehr wohl vereinbar, nicht aber die ebenso linke Tradition einer reinen Protesthaltung gegen das kapitalistische System. Die Gestaltungslinke, wie Gabriel sie zeichnet, müsse sich bei aller Ambition zum großen Gesellschaftsentwurf immer auch daran orientieren, was zu verwirklichen sei.
Wirtschaftliches Wachstum als Voraussetzung für soziale Sicherheit, ergänzt um ökologische Nachhaltigkeit ist Gabriels Grundprinzip, Bildung der Schlüssel für soziale Teilhabe. Das ist alles nicht neu, wird aber von ihm in manchen Teilen anschaulich durchdekliniert. Das gilt auch für die Kapitel über Politikverdruss und Demokratiedefizite. Was die Finanzmärkte betrifft, hat die Realität Gabriels Warnungen indes zum Teil überholt – was auch beweist, dass der Weg zum Primat gestaltender Politik noch weiter ist, als es Gabriel in seinem Buch ohnehin beschreibt. NICO FRIED
SIGMAR GABRIEL: Links neu denken. Politik für die Mehrheit. Piper Verlag, München 2008. 373 Seiten., 16,90 Euro.
„Die so gern zitierte ,gesellschaftliche Mitte‘ darf kein gesellschaftlicher Fetisch werden. Deren Beschwörung ist eben noch kein Programm, sie ist
keine Richtung und sie ist keine Antwort auf die lokalen, regionalen oder globalen Fragen.”
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Wie Bundesumweltminister Sigmar Gabriel linke Traditionen mit dem Kapitalismus verzahnen will
Sigmar Gabriel hat wie wenige andere das Image eines Politikers, dem es zuerst um sich und nur nebenbei um die Sache geht. Schnell wird dem Bundesumweltminister Karrierestreben attestiert, sowie er sich zu allgemeinen politischen Fragen äußert, eine Kanzlerkandidatur 2013 angeblich fest im Blick. Gabriel weiß das – und kennt auch seinen erklecklichen Anteil an diesem Bild. Mit seinem Buch unternimmt er den Versuch, diesen Eindruck einer gewissen Substanzlosigkeit zu korrigieren – in zweifacher Hinsicht. Zum einen wendet er sich gegen eine Betrachtungsweise von Politik, die nur persönliche Machtkämpfe und arithmetische Mehrheiten in den Vordergrund stellt. Zum anderen liefert er eine Fleißarbeit ab, die jedenfalls den Vorwurf der Oberflächlichkeit nicht verdient. Gabriel hat sein persönliches Grundsatzprogramm geschrieben, mit Hilfe enger Vertrauter, wie er einräumt.
Es ist ein äußerst faktenreicher, bisweilen auch ermüdender Text, angereichert mit wissenschaftlicher Theorie und historischem Exkurs. So sehr berauscht sich Gabriel bisweilen am Grundsätzlichen, so konkret, um nicht zu sagen: kleinteilig, wird er an anderen Stellen, dass das Buch deutlich zu lang geworden ist. Andererseits belegt manche lesenswerte Analyse der SPD, dass der 49-Jährige mit einigem Recht – wenn auch schon ziemlich lange – als Talent der Partei gilt.
Die Kernthese des Autors besagt, dass die Sozialdemokratie sich vom inhaltsleeren Begriff der politischen Mitte ab- und einer Politik der Mehrheit zuwenden sollte. Mit der Interessenlage breiter Bevölkerungsschichten sieht er linke Traditionen, insbesondere das Versprechen eines Aufstiegs durch Leistung, sehr wohl vereinbar, nicht aber die ebenso linke Tradition einer reinen Protesthaltung gegen das kapitalistische System. Die Gestaltungslinke, wie Gabriel sie zeichnet, müsse sich bei aller Ambition zum großen Gesellschaftsentwurf immer auch daran orientieren, was zu verwirklichen sei.
Wirtschaftliches Wachstum als Voraussetzung für soziale Sicherheit, ergänzt um ökologische Nachhaltigkeit ist Gabriels Grundprinzip, Bildung der Schlüssel für soziale Teilhabe. Das ist alles nicht neu, wird aber von ihm in manchen Teilen anschaulich durchdekliniert. Das gilt auch für die Kapitel über Politikverdruss und Demokratiedefizite. Was die Finanzmärkte betrifft, hat die Realität Gabriels Warnungen indes zum Teil überholt – was auch beweist, dass der Weg zum Primat gestaltender Politik noch weiter ist, als es Gabriel in seinem Buch ohnehin beschreibt. NICO FRIED
SIGMAR GABRIEL: Links neu denken. Politik für die Mehrheit. Piper Verlag, München 2008. 373 Seiten., 16,90 Euro.
„Die so gern zitierte ,gesellschaftliche Mitte‘ darf kein gesellschaftlicher Fetisch werden. Deren Beschwörung ist eben noch kein Programm, sie ist
keine Richtung und sie ist keine Antwort auf die lokalen, regionalen oder globalen Fragen.”
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