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"Seine Geschichte war zu Ende, ihn selbst gab es aber noch, und das war ein Problem...", das Hauptproblem der Generation von Ostmitteleuropäern, denen das "System" zwar enge Grenzen gesetzt, aber auch Richtung und Ziel gegeben hatte.
Wie ist es, fragt der ungarische Nobelpreisträger in seinem neuen Roman, wenn sich das Ich nicht mehr durch Widerstand konsolidieren kann, wenn die Realität in belanglose Einzelheiten zerfällt und damit als Maßstab und Prüfstein der Existenz liquidiert wird?
Für den Verlagslektor Keserü wird zehn Jahre nach der Wende das Liquidation betitelte Theaterstück,
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Produktbeschreibung
"Seine Geschichte war zu Ende, ihn selbst gab es aber noch, und das war ein Problem...", das Hauptproblem der Generation von Ostmitteleuropäern, denen das "System" zwar enge Grenzen gesetzt, aber auch Richtung und Ziel gegeben hatte.

Wie ist es, fragt der ungarische Nobelpreisträger in seinem neuen Roman, wenn sich das Ich nicht mehr durch Widerstand konsolidieren kann, wenn die Realität in belanglose Einzelheiten zerfällt und damit als Maßstab und Prüfstein der Existenz liquidiert wird?

Für den Verlagslektor Keserü wird zehn Jahre nach der Wende das Liquidation betitelte Theaterstück, das er aus dem Nachlaß seines Freundes B. gerettet hat, zum Gegenstand obsessiver Erinnerungsarbeit.
B., in Auschwitz geboren, hat sich 1990 überraschend umgebracht, in seinem Stück jedoch gespenstisch genau die Situation vorweggenommen, die die Hinterbliebenen dann in der Realität erleben sollten: Verwirrung, private Zerwürfnisse, Schlammschlachten aller Art. Umso verzweifelter, als hinge der eigenbenssinn davon ab, fahndet Keserü nach dem "großen Lebensroman" B.`s, den er im Nachlaß zu finden gehofft hatte. Hat ihn Sara, die Geliebte B.`s, oder Judit, seine geschiedene Frau?

Kertesz entfaltet die Handlung meisterlich, mit fast kriminalistischer Spannung und den Registern seiner Ironie. Während die Ereignisse um den mysteriösen Freitod in der Erinnerung des Freundes ablaufen, wird mit der Lebensgeschichte B.`s nicht nur die seines Beinahe-Doppelgängers Keserü aufgerollt, sondern vor allem auch die seiner Ex-Frau Judit, die B. einst wegen seiner radikalen Lebensabsage verlassen hat: Mit großer Souveränität knüpft Imre Kertesz in Liquidation an die Thematik seines Kaddisch-Romans an.

Autorenporträt
Imre Kertesz, 1929 in Budapest geboren, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Er gilt seit dem späten Erfolg seines "Roman eines Schicksallosen" als einer der großen europäischen Schriftsteller. Die jahrelange Arbeit an diesem Roman, der 1975 in Ungarn erschien, finanzierte er durch Musicals und Unterhaltungsstücke. Er betätigte sich als Übersetzer von Freud, Nietzsche, Hofmannsthal, Canetti, Wittgenstein und anderen. 2000 erhielt er den "Welt"-Literaturpreis, 2002 den Nobelpreis für Literatur und 2004 den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten und den Corine - Internationaler Buchpreis 2004 für sein Lebenswerk. 2009 wurde Imre Kertesz mit dem Jean Améry-Preis für Essayistik geehrt, 2013 erhielt er den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch. Imre Kertész lebte in Budapest und Berlin. Er starb 2016 nach langer Krankheit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2003

Nur die erzählte Geschichte hat ein Ende
Den Bann der Vergangenheit lösen: Imre Kertész vollendet seinen Romanzyklus über Auschwitz

Wenn man kein Geld hat, spielt man mit den "Valeurs, die einem das Leben zugeteilt hat". Wieviel Jahre stalinistisches Internierungslager wiegen Mauthausen oder Birkenau auf? B. steigt immer aus, wenn die KZ-Veteranen und Dissidenten "Lagerpoker" spielen; er glaubt einen unüberbietbaren Trumpf in der Tasche zu haben: Auschwitz. B. war eine Figur aus Imre Kertész' Roman "Kaddisch für ein nicht geborenes Kind"; jetzt taucht der Überlebende, der nach Auschwitz keine Kinder mehr zeugen wollte und mit seiner radikalen Negation Liebes- und Lebensglück verspielte, wieder auf.

"Liquidation", der erste Roman des Nobelpreisträgers seit 1989, ist eine Art Fortsetzung von "Kaddisch", und B., Spielfigur und Medium von Kertész, trägt den veränderten politischen und persönlichen Rahmenbedingungen mit einer korrigierten Biographie Rechnung. 1944 im KZ geboren (in "Kaddisch" war er noch, wie Kertész, fünfzehn Jahre älter), überlebte er Auschwitz wie durch ein Wunder. Die stalinistische Diktatur hielt den Verlagslektor und Übersetzer am Leben, genauer: verdammte ihn zum Weiterleben. Jetzt, 1990, sind plötzlich alle Sicherheiten liquidiert: Gefängnisstaat, Verlag, Vergangenheit, selbst die "sogenannte Wirklichkeit". Die Erfahrung der Schicksallosigkeit, der Widerstand gegen die totalitäre Zerstörung des Subjekts schenkten B. eine paradoxe Form der Identität: Er war der lebende Widerspruch, der mit seiner Selbstzerstörung Zeugnis ablegen wollte vom Ende aller Zivilisation. Das Leben ist ein Konzentrationslager, schrieb er in seinem nachgelassenen Theaterstück "Die Liquidation": "Sich selbst umzubringen ist gleichviel wie / die Wache überlisten / fliehen desertieren / den Zurückgebliebenen eine Nase drehen." Aber das "einzige würdige Selbstmordinstrument", die unhintergehbare Revolte, ist doch das Leben selbst, wie Kertész mit Anklängen an Camus, Cioran und Beckett schreibt.

B. aber ist 1990 nur noch der Schatten eines Schattens. Die Kraft zum Widerstand, der "Überlebenstrotz" ist verbraucht, seit die Welt offen vor ihm liegt. Seine geschiedene Frau Judit besorgt ihm das Gift für seinen Selbstmord und verbrennt als letzten Liebesbeweis seinen großen Roman über Auschwitz. "Ich will mein Zelt nicht auf dem literarischen Jahrmarkt aufschlagen", schrieb B. in seinem Abschiedsbrief, "ich will meine Ware nicht feilbieten. Häßliche Ware, nicht für Menschen bestimmt." Der ominöse Roman ist, wie Kertész' "Roman eines Schicksallosen", der Fluchtpunkt aller Lebenslinien und Erzählstränge. Für B.s alten Freund und Kollegen, den Lektor Keserü (zu deutsch: der Bittere), wird er zur Obession. Verzweifelt sucht der selbsternannte Nachlaßverwalter den Roman, der sein verpfuschtes Leben rechtfertigen und ihm, dem Nichtjuden, das "Geheimnis" von Auschwitz offenbaren soll. Er findet nur "Die Liquidation", die "Komödie", in der B. in einer Art postmodernen Volte seinen eigenen Selbstmord begründet und ratifiziert hatte. Auch Imre Kertész arbeitete an einem Theaterstück, als die Liquidation des Staatssozialismus ihm die Grundlagen seiner Existenz entzog. Wenn er jetzt aus dem Torso des Stücks einen schmalen, hochkonzentrierten Roman über den Umgang mit dem Zivilisationsbruch Auschwitz nach 1989 rekonstruiert, nimmt er damit die Liquidation der Vergangenheit zurück.

"Liquidation" ist eine Art Summe seines Werks - und zugleich eine zögernde Abkehr vom düsteren Pessimismus: eine erzählerische Selbstentfesselung, in der Kertész seine Dialektik vom Untergang und Überleben der traumatischen Wirklichkeit in der Literatur spielerischer und befreiter als je zuvor entfaltet. Auschwitz bleibt, ungesagt oder als Trumpfkarte ausgespielt, das beherrschende Thema aller Gespräche, Gedanken und Handlungen. Aber noch nie ist Kertész so souverän und ironisch mit seinem schicksallosen Schicksalsstoff umgegangen. Elemente von Drama und Lyrik, Kriminal- und Liebesroman, Selbstzitate, Zeitsprünge, Überblendungen, Rollen- und Perspektivwechsel machen "Liquidation" zu seinem komplexesten Roman. Er erinnert manchmal fast an die virtuosen Vexierspiele, mit denen Philip Roth jüdische Identität und autobiographische Erfahrungen fiktionalisierte; aber Kertész verrät dabei nie seinen Ernst und seine moralische Skepsis um der Provokation willen.

"Seine Geschichte war zu Ende, ihn selbst aber gab es noch, und das war ein Problem": Wie mit der Erinnerung an Auschwitz umgehen, wenn sich alle Wirklichkeit verflüchtigt? Wie Subjekt sein, wenn trotzige Verweigerung und unversöhntes Außenseitertum als Identitätskern ausfallen? B. und sein Bewunderer Keserü sind spiegelbildlich aufeinander bezogene Möglichkeiten des Umgangs mit dem Holocaust. B. wollte Auschwitz in und mit seinem Leben überwinden und wurde wider Willen zum Schriftsteller, sogar zum Komödienschreiber, weil der "total reduzierte Mensch, anders gesagt: der Überlebende" kein tragisches Schicksal hat. Er hielt sich durch seine radikale Negation "unschuldig wie eine alte Jungfer"; aber durch Schweigen, Erinnern und Dulden versäumte er auch ein Leben, das ihm nicht mehr als ein tristes Dahinvegetieren voller Kompromisse, Schuld und Scham sein zu können schien. Keserü ist B.s "ferner, bildloser Traum" und Kertész' anderes Alter ego, ein Schriftgelehrter, der die Welt nur durch und als Literatur wahrnimmt. "Die Menschen leben wie die Würmer", sagt er, "aber sie schreiben wie die Götter." Er freilich ist nur "ein Hausaufgaben verbessernder Sklave, ein starblinder Korrektor", eine in jeder Hinsicht parasitäre, sekundäre, voyeuristische Figur. Nicht zufällig teilt er mit seinem Idol nicht nur Bücher und Beruf, sondern auch die Geliebten. B.s Selbstmord erspart ihm den eigenen; B.s Roman würde ihn zum Schriftsteller machen, B.s Apathie reizt ihn - eher aus Ekel, Langeweile und "reinem Spieltrieb" als aus Überzeugung oder gar Hoffnung - zu einer "action gratuit": Er lehnt das Buch eines Apparatschiks ab und verspielt dadurch seine Karriere und seine Ehe. Keserü will mit "reuevollem Eifer" die Schuld der Welt auf sich nehmen, aber zum Erlöser fehlt ihm die Entschlußkraft, zum Märtyrer die eigene Erfahrung, zum Überleben der Wille: Er bleibt der beflissene, zu Unrecht berühmte Philologe von Auschwitz.

Judit, Jüdin der zweiten Generation, entzieht sich dem mephistophelischen Spiel der alten Männer, die Liebe und Leben als Spielmarken im Lagerpoker einsetzen. Ihr B. war zuletzt so verbittert, daß er nicht einmal mit ihr nach Florenz reisen wollte; in seiner negativen Ästhetik war selbst ein Michelangelo durch die "Kunst des Mordens" böse geworden. Judit verläßt ihren "Bräutigam Auschwitz" und wird mit einem reichen Architekten glücklich. Der Vergangenheit kann auch sie nicht entkommen, aber doch ihrer sinnlosen, selbstzerstörerischen Wiederholung. Das Leben kann nur weitergehen, wenn der Bann der Vergangenheit gelöst, das Böse liquidiert wird. "Gehe weiter - Abbrechen": Die beiden Optionen des Textverarbeitungsprogramms sind das letzte, was auf Keserüs Monitor aufleuchtet. Man kann die Geschichte nicht fortsetzen und keine neue anfangen; beides ist gleich unmöglich. Aber "nur wenn unsere Geschichten erzählt werden, können wir erfahren, daß unsere Geschichten zu Ende sind, sonst würden wir weiterleben, als ob wir etwas fortsetzten (beispielweise unsere Geschichte), das heißt also, im Irrtum leben". Schreiben nach Auschwitz bleibt für Kertész ein unauflösliches Paradox. In "Liquidation" aber hat er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen und seinen Auschwitz-Zyklus mit einem würdigen Schlußstein gekrönt. "Ein großer Schriftsteller", sagt sein tragischer Sancho Pansa Keserü einmal, "hinterläßt kein unvollendetes Werk."

Imre Kertész: "Liquidation". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Laszlo Kornitzer und Ingrid Krüger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 142 S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Iris Radisch sieht das Ende einer Epoche gekommen: "Romane von solcher Ernsthaftigkeit über das größte Verbrechen der menschlichen Geschichte" werde es zukünftig nicht mehr geben, Bücher, die nicht von der Wirklichkeit - "im alten, sonntäglichen Sinn des Wortes" - handeln können, weil die Wirklichkeit seit Auschwitz den Mördern gehört, Bücher, die von der Zerstörung nicht nur handeln, sondern in ihr wurzeln. Imre Kertesz habe mit "Liquidation" ein weiteres dieser Bücher geschrieben, einen Roman, der hässlich ist, weil er hässlich sein muss, eine Geschichte voll "narrativer Unfreundlichkeit" - große Literatur. Sie handelt nach dem bezeugenden "Roman eines Schicksallosen" dieses Mal von Nachgeborenen, "die den Ursprung ihrer Verletzung kaum kennen", von einem Schriftsteller, der "nichts erzählen kann außer der Geschichte einer Zerstörung, die namenlos bleibt". Was bleibt in der Welt nach Auschwitz, wenn es keine Zeugen mehr gibt, nur noch den stummen Griff der Zerstörung? Der Schriftsteller tötet sich selbst und hinterlässt ein Theaterstück, das sich Jahre nach seinem Tod als Prophezeiung erweist; sein Romanmanuskript aber lässt er verbrennen, vielleicht, um Raum für die Möglichkeit eines anderen Weiterlebens zu schaffen, für das Glück, auch nach Auschwitz, schreibt Radisch. "Kertesz ist kein Fanatiker", erklärt sie - "Liquidation ist ein einzigartiges literarisches, menschliches und historisches Dokument, das hellsichtig genug ist, von seiner eigenen Auslöschung zu handeln."

© Perlentaucher Medien GmbH
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In «Liquidation» hat Kertész seinen Auschwitz-Zyklus mit einem würdigen Schlussstein gekrönt. Frankfurter Rundschau