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Produktdetails
  • Stauffenburg Colloquium 20
  • Verlag: Stauffenburg
  • 1994.
  • Seitenzahl: 263
  • Deutsch
  • Abmessung: 150mm x 225mm
  • Gewicht: 388g
  • ISBN-13: 9783923721269
  • ISBN-10: 3923721269
  • Artikelnr.: 05370730
Autorenporträt
Robert Weninger ist Professor für Neuere Deutsche Literatur am King's College der Universität London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.1995

Das Buch ist tot, der Autor lebt
Schöne Theorie: Robert Weninger rehabilitiert den guten Geschmack

Nach Jahren wilder Aufgeregtheit ist es an der literaturtheoretischen Front ruhig geworden. Der grundlegende Prozeß der letzten hundert Jahre - der Paradigmawechsel von einer auf den Autor fixierten Geistesgeschichte über eine auf das Werk fixierte Strukturanalyse zu einer auf den Leser fixierten Literatursoziologie und Rezeptionsästhetik - hat seinen vorläufigen Abschluß in den poststrukturalistischen Theorien gefunden, wonach ein Kunstwerk von sich aus weder Wahrheit noch Einheit noch Sinn verbürgen kann. Statt dessen soll sie in eine von den Deutungsinteressen der Leser gestiftete, potentiell beliebige Vielfalt von Realismen zerfallen. In diesen Problemhorizont tritt Robert Weninger ein mit seiner Untersuchung des Begriffs der literarischen Konvention.

Das "Konventionelle" hat im Deutschen den Beigeschmack des Trivialen und Gewöhnlichen. Anders in der angelsächsischen Literaturtheorie, deren Erträge, ausgehend von den Thesen des originellen Stanley Fish, Weninger für die auf diesem Felde nachhinkende deutsche Germanistik fruchtbar machen will. Der Begriff der Konvention wird als der entscheidende Vermittlungsbegriff zwischen Werk und Leser vorgestellt. Konventionen sind weitflächig wirksame Übereinkünfte darüber, was als "schön", "gelungen" oder "geschmackvoll" gilt und was nicht. Ohne Konventionen, die gemeinsame Bezugsebenen sichern, gibt es kein Verstehen.

Der Interpret ist deshalb nie frei. Seine vermeintliche Subjektivität steht ebenso wie seine vermeintliche Objektivität immer im Banne der Konventionen. Er sucht oder findet de facto nie die "Wahrheit" eines Kunstwerks, sondern nur die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit seinen rezeptionsleitenden Vor-Urteilen.

Weninger referiert sehr kundig und klar die im Grunde abschreckend abstrakten deutschen und angelsächsischen Theoriedebatten, um sich dann für einen vernünftigen Mittelweg zu entscheiden. Zwischen Autorabsicht, Werkstruktur, Werkkontext und Leservorerwartung walten derart komplizierte Beziehungen, daß sie nicht mit einem Machtspruch zugunsten einer Schule, nicht mit einem "Der Autor ist tot!" oder "Das Werk ist tot!" aus der Welt zu schaffen sind. Daß auch die Konventionen nichts Feststehendes sind, sondern ein unter dem Einfluß nicht zuletzt der Autoren und ihrer Werke sich Wandelndes, ist der Grundertrag dieser Studie. Sie gibt damit der deutschen idealistischen Tradition, die auf Wahrheit, Werk und Autor setzt, wenigstens einen Teil ihrer Würde zurück.

Das tut sie auch in ihren historischen Abschnitten, die die Konventionen der Antikerezeption zum Gegenstand haben. Es zeigt sich, daß die Bezugsebenen, unter denen Antike verstanden wurde, sich einerseits von normativer Vorbildlichkeit zu antiquierter Musealität entwickeln, andererseits aber auch vom Zwang der Normalität zum frei verfügbaren Exempelvorrat, mit dem man umgehen kann, wie man will - wie Freud mit Ödipus zum Beispiel oder Christa Wolf mit Kassandra.

"Wir Postmodernen", meint Robert Weninger abschließend, erholen uns einerseits von den Folgen der Originalitätsästhetik, indem wir eine Konventions-Ästhetik an ihre Stelle setzen, versuchen aber zugleich, einer Selbstentmündigung zu widerstehen, indem wir uns stets der ideologischen Indoktrinationskraft von Konventionen und ihrer disziplinierenden Funktionen vergewissern. Wer vergewissert sich da? Es kann sich eigentlich nur um das kritische, mündige Subjekt handeln, das sich gut aufklärerisch gegen die Disziplinierung wehrt. Zum Glück bleibt es unentbehrlich, der Postmoderne zum Trotz. HERMANN KURZKE

Robert Weninger: "Literarische Konventionen". Theoretische Modelle. Historische Anwendung. Stauffenberg Verlag, Tübingen 1994. 263 S., br., 78,- DM.

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