Die medientechnologische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat auch das wissenschaftliche und literarische Arbeiten revolutioniert. Öffentliche Plagiatsdebatten um 'die Fälle' zu Guttenberg oder Helene Hegemann, aber auch der an den Universitäten schwelende Kampf um Open Access haben die Frage, ob das 21. Jahrhundert ein neues Urheberrechtsdenken braucht, ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt.In gewohnter Prägnanz und Scharfzüngigkeit begleitet der Spezialist auf dem Gebiet des Plagiats die aktuellen Diskussionen mit seinen eigenen Überlegungen und legt ihre Hintergründe offen. Sein Plädoyer für eine neue Textethik im digitalen Zeitalter versteht sich als konstruktiver Beitrag zur öffentlichen und politischen Diskussion.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2012Schreiben und Surfen
Philipp Theisohn verteidigt das literarische Eigentum
In den Wochen, in denen Karl-Theodor zu Guttenberg nicht begreifen wollte, warum man einem, der die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens nicht verstanden hatte, auch die Armee nicht länger anvertrauen mochte, kursierte das Bonmot, der eigentliche Skandal seien die nicht abgeschriebenen Passagen der Dissertation des Verteidigungsministers. Der Satz verstellte nicht nur die billigen Ausreden – Übersicht verloren, nicht bewusst getäuscht –, sondern wies charmant auf ein grundsätzliches Problem hin, das durch die Aufdeckung der Plagiate nur sichtbar, aber mit der Enthüllung noch lange nicht hinreichend diagnostiziert worden war. Wie steht es mit der Ethik geistigen Arbeitens, wenn die Plagiatsfälle sich häufen? Besteht das Vergehen des Freiherrn allein in fehlenden Anführungszeichen und Fußnoten? Ist es interessant lediglich als Fehltritt eines Prominenten oder auch als Symptom?
Fragen wie diese bedenkt der Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn in seinem außergewöhnlich scharfsinnigen Essay „Literarisches Eigentum“. Er mustert noch einmal die Skandale um Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“, um die Dissertationen von Koch-Mehrin, zu Guttenberg und Chatzimarkakis, er rekapituliert die Debatte um „Open Access“ und nutzt seine Beobachtungen für eine Zeitdiagnose, die kennen sollte, wer vernünftig über Plagiat und Urheberrecht reden will. Es geht dem Autor um Zusammenhänge „zwischen dem gesellschaftlichen Stellenwert des Schreibens, den sich im Umlauf befindenden Vorstellungen von geistigem Eigentum und den Möglichkeiten computerisierter Textproduktion“.
In der öffentlichen Debatte dienen starke Vorannahmen über den Stand der medienhistorischen Entwicklung oft dazu, es sich bequem zu machen und nicht so genau hinzuschauen. Den einen scheint die wunderbare Netzkultur ein Tummelplatz der Räuber, die anderen sehen in der „Verfahrenslogik der digitalen Speichermedien“ die Verfassung des 21. Jahrhunderts vorgebildet, der man sich anzupassen habe, wenn man nicht als Reaktionär den Gang der Dinge stören will. Theisohn verweigert beiden die Gefolgschaft. Ob man fürchte oder wünsche – die „Macht des Mediums“ sei allemal kleiner als angenommen. Die Digitalisierung habe kein neues Übel in die Welt gebracht, wohl aber Probleme „im Umgang mit Literatur“ vergrößert.
Philipp Theisohn kennt sich aus mit dem literarischen Plagiat. Ihm hatte er 2009 seine „unoriginelle Literaturgeschichte“ gewidmet (SZ vom 11. Februar 2010). Historisch informiert konstatiert er in den gegenwärtigen Plagiatsdiskussionen einen bemerkenswerte Trennung von Text und Person. Die Helden der Online-Plattform Guttenplag Wiki überführten den Plagiator durch Stellenvergleich, eine Art Rasterfahndung, agierten aber so, „als seien sie potenziell auch durch intelligente Software ersetzbar“. In die direkte Auseinandersetzung mit dem Delinquenten aber traten sie nicht ein. Die Ächtung wurde von anderen vollzogen, die dankbar auf die Vorarbeiten im Netz zurückgriffen, sich auf die Evidenz der „Prozentzahlen und Balkengrafiken“ beriefen.
Diese Arbeitsteilung machte es zu Guttenberg leicht, zwischen sich als öffentlicher Person und dem Verfasser einer missglückten Dissertation zu unterscheiden. Das Textverständnis, das der Fahndung zugrunde lag, suggerierte, „dass das Eigene und das Fremde digitale Werte seien, sich zueinander wie 0/1 verhielten“. Alle Passagen, Absätze, Kapitel wurden behandelt wie Informationen – Sätze ohne Urheber. Die „Technokratisierung des Plagiatsbegriffs“ könne leicht zu einer „vollkommenen Desensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber dem literarischen Eigentum“ führen. Man erinnere sich an den gewaltigen Aufwand, den es brauchte, um den Verletzer akademischer Normen zum Rücktritt zu veranlassen. Die Verantwortung hat er bis heute nicht übernommen, sieht sich immer noch als Opfer seiner Datenträger. Es ist kein Zufall, dass dieses Argument von einem Politiker gebraucht wird, dem viele „Charisma“ attestieren.
Gegen das Auseinandertreten von Person und Text, gegen die „Entpersönlichung der Literatur“ und die ihr komplementäre „Entliterarisierung der Persönlichkeit“ bietet Theisohns Essay eine emphatische Vorstellung von „geistiger Arbeit“ auf. „Literarisches Eigentum“ ist eben nicht, wie der unterschwellig immer populäre Rousseauismus nahelegt, Diebstahl, sondern Folge einer Aneignung, Produkt von Arbeit, dem „Errichten und Überwinden von Barrieren“.
Die Aufspaltung in ein „schreibendes Es“ und ein „repräsentierendes Ich“ verfolgt der Essay zurückhaltend im Ton, scharf in der Sache auch anhand von Helene Hegemanns gefeiertem Buch „Axolotl Roadkill“. Der Erfolg des Romans beruhte auf Authentizitätsvermutungen und der Persönlichkeit der Autorin, die Träume des Kulturbetriebs zu verkörpern schien. Zur Verteidigung gegen Plagiatsvorwürfe aber wurde das Prinzip der Intertextualität bemüht. Philipp Theisohn findet das unehrlich, zeige der Roman wie die Plagiatserzählung seiner Verteidiger doch deutlich, dass man mit dem Spiel, das wir Literatur nennen und das eben wesentlich im Umschreiben, Weiterschreiben, Überschreiben besteht, nichts mehr anzufangen wusste, weil man ihm nichts mehr hinzuzufügen hatte.
Nur als Autor verdienen will man noch, da braucht es dann doch die literarische Maske. Oder eben im Fall der Politikerdissertationen das „Wissenschaftskostüm“ – als gehe es bei einer Doktorarbeit allein nur um korrektes Zitieren, nicht um Erkenntnis. Zu Guttenberg habe, so Theisohns einleuchtende Vermutung, die Regeln des politischen Sprechens, das selbstverständlich auf fremder Expertise beruht, auf das wissenschaftliche Schreiben übertragen. Sein Charisma bestehe in der zur Schau getragenen Verachtung für Informationsapparaturen, für den politischen Betrieb und erst recht für die Fußnotenzähler.
Verachtung oder doch wenigstens Missachtung der Schreibenden ist indes auch im akademischen Raum weit verbreitet, gefördert durch die „rein informationelle Wahrnehmung wissenschaftlicher Texte“, durch Nicht-Lesen und eine Kommunikation, die weit entfernt ist vom Ideal des gelehrten Gesprächs. „Man verständigt sich nicht mehr untereinander, sondern signalisiert nur noch, dass der Empfangskanal prinzipiell offen wäre.“
Die großartige Erweiterung des Textgedächtnisses durch Digitalisierung, die rascheres, weiter ausgreifendes Arbeiten ermöglicht, führt zugleich die Gefahr mit sich, die Umwege des Lesens, des Exzerpierens, der Aneignung durch Scannen, Durchsuchen, Kopieren zu ersetzen. Das hat seine Vorteile, aber auch Schattenseiten, wenn die Referenz den Dialog, Korrekturen die Kritik ersetzen. Wie sähe eine Kultur der literarischen Aufmerksamkeit heute aus, die die Freiheitsgewinne der digitalen Welt weder ausschlägt noch sich ihnen blind überlässt? Auf diese Frage läuft Philipp Theisohns kluger Essay zu. Wenn die Mitglieder der Piratenpartei daran interessiert sind, auf der Höhe der Zeit zu bleiben, würden sie diesen Autor als Experten zu gewinnen suchen.
JENS BISKY
PHILIPP THEISOHN: Literarisches Eigentum. Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter. Essay. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2012. 137 Seiten, 11,90 Euro.
Auch im digitalen Zeitalter
sollten Text und Person
nicht getrennt werden
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Philipp Theisohn verteidigt das literarische Eigentum
In den Wochen, in denen Karl-Theodor zu Guttenberg nicht begreifen wollte, warum man einem, der die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens nicht verstanden hatte, auch die Armee nicht länger anvertrauen mochte, kursierte das Bonmot, der eigentliche Skandal seien die nicht abgeschriebenen Passagen der Dissertation des Verteidigungsministers. Der Satz verstellte nicht nur die billigen Ausreden – Übersicht verloren, nicht bewusst getäuscht –, sondern wies charmant auf ein grundsätzliches Problem hin, das durch die Aufdeckung der Plagiate nur sichtbar, aber mit der Enthüllung noch lange nicht hinreichend diagnostiziert worden war. Wie steht es mit der Ethik geistigen Arbeitens, wenn die Plagiatsfälle sich häufen? Besteht das Vergehen des Freiherrn allein in fehlenden Anführungszeichen und Fußnoten? Ist es interessant lediglich als Fehltritt eines Prominenten oder auch als Symptom?
Fragen wie diese bedenkt der Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn in seinem außergewöhnlich scharfsinnigen Essay „Literarisches Eigentum“. Er mustert noch einmal die Skandale um Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“, um die Dissertationen von Koch-Mehrin, zu Guttenberg und Chatzimarkakis, er rekapituliert die Debatte um „Open Access“ und nutzt seine Beobachtungen für eine Zeitdiagnose, die kennen sollte, wer vernünftig über Plagiat und Urheberrecht reden will. Es geht dem Autor um Zusammenhänge „zwischen dem gesellschaftlichen Stellenwert des Schreibens, den sich im Umlauf befindenden Vorstellungen von geistigem Eigentum und den Möglichkeiten computerisierter Textproduktion“.
In der öffentlichen Debatte dienen starke Vorannahmen über den Stand der medienhistorischen Entwicklung oft dazu, es sich bequem zu machen und nicht so genau hinzuschauen. Den einen scheint die wunderbare Netzkultur ein Tummelplatz der Räuber, die anderen sehen in der „Verfahrenslogik der digitalen Speichermedien“ die Verfassung des 21. Jahrhunderts vorgebildet, der man sich anzupassen habe, wenn man nicht als Reaktionär den Gang der Dinge stören will. Theisohn verweigert beiden die Gefolgschaft. Ob man fürchte oder wünsche – die „Macht des Mediums“ sei allemal kleiner als angenommen. Die Digitalisierung habe kein neues Übel in die Welt gebracht, wohl aber Probleme „im Umgang mit Literatur“ vergrößert.
Philipp Theisohn kennt sich aus mit dem literarischen Plagiat. Ihm hatte er 2009 seine „unoriginelle Literaturgeschichte“ gewidmet (SZ vom 11. Februar 2010). Historisch informiert konstatiert er in den gegenwärtigen Plagiatsdiskussionen einen bemerkenswerte Trennung von Text und Person. Die Helden der Online-Plattform Guttenplag Wiki überführten den Plagiator durch Stellenvergleich, eine Art Rasterfahndung, agierten aber so, „als seien sie potenziell auch durch intelligente Software ersetzbar“. In die direkte Auseinandersetzung mit dem Delinquenten aber traten sie nicht ein. Die Ächtung wurde von anderen vollzogen, die dankbar auf die Vorarbeiten im Netz zurückgriffen, sich auf die Evidenz der „Prozentzahlen und Balkengrafiken“ beriefen.
Diese Arbeitsteilung machte es zu Guttenberg leicht, zwischen sich als öffentlicher Person und dem Verfasser einer missglückten Dissertation zu unterscheiden. Das Textverständnis, das der Fahndung zugrunde lag, suggerierte, „dass das Eigene und das Fremde digitale Werte seien, sich zueinander wie 0/1 verhielten“. Alle Passagen, Absätze, Kapitel wurden behandelt wie Informationen – Sätze ohne Urheber. Die „Technokratisierung des Plagiatsbegriffs“ könne leicht zu einer „vollkommenen Desensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber dem literarischen Eigentum“ führen. Man erinnere sich an den gewaltigen Aufwand, den es brauchte, um den Verletzer akademischer Normen zum Rücktritt zu veranlassen. Die Verantwortung hat er bis heute nicht übernommen, sieht sich immer noch als Opfer seiner Datenträger. Es ist kein Zufall, dass dieses Argument von einem Politiker gebraucht wird, dem viele „Charisma“ attestieren.
Gegen das Auseinandertreten von Person und Text, gegen die „Entpersönlichung der Literatur“ und die ihr komplementäre „Entliterarisierung der Persönlichkeit“ bietet Theisohns Essay eine emphatische Vorstellung von „geistiger Arbeit“ auf. „Literarisches Eigentum“ ist eben nicht, wie der unterschwellig immer populäre Rousseauismus nahelegt, Diebstahl, sondern Folge einer Aneignung, Produkt von Arbeit, dem „Errichten und Überwinden von Barrieren“.
Die Aufspaltung in ein „schreibendes Es“ und ein „repräsentierendes Ich“ verfolgt der Essay zurückhaltend im Ton, scharf in der Sache auch anhand von Helene Hegemanns gefeiertem Buch „Axolotl Roadkill“. Der Erfolg des Romans beruhte auf Authentizitätsvermutungen und der Persönlichkeit der Autorin, die Träume des Kulturbetriebs zu verkörpern schien. Zur Verteidigung gegen Plagiatsvorwürfe aber wurde das Prinzip der Intertextualität bemüht. Philipp Theisohn findet das unehrlich, zeige der Roman wie die Plagiatserzählung seiner Verteidiger doch deutlich, dass man mit dem Spiel, das wir Literatur nennen und das eben wesentlich im Umschreiben, Weiterschreiben, Überschreiben besteht, nichts mehr anzufangen wusste, weil man ihm nichts mehr hinzuzufügen hatte.
Nur als Autor verdienen will man noch, da braucht es dann doch die literarische Maske. Oder eben im Fall der Politikerdissertationen das „Wissenschaftskostüm“ – als gehe es bei einer Doktorarbeit allein nur um korrektes Zitieren, nicht um Erkenntnis. Zu Guttenberg habe, so Theisohns einleuchtende Vermutung, die Regeln des politischen Sprechens, das selbstverständlich auf fremder Expertise beruht, auf das wissenschaftliche Schreiben übertragen. Sein Charisma bestehe in der zur Schau getragenen Verachtung für Informationsapparaturen, für den politischen Betrieb und erst recht für die Fußnotenzähler.
Verachtung oder doch wenigstens Missachtung der Schreibenden ist indes auch im akademischen Raum weit verbreitet, gefördert durch die „rein informationelle Wahrnehmung wissenschaftlicher Texte“, durch Nicht-Lesen und eine Kommunikation, die weit entfernt ist vom Ideal des gelehrten Gesprächs. „Man verständigt sich nicht mehr untereinander, sondern signalisiert nur noch, dass der Empfangskanal prinzipiell offen wäre.“
Die großartige Erweiterung des Textgedächtnisses durch Digitalisierung, die rascheres, weiter ausgreifendes Arbeiten ermöglicht, führt zugleich die Gefahr mit sich, die Umwege des Lesens, des Exzerpierens, der Aneignung durch Scannen, Durchsuchen, Kopieren zu ersetzen. Das hat seine Vorteile, aber auch Schattenseiten, wenn die Referenz den Dialog, Korrekturen die Kritik ersetzen. Wie sähe eine Kultur der literarischen Aufmerksamkeit heute aus, die die Freiheitsgewinne der digitalen Welt weder ausschlägt noch sich ihnen blind überlässt? Auf diese Frage läuft Philipp Theisohns kluger Essay zu. Wenn die Mitglieder der Piratenpartei daran interessiert sind, auf der Höhe der Zeit zu bleiben, würden sie diesen Autor als Experten zu gewinnen suchen.
JENS BISKY
PHILIPP THEISOHN: Literarisches Eigentum. Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter. Essay. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2012. 137 Seiten, 11,90 Euro.
Auch im digitalen Zeitalter
sollten Text und Person
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Interessiert hat Rezensent Uwe Justus Wenzel die nun unter dem Titel "Literarisches Eigentum" erschienenen Ausführungen des Literatur- und Kulturwissenschaftlers Philipp Theisohn "Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter" gelesen. Die Ursache für den von Theisohn diagnostizierten, verstärkten "Plagiarismus" der Gegenwart sehe der Autor darin, dass wir als "computerisierte User" die Anstrengungen eigener Lese- und Denkerfahrungen an das "Informationsmeer" Internet abgegeben hätten und so verleitet würden, Texte ohne den Nachvollzug kompletter Gedankengänge nur noch unter dem Aspekt der Verwertbarkeit von Informationssplittern zu rezipieren. Gehaltvoller als den Appell an einen respektvolleren Umgang mit der Autorschaft findet der Kritiker aber Theisohns anhand von Beispielen aus Kunst, Politik und Wissenschaft vollzogene Analyse der Verantwortungslosigkeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2012Fertigbaukästen unterhalten zu ihren Benutzern eher unpersönliche Beziehungen
Philipp Theisohn führt in einem exzellenten Essay vor Augen, was sich aus prominenten Plagiatsfällen über den Umgang mit geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter lernen lässt
Was haben die Titel "Informationeller Globalismus ... am Beispiel des elektronischen Geschäftsverkehrs", "Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik" und "Ökologische Modernisierung der PVC-Branche in Deutschland" gemeinsam? Es sind Dissertationen dreier Politiker, die in den letzten Jahren in Plagiatsverdacht gerieten. Es sind Arbeiten, die von ihren Autoren in dem Bewusstsein geschrieben wurden, dass kaum jemand sie lesen würde. Und es sind Texte, zu denen ihre Autoren vermutlich selbst kein besonders inniges Verhältnis hatten. Genau hier liegt die tiefere Ursache des anschwellenden Plagiarismus: in der Indifferenz zwischen Publikum, Autor und Text.
Zwischen dem Heer der anonymen Plagiatsjäger im Internet, die Texte in die Form von Strichcodes bringen, und den öffentlichen Talkshow-Tribunalen, in denen die Tabellen und Graphen als Beweis und Lektüreersatz herumgereicht werden, versinkt der Text wie in einem Abgrund. Einmal geht es um einen Verdacht, der auszuräumen oder zu bestätigen ist, das andere Mal um eine Persönlichkeit, die zu entwerten oder zu bestätigen ist, und zuletzt um einen Titel und ein Amt, die zu verteidigen sind. Worum es durchweg nicht geht, ist das Verständnis des Textes.
Sollte es darum gehen? Reicht beim Plagiat nicht das formale Kriterium? Der Züricher Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn, der vor einigen Jahren schon eine gewichtige Literaturgeschichte des Plagiats vorlegte, hat in einem glänzenden Essay die strukturellen Ursachen hinter den Plagiatsfällen herausgearbeitet. Er verneint die zweite Frage, weil er das Plagiatsverfahren in einer zunächst leicht überzogen wirkenden Form als Paradigma für den allgemeinen Umgang mit geistiger Arbeit betrachtet. Es hat sich hier etwas fundamental geändert. Die Tendenz geht insgesamt auf die bloße Kenntnisnahme von gesichtslosen Texten, an denen nur die nackte Existenz interessiert.
Der Kern des Problems, das zeigen die Plagiatsverfahren wie im Brennglas, ist die Umwandlung von Texten in Informationen, in kontextfreie, modulartige Bausteine, die den Bezug zu ihrem geistigen Schöpfer nicht mehr erkennen lassen und den Sinn für seine geistige Arbeit erodieren. Die informationelle Lesart bedeutet eine Entsubjektivierung. Der Text verliert seine individuelle Form und löst sich auf in eine konturlose Masse für objektiv gehaltener Bausteine, die nicht mehr gedeutet, sondern nur noch verwendet werden wollen. Plagiatsverfahren sind bei Theisohn Musterbeispiele dieser rein mathematischen "Lektüre".
Im Fall Guttenberg, der seine politische Karriere schon ganz unabhängig von seiner wissenschaftlichen Verfehlung glaubte, war die Entfremdung des Autors von seinem Text in Extremform zu erleben: als Schizophrenie eines Mannes, der sich vom Eingeständnis seines Regelverstoßes als Akademiker Nachsicht für seine Rolle als Politiker versprach.
Beim Politiker wird die Delegation des Schreibens üblicherweise nicht beanstandet. Politikerreden behaupten weder originäre Erkenntnis noch persönliche Autorschaft. Für problematisch hält Theisohn das Delegationsprinzip aber schon. Politiker, die nicht schreiben, hätten keinen Sinn für den Widerstand der Realität bei der Umformung in Sprache. Ein laxer Umgang mit dem Urheberrecht sei die logische Konsequenz. Auf der einen Seite sieht man den hilflos überforderten Doktoranden im Meer der Daten schwimmen, auf der anderen Seite steht der Minister, der Wissenspartikel charismatisch färbt und sie allein deshalb für die eigenen hält.
Theisohn folgt den Spaltlinien mit sicherem Gespür für ihre paradoxen Effekte. Auf dem Feld der Literatur zeigt er an einer mustergültigen Nachbearbeitung des Falls Hegemann, welche Folgen der Unterscheidungsverlust zwischen äußerer und literarischer Wirklichkeit auf ästhetischer und materieller Ebene hat. Man sieht eine Autorin, die sich von einer vollkommen vorgestalteten Welt umgeben fühlt und meint, nur noch schöpferisch tätig sein zu können, wenn sie frei von urheberrechtlichen Hindernissen in diesen Fertigbaukasten hineingreifen kann, während sie sich andererseits als bloße Quersumme äußerer Einflüsse ausgibt. Auf der dritten Ebene, der des Romans, werden die jungen Helden schließlich von unverdauten Realitäts- und Theoriebrocken verschluckt, ohne eine geistige Zutat erkennen zu lassen. Es endet in dem Paradox, dass einerseits ein Naturrecht auf Kopie reklamiert wird, während das Recht, aus der geistigen Arbeit bei der Umformung der Natur ein Eigentumsrecht abzuleiten, bestritten wird. Und bei dem Widerspruch, dass eine Autorin ihre Persönlichkeit für den Schreibprozess völlig negiert, während sie auf dem literarischen Markt ein starkes Ego problemlos für sich in Anspruch nimmt, soundverstärkt als Stimme einer Generation.
Das allgemeine Problem, so Theisohn, liegt in einem Umfeld, das Literatur nur nach formalen Kriterien bemisst. Die größte Gefahr sieht er von Texten ausgehen, die äußeren Kriterien genügen, aber keinen Funken Individualität und Engagement mehr erkennen lassen. Solche Literatur darf nicht damit rechnen, dass ihr Anspruch auf Anerkennung als geistiges Eigentum Gehör findet.
Theisohns Plädoyer für eine neue, hermeneutisch inspirierte Textethik kann man nur unterschreiben. Aber er weiß auch, dass das ethische Problem in vielem ein medientechnisches ist. Dahinter steht das posthumanistische Medium, das an der Entgrenzung und Neutralisierung der Texte arbeitet. Wenn man die Wirklichkeit komplett im digitalen Speichermedium aufgehoben meint, wächst auch der Glaube, die Informationsbestände nur noch neu verknüpfen zu müssen. Weil die Maschinen dabei die Hauptarbeit übernehmen, verliert sich der Gedanke von Arbeit als geformter Natur wie der eines daraus erwachsenen geistigen Eigentums. Das Urheberrechtsproblem ist nur ein Schattengewächs der Formatierung des Geistes.
THOMAS THIEL
Philipp Theisohn: "Literarisches Eigentum". Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter.
Kröner Verlag, Stuttgart 2012. 132 S., br., 11,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philipp Theisohn führt in einem exzellenten Essay vor Augen, was sich aus prominenten Plagiatsfällen über den Umgang mit geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter lernen lässt
Was haben die Titel "Informationeller Globalismus ... am Beispiel des elektronischen Geschäftsverkehrs", "Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik" und "Ökologische Modernisierung der PVC-Branche in Deutschland" gemeinsam? Es sind Dissertationen dreier Politiker, die in den letzten Jahren in Plagiatsverdacht gerieten. Es sind Arbeiten, die von ihren Autoren in dem Bewusstsein geschrieben wurden, dass kaum jemand sie lesen würde. Und es sind Texte, zu denen ihre Autoren vermutlich selbst kein besonders inniges Verhältnis hatten. Genau hier liegt die tiefere Ursache des anschwellenden Plagiarismus: in der Indifferenz zwischen Publikum, Autor und Text.
Zwischen dem Heer der anonymen Plagiatsjäger im Internet, die Texte in die Form von Strichcodes bringen, und den öffentlichen Talkshow-Tribunalen, in denen die Tabellen und Graphen als Beweis und Lektüreersatz herumgereicht werden, versinkt der Text wie in einem Abgrund. Einmal geht es um einen Verdacht, der auszuräumen oder zu bestätigen ist, das andere Mal um eine Persönlichkeit, die zu entwerten oder zu bestätigen ist, und zuletzt um einen Titel und ein Amt, die zu verteidigen sind. Worum es durchweg nicht geht, ist das Verständnis des Textes.
Sollte es darum gehen? Reicht beim Plagiat nicht das formale Kriterium? Der Züricher Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn, der vor einigen Jahren schon eine gewichtige Literaturgeschichte des Plagiats vorlegte, hat in einem glänzenden Essay die strukturellen Ursachen hinter den Plagiatsfällen herausgearbeitet. Er verneint die zweite Frage, weil er das Plagiatsverfahren in einer zunächst leicht überzogen wirkenden Form als Paradigma für den allgemeinen Umgang mit geistiger Arbeit betrachtet. Es hat sich hier etwas fundamental geändert. Die Tendenz geht insgesamt auf die bloße Kenntnisnahme von gesichtslosen Texten, an denen nur die nackte Existenz interessiert.
Der Kern des Problems, das zeigen die Plagiatsverfahren wie im Brennglas, ist die Umwandlung von Texten in Informationen, in kontextfreie, modulartige Bausteine, die den Bezug zu ihrem geistigen Schöpfer nicht mehr erkennen lassen und den Sinn für seine geistige Arbeit erodieren. Die informationelle Lesart bedeutet eine Entsubjektivierung. Der Text verliert seine individuelle Form und löst sich auf in eine konturlose Masse für objektiv gehaltener Bausteine, die nicht mehr gedeutet, sondern nur noch verwendet werden wollen. Plagiatsverfahren sind bei Theisohn Musterbeispiele dieser rein mathematischen "Lektüre".
Im Fall Guttenberg, der seine politische Karriere schon ganz unabhängig von seiner wissenschaftlichen Verfehlung glaubte, war die Entfremdung des Autors von seinem Text in Extremform zu erleben: als Schizophrenie eines Mannes, der sich vom Eingeständnis seines Regelverstoßes als Akademiker Nachsicht für seine Rolle als Politiker versprach.
Beim Politiker wird die Delegation des Schreibens üblicherweise nicht beanstandet. Politikerreden behaupten weder originäre Erkenntnis noch persönliche Autorschaft. Für problematisch hält Theisohn das Delegationsprinzip aber schon. Politiker, die nicht schreiben, hätten keinen Sinn für den Widerstand der Realität bei der Umformung in Sprache. Ein laxer Umgang mit dem Urheberrecht sei die logische Konsequenz. Auf der einen Seite sieht man den hilflos überforderten Doktoranden im Meer der Daten schwimmen, auf der anderen Seite steht der Minister, der Wissenspartikel charismatisch färbt und sie allein deshalb für die eigenen hält.
Theisohn folgt den Spaltlinien mit sicherem Gespür für ihre paradoxen Effekte. Auf dem Feld der Literatur zeigt er an einer mustergültigen Nachbearbeitung des Falls Hegemann, welche Folgen der Unterscheidungsverlust zwischen äußerer und literarischer Wirklichkeit auf ästhetischer und materieller Ebene hat. Man sieht eine Autorin, die sich von einer vollkommen vorgestalteten Welt umgeben fühlt und meint, nur noch schöpferisch tätig sein zu können, wenn sie frei von urheberrechtlichen Hindernissen in diesen Fertigbaukasten hineingreifen kann, während sie sich andererseits als bloße Quersumme äußerer Einflüsse ausgibt. Auf der dritten Ebene, der des Romans, werden die jungen Helden schließlich von unverdauten Realitäts- und Theoriebrocken verschluckt, ohne eine geistige Zutat erkennen zu lassen. Es endet in dem Paradox, dass einerseits ein Naturrecht auf Kopie reklamiert wird, während das Recht, aus der geistigen Arbeit bei der Umformung der Natur ein Eigentumsrecht abzuleiten, bestritten wird. Und bei dem Widerspruch, dass eine Autorin ihre Persönlichkeit für den Schreibprozess völlig negiert, während sie auf dem literarischen Markt ein starkes Ego problemlos für sich in Anspruch nimmt, soundverstärkt als Stimme einer Generation.
Das allgemeine Problem, so Theisohn, liegt in einem Umfeld, das Literatur nur nach formalen Kriterien bemisst. Die größte Gefahr sieht er von Texten ausgehen, die äußeren Kriterien genügen, aber keinen Funken Individualität und Engagement mehr erkennen lassen. Solche Literatur darf nicht damit rechnen, dass ihr Anspruch auf Anerkennung als geistiges Eigentum Gehör findet.
Theisohns Plädoyer für eine neue, hermeneutisch inspirierte Textethik kann man nur unterschreiben. Aber er weiß auch, dass das ethische Problem in vielem ein medientechnisches ist. Dahinter steht das posthumanistische Medium, das an der Entgrenzung und Neutralisierung der Texte arbeitet. Wenn man die Wirklichkeit komplett im digitalen Speichermedium aufgehoben meint, wächst auch der Glaube, die Informationsbestände nur noch neu verknüpfen zu müssen. Weil die Maschinen dabei die Hauptarbeit übernehmen, verliert sich der Gedanke von Arbeit als geformter Natur wie der eines daraus erwachsenen geistigen Eigentums. Das Urheberrechtsproblem ist nur ein Schattengewächs der Formatierung des Geistes.
THOMAS THIEL
Philipp Theisohn: "Literarisches Eigentum". Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter.
Kröner Verlag, Stuttgart 2012. 132 S., br., 11,90 [Euro].
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