Die politischen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch literarischen Räume, die uns umgeben, haben sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit immer größerer Geschwindigkeit verändert. Die Literaturen trugen diesem Faktum Rechnung, die Literaturwissenschaften ließen diese Problematik - selbst im Bereich der Reiseliteratur, die für derartige Untersuchungen wie geschaffen scheint - jedoch weitgehend außer acht. Der vorliegende Band versucht, auf diese Problematik eine Reihe von Antworten zu geben und aufzuzeigen, wie die Dynamik von Räumen und Raumbeziehungen auf verschiedenen Ebenen ebenso in konkreten Einzeltexten wie innerhalb größerer zeitlicher Entwicklungen untersucht werden können.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2002Medusa schaut weg
Bloß nicht verweilen: Ottmar Ettes bewegte Literaturgeschichte
Im ersten Kapitel seines Romans "Wenn ein Wanderer in einer Winternacht" gibt Italo Calvino seinem Leser Instruktionen, wie er das Buch zu lesen habe: am besten zu Hause, hinter verschlossener Tür, im Sitzen, im Stehen, im Liegen oder sogar auf dem Kopf. Nur die Idee, auf dem Rücken eines Pferdes beim Reiten zu lesen, sei bislang noch niemandem in den Sinn gekommen. In allen Positionen und an allen Orten wird das gelesene Buch, so möchte man diesen Anleitungen entnehmen, dasselbe bleiben. Ob aber der Autor es im Sitzen, Liegen, im Kloster oder im Café geschrieben hat, kommt überhaupt nicht zur Sprache. Und wenn es nun auf dem Rücken eines Pferdes gewesen wäre?
Wiederholte Male zitiert der Literaturwissenschaftler Ottmar Ette Calvinos Romane als Zeugen für seine Theorie einer Literatur in Bewegung. Dennoch ist der für den Potsdamer Romanisten zentrale Fall in Calvinos Lektüreinstruktionen eigentlich nicht eingeschlossen. Und zwar, im übertragenen Sinne, der des Pferderückens. Schließlich ist ein Buch ebenso wie ein Füllfederhalter und ein Notebook ein bewegliches Objekt, und weder das Lesen noch das Schreiben muß gezwungenermaßen hinter geschlossenen Türen stattfinden. Eine Literatur in Bewegung ist daher zunächst ein Text, der in Bewegung entsteht und gelesen wird - auf Entdeckungsfahrt zwischen Europa und Amerika oder auch nur in der S-Bahn. Das Originelle an dieser Beobachtung ist die von Ette zugrunde gelegte Überlegung, daß ein solch bewegter Text auch formal und inhaltlich von einem stillstehenden verschieden ist und somit eine eigene, neue Textbewegung entwickelt.
Unter dem Aspekt von "Raum und Dynamik grenzüberschreitenden Schreibens in Europa und Amerika", so der Untertitel der Studie, vollführt Ette einen fast 600 Seiten langen Parcours durch die Literaturen beider Kontinente: von Alexander von Humboldts Amerika-Reisebericht zu dem Baudrillards, von José Enrique Rodós und Alfonso Reyes' amerikanischen Adaptionen europäischer Mythen zu Albert Cohens literarischer Verarbeitung der Schoa, von Balzac über Barthes und Borges zur martinikanischen Romanautorin Maryse Condé. All diese Werke, die in Herkunft und Charakter nicht verschiedener sein könnten, unter dem gemeinsamen Aspekt der Bewegung zu betrachten, ist ein anspruchsvolles und herausforderndes Vorhaben. Zumal nicht alle der behandelten Autoren unbedingt große Weltreisende sind.
In der Tat aber ist eine Literatur in Bewegung nicht auf eine physische Mobilität festgelegt. Dieser sind lediglich die drei ersten und kohärentesten Kapitel gewidmet. Dort ordnet Ette verschiedenen Bewegungsfiguren wie dem Kreis, dem Pendeln, der Linie, dem Stern und dem diffusen Springen ohne Ausgangs- und Endpunkt einzelne exponierte Texte der Reiseliteratur Europas und Amerikas zu. Beginnend mit Kolumbus und den Chroniken der Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt, findet dieser Teil seinen Höhepunkt in einer dezidierten Analyse der Schriften Alexander von Humboldts. Gestützt auch auf die berühmten Porträts Friedrich Georg Weitschs, die den Forscher unter anderem schreibend an einem Tisch in den Urwäldern des Orinoco darstellen, charakterisiert Ette eine Literatur, deren "Ort des Schreibens" sich aus dem Scriptorium in eine ständige, nomadische Bewegung ohne Fixpunkt verlegt hat.
Ein konzeptueller Bruch ereignet sich erst, wenn Ette das Genre der Reiseliteratur hinter sich läßt und sich der Reise, der Bewegung des Textes und im Text, in metaphorischem Sinne zuwendet. Leider erweist sich diese Übertragung als nicht besonders glücklich. Während die Veränderung in der Perspektive des Geschriebenen durch den steten Wandel in der lokalen Perspektive des Schreibenden einen faszinierenden, wenngleich angreifbaren Gedanken darstellt, ist die Vorstellung des Schreib- und Lektüreprozesses als Bewegung oder Wanderung ein recht abgenutzter Topos. Dazu kommt nicht zuletzt die Schwierigkeit, den Begriff Bewegung in seiner metaphorischen Dimension einzugrenzen: eine Tatsache, die in der Natur der bewegten Sache liegt und die Ette eindringlich anhand von Rodós Rezeption der Figur des Proteus darlegt. Ähnlich wie diese ständig ihre Gestalt wechselt und sich so jeder Greifbarkeit entzieht, geschieht das auch mit Ettes Argumentation.
Das scheint durchaus beabsichtigt zu sein - wie in vielen der vom Autor abundant rezipierten Strömungen der vergangenen Jahrzehnte, die in der Regel mit dem Präfix "Post-" beginnen und dem Suffix "-tät" oder "-ismus" enden. Im Gegensatz zum kreativen Potential dieser Theorien widerspricht jedoch der experimentelle Anspruch von Ettes Text seinem bei genauem Hinsehen recht braven universitären Handwerk. Die Absicherung jedes Arguments durch ein akademisches Fangnetz aus Fußnoten und Literaturreferenzen als Realisierung des rhizomatischen Textes im Sinne von Deleuze und Guattari zu glorifizieren hat beispielsweise etwas unfreiwillig Komisches. Insofern droht der Proteus-Charakter der Argumentationsführung ebenso wie die Imitation künstlerischer Kompositionstechniken in kunsthandwerkliche Dekoration abzugleiten und darüber hinaus in eine Begrifflichkeit aus jenem Material, das zum ersten Mal auf Streifzügen durch die tropischen Urwälder Amerikas entdeckt wurde: Gummi.
Mit einer Portion Selbstironie hat Roland Barthes, wie Ette berichtet, sich selbst als "Die Nachhut der Vorhut" positioniert. Gut eignet sich dieses Etikett auch für Literatur in Bewegung. Das entbehrt nicht einer gewissen quijotesken Tragik, da das Buch vieles bietet, nur eben nicht Selbstironie. Schade ist das für die unbedingt zu empfehlenden Einzelabhandlungen. Dazu gehört etwa das Kapitel über den noch immer viel zuwenig beachteten mexikanischen Literaturtheoretiker, Dichter und Theaterautor Alfonso Reyes und seine dramatische Adaption des Iphigenie-Stoffes. Aufs Ganze gesehen sind jedoch allein die schwammigen Begriffe der "Bewegung" und des "grenzüberschreitenden Schreibens" nicht in der Lage, die hier versammelten Texte stringent in ein gemeinsames Konzept zu zwingen. Es sei denn, man stellt die Frage, inwieweit Bewegung in ihrer uneingeschränkten Definition nicht Kennzeichen fast jeder Form von Literatur ist. Die homerische Erzählung von den Fürsten, die zehn Jahre lang Europa verließen, um eine Frau zurückzuholen; und die von dem einen, der zehn Jahre lang auf den Weltmeeren herumtrieb und bis ins Reich der Toten hinabstieg, um zu einer Frau zurückzukehren - was ist das, wenn nicht grenzüberschreitende, bewegte und bewegende Literatur, von den frühesten Schriftzeugnissen des Abendlands an?
So ist es zu erklären, daß sich bei aller Beschwörung der Bewegung während der Lektüre von Ottmar Ettes Buch ein rebellischer Traum einschleicht: der Traum, die Doktrin der Dynamik mit medusenhaftem Blick in den Bann zu schlagen; der Traum einer Geschichte der Literatur in Stillstand, beginnend mit dem unbewegten und unbewegbaren Sein des Parmenides über das Stabat mater und den Rosenkranz hin zu Benns Statischen Gedichten ebenso wie zu den Kubanern Julián del Casal und José Lezama Lima, die sich gleich ihrem europäischen Seelenverwandten Fernando Pessoa zu reisen weigerten, da sie die Welt an ihrem Schreibtisch in Centro Habana in sich zu tragen glaubten. Es ist zugleich der heimliche Traum des bewegtesten Manns der deutschen Literatur: endlich den Augenblicke zum Verweilen einzuladen, weil er so schön ist.
FLORIAN BORCHMEYER
Ottmar Ette: "Literatur in Bewegung". Raum und Dynamik grenzüberschreitenden Schreibens in Europa und Amerika. Verlag Velbrück, Weilerswist 2001. 575 S., geb., 64,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bloß nicht verweilen: Ottmar Ettes bewegte Literaturgeschichte
Im ersten Kapitel seines Romans "Wenn ein Wanderer in einer Winternacht" gibt Italo Calvino seinem Leser Instruktionen, wie er das Buch zu lesen habe: am besten zu Hause, hinter verschlossener Tür, im Sitzen, im Stehen, im Liegen oder sogar auf dem Kopf. Nur die Idee, auf dem Rücken eines Pferdes beim Reiten zu lesen, sei bislang noch niemandem in den Sinn gekommen. In allen Positionen und an allen Orten wird das gelesene Buch, so möchte man diesen Anleitungen entnehmen, dasselbe bleiben. Ob aber der Autor es im Sitzen, Liegen, im Kloster oder im Café geschrieben hat, kommt überhaupt nicht zur Sprache. Und wenn es nun auf dem Rücken eines Pferdes gewesen wäre?
Wiederholte Male zitiert der Literaturwissenschaftler Ottmar Ette Calvinos Romane als Zeugen für seine Theorie einer Literatur in Bewegung. Dennoch ist der für den Potsdamer Romanisten zentrale Fall in Calvinos Lektüreinstruktionen eigentlich nicht eingeschlossen. Und zwar, im übertragenen Sinne, der des Pferderückens. Schließlich ist ein Buch ebenso wie ein Füllfederhalter und ein Notebook ein bewegliches Objekt, und weder das Lesen noch das Schreiben muß gezwungenermaßen hinter geschlossenen Türen stattfinden. Eine Literatur in Bewegung ist daher zunächst ein Text, der in Bewegung entsteht und gelesen wird - auf Entdeckungsfahrt zwischen Europa und Amerika oder auch nur in der S-Bahn. Das Originelle an dieser Beobachtung ist die von Ette zugrunde gelegte Überlegung, daß ein solch bewegter Text auch formal und inhaltlich von einem stillstehenden verschieden ist und somit eine eigene, neue Textbewegung entwickelt.
Unter dem Aspekt von "Raum und Dynamik grenzüberschreitenden Schreibens in Europa und Amerika", so der Untertitel der Studie, vollführt Ette einen fast 600 Seiten langen Parcours durch die Literaturen beider Kontinente: von Alexander von Humboldts Amerika-Reisebericht zu dem Baudrillards, von José Enrique Rodós und Alfonso Reyes' amerikanischen Adaptionen europäischer Mythen zu Albert Cohens literarischer Verarbeitung der Schoa, von Balzac über Barthes und Borges zur martinikanischen Romanautorin Maryse Condé. All diese Werke, die in Herkunft und Charakter nicht verschiedener sein könnten, unter dem gemeinsamen Aspekt der Bewegung zu betrachten, ist ein anspruchsvolles und herausforderndes Vorhaben. Zumal nicht alle der behandelten Autoren unbedingt große Weltreisende sind.
In der Tat aber ist eine Literatur in Bewegung nicht auf eine physische Mobilität festgelegt. Dieser sind lediglich die drei ersten und kohärentesten Kapitel gewidmet. Dort ordnet Ette verschiedenen Bewegungsfiguren wie dem Kreis, dem Pendeln, der Linie, dem Stern und dem diffusen Springen ohne Ausgangs- und Endpunkt einzelne exponierte Texte der Reiseliteratur Europas und Amerikas zu. Beginnend mit Kolumbus und den Chroniken der Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt, findet dieser Teil seinen Höhepunkt in einer dezidierten Analyse der Schriften Alexander von Humboldts. Gestützt auch auf die berühmten Porträts Friedrich Georg Weitschs, die den Forscher unter anderem schreibend an einem Tisch in den Urwäldern des Orinoco darstellen, charakterisiert Ette eine Literatur, deren "Ort des Schreibens" sich aus dem Scriptorium in eine ständige, nomadische Bewegung ohne Fixpunkt verlegt hat.
Ein konzeptueller Bruch ereignet sich erst, wenn Ette das Genre der Reiseliteratur hinter sich läßt und sich der Reise, der Bewegung des Textes und im Text, in metaphorischem Sinne zuwendet. Leider erweist sich diese Übertragung als nicht besonders glücklich. Während die Veränderung in der Perspektive des Geschriebenen durch den steten Wandel in der lokalen Perspektive des Schreibenden einen faszinierenden, wenngleich angreifbaren Gedanken darstellt, ist die Vorstellung des Schreib- und Lektüreprozesses als Bewegung oder Wanderung ein recht abgenutzter Topos. Dazu kommt nicht zuletzt die Schwierigkeit, den Begriff Bewegung in seiner metaphorischen Dimension einzugrenzen: eine Tatsache, die in der Natur der bewegten Sache liegt und die Ette eindringlich anhand von Rodós Rezeption der Figur des Proteus darlegt. Ähnlich wie diese ständig ihre Gestalt wechselt und sich so jeder Greifbarkeit entzieht, geschieht das auch mit Ettes Argumentation.
Das scheint durchaus beabsichtigt zu sein - wie in vielen der vom Autor abundant rezipierten Strömungen der vergangenen Jahrzehnte, die in der Regel mit dem Präfix "Post-" beginnen und dem Suffix "-tät" oder "-ismus" enden. Im Gegensatz zum kreativen Potential dieser Theorien widerspricht jedoch der experimentelle Anspruch von Ettes Text seinem bei genauem Hinsehen recht braven universitären Handwerk. Die Absicherung jedes Arguments durch ein akademisches Fangnetz aus Fußnoten und Literaturreferenzen als Realisierung des rhizomatischen Textes im Sinne von Deleuze und Guattari zu glorifizieren hat beispielsweise etwas unfreiwillig Komisches. Insofern droht der Proteus-Charakter der Argumentationsführung ebenso wie die Imitation künstlerischer Kompositionstechniken in kunsthandwerkliche Dekoration abzugleiten und darüber hinaus in eine Begrifflichkeit aus jenem Material, das zum ersten Mal auf Streifzügen durch die tropischen Urwälder Amerikas entdeckt wurde: Gummi.
Mit einer Portion Selbstironie hat Roland Barthes, wie Ette berichtet, sich selbst als "Die Nachhut der Vorhut" positioniert. Gut eignet sich dieses Etikett auch für Literatur in Bewegung. Das entbehrt nicht einer gewissen quijotesken Tragik, da das Buch vieles bietet, nur eben nicht Selbstironie. Schade ist das für die unbedingt zu empfehlenden Einzelabhandlungen. Dazu gehört etwa das Kapitel über den noch immer viel zuwenig beachteten mexikanischen Literaturtheoretiker, Dichter und Theaterautor Alfonso Reyes und seine dramatische Adaption des Iphigenie-Stoffes. Aufs Ganze gesehen sind jedoch allein die schwammigen Begriffe der "Bewegung" und des "grenzüberschreitenden Schreibens" nicht in der Lage, die hier versammelten Texte stringent in ein gemeinsames Konzept zu zwingen. Es sei denn, man stellt die Frage, inwieweit Bewegung in ihrer uneingeschränkten Definition nicht Kennzeichen fast jeder Form von Literatur ist. Die homerische Erzählung von den Fürsten, die zehn Jahre lang Europa verließen, um eine Frau zurückzuholen; und die von dem einen, der zehn Jahre lang auf den Weltmeeren herumtrieb und bis ins Reich der Toten hinabstieg, um zu einer Frau zurückzukehren - was ist das, wenn nicht grenzüberschreitende, bewegte und bewegende Literatur, von den frühesten Schriftzeugnissen des Abendlands an?
So ist es zu erklären, daß sich bei aller Beschwörung der Bewegung während der Lektüre von Ottmar Ettes Buch ein rebellischer Traum einschleicht: der Traum, die Doktrin der Dynamik mit medusenhaftem Blick in den Bann zu schlagen; der Traum einer Geschichte der Literatur in Stillstand, beginnend mit dem unbewegten und unbewegbaren Sein des Parmenides über das Stabat mater und den Rosenkranz hin zu Benns Statischen Gedichten ebenso wie zu den Kubanern Julián del Casal und José Lezama Lima, die sich gleich ihrem europäischen Seelenverwandten Fernando Pessoa zu reisen weigerten, da sie die Welt an ihrem Schreibtisch in Centro Habana in sich zu tragen glaubten. Es ist zugleich der heimliche Traum des bewegtesten Manns der deutschen Literatur: endlich den Augenblicke zum Verweilen einzuladen, weil er so schön ist.
FLORIAN BORCHMEYER
Ottmar Ette: "Literatur in Bewegung". Raum und Dynamik grenzüberschreitenden Schreibens in Europa und Amerika. Verlag Velbrück, Weilerswist 2001. 575 S., geb., 64,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
""Originell" findet Rezensent Florian Borchmeyer den Ansatz der vorliegenden Studie, die Literaturen Europas und Amerikas unter dem gemeinsamen Aspekt der Bewegung zu betrachten. Der Potsdamer Romanist führt auf fast 600 Seiten durch die Literaturen beider Kontinente: von Alexander von Humboldts Amerika-Reisebericht zu dem Baudrillards, von José Enrique Rodós und Alfonso Reyes' amerikanischen Adaptionen europäischer Mythen zu Albert Cohens literarischer Verarbeitung der Shoa, von Balzac und Borges zur französischen Romanautorin Maryse Condé aus Martinique. Wirklich geglückt findet der Rezensent die Studie allerdings lediglich in den ersten drei Kapiteln. Wenn Ette das Genre Reiseliteratur verlässt und sich der Bewegung im Text in metaphorischem Sinn zuwendet, wird es für den Rezensenten problematisch. Auch, weil er die Schwierigkeit, den Begriff Bewegung in seiner metaphorischen Dimension einzugrenzen, nicht überzeugend bewältigt findet. Schließlich schleicht sich ein "rebellischer Traum" in seine Lektüre: "der Traum, die Doktrin der Dynamik mit medusenhaftem Blick in den Bann zu schlagen", "der Traum einer Geschichte der Literatur im Stillstand".
© Perlentaucher Medien GmbH"
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