Schreibt es sich im Schutz von Masken und Metamorphosen anders, inspirierter, sicherer? Das Literaturmagazin 45 begibt sich auf die Spuren von Schriftstellern im Spannungsfeld von Selbstinszenierung und Selbstparodie.
Er war einer der großen Mystifikatoren und Schriftsteller dieses Jahrhunderts. 1914 soll er in Moskau geboren sein, er selbst spricht von Polen. Seine frankophile Mutter Nina Kacew möchte aus ihm einen Victor Hugo machen. Sie ziehen nach Nizza um, als er 14 Jahre alt ist. Er studiert Jura in Paris. Fliegt nach der Niederlage Frankreichs Einsätze unter de Gaulle. Beginnt eine Karriere im diplomatischen Dienst. 1945 erscheint sein erster Roman. 1956 erhält er den renommierten Goncourt-Preis. Er schreibt weiter auf englisch. Sein Schreiben gerät in eine Krise. Er bittet seinen Neffen, seine Bücher für ihn zu veröffentlichen. Dieser erhält 1975 den Goncourt-Preis - für einen Roman seines Onkels. Hohe Auflagen als Ullstein- und Fischer-Taschenbücher. 1980 erschießt er sich. Die in Paris lebende kanadische Autorin Nancy Huston hat über diesen Autor, eine der erstaunlichsten Figuren des Jahrhunderts, geschrieben, Leonardo Sciascia den Nachruf "Die Maske auf dem Gesicht" verfasst. Welches Gesicht sich hier verbirgt, lesen Sie in dieser "Masken"-Nummer.
Alfred Jarry, Ahnherr der Surrealisten und Dadaisten, gefeierter Autor des "Ubu Roi", ist, so sagt die Literaturgeschichte, 1907 gestorben. Christian Soulignac hat einen auf 1912 datierten Brief von Jarrys Hand gefunden und tritt den Beweis an, dass Jarry Tod und Beerdigung erfunden hat und in Wahrheit unter dem Pseudonym Alfred (!) Machard als Bestseller-Autor wieder auferstanden und 1962 im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
Salomo Friedländer publizierte seine expressionistischen Grotesken unter dem Namen Mynona, dem Anagramm von 'anonym'. Lisbeth Exner erinnert an Friedländers bipolares Lebenskonzept zwischen Boheme und Eremitage, grotesker Literatur und abstrakter Metaphysik.
Autoren machen ihrem alten Ruf Ehre - sie lügen. Sie lügen sich Pseudonyme zusammen, um in ihrem Namen die Wahrheit zu sagen. Das "Literaturmagazin" stellt spektakuläre "Fälle" vor, von MallarmZ
Er war einer der großen Mystifikatoren und Schriftsteller dieses Jahrhunderts. 1914 soll er in Moskau geboren sein, er selbst spricht von Polen. Seine frankophile Mutter Nina Kacew möchte aus ihm einen Victor Hugo machen. Sie ziehen nach Nizza um, als er 14 Jahre alt ist. Er studiert Jura in Paris. Fliegt nach der Niederlage Frankreichs Einsätze unter de Gaulle. Beginnt eine Karriere im diplomatischen Dienst. 1945 erscheint sein erster Roman. 1956 erhält er den renommierten Goncourt-Preis. Er schreibt weiter auf englisch. Sein Schreiben gerät in eine Krise. Er bittet seinen Neffen, seine Bücher für ihn zu veröffentlichen. Dieser erhält 1975 den Goncourt-Preis - für einen Roman seines Onkels. Hohe Auflagen als Ullstein- und Fischer-Taschenbücher. 1980 erschießt er sich. Die in Paris lebende kanadische Autorin Nancy Huston hat über diesen Autor, eine der erstaunlichsten Figuren des Jahrhunderts, geschrieben, Leonardo Sciascia den Nachruf "Die Maske auf dem Gesicht" verfasst. Welches Gesicht sich hier verbirgt, lesen Sie in dieser "Masken"-Nummer.
Alfred Jarry, Ahnherr der Surrealisten und Dadaisten, gefeierter Autor des "Ubu Roi", ist, so sagt die Literaturgeschichte, 1907 gestorben. Christian Soulignac hat einen auf 1912 datierten Brief von Jarrys Hand gefunden und tritt den Beweis an, dass Jarry Tod und Beerdigung erfunden hat und in Wahrheit unter dem Pseudonym Alfred (!) Machard als Bestseller-Autor wieder auferstanden und 1962 im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
Salomo Friedländer publizierte seine expressionistischen Grotesken unter dem Namen Mynona, dem Anagramm von 'anonym'. Lisbeth Exner erinnert an Friedländers bipolares Lebenskonzept zwischen Boheme und Eremitage, grotesker Literatur und abstrakter Metaphysik.
Autoren machen ihrem alten Ruf Ehre - sie lügen. Sie lügen sich Pseudonyme zusammen, um in ihrem Namen die Wahrheit zu sagen. Das "Literaturmagazin" stellt spektakuläre "Fälle" vor, von MallarmZ
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2000Verwandlung, wunderbar
Das Rowohlt-Literaturmagazin über „Masken, Metamorphosen”
Der Herausgeber des Literaturmagazins und spiritus rector vieler Schwerpunktthemen, Delf Schmidt, hat diesmal selbst das Thema „Verwandlungen” gewählt und wohl aus Neigung und hervorragender Kenntnis auf seinem romanischen Spezialgebiet das Hauptgewicht auf französische Autoren gelegt: auf Alfred Jarry, Romain Gary und Stéphane Mallarmé (sowie auf den heute allzu vergessenen deutschsprachigen Philosophen Salomo Friedländer, der als Literat unter dem Anagramm Mynona – Anonym – publizierte). Das hat die Qual der Wahl gemildert; denn Schmidt führt in der Einleitung ein Heer von Autoren an, die aus unterschiedlichsten Gründen mit der Wahl eines Pseudonyms unter falschem Namen schrieben.
Dass es zwischen Pseudonymen und Homonymen eine große Differenz gibt – Fernando Pessoa etwa erfand zu seinen Homonymen eigene Biografien – dass Pseudonyme nicht unbedingt auch Masken sein müssen, diese Klippe umgeht der Herausgeber geschickt, indem Vladimir Nabokov mit seinem kurzen Einstandsessay „Metamorphosen” die Richtung weist: „Verwandlung . . . Verwandlung ist etwas Wunderbares. ”
Ist also die Verwandlung nur heiteres Versteckspiel, Täuschung, Ich-Aufspaltung, Verdoppelung einer Autorschaft? Und wird nicht nur eine weitere Maskerade geschaffen, wenn Christian Soulignac behauptet, Alfred Jarry habe seinen Tod und seine Beerdigung erfunden, um sich als Bestseller-Autor Alfred Machard in Szene zu setzen? Die Rätsel stimulieren die Lektüre.
Ein weiterer Höhepunkt des Bandes ist zweifellos die an sich schon abenteuerliche Tendenz der Verwandlung Romain Garys in Emile Ajar, dargestellt von Nancy Houston. Garys Vita liest sich wie ein Roman: Ein Pole, geboren 1914 in Moskau oder in Wilna, mit Namen Kacew – so nannte er sich 30 Jahre lang –, der sich in einen Franzosen verwandelt, Résistance-Kämpfer wird, Soldat unter de Gaulle, französischer Diplomat und schließlich Erfolgsschriftsteller. Garys abenteuerliche Verwandlungsprozesse sind mehr provoziertes Leben als täuschendes Spiel. Ein Pseudonym wird zur anderen, zur eigentlichen Existenz, die schließlich ein bitteres, vielleicht konsequentes Ende durch Selbstauslöschung findet.
HANS-JÜRGEN SCHMITT
ROWOHLT LITERATURMAGAZIN 45: Masken, Metamorphosen. Hrsg. von Delf Schmidt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 190 Seiten, 18 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Das Rowohlt-Literaturmagazin über „Masken, Metamorphosen”
Der Herausgeber des Literaturmagazins und spiritus rector vieler Schwerpunktthemen, Delf Schmidt, hat diesmal selbst das Thema „Verwandlungen” gewählt und wohl aus Neigung und hervorragender Kenntnis auf seinem romanischen Spezialgebiet das Hauptgewicht auf französische Autoren gelegt: auf Alfred Jarry, Romain Gary und Stéphane Mallarmé (sowie auf den heute allzu vergessenen deutschsprachigen Philosophen Salomo Friedländer, der als Literat unter dem Anagramm Mynona – Anonym – publizierte). Das hat die Qual der Wahl gemildert; denn Schmidt führt in der Einleitung ein Heer von Autoren an, die aus unterschiedlichsten Gründen mit der Wahl eines Pseudonyms unter falschem Namen schrieben.
Dass es zwischen Pseudonymen und Homonymen eine große Differenz gibt – Fernando Pessoa etwa erfand zu seinen Homonymen eigene Biografien – dass Pseudonyme nicht unbedingt auch Masken sein müssen, diese Klippe umgeht der Herausgeber geschickt, indem Vladimir Nabokov mit seinem kurzen Einstandsessay „Metamorphosen” die Richtung weist: „Verwandlung . . . Verwandlung ist etwas Wunderbares. ”
Ist also die Verwandlung nur heiteres Versteckspiel, Täuschung, Ich-Aufspaltung, Verdoppelung einer Autorschaft? Und wird nicht nur eine weitere Maskerade geschaffen, wenn Christian Soulignac behauptet, Alfred Jarry habe seinen Tod und seine Beerdigung erfunden, um sich als Bestseller-Autor Alfred Machard in Szene zu setzen? Die Rätsel stimulieren die Lektüre.
Ein weiterer Höhepunkt des Bandes ist zweifellos die an sich schon abenteuerliche Tendenz der Verwandlung Romain Garys in Emile Ajar, dargestellt von Nancy Houston. Garys Vita liest sich wie ein Roman: Ein Pole, geboren 1914 in Moskau oder in Wilna, mit Namen Kacew – so nannte er sich 30 Jahre lang –, der sich in einen Franzosen verwandelt, Résistance-Kämpfer wird, Soldat unter de Gaulle, französischer Diplomat und schließlich Erfolgsschriftsteller. Garys abenteuerliche Verwandlungsprozesse sind mehr provoziertes Leben als täuschendes Spiel. Ein Pseudonym wird zur anderen, zur eigentlichen Existenz, die schließlich ein bitteres, vielleicht konsequentes Ende durch Selbstauslöschung findet.
HANS-JÜRGEN SCHMITT
ROWOHLT LITERATURMAGAZIN 45: Masken, Metamorphosen. Hrsg. von Delf Schmidt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 190 Seiten, 18 Mark.
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