Die Bücherverbrennungen, die am 10. Mai 1933 in nahezu allen deutschen Universitätsstädten stattfanden, waren ein medienwirksam inszeniertes Ereignis. Bis heute verstellt dieses Symbol der Kulturbarbarei den Blick auf die Entscheidungsabläufe, die zur Etablierung einer nationalsozialistischen Literaturpolitik führten. Die Beseitigung eines bedeutenden Teils der Literatur der Weimarer Moderne und ihrer Protagonisten war nur das öffentliche Vorspiel zu einem allumfassenden Prozess, in dem staatliche Behörden und Partei"dienststellen" politischen Einfluss auf die Produktion und Verbreitung von Literatur nahmen.Eine Schlüsselrolle fiel dabei Joseph Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und als Präsident der von ihm gegründeten Reichskulturkammer zu. Was im Dritten Reich erscheinen durfte, war "von seinen Gnaden" zugelassen. Allerdings musste Goebbels seine Macht mit anderen Herrschaftsträgern teilen. Und auch die Beherrschten - Autoren, Verleger, Buchhändler und das lesende Publikum - folgten keineswegs allen Vorgaben des Regimes.Der Autor präsentiert einen knappen wie präzisen Überblick über all die Institutionen, Akteure und Betätigungsfelder, die für die nationalsozialistische Literaturpolitik entscheidend waren. Die Darstellung stützt sich auf umfangreiche Überlieferungen in staatlichen Archiven und zugleich auf Analysen der Verhaltensweisen von Schriftstellern, Verlagen, des Buchmarktes und des Leseverhaltens, wie sie sich in Tagebüchern, Erinnerungen, Briefen, statistischen Erhebungen und Darstellungen zur Buchhandelsgeschichte widerspiegeln.Jan-Pieter Barbian, geb. 1958, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. Seit 1995 ist er Direktor der Stadtbibliothek Duisburg. Er gilt als einer der ganz wenigen Kenner des Forschungsfeldes. Buchpublikationen u. a.: "Literaturpolitik im 'Dritten Reich'" (zuletzt bei dtv 1993/95, 950 S, seit 1998 vergriffen); »Die vollendete Ohnmacht. Schriftsteller, Verleger und Buchhändler im NS-Staat« (2008).Unsere Adressen im Internet: www.fischerverlage.de
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Für Rudolf Walther bietet die Studie von Jan-Pieter Barbian einen umfassenden Überblick über die Selbstanpassung und Maßnahmen der Gleichschaltung des literarischen Betriebs nach 1933. Dass es nicht nur die, wie wir hier lernen, minutiös geplante Bücherverbrennung gab, sondern komplexe Machtkämpfe zwischen den Institutionen (Börsenverein, Ministerien, NSDAP, Staatspolizei), die gleichermaßen an der kulturellen Gleich- beziehungsweise Aussschaltung mitstrickten, erfährt der Rezensent auf über 500 Seiten. Walther lobt die Präzision des Autors beim Bewältigen des umfangreichen Materials. Das Ergebnis ist für ihn ein Handbuch, das Maßstäbe setzt für den Forschungs- und Interessenbereich "Mediendiktatur".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Barbian [...] zeigt faktenreich in ungeahnter Dichte, wie die deutsche Literatur nach 1933 unter staatliche Kontrolle gebracht wurde. WAZ 202406