His characters are the people who live there - the priest, the barber, the whore, the doctor, the seamstress, the mayor - and the occasional animal: a centaur, a parrot that recites Homer, a horse called History.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2004Don Camillo in Dogville
Besuch bei Verdammten: Das Erzähldebüt von Panos Karnezis
Im wohl geschichtsmächtigsten Epos über Aufstieg und Fall der Stadt Babylon treten zwei Staaten gegeneinander an. Nehmt und konvertiert, donnert der Schlachtruf der Gottesstaatler dem sündigen Volk entgegen. Wen aber reizte schon die geheiligte Langeweile der Civitas Dei, wenn es auch das mit Lebenssaft durchtränkte Rom sein dürfte? Augustinus' zur Abschreckung gedachte Schilderung gerät denn auch neben aller Umkehrrhetorik zum schrecklich-schönen Panorama des brodelnden Imperiums, in dem die Masse der Verdammten von Rausch zu Rausch taumelt, von der Liebe durch Passion zur Gewalt.
In seinem Zyklus aus neunzehn Erzählungen hat nun der junge griechische Autor Panos Karnezis, der in Oxford lebt, die Verdammten erneut aufgesucht. Nicht Rom, Athen oder London, sondern ein namenloses griechisches Dorf ist der Schauplatz für seine "Kleinen Gemeinheiten". Klein aber sind die mitunter burlesken Verfehlungen der Dörfler allenfalls im Blick auf die dräuende Apokalypse, denn nicht allein Betrug und Erniedrigung ziehen sich leitmotivisch durch die kunstvoll verwobenen Geschichten, sondern ebenso Bluttat und Blutgericht. Mord ist hier nicht einmal die ärgste der Sünden. Entsprechend drakonisch die selbsterdachten Strafen: Ein Mann läuft vor aller Augen mit aufgeschlitztem Magen über den Dorfplatz, bis er seine Gedärme nicht mehr halten kann, ein anderer wird öffentlich von einem Wolf zerfleischt. Doch flimmert zwischen den Schatten immer wieder Licht hindurch, geradezu liebenswürdig wirkt der permanent schlafende Bahnwärter oder der Wal, der körpergewaltige Caféinhaber. Auch die übrigen Bewohner sind bösartig aus Prinzip, aber jenseits dieser allgemeinen Verworfenheit die freundlichsten Gesellen, wenngleich stur wie die Maultiere.
Hemmungslos auch im Enthusiasmus, schnappen sie beim kleinsten Fingerzeig des Schicksals gleich nach der ganzen Hand, die jedoch unermüdlich zum Schlag ausholt. Kaum kann Homer, der Papagei, die Klassiker herzitieren, wird er von seinem Erzieher auch schon zum Poeten getrimmt. Die vorprogrammierte Ernüchterung findet in diesem Fall ihr realmedizinisches Pendant, denn des Vogels Reimerei geschah, wie sich herausstellt, im Drogenrausch: "Die Hanfsamen waren schuld." Daß das Dorf dem Untergang geweiht ist, weiß Pater Gerasimo - die Ankerfigur im nach und nach auftretenden Abderiten-Ensemble - schon aus Profession.
Tatsächlich hebt das Buch fulminant an mit einem doppelten Steinbegräbnis. Ein Erdbeben, das manches Oikos zusammenpoltern läßt - "Der jüngste Tag ist gekommen!" -, reißt auch die heilige Friedhofserde auf und spült nicht nur die Skelette der Vorfahren aus dem Kröpfchen, sondern zudem einen steingefüllten Sarg an die Oberfläche. Der Pater wittert zu Recht eine moralische Ungeheuerlichkeit, die sich, kaum sind die anstößigen Steine ins Rollen gebracht, bald zur Lawine steigert. Begraben hatte man den ominösen Sarg an der Stelle zweier Mädchen, die wie Tiere gehalten und zu aller Belustigung mit der Gerte zu Kunststücken erzogen worden waren, bis auch ihnen der Tag der Rache aufging.
Dem Raum wie der Zeit scheint Karnezis' Testgelände für negative Utopien auf eigentümliche Art enthoben. Dieser Eigenkosmos, der zugleich an Don Camillo und Peppone wie an Lars von Triers Dogville erinnert, unterhält keine Beziehungen zur Außenwelt. Uhren werden nach Gutdünken vorgestellt, die Epochen durchdringen sich: Obwohl Leben und Technik dem Stand von 1900 entsprechen, scheinen Fernsehen und reger Busverkehr damit genauso vereinbar wie die absolutistische Herrschaftsweise des Landbesitzers. Es ist nur konsequent, daß sogar die Grenze zum Tod durchlässig ist. Der Zimmermann Jeremias scheidet in der Rentenstelle, die Frau des Landbesitzers im Garten dahin, während sie ihre Posen beibehalten. Am Ende schließlich holt das Dorf sein wohlverdientes Telos ein, wobei die hereinbrechende Sintflut so wenig Teufels- wie Gotteswerk ist. Der einsam aufragende Glockenturm besieht sich das angerichtete Desaster: Atlantis hat es nicht besser verdient.
Der komplexen Anlage des Episodenromans mag die Ingenieurausbildung Karnezis' zugute gekommen sein. Der originelle Stil - von Sky Nonhoff kongenial aus dem Englischen übertragen - ist dabei auf subtile Weise wundervoll komisch. In "Deus ex machina" entpuppt sich der Maschinengott als ein Pferd namens Geschichte, genauer: eine pensionierte Rennstute, welche die geschichtslose Gemeinde, einem goldenen Kalb gleich, in gebührende Verzückung versetzt. Karnezis' Meisterschaft zeigt sich in ruhigen, fast beiläufigen Sätzen wie diesem: "Der Lexikonverkäufer verglich ihre Mähne mit den Fransen am Samtvorhang des Nationaltheaters, doch niemand wußte den Vergleich zu würdigen, da keiner der Dorfbewohner je in der Hauptstadt gewesen war."
Obwohl durchweg der hohe, leicht antiquierte Ton vorherrscht, scheut der Autor so wenig wie der Priester die Stimme des Bauern, wenn etwa dem tumben Isidoro erklärt werden muß, "daß die Pforten des Paradieses für ihn so verschlossen bleiben würden wie ein verstopfter Arsch, wenn er nicht endlich Demut und Dankbarkeit zeigte". Nie aber obsiegt in diesen Erzählungen das Klischee oder die Grobianik, das Mokante oder das Märchenmotiv. Alle Pointen auf die feine griechisch-englische Art liegen im freilich weit ausgeschrittenen Kreis des Möglichen. Mit einem Wort: Dieses babylonische Debüt vor den Pforten des Paradieses steht seiner literarischen Tradition in nichts nach.
OLIVER JUNGEN
Panos Karnezis: "Kleine Gemeinheiten". Aus dem Englischen übersetzt von Sky Nonhoff. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004. 278 S., br., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Besuch bei Verdammten: Das Erzähldebüt von Panos Karnezis
Im wohl geschichtsmächtigsten Epos über Aufstieg und Fall der Stadt Babylon treten zwei Staaten gegeneinander an. Nehmt und konvertiert, donnert der Schlachtruf der Gottesstaatler dem sündigen Volk entgegen. Wen aber reizte schon die geheiligte Langeweile der Civitas Dei, wenn es auch das mit Lebenssaft durchtränkte Rom sein dürfte? Augustinus' zur Abschreckung gedachte Schilderung gerät denn auch neben aller Umkehrrhetorik zum schrecklich-schönen Panorama des brodelnden Imperiums, in dem die Masse der Verdammten von Rausch zu Rausch taumelt, von der Liebe durch Passion zur Gewalt.
In seinem Zyklus aus neunzehn Erzählungen hat nun der junge griechische Autor Panos Karnezis, der in Oxford lebt, die Verdammten erneut aufgesucht. Nicht Rom, Athen oder London, sondern ein namenloses griechisches Dorf ist der Schauplatz für seine "Kleinen Gemeinheiten". Klein aber sind die mitunter burlesken Verfehlungen der Dörfler allenfalls im Blick auf die dräuende Apokalypse, denn nicht allein Betrug und Erniedrigung ziehen sich leitmotivisch durch die kunstvoll verwobenen Geschichten, sondern ebenso Bluttat und Blutgericht. Mord ist hier nicht einmal die ärgste der Sünden. Entsprechend drakonisch die selbsterdachten Strafen: Ein Mann läuft vor aller Augen mit aufgeschlitztem Magen über den Dorfplatz, bis er seine Gedärme nicht mehr halten kann, ein anderer wird öffentlich von einem Wolf zerfleischt. Doch flimmert zwischen den Schatten immer wieder Licht hindurch, geradezu liebenswürdig wirkt der permanent schlafende Bahnwärter oder der Wal, der körpergewaltige Caféinhaber. Auch die übrigen Bewohner sind bösartig aus Prinzip, aber jenseits dieser allgemeinen Verworfenheit die freundlichsten Gesellen, wenngleich stur wie die Maultiere.
Hemmungslos auch im Enthusiasmus, schnappen sie beim kleinsten Fingerzeig des Schicksals gleich nach der ganzen Hand, die jedoch unermüdlich zum Schlag ausholt. Kaum kann Homer, der Papagei, die Klassiker herzitieren, wird er von seinem Erzieher auch schon zum Poeten getrimmt. Die vorprogrammierte Ernüchterung findet in diesem Fall ihr realmedizinisches Pendant, denn des Vogels Reimerei geschah, wie sich herausstellt, im Drogenrausch: "Die Hanfsamen waren schuld." Daß das Dorf dem Untergang geweiht ist, weiß Pater Gerasimo - die Ankerfigur im nach und nach auftretenden Abderiten-Ensemble - schon aus Profession.
Tatsächlich hebt das Buch fulminant an mit einem doppelten Steinbegräbnis. Ein Erdbeben, das manches Oikos zusammenpoltern läßt - "Der jüngste Tag ist gekommen!" -, reißt auch die heilige Friedhofserde auf und spült nicht nur die Skelette der Vorfahren aus dem Kröpfchen, sondern zudem einen steingefüllten Sarg an die Oberfläche. Der Pater wittert zu Recht eine moralische Ungeheuerlichkeit, die sich, kaum sind die anstößigen Steine ins Rollen gebracht, bald zur Lawine steigert. Begraben hatte man den ominösen Sarg an der Stelle zweier Mädchen, die wie Tiere gehalten und zu aller Belustigung mit der Gerte zu Kunststücken erzogen worden waren, bis auch ihnen der Tag der Rache aufging.
Dem Raum wie der Zeit scheint Karnezis' Testgelände für negative Utopien auf eigentümliche Art enthoben. Dieser Eigenkosmos, der zugleich an Don Camillo und Peppone wie an Lars von Triers Dogville erinnert, unterhält keine Beziehungen zur Außenwelt. Uhren werden nach Gutdünken vorgestellt, die Epochen durchdringen sich: Obwohl Leben und Technik dem Stand von 1900 entsprechen, scheinen Fernsehen und reger Busverkehr damit genauso vereinbar wie die absolutistische Herrschaftsweise des Landbesitzers. Es ist nur konsequent, daß sogar die Grenze zum Tod durchlässig ist. Der Zimmermann Jeremias scheidet in der Rentenstelle, die Frau des Landbesitzers im Garten dahin, während sie ihre Posen beibehalten. Am Ende schließlich holt das Dorf sein wohlverdientes Telos ein, wobei die hereinbrechende Sintflut so wenig Teufels- wie Gotteswerk ist. Der einsam aufragende Glockenturm besieht sich das angerichtete Desaster: Atlantis hat es nicht besser verdient.
Der komplexen Anlage des Episodenromans mag die Ingenieurausbildung Karnezis' zugute gekommen sein. Der originelle Stil - von Sky Nonhoff kongenial aus dem Englischen übertragen - ist dabei auf subtile Weise wundervoll komisch. In "Deus ex machina" entpuppt sich der Maschinengott als ein Pferd namens Geschichte, genauer: eine pensionierte Rennstute, welche die geschichtslose Gemeinde, einem goldenen Kalb gleich, in gebührende Verzückung versetzt. Karnezis' Meisterschaft zeigt sich in ruhigen, fast beiläufigen Sätzen wie diesem: "Der Lexikonverkäufer verglich ihre Mähne mit den Fransen am Samtvorhang des Nationaltheaters, doch niemand wußte den Vergleich zu würdigen, da keiner der Dorfbewohner je in der Hauptstadt gewesen war."
Obwohl durchweg der hohe, leicht antiquierte Ton vorherrscht, scheut der Autor so wenig wie der Priester die Stimme des Bauern, wenn etwa dem tumben Isidoro erklärt werden muß, "daß die Pforten des Paradieses für ihn so verschlossen bleiben würden wie ein verstopfter Arsch, wenn er nicht endlich Demut und Dankbarkeit zeigte". Nie aber obsiegt in diesen Erzählungen das Klischee oder die Grobianik, das Mokante oder das Märchenmotiv. Alle Pointen auf die feine griechisch-englische Art liegen im freilich weit ausgeschrittenen Kreis des Möglichen. Mit einem Wort: Dieses babylonische Debüt vor den Pforten des Paradieses steht seiner literarischen Tradition in nichts nach.
OLIVER JUNGEN
Panos Karnezis: "Kleine Gemeinheiten". Aus dem Englischen übersetzt von Sky Nonhoff. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004. 278 S., br., 16,- [Euro].
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