Erzählungen der südafrikanischen Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren. Sie kreisen vornehmlich um das Verhalten der privilegierten Weißen in Südafrika, die ihre liberale Einstellung gern zur Schau stellen, nach wie vor aber "rassistischen" Denkschemata verhaftet bleiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.1999Die Aufregung von Afrika
Bunt: Nadine Gordimer erzählt von "Livingstones Gefährten"
Wie Bilder Brueghels sind die Kurzgeschichten Nadine Gordimers komponiert. Ein großes Landschaftspanorama wird von einer bewegten Menge belebt, und am Rande oder im Hintergrund, dem Auge des Betrachters durch die unruhige Menge fast ganz entzogen, ereignet sich, was einzig der Aufmerksamkeit wert gewesen wäre: der Untergang oder die Erlösung der Menschheit. Auch David Livingstone, der geheime Held der Titelgeschichte eines von der Autorin schon 1971 zusammengestellten Erzählbandes, verstand sich als Erlöser, als er zu seiner letzten Reise ins Innere Afrikas aufbrach: "Wenn man mit dem Ziel reist, die Lage der Eingeborenen zu verbessern, wird dadurch jede Handlung geadelt", schreibt er in seinem letzten Tagebuch. Seine hohe Idee ist von den Nachkommen auf eine höhnische Weise mißverstanden worden.
Von der Vergeudung einer guten Absicht erzählt auch die Titelgeschichte von Gordimers Erzählband, in der sich der südafrikanische Journalist Carl Church, ermüdet von den müßigen Parlamentsdebatten im Einparteienstaat der Apartheid, aufmacht, um die Gräber von Livingstones Gefährten zu besuchen. Er will darüber einen Zeitungsartikel schreiben, verwickelt sich aber in Bekanntschaften mit aufgedrehten Damen, mit kessen Hotelangestellten und gibt sich am "heiligen" Ort der kolonialen Geschichte in einem schäbigen Touristenmilieu dem Badevergnügen hin. Über solchen Zerstreuungen vergißt er sein Vorhaben, und erst bei der Rückfahrt stolpert er wie zufällig über die Gedenkstätten der Erforscher Afrikas.
Die Beiläufigkeit des Wesentlichen zeigen alle hier versammelten Erzählungen, ob sie die Geschichte eines Kontinents oder das Geheimnis eines Individuums zum Thema haben. Die Erzählung "Der Störenfried" zumindest nimmt den Leser, ohne ihm das Ziel zu nennen, mit auf die Reise in den gefährlichen Kontinent der Seele, gleichsam in ein "inneres Afrika", wie es Carl Church geographisch aufzuspüren versucht hatte. Ein eigentlich glückliches Paar findet den aufgeräumten Salon, von dem es sich abends zu seliger Ruh' zurückgezogen hat, am Morgen völlig zerstört wieder. Die Protagonisten der Erzählung stehen fassungslos vor dem Chaos, für das sich kein Täter findet. Der Leser aber ahnt, sofern er sich vom Gedränge der Ereignisse nicht ablenken läßt, die Ursache: Der zerstörte Salon ist Bild und Resultat eines Ausbruchsversuchs, mit dem die junge Frau dem Gefängnis der Ehe entgehen wollte.
Nadine Gordimer plaudert diese Lösung nicht aus, denn so gebietet es die Gattung, die sie gewählt hat, die Kurzgeschichte. Von ihr übernimmt sie den lakonischen Ton, die parataktischen, kurzen, schmucklosen Sätze, die die Objektivität, ja die desinteressierte Oberflächlichkeit des kühlen Beobachters kennzeichnen, der nur sieht, nicht deutet. In den trockenen Zonen dieser Gattung hält es Nadine Gordimer aber nicht lange aus. Zumindest fürchtet sie um die Gunst ihres Lesers, für den sie deshalb Wegweiser in die schwülen Bereiche der Seele aufstellt und überall Blitzlichter zündet, die die Szene moralisch erhellen.
Am Horizont der Prosa Nadine Gordimers tauchen stets die gleichen zwei Pole auf: Afrika und die menschliche Seele. Das Äußerlichste oder das Innerste, die Politik oder die Psyche, durchkreuzen den ruhigen Gang des Geschehens. Die Welt, die einfach und banal ist oder zu sein scheint, verwirrt sich, weil es in diesen exotischen Regionen Normalität nicht geben kann. Bevor allerdings die Abgründe, die sich hinter dem Alltagsgeschehen auftun, benannt und gedeutet werden könnten, brechen die Texte ab. Die lapidare Form der Short Story verlangt vom Erzähler, daß er nur beobachtet; es bleibt dem Leser überlassen, eine Interpretation zu finden. Hat er die tiefere Bedeutung hinter dem Referat der Fakten gefunden, so darf er sich als Mitautor fühlen.
In den frühen Kurzgeschichten aus den sechziger Jahren beherrscht das Thema "Afrika" die Thematik mehr als das der Psyche. In ihrem jüngsten Roman "Die Hauswaffe" hingegen hat Nadine Gordimer ganz auf das politische Sujet, das sie berühmt gemacht hat, verzichtet. Dieses nach der Aufhebung der Rassentrennung entstandene Werk erzählt die Anamnese des Verhältnisses eines Elternpaares zu seinem Sohn. Der Roman zieht keinen Vorteil mehr aus jenem Exotismus des fernen Kontinents, der das Ambiente und die Moral der früheren Werke bereitgestellt hat. Mit dem Sujet "Afrika" hat Nadine Gordimer weltweit ein Publikum gewonnen, indem sie die Elemente einer poetischen Ferne, der afrikanischen Landschaft, der unterdrückten Menschen, mit der Anklage gegen die Verantwortungslosigkeit der weißen Eroberer verband, indem sie also die Politik poetisierte.
Die politische Moral, so zeigt der nun ins Deutsche übersetzte Band, war aber auch schon damals eine außerliterarische Zutat. Die schlichte Ehebruchsgeschichte "Das Leben in der Phantasie" etwa könnte ebensogut in Nürtingen wie in Pretoria spielen. Das Rassenthema wird gewissermaßen pflichtgemäß eingeführt. Der Leser verfolgt die Annäherung zwischen dem Mann und der Frau wie jede der so vielen wohlbekannten Liebesgeschichten der Weltliteratur. Erst ganz zum Schluß, als die Sünderin ihren Liebhaber nicht mehr, schuldbewußt, an fremden Orten trifft, sondern ihn ins Haus ihres Ehemannes eingelassen und in sein Bett geholt hat, bricht aus ihr die Angst hervor, die alle weißen Frauen ihrer Bekanntschaft vor den schwarzen Männern haben. Wie der Nachtmahr auf Füßlis Bild schrecken die Schlafende Vergewaltigungsphantasien. Die Aufregung, die das novellistische Sujet Ehebruch herzustellen nicht mehr in der Lage ist, kompensiert das politische Bewußtsein. Afrika scheint für die Literatur der Nadine Gordimer eine zufällige Gunst zu sein, nicht ihr notwendiges Thema. HANNELORE SCHLAFFER
Nadine Gordimer: "Livingstones Gefährten". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Anne Steeb-Müller. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1998. 383 S., geb., 39,80 Mark.
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Bunt: Nadine Gordimer erzählt von "Livingstones Gefährten"
Wie Bilder Brueghels sind die Kurzgeschichten Nadine Gordimers komponiert. Ein großes Landschaftspanorama wird von einer bewegten Menge belebt, und am Rande oder im Hintergrund, dem Auge des Betrachters durch die unruhige Menge fast ganz entzogen, ereignet sich, was einzig der Aufmerksamkeit wert gewesen wäre: der Untergang oder die Erlösung der Menschheit. Auch David Livingstone, der geheime Held der Titelgeschichte eines von der Autorin schon 1971 zusammengestellten Erzählbandes, verstand sich als Erlöser, als er zu seiner letzten Reise ins Innere Afrikas aufbrach: "Wenn man mit dem Ziel reist, die Lage der Eingeborenen zu verbessern, wird dadurch jede Handlung geadelt", schreibt er in seinem letzten Tagebuch. Seine hohe Idee ist von den Nachkommen auf eine höhnische Weise mißverstanden worden.
Von der Vergeudung einer guten Absicht erzählt auch die Titelgeschichte von Gordimers Erzählband, in der sich der südafrikanische Journalist Carl Church, ermüdet von den müßigen Parlamentsdebatten im Einparteienstaat der Apartheid, aufmacht, um die Gräber von Livingstones Gefährten zu besuchen. Er will darüber einen Zeitungsartikel schreiben, verwickelt sich aber in Bekanntschaften mit aufgedrehten Damen, mit kessen Hotelangestellten und gibt sich am "heiligen" Ort der kolonialen Geschichte in einem schäbigen Touristenmilieu dem Badevergnügen hin. Über solchen Zerstreuungen vergißt er sein Vorhaben, und erst bei der Rückfahrt stolpert er wie zufällig über die Gedenkstätten der Erforscher Afrikas.
Die Beiläufigkeit des Wesentlichen zeigen alle hier versammelten Erzählungen, ob sie die Geschichte eines Kontinents oder das Geheimnis eines Individuums zum Thema haben. Die Erzählung "Der Störenfried" zumindest nimmt den Leser, ohne ihm das Ziel zu nennen, mit auf die Reise in den gefährlichen Kontinent der Seele, gleichsam in ein "inneres Afrika", wie es Carl Church geographisch aufzuspüren versucht hatte. Ein eigentlich glückliches Paar findet den aufgeräumten Salon, von dem es sich abends zu seliger Ruh' zurückgezogen hat, am Morgen völlig zerstört wieder. Die Protagonisten der Erzählung stehen fassungslos vor dem Chaos, für das sich kein Täter findet. Der Leser aber ahnt, sofern er sich vom Gedränge der Ereignisse nicht ablenken läßt, die Ursache: Der zerstörte Salon ist Bild und Resultat eines Ausbruchsversuchs, mit dem die junge Frau dem Gefängnis der Ehe entgehen wollte.
Nadine Gordimer plaudert diese Lösung nicht aus, denn so gebietet es die Gattung, die sie gewählt hat, die Kurzgeschichte. Von ihr übernimmt sie den lakonischen Ton, die parataktischen, kurzen, schmucklosen Sätze, die die Objektivität, ja die desinteressierte Oberflächlichkeit des kühlen Beobachters kennzeichnen, der nur sieht, nicht deutet. In den trockenen Zonen dieser Gattung hält es Nadine Gordimer aber nicht lange aus. Zumindest fürchtet sie um die Gunst ihres Lesers, für den sie deshalb Wegweiser in die schwülen Bereiche der Seele aufstellt und überall Blitzlichter zündet, die die Szene moralisch erhellen.
Am Horizont der Prosa Nadine Gordimers tauchen stets die gleichen zwei Pole auf: Afrika und die menschliche Seele. Das Äußerlichste oder das Innerste, die Politik oder die Psyche, durchkreuzen den ruhigen Gang des Geschehens. Die Welt, die einfach und banal ist oder zu sein scheint, verwirrt sich, weil es in diesen exotischen Regionen Normalität nicht geben kann. Bevor allerdings die Abgründe, die sich hinter dem Alltagsgeschehen auftun, benannt und gedeutet werden könnten, brechen die Texte ab. Die lapidare Form der Short Story verlangt vom Erzähler, daß er nur beobachtet; es bleibt dem Leser überlassen, eine Interpretation zu finden. Hat er die tiefere Bedeutung hinter dem Referat der Fakten gefunden, so darf er sich als Mitautor fühlen.
In den frühen Kurzgeschichten aus den sechziger Jahren beherrscht das Thema "Afrika" die Thematik mehr als das der Psyche. In ihrem jüngsten Roman "Die Hauswaffe" hingegen hat Nadine Gordimer ganz auf das politische Sujet, das sie berühmt gemacht hat, verzichtet. Dieses nach der Aufhebung der Rassentrennung entstandene Werk erzählt die Anamnese des Verhältnisses eines Elternpaares zu seinem Sohn. Der Roman zieht keinen Vorteil mehr aus jenem Exotismus des fernen Kontinents, der das Ambiente und die Moral der früheren Werke bereitgestellt hat. Mit dem Sujet "Afrika" hat Nadine Gordimer weltweit ein Publikum gewonnen, indem sie die Elemente einer poetischen Ferne, der afrikanischen Landschaft, der unterdrückten Menschen, mit der Anklage gegen die Verantwortungslosigkeit der weißen Eroberer verband, indem sie also die Politik poetisierte.
Die politische Moral, so zeigt der nun ins Deutsche übersetzte Band, war aber auch schon damals eine außerliterarische Zutat. Die schlichte Ehebruchsgeschichte "Das Leben in der Phantasie" etwa könnte ebensogut in Nürtingen wie in Pretoria spielen. Das Rassenthema wird gewissermaßen pflichtgemäß eingeführt. Der Leser verfolgt die Annäherung zwischen dem Mann und der Frau wie jede der so vielen wohlbekannten Liebesgeschichten der Weltliteratur. Erst ganz zum Schluß, als die Sünderin ihren Liebhaber nicht mehr, schuldbewußt, an fremden Orten trifft, sondern ihn ins Haus ihres Ehemannes eingelassen und in sein Bett geholt hat, bricht aus ihr die Angst hervor, die alle weißen Frauen ihrer Bekanntschaft vor den schwarzen Männern haben. Wie der Nachtmahr auf Füßlis Bild schrecken die Schlafende Vergewaltigungsphantasien. Die Aufregung, die das novellistische Sujet Ehebruch herzustellen nicht mehr in der Lage ist, kompensiert das politische Bewußtsein. Afrika scheint für die Literatur der Nadine Gordimer eine zufällige Gunst zu sein, nicht ihr notwendiges Thema. HANNELORE SCHLAFFER
Nadine Gordimer: "Livingstones Gefährten". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Anne Steeb-Müller. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1998. 383 S., geb., 39,80 Mark.
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