Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.19961897
Somerset Maugham "Liza von Lambeth"
Mit einer Mutter, die für ihre Schönheit berühmt war, verlebte Somerset Maugham wunderbare Kindheitsjahre in Paris; die Mutter starb, er mußte zu einem Onkel nach England und hatte als Schüler keinen Spaß. Dann studierte er in Heidelberg Philosophie und Literatur (also er las und trank Kaffee und dachte nach) und absolvierte 1894 bis 97 (er war 1874 geboren worden, jetzt wollte er das Leben kennenlernen, und er lernte es kennen) eine medizinische Ausbildung in London. In diesen Londoner Jahren (Maugham verbrachte seine Ferien unter Homosexuellen in Italien, 1895 war Oscar Wilde deshalb verurteilt worden) schrieb er seinen ersten Roman, ein blitzendes Morgenstück immer noch. Titelheldin ist eine junge Slumbewohnerin, ein schönes Mädchen mit einem unausrottbaren Hang zur persönlichen Freiheit. Sie hat einen Verehrer, selber aber liebt sie einen älteren verheirateten Mann; zunächst bleibt das Liebesverhältnis der beiden geheim, aber bald weiß das ganze Viertel davon, man redet darüber, eines Tages kommt es zu einer öffentlichen Schlägerei zwischen Liza und der Frau ihres Liebhabers: Liza erleidet eine Fehlgeburt und stirbt. Maughams Stärken hier sind eine glänzende, bestechend kühle Milieuschilderung, jedes Fehlen von Sentimentalität beim Erzählen einer Geschichte, die ebenso schön wie traurig ist, vor allem aber die Erfindung einer jungen Frau, in die man sich verlieben muß: ganz sicher so etwas wie ein Selbstporträt des Autors oder die schöne Verkörperung jener von ihm über alles geliebten und hier wie mit einem Schlag erlangten Befreiung von den Konventionen einer erstarrten Gesellschaft. Maugham hat dann viele herrliche Sachen geschrieben, aber über dieser liegt ein Schmelz, der dann wohl vergehen mußte. (Somerset Maugham: "Liza von Lambeth". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Irene Muehlon. Diogenes Verlag, Zürich 1985. 125 S., br., 8,80 DM.) R.V.
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Somerset Maugham "Liza von Lambeth"
Mit einer Mutter, die für ihre Schönheit berühmt war, verlebte Somerset Maugham wunderbare Kindheitsjahre in Paris; die Mutter starb, er mußte zu einem Onkel nach England und hatte als Schüler keinen Spaß. Dann studierte er in Heidelberg Philosophie und Literatur (also er las und trank Kaffee und dachte nach) und absolvierte 1894 bis 97 (er war 1874 geboren worden, jetzt wollte er das Leben kennenlernen, und er lernte es kennen) eine medizinische Ausbildung in London. In diesen Londoner Jahren (Maugham verbrachte seine Ferien unter Homosexuellen in Italien, 1895 war Oscar Wilde deshalb verurteilt worden) schrieb er seinen ersten Roman, ein blitzendes Morgenstück immer noch. Titelheldin ist eine junge Slumbewohnerin, ein schönes Mädchen mit einem unausrottbaren Hang zur persönlichen Freiheit. Sie hat einen Verehrer, selber aber liebt sie einen älteren verheirateten Mann; zunächst bleibt das Liebesverhältnis der beiden geheim, aber bald weiß das ganze Viertel davon, man redet darüber, eines Tages kommt es zu einer öffentlichen Schlägerei zwischen Liza und der Frau ihres Liebhabers: Liza erleidet eine Fehlgeburt und stirbt. Maughams Stärken hier sind eine glänzende, bestechend kühle Milieuschilderung, jedes Fehlen von Sentimentalität beim Erzählen einer Geschichte, die ebenso schön wie traurig ist, vor allem aber die Erfindung einer jungen Frau, in die man sich verlieben muß: ganz sicher so etwas wie ein Selbstporträt des Autors oder die schöne Verkörperung jener von ihm über alles geliebten und hier wie mit einem Schlag erlangten Befreiung von den Konventionen einer erstarrten Gesellschaft. Maugham hat dann viele herrliche Sachen geschrieben, aber über dieser liegt ein Schmelz, der dann wohl vergehen mußte. (Somerset Maugham: "Liza von Lambeth". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Irene Muehlon. Diogenes Verlag, Zürich 1985. 125 S., br., 8,80 DM.) R.V.
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