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Ein Roman über die menschliche Suche nach dem verlorenen Paradies. Ironisch greift der russische Kultautor Vladimir Sorokin in seinem neuen Buch Themen zeitgenössischer Fantasien und populärer Alltagsmythen auf. Es entsteht ein sehr unterhaltsamer, atemberaubend spannender Text, der in seiner zeitkritischen Doppeldeutigkeit an Bret Easton Ellis, Michel Houellebecq oder Christian Kracht erinnert. Im zeitgenössischen Moskau ist eine geheimnisvolle Sekte auf der Jagd nach Menschen, die ein "lebendiges Herz" besitzen. Nur diejenigen ihrer gekidnappten Opfer überleben, deren Herz zu "sprechen"…mehr

Produktbeschreibung
Ein Roman über die menschliche Suche nach dem verlorenen Paradies. Ironisch greift der russische Kultautor Vladimir Sorokin in seinem neuen Buch Themen zeitgenössischer Fantasien und populärer Alltagsmythen auf. Es entsteht ein sehr unterhaltsamer, atemberaubend spannender Text, der in seiner zeitkritischen Doppeldeutigkeit an Bret Easton Ellis, Michel Houellebecq oder Christian Kracht erinnert.
Im zeitgenössischen Moskau ist eine geheimnisvolle Sekte auf der Jagd nach Menschen, die ein "lebendiges Herz" besitzen. Nur diejenigen ihrer gekidnappten Opfer überleben, deren Herz zu "sprechen" beginnt, nachdem es mit einem Eishammer getroffen wurde. Schnell stellen diese fest, nach der ekstatischen Erfahrung des "Herzkontakts" kein normales Leben mehr führen zu können - im Vergleich sind alle anderen Empfindungen schal. Sie gehören nun zu einer geheimen Bruderschaft, die ihre spirituelle Kraft aus dem urzeitlichen Eis des sibirischen Tunguska-Meteoriten schöpft. Die Sekte zählte bereits in Hitlers SS und in Stalins Geheimgarde Mitglieder und verfolgt das Ziel, die von Sex und Gewalt verdorbene Erde auszulöschen und zur ewigen Existenz zurückzukehren.
Der Roman verbindet in seinen vier Teilen meisterhaft die verschiedenen Genres der Action- und Fantasyliteratur und des modernen russischen Kriminalromans mit pikaresken und satirischen Elementen. Die Vielzahl seiner möglichen Interpretationen wird wohl so schnell nicht ausgeschöpft sein. Wie AiF begeistert konstatiert: "Vladimir Sorokins neuer Roman stellt den Höhepunkt seines Œuvres dar."
Autorenporträt
Vladimir Sorokin, geb. 1955, gilt als der bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Russlands. Er ist einer der schärfsten Kritiker der politischen Eliten Russlands und sieht sich regelmäßig heftigen Angriffen regimetreuer Gruppen ausgesetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2002

Die Eistester
Ist das Pornographie? Wladimir Sorokins jüngster Roman "Ljod"

MOSKAU, im August

Nachdem die von der Moskauer Staatsanwaltschaft bestellten Experten in Wladimir Sorokins drei Jahre altem Roman "Himmelblauer Speck" Passagen entdeckten, die sie für pornographisch halten (F.A.Z. vom 7. August), ließ man vorsichtshalber auch Sorokins neuestes Buch, den Roman "Ljod" (Eis), auf Sittenwidrigkeit überprüfen. Diesmal war der Befund negativ. Das in diesem Jahr erschienene Werk enthält einige wenige Sex-Szenen, die von Sorokin erbarmungslos protokollarisch geschildert werden. In der früheren Prosa des Schriftstellers, dessen künstlerischer Blick mit der Zeit philosophische Abgeklärtheit gewonnen hat, hätte man erheblich mehr solcher Stellen finden können.

Das nährt den Verdacht, daß sich die Säuberer der russischen Kultur gar nicht so sehr über Pornographie aufregen, zumal echte Pornographie an jeder Straßenecke zu haben ist und etwa der Kampf gegen die Internet-Vertreiber von pädophilen Bildern am zähen Widerstand der Moskauer Staatsanwaltschaft scheitert. Außer in Thailand gibt es heute nur in Rußland kein Gesetz zur Kinderpornographie. Die in "Himmelblauer Speck" beanstandete Szene zeichnete sich unter allen anderen Sorokinschen dadurch aus, daß Stalin und Chruschtschow beziehungsweise deren Klone geschlechtlich miteinander verkehrten. Daß das von diesen Figuren besetzte höchste Staatsamt berührt wird, scheint für die Jugendorganisation "Zusammengehende", der die Herdengemeinschaft unter präsidialer Protektion das oberste Gebot ist, den Ausschlag gegeben zu haben.

Während die Jungkarrieristen beim bewunderten und gefürchteten Staatsmoloch Führung und Futter suchen, produziert der literarische Blick des von ihnen geschmähten Sorokin auf ebendiesen Moloch Visionen von Gewalt und Ekstase, die sich mit dem historischen Fortschritt in Unterhaltungstechniken verwandeln. Rußland übernimmt beständig westliche Techniken, um sich selbst zu verwalten und zu definieren, vom Absolutismus über den Kommunismus bis zum liberalen Kapitalismus. Auf dem russischen Boden nehmen diese Importwaren leicht etwas allzu buchstäbliches, grimassenhaft übermächtiges an, so daß sie dem westlichen Blick als böse Parodie erscheinen können. Diese von Kultursedimenten wenig vermittelt und gepolsterte Welterfahrung, die freilich ihre eigene Raffinesse und eine besondere Spiritualität hervorbringt, ist von russischen Philosophen oft beschrieben worden und gilt als Grund, weshalb Philosophie, Literatur und Religion sich in Rußland so schwer voneinander trennen lassen.

Sorokins Werk ist hierfür ein Paradebeispiel. Es gehört zu seinen Erkennungszeichen, daß bei ihm sprachliche Wendungen, an deren übertragene, bildliche Bedeutung man sich gewöhnt hat, eine erschreckende Buchstäblichkeit zurückgewinnen. Wenn brave sowjetische Konsumenten Fäkalien essen, wenn ein Mensch namens Roman zuerst Mitmenschen und dann sich selbst verhackstückt, wenn unter dem platonischen Titel "Gastmahl" die Gefräßigkeit unserer Zivilisation, die Probleme von Liebeshunger oder geistiger Nahrung als konkrete Eßphänomene verhandelt werden, so steckt darin neben einem zwanghaften Humor auch ein nicht nur sprachlicher Ernst, der immer wieder neu verstören kann.

Die Helden seines neuesten Romans sind die Überlebenden eines brutal-mystischen Erweckungsrituals, das durch Hammerschläge auf den Brustkorb das Herz zum Sprechen bringt. Auf diese Weise werden ein Jugendlicher vom Schlag Beavis & Butthead, eine Prostituierte und ein neurussischer Geschäftsmann Mitglieder eines Geheimordens blonder, blauäugiger Hyperboreer, die sprach- und sexfrei von Herz zu Herz kommunizieren. Daß ungezählte "taube Nüsse", in nichts schlechter oder besser als die Erwählten, von den Rekrutierungskommandos ohne Bedauern als wertlose Fleischmaschinen liquidiert werden, macht das Scheitern der Normalweisheit existentiell spürbar. Wie sich durch eine volkstümliche Erzählung herausstellt, nistete der Orden, der davon träumt, kraft seiner kollektiven Erleuchtung die defekte Welt zum Verschwinden zu bringen, schon im Busen von Hitlers SS und Stalins Geheimgarde und verklammerte die totalitären Staaten miteinander, während sie einander bekriegten.

Spirituelle Kraft bezieht die Herzensbruderschaft von der außerirdisch philosophischen Kälte des Meteoriteneises aus dem sibirischen Tungus, ihrem galaktischen heiligen Gral, in dem sich der Traum aller konservativen russischen Revolutionäre vom "Einfrieren" ihres Landes materialisiert. Der geistige Treibhauseffekt läßt sich freilich nur verzögern. Unter den gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnissen hungert auch die himmlische Substanz nach Investitionen und wird in eine Aktiengesellschaft mit westlicher Beteiligung umgewandelt. Die Frucht der friedlich kommerziellen Erschließung ist ein eisbetriebener Erlebnisapparat, der ohne gesundheitliche Risiken die Erfahrungen von Allmitleid, Allverbundenheit und Erleuchtung den normalen Menschen zugänglich macht. Das bezeugen unterschiedliche Testpersonen: etwa ein Filmregisseur, eine Geschäftsfrau, ein Rentner oder ein Priester, die je nach Alter und sozialem Umfeld den Eistrip mit eigenen Visionen auskleiden. Doch es bleibt einem Knaben vorbehalten, die Dinge zu einem Ende zu führen: Das Buch verabschiedet den Leser mit dem Bild des Jungen, der Reste der frierenden Substanz in seinem Bettchen mit dem Wärmetod beglückt.

KERSTIN HOLM

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Katharina Granzin nennt das neue Buch des russischen Skandalschriftstellers einen "echten Sorokin" und das scheint ein Kompliment zu sein. Jedenfalls ist sie beeindruckt von der Eindringlichkeit der Erzählung, die eine wilde Abhandlung über "Rassenwahn, Naziästhetik, politischen Fanatismus und kalte Menschenverachtung" ist: "Der Roman unterwirft uns seiner eigenen eisigen Moral". Granzin entdeckt in dieser Erzählung einige Parallelen zu seinem Roman "Der himmelblaue Speck", zum Beispiel dass eine "symbolhafte Substanz Katalysator der Handlung" ist. Die Handlung kommt nach Meinung der Rezensentin im ersten Teil des Buches jedenfalls sehr "mysteriös, aber spannend" daher. Dafür werden aber im zweiten Teil die Hintergründe umso ausführlicher erklärt und zu einem "kurzen Abriss des Totalitarismus" verarbeitet. Nur mit den beiden Schlussteilen kann Granzin nicht so viel anfangen - das Ende des vierten Teil des Buches erscheint ihr sehr kitschig und sie kommentiert leicht pikiert: "Das kann ja wohl kaum des Postmodernisten Ernst sein".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Dieser Roman zieht die Summe des verrückten 20. Jahrhunderts und markiert den vorläufigen Gipfel in Sorokins Schaffen." (Tagesspiegel)

"In LJOD. Das Eis macht der Autor seinem Namen als bedeutendstes enfant terrible der russischen Literatur alle Ehre." (taz)