Lob der Grenzen wurde von Régis Debray 2010 in Tokio als Vortrag gehalten. Debray geht darin weit in die Geschichte der Menschheit zurück, beleuchtet die Bedeutung der Grenze im Spiegel der verschiedenen Weltreligionen sowie säkularen Kulturen und diskutiert ihren Sinn und Zweck. In der globalisierten Welt richtet er sich gegen das allgemein angesagte Postulat "ohne Grenzen" und fragt gegen den Strom danach, wohin es führen könnte. Nach Debrays Beobachtung bedeutet die Abschaffung einer Grenze, diese lediglich weiter nach außen zu verschieben, was zu unterschiedlichen, problematischen Konsequenzen führe.
Geschichtlich gesehen, so Debray, hat die Grenze die Menschheit vorangebracht, Kultur ermöglicht. "Ohne Grenzen" hingegen ist alles erlaubt, alles möglich, wird alles banal und beliebig. Grenzen, die es ihrerseits stets zu hinterfragen gilt, helfen, Orientierung zu geben, wo sonst ein Vakuum entstehen könnte. Dabei geht Debray von der konkreten, geografischen Grenze aus und gelangt von dort zur abstrakten, philosophischen Bedeutung der Grenze.
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Geschichtlich gesehen, so Debray, hat die Grenze die Menschheit vorangebracht, Kultur ermöglicht. "Ohne Grenzen" hingegen ist alles erlaubt, alles möglich, wird alles banal und beliebig. Grenzen, die es ihrerseits stets zu hinterfragen gilt, helfen, Orientierung zu geben, wo sonst ein Vakuum entstehen könnte. Dabei geht Debray von der konkreten, geografischen Grenze aus und gelangt von dort zur abstrakten, philosophischen Bedeutung der Grenze.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.06.2016Gedankensplitter
ohne Limit
Régis Debrays „Lob der Grenzen“
hat zahllose Schwächen
Durch die Dynamik der Flüchtlingsbewegungen sind die EU-Grenzregime („Schengen“, „Dublin“) in eine Krise geraten. Grenzen sind deshalb aus guten und weniger guten Gründen zum Thema geworden. Der französische Philosoph Régis Debray hat eben seinen Essay „Lob der Grenzen“ vorgelegt, der auf einem Vortrag in Tokio beruht, den er 2010 – also noch vor den Fluchtbewegungen aus Syrien und Nordafrika – gehalten hat. Die plakative Rede von der „Aufhebung der Grenzen“ hält Debray für „eine dumme Idee“.
Da wird man ihm kaum widersprechen, obwohl die Begründung, die Debray für seine These liefert, nicht überzeugt. Im Grunde besteht der Essay nämlich nur aus assoziativen und atemlos herzitierten Aperçus ohne argumentativen Zusammenhang, dafür mit problematischen normativen Voraussetzungen. So meint er etwa, die Insellage bewahre Staaten vor der Gefahr, „zerstückelt“ zu werden, und verleihe ihnen ein „Stück Homogenität“. Das ist nichts weiter als ein abgestandener Ladenhüter aus dem Arsenal geopolitischer „Theorien“. Deren Status als Wissenschaft ist ungeklärt. Die meisten Ansätze naturalisieren nur politische und militärische Interessen, so, als ob ein Staat eine Kriegsmarine bräuchte, weil er von Wasser umgeben ist. Abstrus ist die Vermutung der Homogenität von Inselstaaten. Irland und Zypern – Debrays Beispiele – sind von Spaltung und Bürgerkrieg erschüttert.
Aneinandergereihte Gemeinplätze, die natürliche, historische, ethnische, religiöse, kulturelle und sprachliche Unterschiede zu einem Brei vermischen, geben keine kohärenten Gründe her für Grenzen: „Jede Kultur hat ihre Ausprägung. Manche haben den Bart, andere die heilige Kuh, die Robbe auf dem Teller, die Halterung am Penis.“
Auch die Frage, wozu Grenzen dienen, beantwortet der Autor nur mit medizinischem, physikalischem, chemischem, biologischem und kosmologisch-religiösem Allerlei. Das „Heilige“ bedarf eines „abgeschlossenen Raumes“ wie der Embryo des Mutterleibes, aber zum „glücklichen Aufenthalt“ gehören „Schlupflöcher, Öffnungen: Ausfallpforten, Labyrinthe, der Gebärmutterhals zur mütterlichen Muschel“. Grenzen sind „der vorgeschobene Kampf des Geschlossenen gegen das Offene“ und diese beiden bilden zusammen „ein Tandem, genauso unzertrennlich wie warm und kalt, Schatten und Licht, maskulin und feminin, Erde und Himmel“. Dem Problem der Grenzen – in der Politik, in den Wissenschaften, in der Kultur und im Alltag – kommt Debray damit nicht einmal nahe.
RUDOLF WALTHER
Rudolf Walther ist freier Publizist. Sein vierter Essayband erschien unter dem Titel: „Aufgreifen, begreifen, angreifen“, Münster 2014 (Oktober Verlag).
Régis Debray:
Lob der Grenzen. Aus dem Französischen von Nicole Neumann, Laika-Verlag, Hamburg 2016, 58 Seiten, 9,80 Euro.
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Régis Debrays „Lob der Grenzen“
hat zahllose Schwächen
Durch die Dynamik der Flüchtlingsbewegungen sind die EU-Grenzregime („Schengen“, „Dublin“) in eine Krise geraten. Grenzen sind deshalb aus guten und weniger guten Gründen zum Thema geworden. Der französische Philosoph Régis Debray hat eben seinen Essay „Lob der Grenzen“ vorgelegt, der auf einem Vortrag in Tokio beruht, den er 2010 – also noch vor den Fluchtbewegungen aus Syrien und Nordafrika – gehalten hat. Die plakative Rede von der „Aufhebung der Grenzen“ hält Debray für „eine dumme Idee“.
Da wird man ihm kaum widersprechen, obwohl die Begründung, die Debray für seine These liefert, nicht überzeugt. Im Grunde besteht der Essay nämlich nur aus assoziativen und atemlos herzitierten Aperçus ohne argumentativen Zusammenhang, dafür mit problematischen normativen Voraussetzungen. So meint er etwa, die Insellage bewahre Staaten vor der Gefahr, „zerstückelt“ zu werden, und verleihe ihnen ein „Stück Homogenität“. Das ist nichts weiter als ein abgestandener Ladenhüter aus dem Arsenal geopolitischer „Theorien“. Deren Status als Wissenschaft ist ungeklärt. Die meisten Ansätze naturalisieren nur politische und militärische Interessen, so, als ob ein Staat eine Kriegsmarine bräuchte, weil er von Wasser umgeben ist. Abstrus ist die Vermutung der Homogenität von Inselstaaten. Irland und Zypern – Debrays Beispiele – sind von Spaltung und Bürgerkrieg erschüttert.
Aneinandergereihte Gemeinplätze, die natürliche, historische, ethnische, religiöse, kulturelle und sprachliche Unterschiede zu einem Brei vermischen, geben keine kohärenten Gründe her für Grenzen: „Jede Kultur hat ihre Ausprägung. Manche haben den Bart, andere die heilige Kuh, die Robbe auf dem Teller, die Halterung am Penis.“
Auch die Frage, wozu Grenzen dienen, beantwortet der Autor nur mit medizinischem, physikalischem, chemischem, biologischem und kosmologisch-religiösem Allerlei. Das „Heilige“ bedarf eines „abgeschlossenen Raumes“ wie der Embryo des Mutterleibes, aber zum „glücklichen Aufenthalt“ gehören „Schlupflöcher, Öffnungen: Ausfallpforten, Labyrinthe, der Gebärmutterhals zur mütterlichen Muschel“. Grenzen sind „der vorgeschobene Kampf des Geschlossenen gegen das Offene“ und diese beiden bilden zusammen „ein Tandem, genauso unzertrennlich wie warm und kalt, Schatten und Licht, maskulin und feminin, Erde und Himmel“. Dem Problem der Grenzen – in der Politik, in den Wissenschaften, in der Kultur und im Alltag – kommt Debray damit nicht einmal nahe.
RUDOLF WALTHER
Rudolf Walther ist freier Publizist. Sein vierter Essayband erschien unter dem Titel: „Aufgreifen, begreifen, angreifen“, Münster 2014 (Oktober Verlag).
Régis Debray:
Lob der Grenzen. Aus dem Französischen von Nicole Neumann, Laika-Verlag, Hamburg 2016, 58 Seiten, 9,80 Euro.
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