Der französische Bestseller Éloge de l'Amour erscheint erstmals in deutscher Übersetzung. Der Philosoph Alain Badiou erklärt darin in einem Gespräch mit Nicolas Truong seinen Begriff der Liebe: "Die Überzeugung, dass jeder nur seine Interessen verfolgt, ist heute weit verbreitet. Die Liebe ist nun der Gegenbeweis dafür. Die Liebe ist das Vertrauen auf den Zufall." Der Philosoph muss sicherlich ein geübter Wissenschafter sein, ein Liebhaber der Gedichte und ein politischer Aktivist, aber er muss es auch auf sich nehmen, dass das Denken niemals von den gewaltigen Ereignissen der Liebe zu trennen ist. Gelehrter, Künstler, Aktivist und Liebender, das sind die Rollen, die die Philosophie von ihrem Subjekt verlangt. Badiou nennt das die vier Bedingungen der Philosophie.Beim Festival von Avignon 2008 fand im Rahmen des "Theaters der Ideen" dieser Dialog über die Liebe zwischen Alain Badiou und Nicolas Truong statt: "Geben wir ein wenig an: Nicolas, der Fragende, und ich in der Rolle desverliebten Philosophen, wir waren in Form und es wurde ein Erfolg, ja sogar ein beträchtlicher Erfolg."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2011Die Bühne der Zwei
Der französische Philosoph Alain Badiou singt das "Lob der Liebe"
Am Anfang der Liebe steht eine Trennung. Liebe ist das Zugeständnis meiner Bedürftigkeit. Liebe ist das Eingeständnis, dass es allein nicht geht, dass der andere notwendig dazugehört. Und dieser andere, ganz gleich welchen Geschlechts, bleibt immer von einem selbst unterschieden. Man ist mit dem anderen nicht identisch. Ganz einfach, weil der andere nicht irgendeinem Kerl aus der Rippe geschnitten oder aus sonst einem Ego irgendwie abgespalten worden ist. Der andere war von Anfang an als Unterschied in der Welt.
Deshalb nennt Alain Badiou in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Lob der Liebe" die Liebe die "Bühne der Zwei". Ausgehend von der zufälligen und überraschenden Begegnung von zwei Unterschieden, kann die Liebe beginnen und sich auf wirren - um nicht zu sagen: gesetzlosen - Wegen in der Welt fortsetzen. Um aber beginnen zu können, muss erst einmal sehr viel Müll abgetragen werden. Denn der Blick auf die Liebe ist verstellt, und das nicht nur von Partnervermittlungsagenturen, welche die Liebe ohne Risiko versprechen, sondern auch von den Geschichten, in die sie Philosophen und Dichter hineingezogen haben. Auch darum steht über Badious Buch die Forderung Arthur Rimbauds, dass die Liebe neu erfunden werden muss. Es kann schließlich nicht rechtens sein, dass Frauen, "die das Zeichen des Glücks auf der Stirn tragen", wie es in Rimbauds "Aufenthalt in der Hölle" an der entsprechenden Stelle weiter heißt, "von Rohlingen, gefühlvoll wie Scheiterhaufen, verschlungen werden".
Trotzdem kommt so etwas natürlich noch immer vor. Robert Gernhardt drückt es in seinem Buch "Körper in Cafés" in seinem einleitenden "Liebesgedicht" so aus: "Kröten sitzen gern vor Mauern, / wo sie auf die Falter lauern, / Falter sitzen gern an Wänden, / wo sie dann in Kröten enden, / So du, so ich, so wir. / Nur - wer ist welches Tier?" So gut Gernhardts Liebesverse auch gedichtet sind, so sagen sie doch nicht viel anderes aus als Rimbauds Rohlinge oder Pat Benatars Weltschlager "Love Is a Battlefield" aus den achtziger Jahren. Für Badiou sind das aber alles keine Beschreibungen der Liebe. Er bestreitet zwar nicht, dass es im Verlauf der Liebe zu Kämpfen, Enttäuschungen und Verletzungen kommen kann, aber das ist nicht der Kern der Liebe.
Die Liebe ist zuerst immer die Möglichkeit, bei der Geburt einer Welt dabei zu sein. Einer Geburt, in deren Gründungsakt zwei verschiedene Subjekte in ihrer Verschiedenheit auf die gleiche Welt schauen und den Unterschied als Bedingung der Liebe ansehen. "Darin besteht die Liebesbegegnung: Sie bestürmen den anderen, um ihn, so wie er ist, mit Ihnen existieren zu lassen", beschreibt Badiou den Anfang in seiner Liebeskonstruktion. Er nennt seine Liebesreflexion auch deshalb eine Konstruktion, um den Gegensatz zur "Erfahrung" deutlich zu machen. Denn unsere Erfahrungen sind kontaminiert mit allen möglichen Assoziationen, die aber mit der Liebe nichts zu tun haben.
Ein Großteil der gegenwärtigen Denkarbeit bestehe darin, zu trennen, was unrechtmäßig vermischt wurde, beschreibt Badiou sein philosophisches Konzept in diesem Gespräch über die Liebe. Das "Lob der Liebe" ist die schriftliche Version eines Dialogs, den Badiou mit dem Journalisten Nicolas Truong am 14. Juli 2008 im Rahmen der Reihe "Theater der Ideen" auf dem Festival von Avignon führte. Und es ist auch die gute Laune, welche die beiden in der Freude darüber versprühen, sich am französischen Nationalfeiertag über die Liebe unterhalten zu dürfen und nicht über Staat, Armee und Nation, die das Gespräch, als es in Frankreich 2009 als Buch erschien, zu einem Bestseller werden ließ.
Es geht um die Liebe als universelles Ereignis und nicht um Frankreich als Land der Liebe oder Paris als Stadt der Liebe oder irgendein französisches Spezifikum, wie es sich in Heinz Erhardts Witz ausdrückt, nach dem ein Deutscher eine Partei sei, zwei Engländer ein Club und drei Franzosen eine Ehe seien. Es geht ausschließlich um die Bühne der Zwei und deren erste Wahrheit ist: Es gibt kein Gesetz der Liebe. Schließlich sind "die Liebenden alleine auf der Welt", wie das Sprichwort sagt. Sie sind bloße Träger des Unterschieds, von dem ausgehend sie die Welt erfahren.
Um das aber möglich zu machen, muss erst einmal der "liebesfeindlichen" Philosophie, deren herausragender Vertreter Arthur Schopenhauer ist, der Grund genommen werden. Schopenhauer erklärte, dass er den Frauen niemals verzeihe, die Liebesleidenschaft in die Welt gebracht zu haben, weil sie damit die Fortpflanzung der menschlichen Gattung ermöglichten, die doch wertlos sei. Das ist, über den notorischen Pessimismus hinaus, so Badiou, falsch, weil es die Liebe an die Fortpflanzung und damit an den Sex binde. Mit dem Psychoanalytiker Jacques Lacan meint Badiou, dass es keine sexuellen Beziehungen gibt. Im Sex genieße man durch den anderen vor allem sich selbst, und das auch oft nur partiell. In Badious Sprache heißt das: "Der andere dient Ihnen dazu, das Reale des Genießens zu entdecken." In der Liebe aber ist die Vermittlung durch den anderen an sich wertvoll. Damit hält Badiou auch die für ihn völlig banale Vorstellung, nach der die Liebe nichts anderes sei als die Maskierung sexuellen Begehrens, aus seiner Liebeskonzeption heraus.
Auch Goethes "das Ewig-Weibliche zieht uns hinan" am Ende des "Faust" ist ihm suspekt. Badiou findet solche Vorstellungen "obszön", weil die Liebe einen weder "hinauf" noch "hinunter" ziehe. Sie ist bei Badiou eine existentielle Behauptung: "die Konstruktion einer Welt unter einem Gesichtspunkt, der abseits meines bloßen Selbsterhaltungstriebes oder meines wohlverstandenen Interesses liegt". Und weil sich diese Behauptung nur auf der Bühne der Zwei vollziehen kann, kann es auch keine romantische Verschmelzung zur Eins geben. Wenn man aus Getrenntem Eins machen will, geht das nur um den Preis der Vernichtung des Getrennten. Deshalb enden viele Liebeserzählungen der romantischen Tradition tödlich, genauso wie der Kampf Herr gegen Knecht oder Herr gegen Magd immer letztlich auf den Sieg des einen über den anderen hinausläuft.
Damit hat die Liebe nach Badiou aber auch nichts mit Politik zu tun. In der Politik geht es immer um die Benennung eines Feindes, während in der Liebe der Feind keine Rolle spielt. Nicht mal den in Eifersucht betrachteten Rivalen hält Badiou im Liebesgeschehen für bedeutungsvoll. Das ist ein entschiedener Gegensatz zu all jenen, die wie Proust denken, dass die Eifersucht grundlegend für die Liebe sei. Für Proust war die Eifersucht der wahre, starke und diabolische Inhalt der Liebessubjektivität. Für Badiou ist das aber nur eine Variante der skeptischen Verkleidungstheorie der Liebe, hinter der nichts als das Bedürfnis nach Sex lauert.
Die Eifersucht ist bei Badiou "ein künstlicher Parasit der Liebe und keineswegs Teil ihrer Definition". Die Liebe benötigt am Anfang, um sich zu erklären, keinen äußeren Rivalen. Die Schwierigkeiten der Liebe hängen nicht mit der Existenz eines identifizierten Feindes zusammen, sondern sie sind dem schöpferischen Spiel des Unterschieds inhärent. Der Feind der Liebe ist der Egoismus, nicht der Rivale: "Der Hauptfeind der Liebe, derjenige, den ich besiegen muss, ist nicht der andere, sondern das bin ich, das ,Ich', das die Identität gegen den Unterschied will, das seine Welt gegen die Welt durchsetzen will, die im Prisma des Unterschieds gefiltert und neu zusammengesetzt wird." Der Wunsch oder der Wille, identisch zu sein mit dem anderen oder auch gleich mit der ganzen Welt, lauert aber überall. Die Zwei, heißt es in einem der schönsten Gedanken des Liebeslobs, muss immer mit der Rache des Einen rechnen. Die Rache des Einen gegen die Zwei sieht Badiou vor allem in den Religionen am Werk.
Religionen sprechen nur von der Liebe, um sie auf ihren "Ganz-Anderen" Gott umzuleiten, den Einzigen, der selbst dann noch nur einer ist, wenn er, wie im Christentum, dreiteilig auftritt. Die Umlenkung der Liebe auf Gott und die Institutionen der Kirche im Christentum sei ein Geniestreich, der auch deshalb so gelungen sei, weil Christen wirklich etwas von der Liebe verstehen. Das "Hohelied" etwa sei eine der kräftigsten Lobpreisungen der Liebe, die jemals geschrieben worden sei.
Es enthält für Badiou alle kämpferischen Intensitäten, die die Welt der Liebenden so einmalig und universell zugleich werden lassen. Nur hat das Christentum die irdische Schöpfung der Geburt einer Welt, das Stück für Stück in der Liebe eroberte Glück, durch eine passive, gebeugte Liebe ersetzt. Und eine kniende Liebe ist für Badiou keine Liebe, "selbst wenn wir manchmal in der Liebe die Leidenschaft verspüren, uns dem, den wir lieben, auszuliefern".
Aber natürlich schützt auch eine aufrechte Liebe nicht vor dem Desaster, das als Trennung in jede Liebe einbrechen kann. Davor gibt es für Badiou keinen Schutz, das ist die Unsicherheit, die immer bleibt, solange man unter der Liebe etwas anderes versteht als eine Vollkaskoversicherung. Eine Liebe ohne Risiko gibt es für Badiou nicht - nur aus dem Zulassen des Unberechenbaren gewinnt seine Liebe auf der Bühne der Zwei ihre Intensität.
CORD RIECHELMANN
Alain Badiou: "Lob der Liebe", übersetzt von Richard Steurer. Passagen-Verlag, 87 Seiten, 11,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der französische Philosoph Alain Badiou singt das "Lob der Liebe"
Am Anfang der Liebe steht eine Trennung. Liebe ist das Zugeständnis meiner Bedürftigkeit. Liebe ist das Eingeständnis, dass es allein nicht geht, dass der andere notwendig dazugehört. Und dieser andere, ganz gleich welchen Geschlechts, bleibt immer von einem selbst unterschieden. Man ist mit dem anderen nicht identisch. Ganz einfach, weil der andere nicht irgendeinem Kerl aus der Rippe geschnitten oder aus sonst einem Ego irgendwie abgespalten worden ist. Der andere war von Anfang an als Unterschied in der Welt.
Deshalb nennt Alain Badiou in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Lob der Liebe" die Liebe die "Bühne der Zwei". Ausgehend von der zufälligen und überraschenden Begegnung von zwei Unterschieden, kann die Liebe beginnen und sich auf wirren - um nicht zu sagen: gesetzlosen - Wegen in der Welt fortsetzen. Um aber beginnen zu können, muss erst einmal sehr viel Müll abgetragen werden. Denn der Blick auf die Liebe ist verstellt, und das nicht nur von Partnervermittlungsagenturen, welche die Liebe ohne Risiko versprechen, sondern auch von den Geschichten, in die sie Philosophen und Dichter hineingezogen haben. Auch darum steht über Badious Buch die Forderung Arthur Rimbauds, dass die Liebe neu erfunden werden muss. Es kann schließlich nicht rechtens sein, dass Frauen, "die das Zeichen des Glücks auf der Stirn tragen", wie es in Rimbauds "Aufenthalt in der Hölle" an der entsprechenden Stelle weiter heißt, "von Rohlingen, gefühlvoll wie Scheiterhaufen, verschlungen werden".
Trotzdem kommt so etwas natürlich noch immer vor. Robert Gernhardt drückt es in seinem Buch "Körper in Cafés" in seinem einleitenden "Liebesgedicht" so aus: "Kröten sitzen gern vor Mauern, / wo sie auf die Falter lauern, / Falter sitzen gern an Wänden, / wo sie dann in Kröten enden, / So du, so ich, so wir. / Nur - wer ist welches Tier?" So gut Gernhardts Liebesverse auch gedichtet sind, so sagen sie doch nicht viel anderes aus als Rimbauds Rohlinge oder Pat Benatars Weltschlager "Love Is a Battlefield" aus den achtziger Jahren. Für Badiou sind das aber alles keine Beschreibungen der Liebe. Er bestreitet zwar nicht, dass es im Verlauf der Liebe zu Kämpfen, Enttäuschungen und Verletzungen kommen kann, aber das ist nicht der Kern der Liebe.
Die Liebe ist zuerst immer die Möglichkeit, bei der Geburt einer Welt dabei zu sein. Einer Geburt, in deren Gründungsakt zwei verschiedene Subjekte in ihrer Verschiedenheit auf die gleiche Welt schauen und den Unterschied als Bedingung der Liebe ansehen. "Darin besteht die Liebesbegegnung: Sie bestürmen den anderen, um ihn, so wie er ist, mit Ihnen existieren zu lassen", beschreibt Badiou den Anfang in seiner Liebeskonstruktion. Er nennt seine Liebesreflexion auch deshalb eine Konstruktion, um den Gegensatz zur "Erfahrung" deutlich zu machen. Denn unsere Erfahrungen sind kontaminiert mit allen möglichen Assoziationen, die aber mit der Liebe nichts zu tun haben.
Ein Großteil der gegenwärtigen Denkarbeit bestehe darin, zu trennen, was unrechtmäßig vermischt wurde, beschreibt Badiou sein philosophisches Konzept in diesem Gespräch über die Liebe. Das "Lob der Liebe" ist die schriftliche Version eines Dialogs, den Badiou mit dem Journalisten Nicolas Truong am 14. Juli 2008 im Rahmen der Reihe "Theater der Ideen" auf dem Festival von Avignon führte. Und es ist auch die gute Laune, welche die beiden in der Freude darüber versprühen, sich am französischen Nationalfeiertag über die Liebe unterhalten zu dürfen und nicht über Staat, Armee und Nation, die das Gespräch, als es in Frankreich 2009 als Buch erschien, zu einem Bestseller werden ließ.
Es geht um die Liebe als universelles Ereignis und nicht um Frankreich als Land der Liebe oder Paris als Stadt der Liebe oder irgendein französisches Spezifikum, wie es sich in Heinz Erhardts Witz ausdrückt, nach dem ein Deutscher eine Partei sei, zwei Engländer ein Club und drei Franzosen eine Ehe seien. Es geht ausschließlich um die Bühne der Zwei und deren erste Wahrheit ist: Es gibt kein Gesetz der Liebe. Schließlich sind "die Liebenden alleine auf der Welt", wie das Sprichwort sagt. Sie sind bloße Träger des Unterschieds, von dem ausgehend sie die Welt erfahren.
Um das aber möglich zu machen, muss erst einmal der "liebesfeindlichen" Philosophie, deren herausragender Vertreter Arthur Schopenhauer ist, der Grund genommen werden. Schopenhauer erklärte, dass er den Frauen niemals verzeihe, die Liebesleidenschaft in die Welt gebracht zu haben, weil sie damit die Fortpflanzung der menschlichen Gattung ermöglichten, die doch wertlos sei. Das ist, über den notorischen Pessimismus hinaus, so Badiou, falsch, weil es die Liebe an die Fortpflanzung und damit an den Sex binde. Mit dem Psychoanalytiker Jacques Lacan meint Badiou, dass es keine sexuellen Beziehungen gibt. Im Sex genieße man durch den anderen vor allem sich selbst, und das auch oft nur partiell. In Badious Sprache heißt das: "Der andere dient Ihnen dazu, das Reale des Genießens zu entdecken." In der Liebe aber ist die Vermittlung durch den anderen an sich wertvoll. Damit hält Badiou auch die für ihn völlig banale Vorstellung, nach der die Liebe nichts anderes sei als die Maskierung sexuellen Begehrens, aus seiner Liebeskonzeption heraus.
Auch Goethes "das Ewig-Weibliche zieht uns hinan" am Ende des "Faust" ist ihm suspekt. Badiou findet solche Vorstellungen "obszön", weil die Liebe einen weder "hinauf" noch "hinunter" ziehe. Sie ist bei Badiou eine existentielle Behauptung: "die Konstruktion einer Welt unter einem Gesichtspunkt, der abseits meines bloßen Selbsterhaltungstriebes oder meines wohlverstandenen Interesses liegt". Und weil sich diese Behauptung nur auf der Bühne der Zwei vollziehen kann, kann es auch keine romantische Verschmelzung zur Eins geben. Wenn man aus Getrenntem Eins machen will, geht das nur um den Preis der Vernichtung des Getrennten. Deshalb enden viele Liebeserzählungen der romantischen Tradition tödlich, genauso wie der Kampf Herr gegen Knecht oder Herr gegen Magd immer letztlich auf den Sieg des einen über den anderen hinausläuft.
Damit hat die Liebe nach Badiou aber auch nichts mit Politik zu tun. In der Politik geht es immer um die Benennung eines Feindes, während in der Liebe der Feind keine Rolle spielt. Nicht mal den in Eifersucht betrachteten Rivalen hält Badiou im Liebesgeschehen für bedeutungsvoll. Das ist ein entschiedener Gegensatz zu all jenen, die wie Proust denken, dass die Eifersucht grundlegend für die Liebe sei. Für Proust war die Eifersucht der wahre, starke und diabolische Inhalt der Liebessubjektivität. Für Badiou ist das aber nur eine Variante der skeptischen Verkleidungstheorie der Liebe, hinter der nichts als das Bedürfnis nach Sex lauert.
Die Eifersucht ist bei Badiou "ein künstlicher Parasit der Liebe und keineswegs Teil ihrer Definition". Die Liebe benötigt am Anfang, um sich zu erklären, keinen äußeren Rivalen. Die Schwierigkeiten der Liebe hängen nicht mit der Existenz eines identifizierten Feindes zusammen, sondern sie sind dem schöpferischen Spiel des Unterschieds inhärent. Der Feind der Liebe ist der Egoismus, nicht der Rivale: "Der Hauptfeind der Liebe, derjenige, den ich besiegen muss, ist nicht der andere, sondern das bin ich, das ,Ich', das die Identität gegen den Unterschied will, das seine Welt gegen die Welt durchsetzen will, die im Prisma des Unterschieds gefiltert und neu zusammengesetzt wird." Der Wunsch oder der Wille, identisch zu sein mit dem anderen oder auch gleich mit der ganzen Welt, lauert aber überall. Die Zwei, heißt es in einem der schönsten Gedanken des Liebeslobs, muss immer mit der Rache des Einen rechnen. Die Rache des Einen gegen die Zwei sieht Badiou vor allem in den Religionen am Werk.
Religionen sprechen nur von der Liebe, um sie auf ihren "Ganz-Anderen" Gott umzuleiten, den Einzigen, der selbst dann noch nur einer ist, wenn er, wie im Christentum, dreiteilig auftritt. Die Umlenkung der Liebe auf Gott und die Institutionen der Kirche im Christentum sei ein Geniestreich, der auch deshalb so gelungen sei, weil Christen wirklich etwas von der Liebe verstehen. Das "Hohelied" etwa sei eine der kräftigsten Lobpreisungen der Liebe, die jemals geschrieben worden sei.
Es enthält für Badiou alle kämpferischen Intensitäten, die die Welt der Liebenden so einmalig und universell zugleich werden lassen. Nur hat das Christentum die irdische Schöpfung der Geburt einer Welt, das Stück für Stück in der Liebe eroberte Glück, durch eine passive, gebeugte Liebe ersetzt. Und eine kniende Liebe ist für Badiou keine Liebe, "selbst wenn wir manchmal in der Liebe die Leidenschaft verspüren, uns dem, den wir lieben, auszuliefern".
Aber natürlich schützt auch eine aufrechte Liebe nicht vor dem Desaster, das als Trennung in jede Liebe einbrechen kann. Davor gibt es für Badiou keinen Schutz, das ist die Unsicherheit, die immer bleibt, solange man unter der Liebe etwas anderes versteht als eine Vollkaskoversicherung. Eine Liebe ohne Risiko gibt es für Badiou nicht - nur aus dem Zulassen des Unberechenbaren gewinnt seine Liebe auf der Bühne der Zwei ihre Intensität.
CORD RIECHELMANN
Alain Badiou: "Lob der Liebe", übersetzt von Richard Steurer. Passagen-Verlag, 87 Seiten, 11,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ganz unterschiedlich beschäftigen sich zwei Autoren damit, was Liebe ist, wobei Susanne Gmür in ihren Büchern vor allem lernt, dass die Liebe kaum eindeutig zu fassen ist. Deswegen stört sie sich bei Alain Badious "Lob der Liebe" vor allem an der Eindeutigkeit und Sicherheit, mit der der französische Philosoph die Liebe zu beschreiben sucht. Denn auch wenn Badiou in seiner Definition "vage" bleibt, scheut er sich nicht, verschiedene "Wahrheiten" über die Liebe auszugeben, stellt die Rezensentin fest. Dadurch kommt der Autor zu Erkenntnissen, die kein Risiko eingehen und sich auch nicht unbedingt aufregend lesen, so Gmür. Die Rezensentin ist aber durchaus gewillt, Badious Ausführungen als subjektive Wahrheiten zu lesen, nur soll er doch bitteschön nicht so tun, als ob seine Liebesvorstellung die einzige sei, findet die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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