Radfahrer sind die neuen Flaneure, mit der Nase im Wind erfreuen sie sich am Duft der Kastanienbäume. Unbemerkt gleiten sie in eine poetische Geographie und stellen verwundert fest, dass die Stadt dazu da ist, angeschaut zu werden. Nicht nur in Kopenhagen und Amsterdam, auch in Frankfurt und Paris prägt das Fahrrad wieder das Straßenbild. Fasziniert beobachtet der Ethnologe Marc Augé die Auswirkungen dieser veritablen Fahrradrevolution. Er beschwört das freiheitstrunkene Glück des Kindes, das in die Pedale tretend die Kraft seines Körpers spürt. Wehmütig denkt er zurück an die heroischen Tage der Tour de France, als Radrennen Volkskult war. Und er blickt voller Enthusiasmus auf die Chancen der weltweiten Fahrradbewegung. Feinsinnig preist Augé eine ganz reale Utopie: den Humanismus des Radfahrens.
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Rezensent Fritz Göttler erlebt den erradelten Raum als Raum der Utopie und poetischen Raum beim französischen Ethnologen Marc Augé. Aus persönlichen Erinnerungen und im Ton zwischen Wehmut und Ironie erschafft ihm der Autor ein Lob des Fahrrads, das für Göttler weit in die Zukunft reicht und Impulse verspricht für die Zukunft der Städte. Wie Augé im Mythos des Radelns Philosophie und Literatur entdeckt und die Dialektik von Zeit und Ewigkeit, Einsamkeit und Geselligkeit reflektiert, scheint Göttler bemerkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Oliver Pfohlmann schätzt den französischen Anthropologen Marc Auge, der vor allem durch seine Theorie der "Nicht-Orte" bekannt wurde. Umso erfreuter ist der Kritiker, dass mit "Lob des Fahrrads" und "Das Pariser Bistro" gleich zwei wunderbare kleine "Elogen" neu erschienen sind. Begeistert schwingt sich Pfohlmann mit Auge aufs Rad, für den Autor in seiner Naturverbundenheit das "menschlichste" aller Fortbewegungsmittel, erobert sich ganz autonom den Raum, spürt Freiheit und Leichtigkeit, erinnert sich an den Zauber des ersten Moments auf dem Fahrrad, lernt ganz nebenbei noch einiges über den französischen "Velokult" der 1940er Jahre und hofft mit Auge auf eine "Fahrradrevolution" in Großstädten. Die zwölf großartigen Illustrationen Philip Waechters vollenden Pfohlmanns Lektüre-Glück.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2016Das Phantom von Paris
Marc Augé träumt von einer Zukunft auf zwei Rädern
Wer jetzt die Zeit nutzt, wenn die Nation vor dem Fußball sitzt, kann auf leeren Straßen einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie das Zeitalter des Fahrrads aussehen könnte. Ein solches beschwört der französische Anthropologe Marc Augé in einem zwischen Pathos und Ironie changierenden Büchlein, das vor acht Jahren im Original erschien. Damals lag der letzte Tour-Sieg eines Franzosen auch schon 23 Jahre zurück, was Augé keineswegs überrascht: Die Tour de France sei durch die Perfektion der Fernsehbilder "ein Sport ohne Ort" geworden, der seine "Daseinsberechtigung" eingebüßt habe: "Weil in Frankreich der Mythos zugrunde geht, gewinnen die Franzosen keine Rennen mehr."
Den Profisport hinter sich lassend, wendet sich Augé der Wiederentdeckung des Fahrrads als einem "Bestandteil des sozialen Lebens im dritten Lebensabschnitt" zu - als einem Provinzphänomen. Denn für einen echten Zentralisten gibt es nur einen möglichen Aufenthaltsort: Paris. Und dort, bemerkt der Autor wohlwollend, sei die Handynutzung auf dem Rad noch immer und zum Glück die Ausnahme. Das "Phantom", die Ablenkung des ehemaligen Flaneurs durch ein Gerät, das Telefon, Fernseher und Computer in einem ist, hat wenigstens noch einen Gegner. Und damit Potential zur Utopie, weil das Rad den Stadtraum zurückerobern will und die Zentrierung auf sich selbst unterstützt, auch wenn die Nutzer des Pariser Leihradsystems Vélib' nur schnöde Touristen sind. Das Rad schärfe durch den Rückgriff auf kindliche Erinnerungen das Bewusstsein für Raum und Zeit und komme dem Zustand der "Flüssigkeit" am nächsten. Radler aller Länder, vereinigt euch!
hhm.
Marc Augé: "Lob des Fahrrads". Mit Zeichnungen von Philip Waechter. Aus dem Französischen von Michael Bischoff. Verlag C. H. Beck, München 2016. 104 S., Abb., geb., 9,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marc Augé träumt von einer Zukunft auf zwei Rädern
Wer jetzt die Zeit nutzt, wenn die Nation vor dem Fußball sitzt, kann auf leeren Straßen einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie das Zeitalter des Fahrrads aussehen könnte. Ein solches beschwört der französische Anthropologe Marc Augé in einem zwischen Pathos und Ironie changierenden Büchlein, das vor acht Jahren im Original erschien. Damals lag der letzte Tour-Sieg eines Franzosen auch schon 23 Jahre zurück, was Augé keineswegs überrascht: Die Tour de France sei durch die Perfektion der Fernsehbilder "ein Sport ohne Ort" geworden, der seine "Daseinsberechtigung" eingebüßt habe: "Weil in Frankreich der Mythos zugrunde geht, gewinnen die Franzosen keine Rennen mehr."
Den Profisport hinter sich lassend, wendet sich Augé der Wiederentdeckung des Fahrrads als einem "Bestandteil des sozialen Lebens im dritten Lebensabschnitt" zu - als einem Provinzphänomen. Denn für einen echten Zentralisten gibt es nur einen möglichen Aufenthaltsort: Paris. Und dort, bemerkt der Autor wohlwollend, sei die Handynutzung auf dem Rad noch immer und zum Glück die Ausnahme. Das "Phantom", die Ablenkung des ehemaligen Flaneurs durch ein Gerät, das Telefon, Fernseher und Computer in einem ist, hat wenigstens noch einen Gegner. Und damit Potential zur Utopie, weil das Rad den Stadtraum zurückerobern will und die Zentrierung auf sich selbst unterstützt, auch wenn die Nutzer des Pariser Leihradsystems Vélib' nur schnöde Touristen sind. Das Rad schärfe durch den Rückgriff auf kindliche Erinnerungen das Bewusstsein für Raum und Zeit und komme dem Zustand der "Flüssigkeit" am nächsten. Radler aller Länder, vereinigt euch!
hhm.
Marc Augé: "Lob des Fahrrads". Mit Zeichnungen von Philip Waechter. Aus dem Französischen von Michael Bischoff. Verlag C. H. Beck, München 2016. 104 S., Abb., geb., 9,99 [Euro].
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"Wer immer den Wind im Gesicht liebt, wird diese Hymne selig lächelnd lesen."
Claudia Mäder, Neue Züricher Zeitung, 28. Februar 2016
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