In einer sich ständig und rapide verändernden Welt stellt sich die Frage nicht nur nach möglichen Entwicklungslinien, sondern auch nach einer rückblickenden Standortbestimmung neu. Bereits 1970 sprach Ratzinger die Krise der Kirche deutlich an, aus der diese nur mit großen Verlusten hervorgehen werde. Doch auch heute noch ist die Krise keineswegs gemeistert - eher ist ein Ende noch nicht absehbar. Unbestritten macht die Welt im Bereich von Wissenschaft und Technik gewaltige Fortschritte, zugleich aber brechen vielfach die moralischen Stützen der Gesellschaft ein. Ehen sind oft von nur kurzer Dauer; Habgier und Selbstsucht scheint in leitenden Kreisen an der Tagesordnung; nicht der Geist, sondern Ökonomie, Geld und Macht, letztlich das eigene Ich beherrschen die Welt und bilden die einzige, allgemein akzeptierte Orientierung. Frauen in der Kirche, die Kluft zwischen Kirchenvolk und -leitung, Multi-kul-turalität, der Dialog mit anderen Religionen - sind das die großen Probleme, mit denen die Kirche konfrontiert ist? Oder liegt das eigentliche Problem tiefer: in einer allgemeinen Geistvergessenheit? Der emeritierte Bonner Fundamentaltheologe und Jesuit Hans Waldenfels mahnt in seinem neuen Buch für die heute erforderlichen Reformen in der Kirche Europas eine neue Geistwahrnehmung an. Dialog, Freiheit und Toleranz müssen so gestaltet sein, dass Menschen unterschiedlicher Her-kunft sich auf gleicher Augenhöhe begegnen können. Pluralität verführt leicht zur Beliebigkeit. Daher sind eindeutige Standpunkte, aber auch mutige Entscheidungen gefragt. Wahrnehmung und Lernen sind Grundzüge unserer Zeit. Das gilt in Kirche und Welt. Gläubigen Menschen tut in den Kirchen die Anleitung zu neuen Gott- und Geistwahrnehmungen gut. Das sehen auch leitende Männer der Kirche wie der heutige Papst, Kardinal Franz König oder Bischof Franz Kamphaus so. Sie alle haben die heutige Situation der Kirche vorausgesehen und Anregungen gegeben, wie den veränderten Verhältnissen zu begegnen ist. Dabei wird die Zukunft wesentlich eine Zeit der Laien, Männer wie Frauen, sein. Und Europas Kirche wird von den Kirchen und Kulturen außerhalb Europas lernen müssen.
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