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Mit seinem vielseitigen Werk, das von Kunst- und Literaturtheorie über Philosophie, Soziologie und Religionswissenschaft bis hin zur Biologie und Mineralogie reicht, hat Roger Caillois (1913-1978) die Grenzen etablierter Disziplinen radikal infrage gestellt. Davon zeugen nicht nur seine frühen, im Kontext des Surrealismus entstandenen Schriften zur Mimese, zum Mythos und zum Heiligen, seine im argentinischen Exil verfassten literarischen Essays und Reiseberichte, sein berühmtes Spiele-Buch und seine Meditationen zur Welt der Steine, sondern auch seine langjährige Herausgebertätigkeit und die…mehr

Produktbeschreibung
Mit seinem vielseitigen Werk, das von Kunst- und Literaturtheorie über Philosophie, Soziologie und Religionswissenschaft bis hin zur Biologie und Mineralogie reicht, hat Roger Caillois (1913-1978) die Grenzen etablierter Disziplinen radikal infrage gestellt. Davon zeugen nicht nur seine frühen, im Kontext des Surrealismus entstandenen Schriften zur Mimese, zum Mythos und zum Heiligen, seine im argentinischen Exil verfassten literarischen Essays und Reiseberichte, sein berühmtes Spiele-Buch und seine Meditationen zur Welt der Steine, sondern auch seine langjährige Herausgebertätigkeit und die theoretischen Arbeiten, mit denen er seinen transdisziplinären Ansatz unter dem Schlagwort der »diagonalen Wissenschaften« als Theorie künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung avant la lettre profilierte. Ausgehend von der Formel »Logik des Imaginären«, in der Caillois das zentrale Interesse seiner Forschungen zusammenfasst, eröffnen die beiden vorliegenden Bände eine bislang weitgehend ausstehende Diskussion über Caillois' facettenreiches uvre, vor dessen Hintergrund die Frage nach den möglichen Perspektiven und Grenzen künstlerischer Forschung näher in den Blick zu nehmen ist. Band 1: Versuchungen durch Natur, Kultur und Imagination Mit Texten von Irene Albers, Karlheinz Barck, Peter Berz, Roger Caillois, Lena Däuker, Rosa Eidelpes, Anne von der Heiden, Eva Johach, Sarah Kolb, Stéphane Massonet, Stephan Moebius, Hans-Ulrich Treichel und drei Zeittafeln von Peter Geble. In seinem 1935 in der surrealistischen Zeitschrift Minotaure veröffentlichten Aufsatz »Mimese und legendäre Psychasthenie« führt Caillois den exzessiven Nachahmungstrieb bestimmter Lebewesen auf eine »regelrechte Versuchung durch den Raum« zurück, mit der nicht nur die Grenze zwischen Mensch und Tier, sondern auch diejenige zwischen Organismus und Umgebung von Grund auf unterlaufen werde und die damit einer »Angleichung des Belebten an das Unbelebte« gleichkomme. Ausgehend von dieser These begibt sich Caillois in seinen Schriften auf die Suche nach den »transversalen Vorgehensweisen der Natur«, die er mit dem Konzept der »diagonalen Wissenschaften« theoretisch reflektiert und die wiederum auf konkrete Versuchungen durch Natur, Kultur und Imagination zurückzuführen sind.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Kolb, SarahSarah Kolb ist FWF Elise Richter Senior Scientist an der Abteilung für Kunstgeschichte und Kunsttheorie der Kunstuniversität Linz.

von der Heiden, AnneAnne von der Heiden ist Professorin für Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Kunstuniversität Linz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Was bedeuten die Löcher im Flügel?
Geteilte Formprinzipien: Die Erkundung der Denkwege von Roger Caillois geht weiter

Beginnen wir mit Cycloptera speculata, Pterochroza ocellata oder Typophyllum bolivari. Das sind die Namen dreier Arten von tropischen Heuschrecken, allesamt nachtaktiv und tagsüber ausruhend, gut getarnt unter abgefallenen Blättern. Höchst kunstvoll ist die Nachbildung solcher Blätter, die sie auf ihren Flügeldecken zustande bringen: Die Äderung versteht sich fast von selbst, dazu ein Farbspektrum welkender oder abgestorbener Pflanzenteile, "Pilzflecken", beschädigte und wie angefressen wirkende Blattkonturen, sogar "Löcher" (nämlich pigmentfreie Stellen) - schlicht ein Wunderwerk, das die Natürliche Theologie längst vergangener Zeiten zu schätzen gewusst hätte.

Evolutionsökologisch läuft die Erklärung so: Die Fressfeinde sorgen für eine Selektion, welche über viele Generationen hinweg zu einer immer besseren Anpassung dieser Heuschrecken an das Laub führte, in dem sie sich aufhalten. Wie anders sollte es denn auch zugehen? Aber es gab immer Biologen und/oder Insektenliebhaber, welche die darwinistische Generalformel angesichts dieser hinreißenden mimetischen Insekten nicht recht überzeugen wollte. Dass da zumindest ein Rest blieb, war auch die Überzeugung eines Autors, der sich zwischen Soziologie, Philosophie und Kunst- und Literaturtheorie bewegte und in letzter Zeit durch eine Reihe von neuen Übersetzungen eine Renaissance erfährt: Roger Caillois (1913 bis 1978). Zu den Editionen der letzten Jahre ist jetzt auch ein lesenswerter Band mit Essays über ihn gekommen.

Ein zentrales Motiv des im Umkreis des Surrealismus seinen eigenwilligen, gleichzeitig spielerischen und sehr auf Strenge bedachten intellektuellen Parcours beginnenden Caillois war, dass Hervorbringungen im Naturreich und solche der menschlichen Kunst und Imagination auf eine Wurzel von geteilten Formprinzipien zurückgehen. Diesem Motiv entsprach die Programmatik einer "diagonalen Wissenschaft", die ihren Weg über die Grenzziehungen zwischen den von Natur- und Geisteswissenschaften traktierten Gegenständen hinweg nimmt. Es legte auch bei den Insekten, die Caillois faszinierten, eine Reserve gegenüber den üblichen Erklärungen nahe. Aber wer brachte ihn eigentlich auf die Spur von Cycloptera und Co.?

Man kann das nun in dem Beitrag von Peter Berz nachlesen: Es war Paul Vignon, ein unorthodoxer französischer Biologe, der in den zwanziger und dreißiger Jahren seine eigene Theorie der Mimese der Insekten am Beispiel der von ihm penibel untersuchten tropischen Heuschrecken entwickelte. Die Fressfeinde als Agenten eines Selektionsdrucks bleiben da außen vor - ohnehin würden die Feinheiten der ähnlichen Gestaltung ihnen gegenüber gar nicht zum Tragen kommen -, stattdessen werden die Insekten zu instinktiv verfahrenden Lebewesen, die einen unbewussten Sinn für Luxus und Dekor pflegen. Caillois' Spekulationen über eine "verallgemeinerte Ästhetik" sind da nicht so weit entfernt. Bei Einzelheiten blieb er freilich vorsichtig.

Um eine Erhellung dieser natürlichen Ästhetik, die Caillois bis zur Mineralogie führte, geht es in einigen der Essays. Aber auf den Literaturtheoretiker fällt ebenso Licht wie etwa auf den öffentlich ausgetragenen Disput mit Claude Lévi-Strauss, der die Anstöße des Surrealismus ganz anders mit der Wissenschaft, in seinem Fall der strukturalen Analyse, verband. Caillois' eigene Erläuterung der "diagonalen Wissenschaft" steht voran, eine Einführung macht näher mit ihm bekannt, hilfreiche Zeittafeln sind jedem thematischen Abschnitt beigegeben, einige Abbildungen fehlen nicht. Ein zweiter Band soll im nächsten Frühjahr folgen.

HELMUT MAYER

"Logik des Imaginären".

Diagonale Wissenschaft nach Roger Caillois. Band 1: Versuchungen durch Natur, Kultur und Imagination.

Hrsg. von Anne von der Heiden und Sarah Kolb. August Verlag/Walter König, Köln 2018. 391 S., br., 24,80 [Euro].

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