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John Deweys Logik, ein Hauptwerk des großen amerikanischen Pragmatisten, ist ein komplexes und ungewöhnliches Buch. Logik - das ist für Dewey kein fixiertes, abstrakt-formales System, sondern etwas, das sich Hand in Hand mit der Forschung entwickelt. Wie ein Biologe mit Blick auf die verschiedenen Lebens- und Organformen stellt Dewey dar, unter welchen Bedingungen, in welcher »natürlichen Umwelt« logische Formen entstehen und sich entwickeln, und er zeigt, daß die spezifischen Techniken und Prinzipien der Logik eine adäquate theoretische Interpretation dadurch erhalten, daß man ihre Rolle…mehr

Produktbeschreibung
John Deweys Logik, ein Hauptwerk des großen amerikanischen Pragmatisten, ist ein komplexes und ungewöhnliches Buch. Logik - das ist für Dewey kein fixiertes, abstrakt-formales System, sondern etwas, das sich Hand in Hand mit der Forschung entwickelt. Wie ein Biologe mit Blick auf die verschiedenen Lebens- und Organformen stellt Dewey dar, unter welchen Bedingungen, in welcher »natürlichen Umwelt« logische Formen entstehen und sich entwickeln, und er zeigt, daß die spezifischen Techniken und Prinzipien der Logik eine adäquate theoretische Interpretation dadurch erhalten, daß man ihre Rolle innerhalb der Forschung darstellt. Deweys Logik vom Standpunkt eines naturalistischen Humanismus geht damit weit über die Ziele der formalen Logik hinaus und gewinnt heute, da sich die Logik zunehmend zu einer allgemeinen Informationstheorie entwickelt, immer stärker an Aktualität.
Autorenporträt
Dewey, JohnJohn Dewey (1859-1952) studierte an der Johns Hopkins University in Balitmore, war zunächst Professor für Philosophie in Chicago und von 1904 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1930 an der Columbia University in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2002

Habe ich überhaupt je richtig gedacht?
Naturgeschichte der lockeren Logik: John Deweys "Theorie der Forschung" in deutscher Erstausgabe

Wahrscheinlich haben wir falsch gelebt. Daß sich im Leser ein solch normativer Befund festsetzen kann, ist bei diesem Buch eine große Überraschung, man könnte auch sagen: ein Kunststück für sich. Denn mit John Dewey (1859 bis 1952) tritt uns ein Klassiker des philosophischen Pragmatismus entgegen, dem Zeitgenossen gerade nicht Moralismus, sondern das "Fehlen jeglichen normativen Fundaments" vorhielten. Charles Sanders Peirce schrieb ihm im Jahre 1905: "Sie schlagen vor, die normative Wissenschaft, deren meiner Meinung nach unser Jahrhundert am dringendsten bedarf, durch eine Naturgeschichte des Denkens oder der Erfahrung zu ersetzen"; die Folge davon müsse sein, "daß die Regeln des Schlußfolgerns nachlässig gehandhabt werden; und in der Tat finde ich, daß Sie und Ihre Studenten völlig dem verfallen sind, was mir als Ausschweifung lockeren Denkens erscheint. Chicago hat nicht den Ruf, eine moralische Stadt zu sein." Seinen Vorwurf faßt Peirce so zusammen, daß Dewey "überhaupt nicht sieht, daß es etwas gibt, das völlig falsch ist".

Aber dieser ausschweifende Chicago-Denker vermag den Leser dann doch ordentlich bloßzustellen, ihm tüchtige Zweifel einzujagen, ob das, was er bisher gedacht hat, nicht samt und sonders auf Sand gebaut war. Mit seinem Hauptwerk "Logik. Die Theorie der Forschung", das 1938 herauskam und nun als deutsche Erstausgabe erscheint, legte der damals knapp achtzigjährige Dewey tatsächlich eine Art Naturgeschichte des Denkens vor. Wie ein Biologe beugt er sich über die Pflänzchen der Gedanken, beschreibt ihre Lebens- und Organformen in der natürlichen Umgebung der Alltagspraxis, in der man mit der Realität "zurechtkommen" und "fertig werden" muß. Man lasse sich durch den Titel "Theorie der Forschung" nicht täuschen. Nur im letzen Abschnitt des Buches geht es wirklich um Wissenschaftsfragen, etwa in der Passage über den mathematischen Diskurs oder in jener über die Sozialforschung. Auch der Blick auf die zeitgenössischen logischen Diskussionen, also auf die Techniken der Logik im engeren Sinne der philosophischen Disziplin, ist eher randständig.

Nein, im Zentrum des Buches steht etwas anderes als die teilweise natürlich längst überholten Kommentare zur Fachwissenschaft: Dewey hat seine Theorie der Forschung im wesentlichen als eine Theorie des Denkens angelegt, als Kriteriologie für die allmähliche Verwandlung einer unbestimmten Situation in eine geklärte. Wie schon in der zehn Jahre zuvor erschienenen "Suche nach Gewißheit" wendet er sich gegen das empiristische "Zuschauermodell der Erkenntnis", wonach elementare Empfindungen eine sichere Erfahrungsbasis bieten. Erkenntnistheorie ist für den naturalisierten Hegelianer Dewey ein Prozeßbegriff, der die logische Verknüpfung nicht als momentanes querschnitthaftes Ereignis, sondern als ein Vergangenheit und Zukunft umspannendes Kontinuum abbildet. Die Klärung einer Situation ist nur unter dem Postulat möglich, daß das untersuchte Substrat das eines zeitlichen Verlaufs sequentieller Ereignisse ist. Was erkenntnistheoretisch eindeutig erscheint, wird moralphilosophisch zum Problem: Wo setzt man die Schnitte an, die eine Handlung als Handlung begrenzen und so erst zurechenbar machen?

Dewey, den Richard Rorty neben Wittgenstein und Heidegger als "einen der drei bedeutendsten Philosophen unseres Jahrhunderts" herausstellte, weiß sein theoretisches Thema mit angenehm abgründiger Anschaulichkeit lesbar zu machen. Habe ich überhaupt je richtig gedacht, fragt sich der Leser im Blick auf das feingliedrige Regelwerk der logischen Formen. War da nicht vielmehr ein Hüpfen von Intuition zu Intuition in all diesen gedankenlosen Tagen? Ein seliges Vertrauen ins unmittelbare Wissen, ein Leben aus perspektivischen Täuschungen?

Schritt für Schritt und mit einem für heutige Ohren gewiß erstaunlichen Wissenschaftsvertrauen werden die Problemzonen des richtigen Denkens entfaltet, das freilich nie etwas anderes ist als experimentelles Tasten unter ausdrücklichem Abzug "dessen, was man Intuition nennt". Wie kommen Schlußfolgerungen und Urteile zustande, wie hat man sich das Verhältnis von gesundem Menschenverstand und wissenschaftlicher Forschung vorzustellen, wie stellt man ein Problem so, daß nicht durch einen fixen begrifflichen Rahmen genau die Aspekte, die für die Lösung entscheidend sind, deren Signifikanz fürs Ganze, übersehen werden? Die Art, wie das Problem begriffen wird, entscheidet darüber, welche Vorschläge aufgenommen und welche fallengelassen werden; welche Daten ausgewählt oder verworfen werden; sie ist das Kriterium für die Relevanz von Hypothesen und begrifflichen Strukturen. Deweys Bitte an seine Zeit: man interpretiere ernsthafte soziale Probleme nicht in moralischen Ausdrücken!

Ist Deweys Erkenntnistheorie in Wirklichkeit nicht eine reine Methodenlehre, eine Variante behavioristischer Lernpsychologie? Daß der Einwand erhoben werden konnte, hat mit dem auch von Richard Rorty beförderten Mißverständnis zu tun, Dewey sei Idealist im Sinne eines für die Zeit um 1900 typischen Panpsychismus, der den Gegenstand des Wissens zu einem reinen Produkt des Denkens deklariert und damit die traditionellen Themen der Erkenntnistheorie - das Verhältnis von Subjekt und Objekt, Welt und Geist - zum Verschwinden bringt. Aber das ist nicht der Fall, Dewey formuliert sie nur in anderen, situationsbezogenen Termini, die das Vokabular der Erkenntnistheorie mit dem der biologischen Evolutionstheorie verschmelzen. Seine Abgrenzung zum philosophischen Idealismus Schelers und Heideggers ist ebenso manifest wie jene zum Antiszientismus Horkheimers und Adornos, zum logischen Empirismus Carnaps und Reichenbachs.

Wobei Dewey einen Begriff der situation humaine pflegt, der gegen jede existentialistische Dramatisierung gefeit zu sein scheint, wie Jürgen Habermas jüngst feststellte: "Er spielt nicht die Tiefe gegen das Flache, das Risiko gegen die Normalität, das Ereignis gegen die Gewöhnlichkeit, die Aura gegen das Triviale aus." Statt dessen geht es auch hier um eine pragmatistische Lesart: Eine Situation mit gegensätzlichen Tendenzen "ruft ihre eigenen angemessenen Konsequenzen hervor und trägt ihre eigenen Früchte in Gestalt von Wohl und Wehe", schreibt Dewey. "Die von der Situation ausgelösten Gedanken, Einschätzungen, Absichten und Vorhaben rufen - gerade weil sie Einstellungen des Reagierens und der versuchten Regelung (also nicht bloße Bewußtseinszustände) sind - ebenfalls Wirkungen hervor. Das Ineinandergreifen, das wechselseitige Anpassen, das sich sodann zwischen diesen beiden Arten von Konsequenzen einstellt, bildet die Übereinstimmung, welche die Wahrheit ausmacht."

Das ist beileibe nicht die klassische Repräsentationstheorie der Wahrheit. Aber wer möchte bestreiten, daß Dewey einem starken Realitätsbegriff verpflichtet ist? Zweifelszustände von Personen, die nicht durch eine "reale Situation" hervorgerufen und auf sie bezogen sind, nennt Dewey ohne Umschweife "pathologisch". Infolgedessen würden verworrene Situationen "nicht durch die Beinflussung unserer persönlichen Geisteszustände" geglättet, aufgeklärt und in Ordnung gebracht. Der Versuch, sie durch solche Eingriffe in Ordnung zu bringen, beinhalte im Gegenteil das, was Psychiater "Realitätsflucht" nennen. Die Gewohnheit, sich des Zweifelhaften so zu entledigen, als wenn es nur zu uns statt zur realen Situation gehörte, in der wir gefangen und von der wir betroffen sind, sei ein "Erbe der subjektivistischen Psychologie", schreibt Dewey in antiidealistischer Deutlichkeit.

Andererseits ist ein Ereignis (event) immer das, was herauskommt (e-venire), ein Ausdruck des Urteils, nicht der vom Urteil getrennten Existenz. Es beinhaltet einen teleologischen Begriff, es kann nur in Begriffen eines begrenzenden Anfangs, eines Intervalls und einer Beendigung beschrieben werden. In der Geschichte der zyklischen Verwitterung des Gebirges - so ein besonders schönes Beispiel für Deweys Beispielkunst - würde das Herabrollen eines Kiesels kaum überhaupt ein Ereignis darstellen; es wäre bloß ein unmerkliches Beispiel einer Art von Ding, die nur en masse von Bedeutung ist. Anders, wenn derselbe Kieselstein zur Ursache eines verzerrten Knöchels wird. Mit Peter Hare mag man es für schwer entscheidbar halten, ob Deweys Erkenntnistheorie mehr unter den Angriffen seiner realistischen Feinde wie Peirce oder unter den Lobreden seiner konstruktivistischen Freunde à la Rorty zu leiden hat.

CHRISTIAN GEYER

John Dewey: "Logik". Die Theorie der Forschung. Aus dem Englischen von Martin Suhr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 634 S., geb., 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als Deweys "Hauptwerk", so bezeichnet jedenfalls der Rezensent Christian Geyer dieses Buch, erschien, war der Philosoph beinahe achtzig Jahre alt. Vom Titel sollte man sich, meint Geyer, nicht täuschen lassen, es geht hier weniger um Fachfragen der Logik, sondern vor allem um eine "Theorie des Denkens" aus der Perspektive der Alltagspraxis. Logik muss für Dewey immer prozesshaft sein, kann nicht Vergangenheit und Zukunft von Ereignissen und Handlungen ausblenden. In ständigem "experimentellen Tasten" nähert sich Dewey den sehr grundlegenden Fragen nach dem Zustandekommen von Urteilen und nach Methoden, Entscheidendes nicht zu übersehen. Erkenntnistheorie untersucht er in evolutionsbiologischer Beleuchtung, hält aber an einem "starken Realitätsbegriff" fest. Die Darstellung lebt, so Geyer, von der "Beispielskunst" Deweys. Nicht ohne Bewunderung hebt er die Eigenständigkeit des Philosophen hervor, der sich seiner Meinung nach der Vereinnahmung durch die "konstruktivistischen Freunde à la Rorty" entzieht.

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