Was die alte Stadt noch durch eine reiche Nutzungsvielfalt auf engstem Raum leistete, verteilt sich in den zeitgenössischen urbanen Agglomerationen, auch lebensräumlich, auf ein weitläufiges Territorium. Dabei bilden sich, jenseits der klassischen Kernstädte, neue Knoten- und Aktivitätspunkte als de-zentrale Brennpunkte des Alltagslebens heraus, welche vielfach Aufgaben der traditionellen Stadtzentren übernehmen, vor allem in Bezug auf Konsum, Dienstleistungen, Freizeit und Erholung. An fünf ausgewählten Fallbeispielen aus der Stadtregion Rhein-Main werden in der vorliegenden Pub-likation derartige alltagsrelevante Orte regionaler Ausstrahlungskraft als Zentren außerhalb der Zentren in ihren gestalterischen, funktionalen, sozialen und kulturellen Bestimmungen dargestellt und analysiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2006Von den neuen "alltagsrelevanten" Orten
Wissenschaftler der Fachhochschule Frankfurt legen Arbeit zur "Stadtregion" Rhein-Main vor
mch. RHEIN-MAIN. Es war das erste seiner Art in Europa: das Main-Taunus-Zentrum, das 1964 vor den Toren Frankfurts auf Sulzbacher Gemarkung entstand. Damals hatte man nach amerikanischem Vorbild ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese schaffen wollen, bewußt abgewandt von der Stadt, berichtet Thorsten Bürklin von der Fachhochschule Frankfurt. Längst bediene man sich in der Gestaltung des Einkaufszentrums "urbaner Szenerien", versuche man "Stadt zu simulieren". Auf diese Weise habe sich neben den historisch gewachsenen Städten der Region nun eine privat organisierte "Einkaufsstadt" etabliert. Dieses Nebeneinander von Zentren, von Funktionsräumen ist nach Ansicht von Bürklin und Michael Peterek, Professor für Städtebau an der Frankfurter Fachhochschule, ganz typisch für eine Stadtregion, wie sie das Rhein-Main-Gebiet "klassisches Beispiel" ist.
Die beiden Wissenschaftler wollen in ihrer Arbeit zeigen, wie sich jenseits der klassischen Kernstädte neue "alltagsrelevante" Orte in der Region herausgebildet haben. Peterek zufolge hat die traditionelle "alte" Stadt eine reiche Nutzungsvielfalt besessen: Arbeiten, Konsum, Kultur und Freizeit hätten dort stattgefunden. Während es weltweit immer noch solche "Monostädte" gebe wie Berlin oder Paris, seien parallel Stadtregionen entstanden.
An fünf Beispielen aus der Region - dem Main-Taunus-Zentrum, der "kommerziellen Mitte" in Dreieich-Sprendlingen, die rund um eine Mann-Mobilia-Filiale und einen Wal-Mart entstanden ist, der Limesstadt in Schwalbach, der "alten Stadt" Dreieichenhain und der Nutzung der Dietesheimer Steinbrüche als Erholungsgebiet - beschreiben die Wissenschaftler neue "alltagsrelevante Orte".
"Uns geht es nicht um eine Bewertung dieser Entwicklungen", sagte Peterek bei der Vorstellung des Buches im Planungsverband - der Verband hat das Buchprojekt mit unterstützt -, vielmehr stehe die analytische Betrachtung im Mittelpunkt. Man müsse die neuen Orte und ihr Funktionieren verstehen, um daraus Schlüsse für die Planung ziehen zu können. Zumal die einen diese Entwicklung als "fürchterlich" empfänden, weil sie die Auflösung der Städte befürchteten, während andere sie als "Zwischenstadt" romantisierten.
Wie stark sich "Orte" verändern, zeigte Bürklin am Beispiel der "alten Stadt" Dreieichenhain. Der Stadtteil Dreieichs sei längst Teil des Siedlungsbreis entlang der B3 zwischen Frankfurt und Darmstadt. Und dennoch sei er zu einem wichtigen "Funktionsmodul" der Region für Kultur, für Events und zum "Zentrum des nostalgischen Rückblicks" etwa durch Mittelalter- oder Ritter-Spiele geworden wie auch zu einem Zentrum für das Einkaufen. Bewußt trete Dreieichenhain in Konkurrenz zu den "Einkaufszentren" und werbe für sich als "Freilufteinkaufszentrum".
Planungsverbandsdirektor Stephan Wildhirt (SPD) lobte unterdessen die Arbeit der beiden Autoren. Es sei ihnen gelungen, die Rhein-Main-Region einmal ganz anders zu betrachten, als urbanes System, als eine einzige Stadt.
Thorsten Bürklin/Michael Peterek: Lokale Identitäten in der globalen Stadtregion - "Alltagsrelevante Orte" im Ballungsraum Rhein-Main, IKO-Verlag, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wissenschaftler der Fachhochschule Frankfurt legen Arbeit zur "Stadtregion" Rhein-Main vor
mch. RHEIN-MAIN. Es war das erste seiner Art in Europa: das Main-Taunus-Zentrum, das 1964 vor den Toren Frankfurts auf Sulzbacher Gemarkung entstand. Damals hatte man nach amerikanischem Vorbild ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese schaffen wollen, bewußt abgewandt von der Stadt, berichtet Thorsten Bürklin von der Fachhochschule Frankfurt. Längst bediene man sich in der Gestaltung des Einkaufszentrums "urbaner Szenerien", versuche man "Stadt zu simulieren". Auf diese Weise habe sich neben den historisch gewachsenen Städten der Region nun eine privat organisierte "Einkaufsstadt" etabliert. Dieses Nebeneinander von Zentren, von Funktionsräumen ist nach Ansicht von Bürklin und Michael Peterek, Professor für Städtebau an der Frankfurter Fachhochschule, ganz typisch für eine Stadtregion, wie sie das Rhein-Main-Gebiet "klassisches Beispiel" ist.
Die beiden Wissenschaftler wollen in ihrer Arbeit zeigen, wie sich jenseits der klassischen Kernstädte neue "alltagsrelevante" Orte in der Region herausgebildet haben. Peterek zufolge hat die traditionelle "alte" Stadt eine reiche Nutzungsvielfalt besessen: Arbeiten, Konsum, Kultur und Freizeit hätten dort stattgefunden. Während es weltweit immer noch solche "Monostädte" gebe wie Berlin oder Paris, seien parallel Stadtregionen entstanden.
An fünf Beispielen aus der Region - dem Main-Taunus-Zentrum, der "kommerziellen Mitte" in Dreieich-Sprendlingen, die rund um eine Mann-Mobilia-Filiale und einen Wal-Mart entstanden ist, der Limesstadt in Schwalbach, der "alten Stadt" Dreieichenhain und der Nutzung der Dietesheimer Steinbrüche als Erholungsgebiet - beschreiben die Wissenschaftler neue "alltagsrelevante Orte".
"Uns geht es nicht um eine Bewertung dieser Entwicklungen", sagte Peterek bei der Vorstellung des Buches im Planungsverband - der Verband hat das Buchprojekt mit unterstützt -, vielmehr stehe die analytische Betrachtung im Mittelpunkt. Man müsse die neuen Orte und ihr Funktionieren verstehen, um daraus Schlüsse für die Planung ziehen zu können. Zumal die einen diese Entwicklung als "fürchterlich" empfänden, weil sie die Auflösung der Städte befürchteten, während andere sie als "Zwischenstadt" romantisierten.
Wie stark sich "Orte" verändern, zeigte Bürklin am Beispiel der "alten Stadt" Dreieichenhain. Der Stadtteil Dreieichs sei längst Teil des Siedlungsbreis entlang der B3 zwischen Frankfurt und Darmstadt. Und dennoch sei er zu einem wichtigen "Funktionsmodul" der Region für Kultur, für Events und zum "Zentrum des nostalgischen Rückblicks" etwa durch Mittelalter- oder Ritter-Spiele geworden wie auch zu einem Zentrum für das Einkaufen. Bewußt trete Dreieichenhain in Konkurrenz zu den "Einkaufszentren" und werbe für sich als "Freilufteinkaufszentrum".
Planungsverbandsdirektor Stephan Wildhirt (SPD) lobte unterdessen die Arbeit der beiden Autoren. Es sei ihnen gelungen, die Rhein-Main-Region einmal ganz anders zu betrachten, als urbanes System, als eine einzige Stadt.
Thorsten Bürklin/Michael Peterek: Lokale Identitäten in der globalen Stadtregion - "Alltagsrelevante Orte" im Ballungsraum Rhein-Main, IKO-Verlag, 20 Euro.
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